Syrien – Revolution, Konterrevolution und die imperialistische Intervention
Der 2010 einsetzende Prozess der arabischen Revolutionen ist mittlerweile in eine Phase des Rückflutens getreten: die Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, waren vorderhand zu gross, um von der mächtigsten Aufstandsbewegung der vergangenen 60 Jahre überwunden zu werden. Der Imperialismus, die regionalen Sub-Imperialismen und die einheimischen Eliten scheuten vor keinem Mittel zurück, um die Ansprüche der breiten Bevölkerung nach Demokratie, einem würdigen Leben und einem Zugang zu den lebensnotwendigen Gütern zurückzuschlagen; sie fanden dabei willige Bündnispartner in lokalen, ethnischen und religiösen fundamentalistischen Gruppierungen, die über genügend finanzielle und militärische Mittel verfügten, um das grausige Werk der Konterrevolution im verschlungenen Wechselspiel mit ihren Sponsoren in seiner blutigsten Konsequenz anzugehen. Syrien ist ein besonders drastisches Beispiel für diese Entwicklungen, wo es im Kampf gegen den revolutionären Prozess vorläufig zu einer gegenseitigen Stärkung des Assad-Regimes, der reaktionären islamistischen Kräfte und des westlichen Imperialismus kommt.
Im folgenden Gespräch geht Joseph Daher, ein Aktivist der syrischen revolutionären Linken, auf die Details, die Geschichte und die aktuellen Entwicklungen in diesem Prozess in Syrien ein. Joseph Daher ist Mitglied der syrischen revolutionären Linken, ist Assistent an der Universität Lausanne, Schweiz. Mitbegünder des Blogs Café Thawra und Begründer des Blogs Syrian Freedom Forever und Co-Autor (mit John Rees) The People demand. A short history of the Arab revolutions. Das englische Original erschien am 4. Februar unter International Viewpoint und wurde von der Redaktion maulwuerfe.ch mit leichten Kürzungen ins Deutsche übertragen.
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In Deinen Schriften lässt Du jene Personen und Gruppen zu Wort kommen, die kaum je erwähnt werden in der Beschreibung der Krise in Syrien. Ich möchte Dir ein paar Fragen zum kürzlichen Eintritt der USA in das Kampfgeschehen stellen und zu Deiner Einschätzung zu den Auswirkungen auf die verschiedenen Kräfte in der Region.
Die Krise in Syrien wird oft beschrieben als ein Konflikt zwischen dem Assad-Regime und dem Islamischen Staat (ISIS), mit kaum einer Erwähnung der anderen Kräfte im Land. Wie interpretierst Du die aktuelle Lage in Syrien, unter Berücksichtigung aller um die Macht kämpfenden Gruppen?
Joseph Daher: In der insbesondere seit 2012 vorherrschenden Erzählung wird der revolutionäre Prozess in Syrien nicht als Teil der anderen revolutionären Prozesse in der Region, für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, beschrieben. Stattdessen werden die laufenden Ereignisse in Syrien im Rahmen eines sektiererischen Konfliktes zwischen religiösen Minderheiten und einer religiösen Mehrheit gesehen, oder dann in einer geopolitischen Perspektive als Konflikt zwischen verschiedenen imperialistischen und regionalen, sub-imperialistischen Mächten interpretiert. Dies gilt insebsondere für das Argument der sogenannten «Widerstandsachse», das sich auf Syrien, Iran und die Hezbollah abstützt; diese «Widerstandsachse» setzt sich mit der Unterstützung Russlands dem westlichen Imperialismus, der mit den regionalen reaktionären Monarchien in Saudi Arabien und Qatar verbündet ist und durch die USA angeführt wird, entgegen. Dieses Argument übersieht die Dynamik von unten des syrischen revolutionären Prozesses.
Diese beiden Analysen sind aufgrund der Nichtbeachtung der tiefen und objektiven Bedingungen des revolutionären Prozesses in Syrien problematisch. Diese Bedingungen sind für alle Länder ähnlich, die sich momentan in einem revolutionären Umbruch befinden. Kurz zusammengefasst sind die treibenden Kräfte der Wunsch nach Demokratie, die sozio-ökonomische Krise und der Wille für Emanzipation und Befreiung im Sinne grösserer Gleichheit.
Zuerst sei daran erinnert, dass Syrien ein autoritäres Reggime war, das über die vergangenen 40 Jahre von einer einzigen Familie regiert wurde; es ist zudem ein bürgerliches Regime, das durch einen Prozess der Neoliberalisierung und der Privatisierungen ging, beträchtlich beschleunigt seit dem Machtantritt von Bashar al-Assad. 60 Prozent der Bevölkerung lebte 2011 unter oder um die Armutsgrenze. In Syrien herrschte der selbe Günstlings-Kapitalismus wie andernorts in der Region. Beispielsweise war es die Familie von Mubarak, die am meisten von den Privatisierungen und der Neoliberalisierung profitierte, in Tunesien die Trabelsi-Familie der Frau des Diktators Ben Ali; und in Syrien besitzt Makhluf, der Vetter von Assad, 60 Prozent des Reichtums des Landes.
Wenn man, zweitens, den gesamten Konflikt lediglich als Konflikt zwischen Assad und dem ISIS beschreibt, ignoriert man die seit drei Jahren andauernde Volksbewegung, die vorerst dem Regime und später auch den reaktionären islamischen Kräften gegenüberstand. Diese Volksbewegung ist jedoch nicht nur immer noch am Leben, sondern sie spielt weiterhin eine wichtige Rolle. Die Mitglieder dieser Bewegung sind die ursprünglichen Akteure der Revolution und halten weiterhin an den Zielen der Revolution fest.
