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Die präsidiale One-Man-Muppet-Show im TV und weitere Protest

Eingereicht on 13. Dezember 2018 – 9:04

Bernard Schmid. International kommt Emmanuel Macrons Krisenmanagement ins Gerede – Seine präsidiale TV-Ansprache überzeugte in der Sache kaum jemanden. Wer den (politischen oder auch Dach-) Schaden hat, braucht für den Spott nicht extra zu sorgen. Und so mangelt es derzeit auch nicht an prominenten Spöttern, um sich über Emmanuel Macrons Probleme bei dem Versuch, den Geist der Protest zurück in die Flasche zu bekommen, zu mokieren.

Beinahe lustig ist es schon, zu beobachten, wer sich alles – jedenfalls vordergründig – über Polizeigewalt oder eine angebliche Bürgerkriegssituation in Frankreich echauffiert. Das iranische Regime etwa spricht eine „Reisewarnung“ für seine Staatsangehörigen betreffend Frankreich aus (vgl. lefigaro.fr…). Noch witziger wird es, wenn der autoritär regierende türkische Präsident Recep Teyyip Erdogan – dem man wesentlich Schlimmeres vorwerfen könnte – öffentlichkeitswirksam „Polizeigewalt“ in Frankreich anklagt. (Vgl. lefigaro.fr…) Nicht mehr amüsant ist es dann allerdings, wenn er dies zu einer Attacke auf Menschenrechtsorganisationen benutzt, die angeblich zu eben jener Polizeigewalt in Frankreich schwiegen (vgl. lefigaro.fr…), um deren allzu berechtigte Kritik an den türkischen Verhältnissen selbst in Misskredit zu bringen.

Allzu berechtigt bleibt unterdessen aber auch die Kritik am Vorgehen der französischen Polizei. Auch renommierte Journalist/inn/enverbände klagen derzeit etwa polizeiliche Übergriffe auf Pressevertreter/innen an (vgl. lefigaro.fr…). Ein junger Mann, dem durch eine Polizeigranate in Bordeaux eine Hand abgerissen wurde, erstattet nun deswegen Strafanzeige. (Vgl. europe1.fr…) Unterdessen lief eine Kampagne für das Verbot der Verwendung gefährlicher Granaten an, u.a. mit Anwälten/Anwältinnen von Betroffenen. (Vgl. dazu: francetvinfo.fr…)

Nach Emmanuel Macrons Ansprache & Ankündigungen

Überzeugt hat die präsidiale One Man-Muppet Show am Ende niemanden. Am vorgestrigen Montag Abend trat Staatsoberhaupt Emmanuel Macron im französischen Fernsehen auf und verkündete seine Beschlüsse (vgl. francetvinfo.fr…), mit denen er den seit Wochen andauernden Protest – unter anderem, aber inzwischen nicht mehr allein der Leute in „Gelben Westen“ – besänftigen möchte.

Noch in der Nacht sprachen die Teilnehmer/innen am Protest jedoch überwiegend von „Mogelpackungen“ und einer „Maskerade“ (vgl. orange.fr…). Auch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird auf der Webseite aufgezeigt, dass die durch Präsident Macron vorgebliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) in Wirklichkeit gar keine sei, sondern lediglich die bereits alte Ankündigung von Steuerkrediten für Geringverdiener wiederholt. (Vgl. orange.fr…)

In der politisch-parlamentarischen Sphäre außerhalb der Regierungspartei LREM überwiegt ebenfalls die Kritik. (Vgl. orange.fr…) Auf der politischen Linken kritisiert etwa die KP-nahe Tageszeitung L’Humanité, es komme für Macron nicht in Frage, „die Reichen anzutasten“, und stattdessen solle nun die Allgemeinheit anstatt der Großunternehmen zahlen. (Vgl. humanite.fr…) Die französische Sozialdemokratie – die allerdings mittlerweile auf das Niveau der griechischen PASOK abzusinken begann, und durch den Linkssozialdemokraten oder Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon mit seiner Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“) überholt wurde – „überlegt“ noch, einen parlamentarischen Misstrauensantrag gegen das Regierungslager zu unterstützen. (Vgl. orange.fr…) Einen solchen wollen die Französische KP und LFI in die Nationalversammlunng einbringen.

