SYRIZA degeneriert immer stärker nach rechts
Antonis Ntavanellos. Am 15. Januar wurde dem griechischen Parlament ein Gesetzesprojekt vorgelegt, und daraufhin von der SYRIZA-ANEL Mehrheit angenommen, das die Durchführung der Gegenreformen garantiert, wie sie von den Gläubigern aufgrund der sogenannten dritten Evaluation der wirtschaftlichen Lage Griechenlands gefordert werden. Somit verfolgt diese Regierung weiterhin den Weg hin zur formellen Beendigung des Austeritätsprogrammes des dritten Memorandums, das am 14. August 2015 unterzeichnet wurde, und die auf August 2018 angekündigt wurde.
Bis dahin muss die Regierung zwei Klippen vermeiden. Einerseits die «Stresstests» (Belastbarkeitstests der Banken) der griechischen Banken (Griechische Nationalbank, Piraeus Bank, Alpha Bank und Eurobank); da hofft sie, dass die Gläubiger und die Europäische Kommission weniger strenge Regeln akzeptieren, damit das Szenario einer neuerlichen Rekapitalisierung vermieden werden kann, welches die aktuell verbreitete optimistische Einschätzung zur griechischen Wirtschaftslage auseinanderfliegen liesse. Andererseits die Kommunikationsstrategie von Tsipras, die trotz aller Probleme auf die Vorbereitung der nächsten Wahlen ausgerichtet ist. Er sieht sich bereits der vierten Evaluation vom Frühjahr 2018 gegenüber, die neue Abbaumassnahmen nach sich ziehen wird.
Sofern es der Regierung gelingt, diese Risiken zu meistern, kann sie auf die Zusage von «Erleichterungen» im griechischen Schuldendienst hoffen, insbesondere auf eine Fristerstreckung in den unausweichlichen Rückzahlungen. Die Gläubiger erklären für den Moment, dass die Schuldendebatte in jedem Falle nach August 2018 offiziell eröffnet werde.
Dazu muss bemerkt werden, dass das formelle Ende des dritten Memorandums keinesfalls das Ende der brutalen Memorandumspolitik bedeutet. Wie anlässlich der Unterzeichnung des dritten Memorandums durch Tsipras ausdrücklich vereinbart wurde, bleiben alle mit den Memoranden in Verbindung stehenden Gesetze, Regeln und Reglemente, alle neoliberalen Gegenreformen der vergangenen acht Jahre ebenso wie die «Überwachung» der griechischen Wirtschaft in Kraft, bis mindestens 75% der Schulden zurückbezahlt sind, das heisst bis … 2060!
Das aktuelle Gesetzesprojekt
Die durch die dritte Evaluation eingeführten brutalen Massnahmen umfassen u.a.:
- Der umstrittenste Artikel dieses Gesetzes berechtigt die Banken und die öffentliche Verwaltung, die Wohnungen und Häuser der breiten Bevölkerung elektronisch zu versteigern, sofern sie ihre Schulden nicht bedienen können. Die Regierung hat bereits in grossem Umfang zu diesem Mittel der Versteigerung gegriffen. Sie ist dabei jedoch auf grösseren Widerstand gestossen – unter anderem von der Volkseinheit (LAE), die dabei eine führende Rolle gespielt hat – die die entsprechenden Gerichte daran hinderten, zu tagen und die Versteigerung zu beschliessen. Die Regierung versuchte es mit Repression und scheiterte kläglich und hat damit nur die Mobilisierungen befördert und die Zahl der Protestierenden vor und innerhalb der Gerichtssäle in die Höhe getrieben. Das Auftreten der KKE, der griechischen kommunistischen Partei, bei diesen Aktionen, denen sie sich etwas verspätet angeschlossen hat, stärkte die Überzeugung, dass das Vorgehen der Regierung in dieser für die Banken und Gläubiger wichtigen Frage gestoppt werden kann. Die Regierung wird eine Konfrontation auf dieser Frage zu vermeiden suchen und organisiert bereits jetzt elektronische Auktionen mittels Hunderten von Notariatsbüros über das ganze Land. Aber das Programm der Versteigerungen betrifft eine derart hohe Anzahl von Fällen, dass die realistische Hoffnung besteht, dass sich der Widerstand in die Quartiere verlagert, und den Zwangsräumungen ein Ende bereitet.
- Eine emblematisch reaktionäre Wende zeigt sich in der radikalen Änderung der Streikgesetzgebung. Das Streikrecht wurde in den intensiven Arbeiterkämpfen nach dem Ende der Obristendiktatur 1974 errungen. Nun hat eine Regierung, wovon nur noch deren Name einen Bezug zur Linken hat, beschlossen, dass ein Streik nur noch ausgerufen werden darf, sofern mindestens 50% + 1 Lohnabhängige eines Betriebes oder einer Branche an einer Abstimmung teilnehmen und sich mit der Ausrufung eines Streiks einverstanden erklären. Über Jahrzehnte hinweg war ein solches Gesetz der Wunsch der extremistischsten kapitalistischen Führungseliten, ein Anliegen, das bis anhin nicht realisierbar schien.