Drittens sieht die Assad/ISIS-Dichotomie darüber hinweg, dass das Assad-Regime zur Entwicklung von ISIS und aller anderen reaktionären islamischen Kräften beitrug, indem es verschiedene Personen aus den Gefängnissen entliess, die dann zu Führern dieser reaktionären Kräfte wurden. Zu Beginn des revolutionären Prozesses wurden diese Führer verschiedener reaktionären islamischen Kräfte mit Begnadigungsentscheiden freigelassen, während demokratische Aktivisten eingekerkert, gefoltert und unterdrückt wurden. Wir müsssen uns klar werden, dass das Assad-Regime in erster Linie die demokratischen und fortschrittlichen Aktivisten bekämpft, während es das Wachstum des ISIS erlaubt.
Das beste Beispiel ist die Stadt Raqqa, welche seit Oktober 2013 unter ISIS-Herrschaft war und vom Regime erst Ende August 2014 zum ersten Male angegriffen wurde. Damals hatte der ISIS grosse territoriale Gewinne im Irak gemacht während sich die von den USA geführte Koalition zur Bombardierung von Irak und Syrien organisierte. Man darf zudem nicht vergessen, dass die Ersten, die sich dem ISIS und den anderen reaktionären isalamischen Kräften entgegenstellten, die Volksbewegungen waren. Seit Anfang 2013 gab es in mehreren Gebieten breite Mobilisierungen und Demonstrationen gegen die autoritären Praktiken von Dschabhat an-Nusra und der Islamischen Front.
Zu Beginn von 2014 kam es zu einem Volksaufstand in einigen Quartieren von Aleppo und in nördlichen Regionen von Syrien gegen den ISIS. Der ISIS wurde aufgrund des Druckes der Massen militärisch vertrieben. Dschabhat an-Nusra und die Islamische Front beteiligten sich an diesen militärischen Kämpfen gegen den ISIS aufgrund der Opposition der breiten Massen und der zunehmenden Verachtung und Gewalttätigkeit von ISIS gegenüber ihnen. Daran können wir sehen, dass die breite Bevölkerung in Syrien sich denen entgegenstellt, die nicht die Ziele der Revolution sondern eine autoritäre Politik verfolgen.
Selbstverständlich bedeutet dies überhaupt nicht, dass Dschabhat an-Nusra und die Islamische Front oder andere salafistische Kräfte als Bündnispartner der revolutiären Kräfte betrachtet werden sollten; sie sind vielmehr Teile der Konterrevolution. So sahen wir erst vor kurzem, dass Dschabhat an-Nusra und der ISIS gemeinsam die Syrische Revolutionäre Front aus Rif Idlib vertrieben haben und dass Ahrar al-Scham (eine andere salafistische Gruppe) vor kurzem die Freie Syrische Armee bei Bustan Qasr in der Nähe von Aleppo angegriffen hat.
Wenn man schlussendlich den Konflikt nur als solchen zwischen Assad und ISIS interpretiert, so erweist man nur diesen beiden reaktionären Alternativen einen Dienst. Diese Sichtweise dient in gewisser Weise auch dem westlichen Imperialismus, dem daran gelegen ist, den Konflikt als Wahl des geringeren von zwei Übeln zu sehen. Das Assad-Regime begrüsste die US-geführte Bombardierung und unterstützte «alle internationalen Anstrengungen des Anti-Terrorismus.» Assad möchte gegenüber den verschiedenen internationalen imperialistischen Akteuren im Westen als die Person erscheinen, die ihnen in der Bekämpfung des «Terrorismus» behilflich sein kann. Diese Perspektive hat unglücklicherweise viele – von den konservativen Rechten bis zu schlecht informierten Anti-Imperialisten – zur Ansicht gedrängt, dass Assad das kleinere Übel als die Dschihadisten sei. In der Tat müssen wir uns beiden widersetzen, denn sie nähren sich gegenseitig und beide versuchen, ein autoritäres Regime zu errichten.
Damit verneint diese Sicht des Konflikts als ausschliesslich eines solchen zwischen ISIS und Assad endgültig den breiten revolutionären Prozess in Syrien und die Stärke der Volksbewegung. Obwohl dieser Prozess geschwächt ist, so ist er immer noch vorhanden, immer noch kämpfend, und er hält weiterhin an den Zielen der Revolution fest.
Welches sind Deiner Meinung nach die Ziele der US-geführten Luftschläge und Waffenlieferungen in Syrien und im Irak?
JD: Zuerst dienen sie im Irak dem Schutz der amerikanischen Verbündeten. Die militärische Intervention der USA ist, trotz ihrer «humanitären» Propaganda, nichtsdestoweniger Teil der hergebrachten politischen Ziele, die da sind: Schutz des diplomatischen Personals, das in Erbil stationiert ist; dort befindet sich auch eine CIA-Basis. Ferner den Schutz der grossen multinationalen Konzerne des Kohlenwasserstoff- und Ölsektors, wie Mobil, Chevron, Exxon und Total, die die Ölvorkommen in der Region ausbeuten und bereits über 10 Milliarden Dollar investiert haben. Am wichtigsten ist aber wohl die Aufrechterhaltung des Bündnisses mit dem irakischen Regime, einem Erbe der amerikanischen Invasion. Die Vereinigten Staaten intervenierten nicht, als Mosul fiel und über 200’000 Flüchtlinge nach dem irakischen Kurdistan unterwegs waren, sondern griffen erst militärisch ein, als der ISIS drohte, die kurdischen Gebiete im Norden und die Hauptstadt Bagdad im Süden anzugreifen.
