Olympia: Inszenierung im imperialistischen Interesse
Bruno Tesch. Das Spektakel ist vorbei. Mit 206 teilnehmenden nationalen Verbänden und 11.400 Athlet:innen – der Tross von Funktionär:innen, Betreuer:innen und Hilfspersonal nicht eingerechnet – sind die Olympischen Spiele das größte internationale Ereignis der Gegenwart. Da es im Vierjahresturnus an wechselnden Orten stattfindet, zieht es die Blicke und das Gehör eines weltweiten Milliardenpublikums während seiner Austragung auf sich.
Illusionen
Von einer „Atempause im krisenhaften Weltgeschehen“ war die Rede in der bürgerlichen Medienwelt. Die Olympischen Spiele würden wenigstens für kurz eine unbeschwerte Zeit bescheren können. Doch allein während der 16 Tage von Paris bombardierten Israel und Russland weiter ungerührt die Zivilbevölkerung von Gaza bzw. der Ukraine, raste ein rassistischer Mob durch die britische Insel, in Bangladesch wurde die Regierung gestürzt, und die Aktienmärkte erlebten Turbulenzen.
Die „völkerverbindende Kraft des Sports“ reichte offenbar selbst in diesem schmalen Zeitkorridor nicht über die Stadtgrenzen von Paris hinaus. Die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit entspringt einem Denken des 19. Jahrhunderts und ist, entkleidet man sie
des romantisierenden Rückgriffs auf die Antike, ein Projekt der Kolonialmächte und führenden Industrienationen gewesen. Vorbild waren die „Weltausstellungen“, in denen diese ihre Errungenschaften zur Schau stellten, und wo die unterdrückten Völkerschaften als exotisches Beiwerk auf rassistische Weise vorgeführt wurden. So war es auch kein Zufall, dass die erste der drei Austragungen der Olympiade in Paris 1900 als Teil einer solchen Weltausstellung durchgeführt worden war.
Da der Sport aber gesellschaftlich an Bedeutung und Anerkennung gewann, verselbstständigten sich die Olympischen Spiele bald als eigenständige Großveranstaltung.
Diese lag von Anfang an in den Händen des IOC (Internationales Olympisches Komitee). Die Mitglieder in diesem Gremium waren nur männlichen Geschlechts und entstammten allesamt dem Adel. Bei den künstlerisch ambitionierten Eröffnungsfeierlichkeiten 2024 wurden pikanterweise die guillotinierten Häupter der Aristokratie als Teil der französischen Geschichte nicht ausgespart. Sie wurden auch nicht hineingewählt, sondern ernannt.
Die Strukturen des IOC haben sich zwar mittlerweile ein wenig demokratisiert, jedoch dafür zu einem einträglichen Unternehmen ausgewachsen, das durch Werbeverträge und monopolistisches Marktmanagement Milliarden generiert. Seine Aufgaben erstrecken sich verwaltungstechnisch auf die Begutachtung der Bewerbungen, Vergabe der künftigen Spiele an einen austragenden Ort und die Zusammenstellung des sportlichen Programms.
Die eingerichtete Athlet:innenkommission hat nur bedingtes Mitspracherecht, was sich v. a. in völliger Ohnmacht in Bezug auf sportpolitische Entscheidungen auswirkt. So wurde das Votum von Sportler:innen, die sich im Westen mehrheitlich für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau 1980 bzw. im Osten für 1984 in Los Angeles ausgesprochen hatten, einfach übergangen und fielen durch die Boykotthaltung der Sportverbände als verlängerter Arm der obersten politischen Führungen der Räson des Kalten Krieges zum Opfer.
Die imperialistischen Interessenswahrer:innen schränkten von Grund auf durch hohe organisatorische und kostenintensive Auflagen den Kreis möglicher Austragungsorte ein. Als 1980 die Olympischen Spiele an einen degenerierten Arbeiter:innenstaat als Ausrichterland der Olympischen Spiele vergeben wurden, nahm die US-Regierung die Intervention der UdSSR in Afghanistan zum Anlass einer Boykottkampagne.
Auch die Zulassung von Sportarten ins olympische Programm wird durch das IOC bestimmt. Auffällig sind besonders in der Frühzeit die überproportionale Anhäufung von militärisch geprägten Wettbewerben wie Schießen, Fechten, Reiten. Sport indigener Völker wie etwa das laotische Beinrudern oder mittelamerikanische Ballspielarten wurden hingegen weitgehend ignoriert und haben bis heute nie Eingang in den Olympiabetrieb gefunden. Sportlich spielte sich in Paris 2024 ein krampfhaftes Wettrennen zwischen den nun führenden imperialistischen Mächten, USA und China, ab, die sich um die meisten Goldmedaillen rauften.
Bühne für den französischen Imperialismus
Selbst in der bürgerlichen Medien wurde Kritik an dem immer weiter hochgeschraubten Gigantismus der Spiele laut. Sie rührt jedoch nur an Erscheinungen, stellt aber nicht systemische Fragen. Kosten-/Nutzenverhältnis und Nachhaltigkeit standen in Zweifel, so z. B. die Reinigung der Seine, die ihre Bewährungsprobe offensichtlich nicht ganz bestanden hat, denn etliche Sportler:innen, die zu Wettkämpfen im Fluss antraten, klagten hernach über gesundheitliche Beschwerden.