LFi-Anführer Jean-Luc Mélenchon kündigte bereits seine Unterstützung für einen „Akt Fünf“ (vgl. orange.fr…), also einen erneuten Protesttag am kommenden Samstag (15. Dezember 18), an. (Vgl. bfmtv.com…)

Auch auf der extremen Rechten setzt man weiterhin auf Opposition, versucht das Thema Sozialprotest allerdings wieder einmal – eine alte Masche – mit der Thematik Einwanderung zu verknüpfen (orange.fr…), sieht man doch vorwiegend dort die vermeintliche Lösung sozioökonomischer Probleme.

Inhalte von Macrons Pseudo-Zugeständnissen

Was aber nun kündigte Emmanuel Macron inhaltlich an? Bereits 24 Stunden vor seiner Ansprache hatte seine amtierende Arbeitsministerin Muriel Pénicaud ihrerseits eine wichtige Weichenstellung signalisiert, indem sie am Sonntag (09.12.18) erklärte, dass die aus der Bewegung heraus unter anderem geforderte Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) abgelehnt werde. Denn dies sei arbeitsplatzgefährdend und beschäftigungsfeindlich. (Vgl. orange.fr…) Der SMIC beträgt derzeit gut 1.150 Euro netto monatlich. Jedenfalls im Raum Paris kann man damit schwerlich überleben.

Nun überraschte Präsident Macron – jedenfalls im ersten Augenblick – mit der Ankündigung, er solle nun doch erhöht werden, und zwar um 100 Euro im Monat, allerdings noch nicht im Jahr 2019. Sieht man genauer hin, dann fügte Macron jedoch sofort hinzu, dies solle die Arbeitgeber „keinen Euro mehr kosten“. Der abhängig beschäftigten Arbeit mehr geben, ohne dass das Kapital mehr zahlt – wie soll das nun gehen? In den Augen von Emmanuel Macron ist es einfach: Entweder wird aus den Sozialkassen genommen, indem die Beiträge nochmals rückgebaut werden (in den letzten Monaten baute die Regierung Sozialbeiträge in den Unternehmen ab und verlagerte sie auf eine nicht progressive Steuer auf Einkommen, die CSG oder den „Allgemeinen Sozialbeitrag“). Oder aber die Erhöhung wird, durch eine Art indirekter staatlicher Prämie, aus Steuereinnahmen finanziert. Es scheint auf die zweitgenannte Lösung hinauszulaufen, da, wie oben zitiert, nunmehr bereits für 2019 und 2020 angekündigte Steuerkredite für Geringverdienende als „Erhöhung des Mindestlohns“ verkauft werden sollen.

Überstunden sollen künftig, im O-Ton: défiscalisées et désocialisées, also sowohl von Steuerbeträgen als auch von Sozialabgaben vollständig befreit werden. (In jüngerer Vergangenheit hatte Präsident Nicolas Sarkozy, 2007-12, zu Anfang seiner Amtszeit eine Steuerbefreiung von Überstunden einführen lassen. Unter seinem Nachfolger François Hollande, 2012-2017, wurde dieselbe wieder abgeschafft.) Dies bedeutet einerseits, dass Lohnabhängige ihr nicht hinreichendes Verdienst durch das Ableisten von Überstunden aufbessern sollen – was wiederum die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte verhindert bzw. unnötig werden lässt -; andererseits aber auch, dass die Sozialkassen (durch die Nichtzahlung von Sozialbeiträgen für erbrachte Arbeitsleistungen) noch stärker „ausgetrocknet“ werden.

Emmanuel Macron kündigte ebenfalls an, jene Unternehmen, „die können“, sollten ihre abhängig Beschäftigten eine Jahresprämie auszahlen, und sie würden dafür dann steuerlich entlastet. Dies appelliert allerdings vollständig an die Freiwilligkeit von Unternehmen – ein Handelsunternehmen jedenfalls kündigte unmittelbar nach der TV-Rede Macrons nun an, es werde dem Aufruf folgen. (Vgl. orange.fr…) Im Laufe des Dienstag, 11.12.18 tätigte das Mobiltelefon-Unternehmen SFR per Pressemitteilung eine ähnliche Ankündigung.