Dies ist der Grund, weshalb die USA lediglich oberflächliche und kosmetische Veränderungen im irakischen Regime wollten und nur den Premierminister Maliki auswechselte, der ebenfalls von seinen iranischen Verbündeten wegen seines katastrophalen Mismanagements des Landes fallen gelassen wurde.Der neue Premierminister Haidar al-Abadi stellt alles andere als einen radikalen Wechsel dar. Er ist ein enger Vertrauter von Maliki und Mitglied der selben Partei, Dawa. Er war Kommunikations-Minister in der Übergangsregierung, die 2003 nach dem Sturz von Saddam Hussein eingesetzt wurde. Dieser neue Premierminister, al-Abadi, erhielt internationale Unterstützung, sogar vom Iran. Der ehemalige Premier, Maliki, hat trotzdem versucht, im Amt zu bleiben, gab aber schlussendlich auf. Nach diesem Wechsel erklärten amerikanische Regierungsbeamte, sie könnten die wirtschaftliche und militärische Hilfe an den Irak beschleuingen, sofern die neue Regierung al-Abadi offener würde, insbesonder gegenüber der Sunni-Bevölkerung. Dabei aber wurde vergessen, dass das gegenwärtige irakische politische System und die gleichen politischen Kräfte es waren, die die aktuelle Situationherbeigeführt haben.
Für diejenigen, die daran zweifeln, dass dieses Regime ein Verbündeter der USA seien, möchte ich an die Unterstützung für die irakische Armee erinnern: das Pentagon hat dem Irak 2014 Munition und kleinere Waffen für über 650 Millionen Dollar geliefert. Bis 2011 gaben die USA 24 Milliarden Dollar für die Bewaffnung und Schulung der irakischen Armee aus. Zudem erklärten die Vereinigten Staaten am 22. Oktober 2014, dass sie mit dem irakischen Regime über die Lieferung von panzerbrechenden Geschossen im Wert von 600 Millionen Dollar verhandelten.
Die Luftschläge in Syrien wirken sich definitiv nicht zu Gunsten der Revolution aus. Die USA erklärten gleich von Anfang an, dass ihr Ziel der ISIS sei, sie griffen jedoch auch andere reaktionäre Kräfte wie etwa Dschabhat an-Nusra an. Wir als Mitglieder der revolutionären linken Strömung in Syrien widersetzten uns von Anfang an diesen reaktionären Kräften; wir stellen uns aber auch gegen diese Intervention, denn die Ziele der von den USA geführten Koalition gehen nicht dahin, die syrischen Revolutionäre zu unterstützen oder sie vor dem ISIS oder vor dem Regime zu schützen. Ihr Ziel ist, wieder die Vorherrschaft in der Region und eine Form von Stabilität zu erreichen – insbesondere für die reaktionären Golfregimes und Saudi Arabien – und den revolutionären Prozessen ein Ende zu bereiten.
Diese Luftschläge erfolgen in der Perspektive einer «jemenitischen» Lösung. Das heisst, einer Übereinkunft zwischen dem Assad-Regime (oder eines Teils davon) und einer mit dem Westen oder den Golf-Regimes verbundenen Opposition. Die Bewilligung von $ 500 Mio durch den US-Kongress für Obamas Plan, 5’000 bis 10’000 syrische Rebellen, die aus der Sicht von Washington als «gemässigt» eingestuft werden, für den Kampf gegen ISIS und das Regime zu bewaffnen und auszurüsten, geht in die gleiche Richtung, wie aus folgendem Auszug aus der Kongress-Resolution ersichtlich ist:
«Das Verteidigungsministerium ist in Zusammenarbeit mit dem Aussenministerium befugt, an entsprechend überprüfte Elemente der syrischen Opposition und andere entsprechend überprüfte syrische Gruppen und Einzelpersonen Unterstützung, einschliesslich Schulung, Ausrüstung, Versorgung und Unterhalt, für folgende Zwecke zur Verfügung zu stellen:
- Verteidigung des syrischen Volkes gegen Angriffe des Islamischen Staates von Irak und der Levante (ISIL [eine andere Bezeichnung für den ISIS]) und das Territorium der syrischen Opposition zu schützen.
- Schutz der Vereinigten Staaten, ihrer Freunde und Verbündeten und des syrischen Volkes vor den Gefahren, wie sie von den Terroristen in Syrien ausgehen.
- Schaffung von Bedingungen für eine Verhandlungslösung um den Konflikt in Syrien zu beenden.»
Der Wunsch der Vereinigten Staaten, in Syrien loyale bewaffnete Gruppen zu schaffen, wird jedoch von den politischen und sozialen Realitäten durchkreuzt. Und dies, weil die grrosse Mehrheit der oppositionellen Gruppen entschlossen ist, nur mit Washington zusammenzuarbeiten, sofern sie die Unabhängigkeit in ihren Entscheidungen bewahren können und die Zusammenarbeit auf einem klaren Plan zum Sturz des Assad-Regimes beruht. Oberst Riad al-Asaad, der Führer der Freien Syrischen Armee, sagte beispielsweise, er würde dem Bündnis gegen ISIS nur auf der Basis eines klaren Engagements zum Sturz des Regimes beitreten. Er fügte bei: «Wenn sie die Freie Syrische Armee an ihrer Seite haben wollen, so müssen sie Zusicherungen zum Sturz des Assad-Regimes und zu einem Plan mit revolutionären Grundsätzen abgeben.» Andere bewaffnete Gruppen, die im Syrischen Obersten Militärrat mitarbeiten, der nahe zu Washington steht, äusserten gleichfalls ihren Groll gegenüber der fehlenden Unterstützung durch die Vereinigten Staaten und andere westliche Mächte. Ihrer Auffassung nach sind die Luftschläge gegen den ISIS ungenügend und sie sollten ebenso gegen die Kräfte des Regimes gerichtet sein. Einer der Kommandanten sagte, dass «wir das Problem an der Wurzel packen müssen, das sind Assad, die Banden, die ihn unterstützen und Daesh [eine arabische Abkürzung für den ISIS]. Dies sind die drei Probleme, denen jeder Syrer gegenübersteht.» Viele Gruppen stehen auch der Art und Weise der Luftschläge kritisch gegenüber.