Die Stadt hat anscheinend nicht wirklich etwas vom Besucher:innenstrom gehabt. Horrende Eintrittspreise haben die Spiele nur zu einem unmittelbaren Schauspiel für betuchte Tourist:innen gemacht, sieht man von den Konkurrenzen ab, die auf Straßen und Brücken frei beobachtbar waren wie Radsport, Geh- und Marathonereignisse oder Triathlon. Nur wenige Kilometer außerhalb der Pariser Prachtviertel, in den Banlieues, bot sich ein ganz anderes tristes Bild. Hierhin schwenkten die Kameras nicht. Dort findet keine soziale und finanzielle Förderung statt, obwohl die Probleme nach wie vor brodeln.
Stattdessen ließen es sich die Organisator:innen nicht nehmen, die tausende Kilometer entfernten Sandstrände auf Tahiti, das zu Französisch-Polynesien (früher: Französisch-Ozeanien) gehört, für die Surfkonkurrenzen ins Bild zu setzen und Frankreichs Glorie als Kolonialmacht zu demonstrieren.
Der betriebene Sicherheitsaufwand und Polizeiallgegenwart gegen angeblich drohende terroristische Gefahren waren enorm wie nie zuvor. Deutschland leistete kräftige Schützenhilfe, indem die Bundesregierung die bereits zur Fußballeuropameisterschaft repressiven Grenzkontrollen wieder verstärkte. Außerdem unterzeichnete Innenministerien Faser (SPD) ein flugs ausgehandeltes Abkommen mit dem Deutschen Sportbund, dass eine deutsche Olympiabewerbung staatlich unterstützt werden soll. Nach den negativen Erfahrungen mit dem durch Bevölkerungsbefragung gescheiterten Bewerbungsantrag von Hamburg will man diese demokratischen Risiken offenbar nicht noch einmal eingehen.
Olympia 2024 war auch eher als Atempause für Staatspräsident Macron und seine Bemühungen, sich und seine Klientel an der Regierung zu halten, zu werten.
Olympia 2024 im Spiegel der Weltpolitik
Die Dominanz des westlichen Imperialismus in der Sportpolitik spiegelt sich auch in dem politisch motivierten Ausschluss Russlands und von Belarus. Eine handverlesene Abordnung durfte nach politischem Screening unter der Bezeichnung AIN (Individiuelle Neutrale Athlet:innen) an den Start gehen. Sie werden aber nicht im offiziellen Medaillenspiegel geführt. Der heute zur Normalität gewordene Athleten:innenkauf durch wohlhabende Sportverbände macht überdies das bürgerlich-nationalistische Mannschaftsprinzip zur Farce.
Palästinensischen Athlet:innen wurde zwar eine Teilnahme an den Olympischen Spielen gestattet, doch viele waren bereits Kriegsopfer der israelischen Aggression geworden. Bei den verbliebenen 8 Sportler:innen war an ein reguläres Training unter den herrschenden Bedingungen nicht zu denken.
Einem von Krieg und Vertreibung betroffenen Kontingent v. a. aus der Nahostregion wurde gnädig die Versammlung in einem „Olympischen Flüchtlingsteam“ eingeräumt. Als aber eine Teilnehmerin mit einer Botschaft zur Befreiung afghanischer Frauen auftrat, wurde sie wegen Verstoßes gegen die Olympische Charta disqualifiziert. Andere hingegen, wie eine ukrainische Sportlerin, durften ungehindert politische Überzeugungen in einer Pressekonferenz von sich geben.
Zwei Boxerinnen nahm das IOC gegen rassistische und queerphobe Hasstiraden in den sozialen Netzwerken immerhin in Schutz. Doch zeigt sich auch hieran, dass ein Kampf auf allen Gebieten gegen reaktionäre Aggressionen organisiert geführt werden muss.
Sport und Klassenkampf
In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand in der Arbeiter:innenklasse auch eine mächtige Sportbewegung. Sie organisierte u. a. zwei Arbeiter:innenolympiaden auf europäischem Boden: 1925 in Frankfurt und 1931 in Wien. Die 3.000 Sportler:innen umfassende Teilnehmer:innenschar formierte sich bewusst nicht nach Nationen, sondern marschierte unter den Klängen der Internationale ein. Ziele waren nicht das bürgerliche Hochleistungsprinzip und die Rekordjagd, sondern die allgemeine körperliche Ertüchtigung der Arbeiter:innenklasse und die Stählung für den Klassenkampf. Leider bewirkte eine politische Spaltung der proletarischen Sportbewegung, dass ihre Kontinuität durch die NS-Diktatur abriss und nach dem 2. Weltkrieg auch nicht fortgesetzt werden konnte.
Sie kann zur Gegenwart auch nicht wiederbelebt werden. Was aber Revolutionär:innen fordern sollten, ist die Beseitigung der einseitigen Förderung des Hochleistungssports und stattdessen den Ausbau des Breitensports, der besonders an Schulen und Arbeitsstätten betrieben werden muss, und einen allgemein zugänglichen Sportstättenausbau und Heranziehung von Ausbildungskräften, die unter Kontrolle von Arbeiter:innenorganisationen operieren müssen.
Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 17. August 2024
Tags: Arbeitswelt, Imperialismus, Kultur, Strategie
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