Das einzige echte Zugeständnis Emmanuel Macrons auf sozialem Gebiet dürfte darin liegen, dass viele Rentnerinnen und Rentner nun von der de facto wie eine Kopfsteuer wirkenden Sozialabgabe CSG – diese beträgt derzeit gut 9 Prozent der zu besteuernden Einkünfte – ausgenommen werden. Im Wahlkampf 2016/17 hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Macron angekündigt, „reiche Rentner“ würden künftig stärker zur Kasse gebeten, um die Sozialbeiträge in Unternehmen zu senken. In der Praxis setzte seine Regierung die Schwelle dann im Jahr 2017 bei 1.200 Euro Monatseinkommen für Rentenbezieher/innen an. Diese Entscheidung wird, neben jener der damals ebenfalls (nur drei Wochen nach Antritt der bestehenden Regierung) beschlossenen Abschaffung der Vermögenssteuer ISF, sehr oft als besonderer Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit unter dem „Freund der Schwerreichen“ Emmanuel Macron zitiert. Nun wird die Schwelle von 1.200 auf 2.000 Euro monatlicher Einkünfte für Pensionierte angehoben; darunter wird die CSG künftig nicht fällig.

Eine Rücknahme der Abschaffung der Vermögensabgabe ISF kommt hingegen nicht in Frage. Dies stellte Macron, im Widerspruh zu eigenen Ministerinnen und Ministern, vergangene Woche im Stil einer „Bastapolitik“ am Kabinettstisch klar (vgl. lefigaro.fr…), und daran wird auch nicht gerüttelt.

Ablenkung (?) zur „Einwanderungsfrage“

Als kritikwürdige Weichenstellung Emmanuel Macrons kommt hinzu, dass dieser sich dazu entschied, in seiner TV-Ansprache die Absicht anzukündigen, auch „das Einwanderungsproblem“ (hach je, mal wieder…) in der Öffentlichkeit zu behandeln (vgl. dazu einen kritischen Beitrag aus der Tageszeitung Libération: liberation.fr…). Auch die antirassistischen Verbände SOS Racisme und MRAP meldeten sich alsbald mit Kritik dazu zu Wort (vgl. auch: lefigaro.fr…). Er (Macron) wird freilich versuchen, damit an die auch vorhandenen rechten Tendenzen zu dieser Frage innerhalb der heterogenen „Gelbwesten“-Bewegung anzuknüpfen.

An den Blockadepunkten und bei Straßenprotesten spielt dieses Thema, jedenfalls in der überwiegenden Zahl der Fälle, allem Anschein nach keine Rolle. Allerdings enthält eine (angeblich) „Offizielle Charta der Gelben Westen“ (vgl. bspw. lelibrepenseur.org…), die am vorigen Wochenende plötzlich im Internet auftauchte und dort anscheinend ein paar Hunderttausend Mal angeklickt wurde, deren Repräsentativcharakter allerdings sehr fraglich ist (ihre Urheberschaft bleibt im Unklaren), neben einer Reihe sozialer und ökologischer Forderungen sowie mehreren populistischen Leerformeln auch einen Punkt 24, der sich gegen Zuwanderung richtet. Dort heißt es, angesichts „der Zivilisationskrise, die wir erleben“, seien „Migrationsströme nicht integrierbar“ und müssten aufgehalten werden. Dies widerspiegelt die Tatsache, dass auch rechte Kräfte jedenfalls in einer der Komponenten der Bewegung, also bei den mittelständisch geprägten Anti-Steuer-Rebellen – die ihren Unmut oft zusätzlich auch etwa gegen Radargeräte gegen Geschwindigkeitsüberschreitungen richten -, ein gewisses Gehör finden, ohne dass sie die Protestbewegung kontrollieren könnten…

Quelle: labournet.de… vom 12. Dezember 2018

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