Der Dschihad und die reaktionären islamischen Kräfte werden vom westlichen Imperialismus und den regionalen Mächten als Eintrittstüre für diese neue militärische Intervention benutzt. Gleichzeitig hat die Ausdehnung der dschihadischen Gruppen über nationale Grenzen mit ihrer destabilisierenden Wirkung einen Punkt erreicht, wo die westlichen und regionalen imperialistischen Interessen bedroht werden. Es sei daran erinnert, dass der ISIS, der 2006 gegründet wurde, für diese Mächte solange uninteressant war, als er sich auf begrenzte Gebiete im Irak und Syrien beschränkte. Am Anfang wurden sie sogar durch private Netzwerke aus den Golfstaaten finanziell unterstützt. Obgleich der ISIS und seine Schwester-Organisationen für den globalen Imperialismus ein Faktor der Destabilisierung darstellen, sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass sie keinesfalls Akteure für die Emanzipation und Befreiung der Völker der Region darstellen; sie sind vielmehr gerade das Gegenteil. Zudem haben die Bombardements durch die US-geführte Koalition viele Zivilisten getötet und verwundet und einen grossen Teil der dringend benötigten zivilen Infrastruktur zerstört.
Das sind die Gründe, weshalb wir uns den Bombardements widersetzen müssen. Zu den schweren Opfern auf Seiten der Zivilbevölkerung durch die Luftschläge kamen weiterhin die Angriffe des Assad Regimes gegen die Bevölkerung und die Freie Syrische Armee in den «befreiten Gebieten». Mittlerweile hat Assad grosse Gebietsgewinne gemacht in Aleppo, in der Region um Damaskus und hat die al-Wa’ar Quartiere in Homs einem schweren täglichen Bombardement unterworfen. All dies unter dem absoluten Stillschweigen der Medien.
Zudem ist es eine absolute Dummheit anzunehmen, dass der ISIS, Dschabhat an-Nusra und andere ähnliche Organisationen mit den selben Instrumenten, mit denen sie entstanden sind, besiegt werden können. Diese reaktionären Kräfte sind in Wirklichkeit die Folgen des kriminellen autoritären Regimes – besipielsweise von Assad in Syrien und von Saddam Hussein im Irak – und den ausländischen Interventionen – allen voran der westlichen Länder angeführt durch die USA und von regionalen Mächten, wie Saudi Arabien, Qarar, der Türkei und dem Iran. Die neuerliche militärische Intervention beabsichtigt in der Tat keinesfalls den Sturz des Assad Regimes. So war kürzlich an einer Kundgebung in Syrien ein Transparent zu sehen mit der Aufschrift: «Dummheit versucht immer wieder das gleich zu tun und erwartet verschiedene Resultate, Albert Einstein.» Darunter stand: «Afghanistan 2001, Irak 2003, Syrien 2014.» Die einzigen Kräfte, die Nutzen aus diesen Bombardierungen ziehen, sind die beiden Parteien der Konterrevolution: einerseits das Assad Regime und andererseits die reaktionären islamistischen Dschihadisten.
Das Assad-Regime wird höchstwahrscheinlich kurzfristig durch die Schwächung starker militärischer Akteure militärische Gewinne machen. Während das Assad-Regime seine Angriffe auf die fortschrittlichen Kräfte fortsetzt, versucht es andererseits durch die Teilnahme am «Krieg gegen den Terror» beim westlichen Imperialismus seine Legitimität wieder zu gewinnen.
Die Bomardierungen werden wahrscheinlich kurzfristig den ISIS, Dschabhat an-Nusra und andere reaktionäre Kräfte militärisch schwächen. Sie werden sich aber höchst wahrscheinlich als kontraproduktiv für die syrische Revolution erweisen, indem sie die Popularität der Dschihadisten steigern und noch mehr Kämpfer in ihre Reihen treiben wird. Diese Kräfte stellen sich selbst als die einzige ernsthafte antiimperialistische Bewegung dar. In verschiedenen Berichten wird über die durch die Bombardierungen gesteigerte Anziehungskraft dieser Organisaitonen und die tagtäglich eintreffenden neuen Rekruten berichtet. Es gibt geradezu einen Wettbewerb zwischen den Organisationen; so musste beispielsweise Dschabhat an-Nusra den Diskurs verschärfen, um zu verhindern, dass ihre Kämpfer, vor allem Ausländer, zum ISIS überlaufen.
Diese Intervention dient den Interessen des westlichen Imperialismus und der verschiedenen lokalen Mächte. Nicht einmal Russland widersetzt sich dieser Art der Bombardierungen, trotz geäusserter Kritik an einzelnen Aspekten ihrer Durchführung. Dasselbe gilt für den Iran. All diese Mächte wollen eine Form der Stabilität, die durch die 2010 entstandenen revolutionären Prozesse infrage gestellt wurden.
Wenn die USA behaupten, ihr Ziel sei der ISIS, so sollte daran erinnert werden, dass dieser aus der al-Qaeda hervorging, die seit 2005 im Irak auftrat. Als ISIS sich ausweitete, insbesondere bei der Intervention in den syrischen revolutionären Prozess, so stellte dies für den westlichen Imperialismus und andere sub-imperialistischen Mächte kein Problem dar. Aber als die Ausdehnung des ISIS für diese zu mächtig wurde und nicht mehr länger ignoriert werden konnte, sahen sie sich gezwungen zu intervenieren. Somit war die entstarkende Macht des ISIS für die Vereinigten Staaten das Motiv zur Intervention und nicht die Tatsache, dass es sich um eine reaktionäre Kraft handelt. Solange der ISIS nicht direkt die politischen Interessen des Westens und von Saudi Arabien und Qatar herausforderte unterstützten ihn sogar die letzteren Staaten bis 2011 finanziell und selbst noch später.
Kürzlich sagte der Journalist Jeremy Scahill in einem Interview, dass die Vorstellung, der ISIS bestünde nur aus ultra-orthodoxen Islamisten, falsch sei. Er wies darauf hin, dass Persönlichkeiten wie Izzat Ibrahim al-Douri, ein prominenter Ba’athist, ebenfalls dazu gehört. Stimmst Du dem zu?