Natürlich enthält das vorgeschlagene Gesetzesprojekt eine Menge anderer umstrittener Massnahmen, wie etwa starke Kürzungen der Familienzulagen und der Altersrenten, wie auch weitere Erleichterungen der Privatisierungen in strategischen Sektoren wie der Elektrizitäts- und der Wasserversorgung.
Der Streik
Diese Politik der Regierung wurde durch die führenden Bürokratien der Gewerkschaften aus dem privaten und öffentlichen Bereich systematisch unterstützt, die unter dem Schutzmantel eines Bündnisses der Führungen der PASOK, der Nea Democratia und von SYRIZA alles dafür getan haben, um die Einleitung und die Organisation von ernsthaften Mobilisierungen zu verhindern. So haben sich die grossen Gewerkschaften davon ferngehalten, einen Streik zu beschliessen und haben so diejenigen Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Schutz und Unterstützung gelassen, die den Kampf aufnehmen wollten.
Die Basisgewerkschaften, wo die Linke eine treibende Kraft ist, tragen somit die ganze Last des Widerstandes. Aber sogar auf dieser Ebene spielt die KKE eine bremsende Rolle, indem sie zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Gesetzesvorschlag einen lediglich eintägigen Streik unterstützt hat, ohne vorlaufende Mobilisierungsschritte, und so die Tragweite eines solchen Streiks auf eine symbolische Aktion zur «Ehrenrettung» reduzierte. Wir schätzten aufgrund unserer Erfahrungen und unter Berücksichtigung dieser Faktoren, dass die Streikbeteiligung zwar grösser als erwartet ausfallen wird aber bei weitem nicht ausreichen würde, um die Offensive der Regierung zurückzuschlagen.
Der Streik wurde insbesondere im öffentlichen Verkehr (nahezu 100%) und in der Schifffahrt stark befolgt. Dabei aber behinderte der Streik im öffentlichen Verkehr die Teilnahme, da sich viele nicht zu den vereinbarten Mobilisierungsorten begeben konnten. Die Versammlungen wurden damit im Wesentlichen von den entschlossenen Aktivistinnen und Aktivisten der politischen Linken getragen.
Einmal mehr bestätigten sich die Erfahrungen, die nach 2015 in Griechenland gemacht wurden: die Leute sind empört und wütend, aber vorläufig überträgt sich dieser Zorn nicht in eine direkte Massenaktion; denn auf ihnen lastet immer noch die nachhaltige Enttäuschung der Niederlage von 2015 und das Fehlen einer überzeugenden politischen Alternative, um die brutale Austeritätspolitik zu stürzen.
Die Rechtsentwicklung von SYRIZA
Während Tsipras die Enttäuschung der breiten Bevölkerung und der Arbeiterklasse ausnützt, verschiebt er die Basis seiner Abstützung zunehmend in Richtung der herrschenden Klasse.
SYRIZA hat um sich bereits ein Bündnis mit kapitalistischen Kreisen gruppiert, die vor 2015 noch «das dunkle Gesicht der Unternehmerschaft» genannt wurden. Mit Kapitalisten, die mit verschiedenen dunklen Geschäften ein Vermögen zusammengerafft haben, mit Spielen, Geldwäscherei, einer starken Präsenz im Fussballgeschäft und die immer auf gute Beziehungen mit der jeweiligen Regierung angewiesen sind.
SYRIZA weitet ihre Beziehungen in Richtung der «traditionellen» Familien der Bourgeoisie aus und nutzt dabei ihre Beziehungen zu den Banken und eine spezifische Instrumentalisierung der Privatisierungen. Das heisst, dass sie dafür Sorge trägt, während weiterhin ausländische Investitionen angezogen werden, den einheimischen Kapitalisten als «lokalen Partnern» der internationalen Investmentfonds und der multinationalen Konzerne einen wichtigen Platz und eine Rolle zu sichern und gibt so vor, den starken Kräften der «internationalen Märkte» und der «Dehellenisierung der Unternehmen» Widerstand zu leisten.
Aber hauptsächlich betont SYRIZA in allen Tonlagen das Argument der Stabilität. Das heisst, sie behauptet, dass die SYRIZA-ANEL-Regierung im Sturmschritt die Vorgaben der Memoranden umgesetzt und gleichzeitig die Reaktion der breiten Bevölkerung und der arbeitenden Bevölkerung spürbar reduziert habe, indem sie im Land zum ersten Mal seit vielen Jahren ein Klima des «sozialen Friedens» geschaffen habe.
Der Wille, den Interessen der gesamten herrschenden Klasse zuzudienen, erstreckt sich bis in die Unterstützung der schärfsten Regungen des griechischen regionalen Nationalismus.
