Hätte Sanders gewinnen können?
Der sozialdemokratische Senator aus Vermont begeisterte Millionen Menschen mit linken Forderungen. Hätte er auch Trump schlagen können? Sanders ist fester Bestandteil der Demokratischen Partei und damit des imperialistischen Regimes der USA.
Und jetzt ruft er zur Zusammenarbeit mit Präsident Trump auf.
Wladek Flakin. Am nächsten Morgen war die ganze Welt fassungslos. Wie konnte das passieren? Konnte dieser hasserfüllte Clown wirklich 45,5% der US-Wähler*innen für sich gewonnen haben? Die Antwort auf die Frage ist unglaublich wichtig. Denn davon hängt ab, wie wir andere – und noch gefährlichere – rassistische Demagog*innen aufhalten können.
Katja Kipping, die Co-Vorsitzende der Linkspartei, hatte eine knappe Erklärung:
Den Gedanken werde ich nicht los: Die Demokraten hätten mal den Sozialisten Bernie Sanders aufstellen sollen, um Trump die Stirn zu bieten. Nun haben wir den Salat.
Ins gleich Horn blasen auch Autor*innen mit revolutionär-marxistischem Selbstverständnis:
– Redaktion, Marx21: „Dass der linke Außenseiterkandidat Sanders durch die Führung der Demokraten verhindert wurde, ist ein wesentlicher Grund für Trumps Sieg.“
– Jules Jamal, Die Freiheitsliebe: „Die US-Demokraten haben den Sieg verschenkt, weil sie nicht auf den Wandel gesetzt haben.“
– Lucy Redler, SAV: „Das Establishment der Demokraten riskierte lieber einen Wahlsieg Trumps, als Bernie Sanders zum Kandidaten zu ernennen und die Kontrolle über ihre Partei zu verlieren.“
Das Establishment hat genau den gleichen Gedanken, so „The Independent“ oder die „Washington Post“.
Wäre es aber wirklich so einfach gewesen? In der Tat zählt Hillary Clinton seit ihrer Zeit als „First Lady“ (Ehegattin des Präsidenten) zu den unpopulärsten Politiker*innen der USA. Das hängt teilweise mit ihrer Weigerung zusammen, im Weißen Haus „typisch weiblich“ aufzutreten. So hat sie sich lange geweigert, den Nachnamen ihres Ehemannes zu übernehmen, und mischte sich ins politische Geschäft ein. Genauso hat es mit ihrer engen Verbindungen zum Großkapital und ihrem Einsatz für endlose Kriege zu tun.
Umfragen aus der Zeit der demokratischen Vorwahlen zeigen, dass Sanders ein deutlich besserer Kandidat als Clinton war. Im Mai hieß es etwa, dass Sanders mit 54% zu 39% Trump besiegen könnte. Clinton dagegen hätte laut der gleichen Umfrage nur einen winzigen Vorsprung von 46% zu 43% gehabt.
Das Phänomen Sanders hat die gleiche Grundlage wie Trumps Sieg: Die breite Ablehnung der politischen Elite, der Auswirkungen der Globalisierung und die tiefgreifende soziale und politische Polarisierung. Nur so ist zu verstehen, dass Clinton als Vertreterin des Establishments sieben Millionen Stimmen im Vergleich zu den Wahlen 2012 verlor. Dass ein rassistischer Demagoge wie Trump Präsident wurde, zeigt, dass große Teile der Bevölkerung offen für außergewöhnliche Lösungen für ihre Probleme sind. Sanders vertrat keine solche „außergewöhnliche Lösung“ im Interesse der Arbeiter*innenklasse, weckte jedoch unter Millionen von Jugendlichen die Hoffnung auf Veränderung.
Also hätte Sanders gewonnen, oder? Darüber, ob die Zahlen von vor einem halben Jahr konstant geblieben wären, können wir nur spekulieren. Hätte der jüdische Kandidat darunter gelitten, dass Trump mit gar nicht so subtilen antisemitischen Botschaften um sich warf? Und noch wichtiger: Wäre Sanders zum Sprecher des demokratischen Flügels der Bourgeoisie geworden, hätte das keine Auswirkungen auf seinem Programm und dadurch auch seine Beliebtheit gehabt?
Wir wissen eben nicht, ob Sanders Trump verhindert hätte. Wir wissen nur: Sanders hat nach den Vorwahlen Wahlkampf für Clinton gemacht. Sanders tat genau das, was er seit dem ersten Tag seiner Kampagne versprochen hatte.
Sanders ist ein jahrzehntelanger Demokrat, der nur aus taktischen Gründen als „Unabhängiger“ auftritt. Er ist ein Unterstützer ziemlich aller militärischen Abenteuer des US-Imperialismus (mit der einzigen Ausnahme des Irak-Kriegs, den Sanders ablehnte). Er ist Unterstützer der Waffenindustrie, weil diese angeblich Arbeitsplätze schaffe.
Sanders merkt eben, dass die Basis der bürgerlichen Herrschaft in den USA allmählich erodiert, und er ruft zu gewissen sozialdemokratischen Reformen auf, um den Kapitalismus zu stabilisieren. Er sprach von einer „politischen Revolution“ – aber meinte nie etwas anderes als eine Reform der Demokratischen Partei. Immer wieder rief er seine Unterstützer*innen auf, bei den Demokrat*innen – dem „Friedhof der sozialen Bewegungen“ – einzutreten.
Deswegen ist es nur konsequent: Während Zehntausende Menschen auf die Straße gehen und „Fuck Trump“ rufen, macht der „Sozialist“ Sanders genau das Gegenteil. In einer Stellungnahme sagt er:
Wenn Mr. Trump ernsthaft an einer Politik interessiert ist, die die Leben von arbeitenden Familien in diesem Land verbessern kann, bin ich gemeinsam mit anderen Progressiven bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Gut, er sagt auch, dass er gegen Trump sein wird, falls dieser rassistische oder sexistische Politik betreibt. Aber Sanders verliert bewusst kein Wort über den nötigen Widerstand gegen Trump in den Betrieben, in den Schulen und Universitäten, auf den Straßen. Sanders „Revolution“ (unter dem Namen: Our Revolution) ist ein politischer Apparat, dem man Geld spenden kann. Sanders will keine Revolution – vielmehr will er den Staat gegen eine Revolution verteidigen.
Diese Hoffnung auf demokratische Politiker*innen (egal ob „linke“ wie Sanders oder rechte wie Clinton) führt direkt zu Trump. Widerstand gegen den Trumpismus – und Trump wird nicht der letzte seiner Art sein! – wird nur möglich sein, wenn wir uns unabhängig von den Parteien des Kapitals organisieren.
Quelle: Klasse gegen Klasse vom 11. November 2016
Tags: Neoliberalismus, Neue Rechte, Strategie, USA, Widerstand
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