JD: Man muss verstehen, dass der Fall von Mosul zwei Faktoren geschuldet war. In erster Linie der Korruptheit und der vollständigen Unpopularität des irakischen Staates aufgrund seines Sektarismus und seines autoritären Regimes. Dies ist auch der Grund für den schnellen Zerfall der Armee und des Polizeiapparates. Zweitens handelte es sich bei der Übernahme von Mosul um eine Koalition, die hauptsächlich durch den ISIS angeführt wurde, zu der aber auch Sunni-Stämme und ehemalige Ba’athisten gehörten. Direkt nach der Machtübernahme und der Besetzung von Mosul jedoch wurde der ISIS zur beherrschenden Kraft und eliminierte die anderen Bündnispartner, einschliesslich der Stämme und der Ba’athisten und ebenso al-Douri. Somit ist es nicht richtig zu sagen, dass al-Douri zum ISIS gehört – ganz im Gegenteil.
Gleichzeitig gibt es ehemalige ba’athistische Armeekommandanten, die nach der amerikanischen Invasion zu Dschihadisten und Salafisten wurden und sich erst später al-Qaeda und noch später dem ISIS anschlossen. Somit stimmt es, dass die militärische Führung des ISIS hauptsächlich aus ehemaligen irakischen Armeeführern zusammengesetzt ist.
Wie steht es militärisch um die Freie Syrische Armee? Nachdem sie gegen die Armee Assads Terrain verloren hat und angesichts des starken Wachstum von ISIS, hat sie überhaupt noch eine Chance?
JD: Vorerst müssen wir uns im Klaren sein, dass es sich bei der Freien Syrischen Armee nicht um eine einzige und einheitliche Organisation handelt, sondern um ein Netzwerk von unabhängigen militärischen Gruppen, die unter ihrem Dach zusammenarbeiten. Die verschiedenen Kräfte der Freien Syrischen Armee sind über die vergangenen zwei Jahre immer weiter und beträchtlich geschwächt worden, weil sie nicht, im Gegensatz zu ihren Gegnern, von internationalen Mächten entscheidend unterstützt wurden, weder durch direkte militärische Intervention oder durch Lieferung von hochentwickelten Waffensystemen. Sie verloren viel Terrain sowohl an das Assad-Regime, das seine Offensive auf sie konzentrierte, wie auch an die reaktionären islamischen Kräfte, nicht nur an den ISIS sondern auch an Dschabhat an-Nusra und die Islamische Front, die Führer der Freien Syrischen Armee angriffen und ermordeten.
Trotzdem kam es vor der Intervention der US-geführten Koalition zu einer neuen Form, einem neuen Wachstum einiger Kräfte in der Freien Syrischen Armee, durch Leute, die sich erneut der Idee und der Anziehungskraft der Freien Syrischen Armee zuwandten, die die Ziele der Revolution verteidigt. Diese Leute sind von den reaktionären islamischen Kräften enttäuscht. Die Gründe von deren Anschluss an diese Kräfte waren meistens nicht ideologischer Art, sondern der Tatsache geschuldet, dass die dschihadistischen Gruppen genügend Geld und Waffen aus den reaktionären Monarchien des Golfes, aus Saudi Arabien und aus Qatar erhielten, und mit einer Türkei im Rücken, die die Augen gegenüber den Grenzüberquerungen dschihadistischer Gruppen in den Norden Syriens verschloss. Aber die Leute kehren zurück. In den vergangenen Wochen haben wir mehr und mehr Demonstrationen gesehen mit Losungen wie: «Wir müssen zurückkehren zu dem Geist und den Zielen der Revolution.» Viele Kräfte der Freien Syrischen Armee bauen auf diese Art der breiten Mobilisierung. Es gibt eine Menge von Losungen und Lieder für die Freie Syrische Armee; sie ist immer noch eine Macht, aber ihr fehlt die Einheit und es gibt regionale Unterschiede in ihr. Es gibt eine Menge von Problemen. Ich verstehe unter Einheit nicht eine Einheit der Ziele, sondern eher in einer militärischen Strategie, das Regime und die reaktionären islamischen Kräfte zu besiegen. Sie kämpfen an beiden Fronten, über die vergangenen drei Jahre gegen das Regime und seit weit über einem Jahr zunehmend gegen die reaktionären islamischen Kräfte. Nichtsdestotrotz haben sie jedoch immer noch eine Chance, da die Freie Syrische Armee für die breite Bevölkerung den bewaffneten Arm der Revolution darstellt.
Die demokratischen Elemente der Freien Syrischen Armee schützen weiterhin die Ziele der Revolution. Dies ist der Grund, weshalb es immer mehr Leute gibt, die zu ihr zurückkehren mit einem demokratischeren Diskurs; einige unter ihnen bekennen gar öffentlich, dass es ein Fehler war, mit den reaktionären islamischen Kräften zusammenzuarbeiten. In einigen Gebieten jedoch kommt es weiterhin zu einer Zusammenarbeit zwischen reaktionären islamischen Kräften und der Freien Syrischen Armee. Dabei handelt es sich jedoch um eine taktische Zusammenarbeit, sie teilen nicht die gleichen politischen Ziele. Es gilt, dies klarzustellen.
Verfügt die Gruppe noch über eine politische Legitimität? Gibt es irgendwelche Perspektiven, das Land zu regieren?
JD: Sicher, unter der breiten Bevölkerung in ihrer Unterstützung des revolutionären Prozesses.
Welches ist heute die Rolle der revolutionären Linken im Mittleren Osten und Nord-Afrika bei der Bekämpfung der reaktionären religiösen Orthodoxie der Dschihadisten wie auch der autoritären Diktaturen?