Die Regierung hat durch ihre Galionsfiguren, dem Verteidigungsminister Panos Kammenos (ANEL) und dem Aussenminister Nikos Kotzas (SYRIZA), die Politik ihrer rechten Vorgänger fortgesetzt, was den Nahen Osten und das östliche Mittelmeer anbelangt: die offene Unterstützung des US-Imperialismus, die Verstärkung der Nato-Präsenz im Ägäischen Meer, den Ausbau der Achse mit Israel und mit der Diktatur von Sissi mit dem Ziel einer Isolierung der Türkei von Erdogan. Mit der Aussicht auf eine Beteiligung am Erdöl und Erdgas im östlichen und südöstlichen Mittelmeer und auf einen Ausbau des griechischen Einflusses auf die Entwicklungen und Perspektiven in Zypern.
Neuerlich wendet sich die griechische Diplomatie dem westlichen Balkan zu. Dabei hofft man, den Konflikt mit der Republik Mazedonien nach den Vorstellungen des griechischen Staates lösen zu können und kapriziert sich auf einen Streit um die Namensgebung.
Mit voller Unterstützung der USA, der EU und der Nato fordert die griechische Verhandlungsdelegation für das Nachbarland einen neuen Namen, einen «zusammengesetzten Namen» (man redet von «Nova Makedonja»), der «Republik Makedonien» vollständig ersetzen und im kyrillischen Alphabet geschrieben würde und ohne dass er übersetzt noch dekliniert werden könnte.
Die Änderung des Namens des Nachbarstaates müsste sich notwendigerweise auch auf die Bezeichnung seiner Sprache wie auch seiner Bürgerinnen und Bürger erstrecken. Diese absurde Verletzung des demokratischen Rechtes auf Selbstbestimmung zielt auf eine griechische Monopolisierung des Namens von Makedonien.
Hinter diesem «Ränkespiel» steckt das wahre Ziel einer sofortigen Integration der Republik Makedonien in die Nato (wahrscheinlich am nächsten Gipfeltreffen vom Juli 2018) und die Einleitung von deren Integration in die EU.
Die wirklichen Verhandlungen finden zwischen den westlichen Grossmächten und dem griechischen Staat statt und drehen sich um Gegenleistungen für eine Aufhebung des Vetos gegen eine Aufnahme von Makedonien in die Nato, wie es von der Regierung Karamanlis während des Gipfels von Bukarest 2008 ausgesprochen wurde.
Dies ist der wahre Grund, dass die Nato und die EU heute einen unerbittlichen Druck auf die makedonische Regierung von Zoran Zaev ausüben, wobei sie sogar den Einfluss der albanischen Parteien instrumentalisieren, die sich keinen Deut um die makedonische Selbstbestimmung kümmern; die makedonische Regierung soll die griechischen Bedingungen akzeptieren, da sie «keine Alternative hat».
Indem die Regierung Tsipras diese Politik verfolgt und durch die Behauptung, dass eine Erweiterung der Nato auf den Balkan den Frieden (!) und die Demokratie (!!) in der Region stärke, bemüht sie sich in ihrer Bilanz, auf der Linie der USA, bei einem Problem einen «nationalen Erfolg» zu verbuchen, das sich nun seit Jahrzehnten dahinzieht.
Diese taktischen Manöver erzeugen gegenüber der Führung der Nea Demokratia, insbesondere Kyriakos Mitsotakis, Druck. Dieser ist sich der durch die griechischen Kapitalisten erwarteten Gewinne bewusst und bewahrt eine «verantwortungsbewusste Position». Der rechte Flügel der Partei und die extreme Rechte ausserhalb der Nea Demokratia intervenieren auf ideologischer Ebene und organisieren in Zusammenarbeit mit der Kirche nationalistische Aufmärsche [z.B. jenen vom 21. Januar in Thessaloniki mit 100’000 Teilnehmenden gemäss den Angaben der Polizei]. Aber selbst sie hüten sich davor, die Stimme zu laut zu erheben: einerseits um das Vorgehen der Regierung nicht durch Provokationen zu gefährden und andererseits die Aussichten auf einen Wahlsieg der Nea Demokratia nicht zu beeinträchtigen.
Es handelt sich dabei um eine tatsächliche Übernahme des politischen Projektes Rechten durch Tsipras. Damit versucht SYRIZA den Verlust ihres Einflusses unter der breiten Bevölkerung und der Arbeiterklasse auszugleichen, oder diesen zu reduzieren. Alles weist jedoch darauf hin, dass diese Taktik keine spektakulären Erfolge hat, zumindest vorläufig nicht. Gemäss der Einschätzung eines kritischen linken Analysten ist Tsipras auf dem Weg hin zu einem politischen und elektoralen Kampf, wo er feststellen muss, dass die Schwäche des breiten Widerstandes eine Sache ist, aber die Zustimmung der breiten Bevölkerung, sei sie auch nur elektoral, eine ganz andere.
In der griechischen Politik braucht es aus Sicht der Arbeiterklasse die Schaffung eines starken Poles der radikalen Linken, der für wichtige Bereiche, die einst SYRIZA unterstützten und nun von deren beschleunigten Rechtsentwicklung enttäuscht sind, als Orientierung dienen würde.
Quelle: alencontre.org… vom 17. Februar 2018; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Breite Parteien, Europa, Griechenland, Imperialismus, Neoliberalismus, USA
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