JD: Die wichtigste Aufgabe der revolutionären Linken ist ein Verständnis dafür, dass die Lösung regional sein muss und nicht auf ein einzelnes Land abgestützt werden kann. Wir müssen uns klar jeder Form von Konterrevolution entgegenstellen, mag sie nun Assad oder el-Sisi heissen. Oder in Tunis in modernistischer Version Einheit der Nation. Wir müssen uns entschieden gegen jede Propaganda der Art «Bekämpfung des Terrorismus» stellen. Zudem müssen wir die reaktionären islamischen Kräfte bekämpfen; diese sprechen von der Einheit der Umma, von Authentizität, von Moralismus während sie die konterrevolutionären Ziele des Neoliberalismus wie Autoritarismus, Patriarchat, Sektarismus und Formen von National-Chauvinismus teilen. Deshalb widersetzen wir uns beiden; beide sind mit verschiedenen imperialistischen und sub-imperialistischen Kräften verbündet.
Wir müssen eine Alternative von unten aufbauen. Eine radikale Alternative, die demokratisch ist, die soziale Gerechtigkeit fördert und sich gegen den Sektarismus, gegen das Patriarchat und gegen den Nationalismus wendet. Dies bedeutet, dass wir insbesondere revolutionäre Massenorganisationen mit klaren Grundsätzen aufbauen müssen, also Zusammenhänge von kollektivem Handeln. Um die konterrevolutionären Kräfte zurückzudrängen, müssen wir auch eine breite demokratische Front entwickeln, die nicht nur aus sozialistischen Revolutionären besteht, sondern aus allen Kräften, die unsere Ziele von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit teilen. Dies ist die Aufgabe der Linken. Wir müssen uns den sektiererischen Tendenzen entgegenstellen, die benutzt werden, um die Massen zu spalten, insbesondere jetzt, angesichts der verschiedenen autoritären Regimes und der reaktionären islamischen Kräfte. Wir müssen uns im Klaren sein, dass der Sektarismus kein Erbe einer mittelalterlichen Vergangenheit ist, sondern ein recht modernes Phänomen, das von den herrschenden Mächten eingesetzt wird, umdie Massen zu spalten.
Wie siehst Du ein mögliches Ende des Konfliktes?
JD: Ich würde die Formel «Lösung des revolutionären Prozesses» vorziehen, welche nicht morgen kommt. Wir müssen da an einen langfristigen revolutionären Prozess denken, da gerade jetzt die Lage katastrophal ist, wo über der Hälfte der Bevölkerung Syriens vertrieben ist, 80 Prozent der Menschen nahe der Armutsgrenze lebt, mit einer totalen Zerstörung der städtischen Infrastruktur, und zwei starken konterrevolutionären Kräften: dem Assad-Regime und den Dschihad-Gruppen. Eine Lösung ist nur mit der Zerschlagung dieser beiden Kräfte und mit der Errichtung einer Alternative, die demokratisch ist, für soziale Gerechtigkeit, gegen Sektarismus und Chauvinismus und für Gleichheit einsteht. Das läuft auf den Aufbau von revolutionären Massenorganisationen und die Beteiligung der Volksbewegung hinaus, die weiterhin kämpft, sowohl mit materiellen wie immateriellen Waffen.
Wir müssen die Entsendung von Waffen an die Kräfte der Freien Syrischen Armee ohne jede politische Bedingung unterstützen, wie auch an die kurdische Volksarmee, um beide Seiten und die Konterrevolution zu besiegen. Ich möchte diejenigen, die denken, dass keine Waffen geliefert werden sollten, dazu auffordern, Trotzkis Aufsatz Lernt denken zu lessen. Waffen ohne irgendwelche politische Bedingungen! Wenn der Westen wirklich dem revolutionären Prozess in der Region zugeneigt wäre, würde er Waffen liefern. Dieser jedoch will keine breite Volksbewegung stärken, die demokratisch ist und für soziale Gerechtigkeit und gegen Sektarismus eintritt. Dies aber wäre der Weeg in ein neues Syrien.
Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass die Lösung nicht nur in Syrien liegt sondern in der ganzen Region. Solange man nicht die Zentren der Konterrevolution stürzt, das heisst Saudi Arabien und Qatar, wird eine akzeptable Zukunft für die Region schwierig zu erreichen sein. Die syrische Revolution wird ebenfalls den israelischen Staat herausfordern und den palästinensischen Widerstand unterstützen müssen. Israel stellt nicht nur eine Bedrohung für die Palästinenser dar, sondern wie wir über Jahrzehnte erlebt haben, eine Bedrohung für die gesamte Region. Seit seiner Gründung ist Israel bei vielen Gelegenheiten militärisch interveniert, um die politischen Interessen des Imperialismus zu schützen, nicht nur in Palästina. Und schliesslich müssen alle Leute, die es Ernst meinen mit ihrer Unterstützung für die kurdische Selbstbestimmung die syrische Revolution unterstützen, da beides direkt miteinander verknüpft ist.
Stellt Deiner Auffassung nach der Aufstieg des ISIS ein Scheitern der Linken dar?
Ich denke nicht, dass der Aufstieg des ISIS direkt mit der Niederlage der Linken verbunden ist, da die Niederlage der Linken viel weiter zurückreicht, nämlich in die 1970er Jahre. Damals wurde die Linke durch autoritäre Regiems zerschlagen. Es sei auch an die Position der stalinistischen Linken erinnert, die sich mit autoritären Regimes verbündete, was sich verheerend für die Linke auswirkte. Beispielsweise in Ägypten, wo die Kommunistische Partei Mubarak bis zum letzten Tag unterstützte, und sie unterstützt el-Sisi.
Das ist verhängnisvoll, weil sich die Leute fragen: «Ist das die Linke?» Oder in Syrien, wo wir einen Teil der Linken auf der Seite des Regimes und in der Regierung sehen. Und im Irak, wo ein Teil der Linken mit Saddam ging. Die Niederlage der Linken wurde somit durch deren Zerschlagung in den 1960er und 1970er Jahren und durch den Opportunismus der stalinistischen Linken, die sich mit den autoritären Regimes verbündeten, verursacht.
Zur selben Zeit, in der Folge des arabischen-israelischen Krieges von 1973 stiegen die Ölpreise stark an, was den reaktionären Golf-Monarchien erlaubte, ihre Unterstützung für die reaktionären islamischen Kräfte in mehreren Ländern auszubauen, insbesondere für die Islamische Bruderschaft. In den 1970er Jahren wurde diese beispielsweise in Ägypten durch die Golf-Monarchien finanziert und von Sadat benutzt um die Linke zu zerschlagen. Die Bruderschaft war auch erfolgreich, weil sie sich den Massen als Alternative präsentierte. Die nationalistischen Kräfte wurden 1967 besiegt und wurden meistens korrupt und autoritär. Sie machten Rückzieher in der Sozialpolitik und machten eine politische Wende hin zu einer neoliberalen, einer sogenannte «infitah» Politik. Dabei wurde eine sehr ungleiche Gesellschaft geschaffen, während die Linke zerschlagen und unterdrückt wurde.
Dazu kam die Niederlage der Palästinenser in Jordanien und im Libanon, die erstere im Schwarzen September in den 1970er Jahren die zweite durch Israel und Syrien während des Bürgerkrieges im Libanon. Dabei wurden auch Teile der Linken zerschlagen, die mit dem palästinensischen Widerstand verbündet waren. Schliesslich gab es Versuche seitens Saudi Arabiens und anderer Golf Staaten, die palästinensische Bewegung zu kooptieren. Die Palästinenser wurden so von allen Seiten her angegriffen.
Dies ist der Grund weshalb wir sagen, dass die Befreiung von Palästina den Sturz aller Regimes in der Region erfordert. Arafat spielte seinerseits eine üble Rolle, indem er sagte, dass die Palästinenser nicht in arbaischen Staaten intervenieren sollten. Dies war für die Fatah sehr ergiebig; sie benutzte die verschiedenen reaktionären Regimes und wurde von diesen finanziert. Unglücklicherweise befolgen die meisten palästinensischen Organisationen diese Politik weiterhin. Dies gilt für die Hamas, die beispielsweise die bahreinische Revolution aus sektiererischen und politischen Gründen ablehnte, wie auch für die Volksfront für die Befreiung Palästinas, die keine auch nur irgendwie radikale Position gegenüber dem revolutionären Prozess in Syrien eingenommen hat.
Der ISIS ist eine direkte Folge der amerikanischen Ivasion und Zerstörung des irakischen Staates und seiner Gesellschaft. Im Gegensatz zu dem, was die Medien und die sogenannten «Analysten» behaupten, sind die gegenwärtigen Entwicklungen im Irak nicht das Resultat eines Jahrhunderte alten Hasses zwischen den Sunniten und den Schiiten, sondern vielmehr das Resultat der neueren Politik.
Neben der militärischen Invasion der USA, die nach mehr als einem Jahrzehnt inhumaner Sanktonspolitk erfolgt ist und eine Million Iraker getötet und vier Millionen Menschen aus ihren Wohnstätten vertrieben hat, stellt die amerikanische Besatzungspolitik die Ursache des gegenwärtigen Debakels dar. Die amerikanische Beatzungspolitik beinhaltet eine grausame Unterdrückung jeder Opposition zur US-Besatzungspolitik, die Umsetzung von neoliberalen Politikansätzen und die Repression der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die Zerstörung der staatlichen Institutionen (Armee, öffentliche Verwaltung, Universitätssystem und so weiter), und die Errichtung eines politischen Systems, das auf einem politischen Sektarismus basiert, wie im Libanon. Das zuletzt erwähnte Element war einer der Hauptgründe für den grausamen Bürgerkrieg zwischen schiitischen und sunnitischen Gruppen zwischen 2005 und 2008, der im Monat durchschnittlich 3’000 Todesopfer forderte.
Wie bereits oben erwähnt, schlossen sich ehemalige Offiziere der irakischen Armee nach der amerikanischen Invasion dem ISIS an. Ebenso findet der ISIS Abstützung im Sektarismus des irakisichen Staates, der vom Hizb al-Dawa, der politischen Partei von Maliki, beherrscht wird. Dawa war ein Verbündeter des iranischen Regimes, aber arbeitete auch mit den USA zusammen und wurde eine Art von politischem und militärischem Verbündetem. Dies heisst überhaupt nicht, dass das Regime von vor 2003 in irgendeiner Hinsicht gut war. Es sei daran erinnert, dass damals das Land unter dem blutigen Regime des Clans von Saddam Hussein stand, das den Tod, das Exil und die Haft unzähliger Menschen verantwortete, ganz zu schweigen von der Vergasung von Kurden in Halabdscha im Jahre 1988. Dieses Regime stützte sich auf einen totalitären Staatsapparat und auf eine klientelistische Stammesstruktur ab, und duldete keine politische Opposition oder unabhängige Gewerkschaften.
Es sei auch daran erinnert, dass der Aufstieg von ISIS verknüpft ist mit der Unterdrückung der breiten Proteste, die den Irak im Frühjahr 2011 im Zuge der breiten Volksaufstände in der Region erschütterten. Diese wurden am 15. Februar 2011 mit einem «Tag des Zorns» eröffnet, mit dem dann in den wichtigsten Städten eine Welle von wöchentlichen Freitagsprotesten einsetzte. Die Forderungen erstreckten sich vom Kampf gegen Arbeitslosigkeit, die immer noch sehr hoch liegt, über die Verurteilung mangelnder Dienstleistungen wie Elektrizität, der Forderung nach Freisetzung politischer Gefangener bis zur Opposition gegen das sektaristische politische System, wie es von der US-Besatzung errichtet wurde. Die Bewegung bestand aus Sektoren der Zivilgesellschaft, Frauengruppen, Gewerkschafen und so weiter.
Die Volksversammlung überstiegen gelegentlich10’000 Teilnehmerinnen, während beispielsweise in Mosul die Demonstranten einen Generalstreik ausriefen und so den Stadtgouverneur, Atheel al Nudschaifi, dazu brachten, die Proteste und die Durchbrechung der Ausgangssperre, die die Regierung verhängt hatte, zu unterstützen. Die breiten Mobilisierungen stellten für die Regierung Maliki eine Herausforderung dar, und viele regionale Politiker traten zurück, einschliesslich in der Stadt Basra. Insbesondere verwandelten sich die öffentlichen Plätze, wo die Demonstrationen stattfanden, in politisierte Poetik-Plätze und Orte von kulturellen Darbietungen, die ihr Material aus der reichen Vergangenheit der irakischen Kultur bezogen.
Die Regierung griff schnell mit systematischer Repression ein, benutzte Tränengas und scharfe Munition und errichtete zahllose Checkpoints, um so die Menschen zu zwingen, in der sengenden Hitze stundenlang zu gehen, um zu den öffentlichen Plätzen zu gelangen. Die Sicherheitskräfte verboten auf dne öffentlichen Plätzen alle Schreibwerkzeuge, Markierungsstifte und Wasserflaschen. Die politische Festigung innerhalb der irakischen herrschenden Elite erlaubte es Premierminister Nouri al-Maliki lokale dissidente Politiker zu kooptieren, wie etwa in Basra, und gleichzeitig die Repression der Volksbewegung fortzusetzen.
Dieses sektaristische irakische Regime unterdrückt dieSunniten und entliess viele von ihnen aus Regierungsstellen, einschliesslich dem Oberkommando der Armee. Maliki weigerte sich, die «Sunnitischen Erweckungsräte» , die die al-Qaida bekämpft hatten, in die Armee zu integrieren.Er hielt am Anti-Ba’ath-Gesetz fest, das nach der US-Invasion gegen frühere Führer aus dem Umfeld von Saddam Hussein erlassen wurde. Dieses Gesetz wurde nun von Maliki benutzt, um alle sunnitischen politischen Kräfte zu unterdrücken, während er alle sunnitischen Politiker beschuldigte, den Terrorismus zu unterstützen. Dies ist eine für die repressiven Regimes der Region typische Methode zur Unterdrückung jeder Opposition, wie beispielsweise in Ägypten und Syrien.
Im Jahr 2013 führte eine breite Bewegung in den Regionen mit einer sunnitischen Mehrheit eine Kampagne für den gewaltlosen Widerstand gegen das Regime von Maliki, insbesondere gegen seine sektiererische und autoritäre Politik. In dieser Periode fanden breite Demonstrationen und Sit-ins statt, an denen die Freilassung von politischen Gefangenen, vor allem von Tausenden von weiblichen Gefangenen, Arbeit, bessere öffentliche Dienstleistungen und eine Ersetzung der irakischen Verfassung gefordert wurden. Die Protestierenden widersetzten sich vor allem den «Antiterrorgesetzen», die von der Regierung benutzt wurden, um Mitglieder der Opposition der Verbindungen zu al-Qaida oder zu der Ba’ath-Partei zu beschuldigen und so zu unterdrücken. Zu jener Zeit drückten die Führer der schiitischen Gruppe Oberster Islamischer Rat des Irak und der Bewegung von Moqtada al-Sadr, die ihre eigenen Probleme mit dem Regime von Maliki hatten, ihre Solidarität mit den Protesten aus, die fast ausschliesslich von den irakischen Sunniten organisiert wurden; sie drohten damit, ihre eigenen Protestbewegungen aufzubauen. Unglücklicherweise entstand keine trans-konfessionelle Solidarität, noch eine solche von inter-ethnischer Qualität, trotz der kurdischen Kritik und Opposition gegen die Regierung Maliki.
Das Maliki-Regime unterdrückte diese breiten Proteste blutig, wie auch die Bewegung vom 25. Februar 2011, als der Irak ebenfalls landesweite Proteste erlebte. Die Regierung benutzte auch Taktiken, die sie direkt von der US-Besatzung übernahm: ganze oder teilweise Zerstörung von Quartieren, Massenverhaftungen und Folter. Irak war auch das Schlachtfeld für die verschiedenen sub-imperialistischen Mächte der Region: Iran, der das sektiererische Regime von Maliki und reaktionäre schiitische Gruppen und Kampfverbände unterstützt und Saudi Arabien und Qatar, die die reaktionären sunnistischen Kräfte, einschliesslich des ISIS unterstützen.
Was dem ISIS schlussendlich erlaubte, beträchtlich zu wachsen, war der revolutionäre Prozess in Syrien und die Intervention des ISIS in diesen Prozess, wo er militärische Erfahrungen sammelte. Er war auch in der Lage, durch die Besetzung verschiedener Erdöleinrichtungen im Irak und in Syrien, sich eine unabhängige Finanzierung aufzubauen; er hing nicht mehr von fremden Geldquellen ab, welche in den meisten Fällen durch Saudi Arabien und Qatar unterbunden wurden. All diese Elemente führten zum Wachstum des ISIS.
Natürlich ist die Lösung für alldies der Widerstand gegen die reaktionären Dschihad-Kräfte wie ISIS und anderen, aber auch gegen das sektiererische und autoritäre Maliki-Regime und die Mächte, die diese reaktionären Kräfte unterstützen. Diese zwei Faktoren nähren einander und müssen gestürzt und zerschlagen werden, damit es eine Hoffnung für eine progressive breite Massenbewegung geben kann, die dem Sektarismus widerstehen kann um den Alptraum zu beenden, der nun schon zu lange andauert.
Tags: Arabische Revolutionen, Syrien, Widerstand
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