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Afghanistan: Keine Freiheit unter imperialistischer Besatzung

Eingereicht on 23. Juli 2019 – 11:39

Hubert Maulhofer. Ueber die Frauenbewegung in Afghanistan, die Rolle der Besatzungsmächte und die Abhängigkeit der internationalistischen Linken von Mainstreammedien. Ein Gespräch mit Mehmoodavon der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) .

Kannst du unseren Leser*innen einen kurzen Überblick über die Geschichte und Gegenwart deiner Organisation RAWA geben?

RAWA steht für “Revolutionary Association of Women in Afghanistan”. Die Organisation wurde 1977 von Meena Keshwar Kamal und einer Gruppe intellektueller Frauen in Afghanistan gegründet. Es handelt sich um eine unabhängige Organisation von Frauen. Wir kämpfen für Frauenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Das war von Anfang an unser Ziel.

Ein Jahr nach der Gründung, 1978, wurde Afghanistan von sowjetischen Soldaten besetzt. Das war eine große Veränderung, denn wir denken, dass, wenn ein ganzes Land nicht frei ist, wir nicht nur über die Befreiung der Frau sprechen können. Also sind wir Teil des Widerstands geworden. Denn wie leider nicht alle wissen, begann der Widerstand gegen die russische Besatzung von demokratischer Seite, nicht von fundamentalistischer. Der Widerstand hat friedlich begonnen, und die Regierung hat viele Studierende und Lehrende der Universitäten festgenommen, viele Intellektuelle und Linke. Sie haben sie in ihre Gefängnisse gesteckt, sie haben sie gefoltert und sie haben sie getötet.

So wurden in dieser Zeit auch einige RAWA-Mitglieder von der Regierung verhaftet, da Meena, die Vorsitzende von RAWA, und andere Frauen Demonstrationen in Kabul und verschiedenen anderen Städten organisiert haben. Da die Situation für die Menschen, die gegen das Regime waren, zu dieser Zeit sehr schlecht war, flohen viele Menschen nach Pakistan und Indien. Auch RAWA hat sich dafür entschieden, nach Pakistan zu gehen. Also haben wir begonnen, mit den geflüchteten Menschen in Pakistan zu arbeiten, vor allem in Quetta und Peschawar [in Ostpakistan nahe der Grenze zu Afghanistan, d. Red.]. Das Problem war, dass unmittelbar nach der russischen Besatzung die USA und andere westliche Länder damit begonnen haben, Fundamentalisten zu unterstützen.

Und diese Fundamentalisten waren noch gefährlicher als das russische Regime. Somit waren wir in Pakistan mit großen Problemen konfrontiert, weil die pakistanische Regierung und der ISI [pakistanischer Geheimdienst] fundamentalistische Gruppen wie Abu Sajaf unterstützt hat. Wir kämpften also nicht nur gegen das russische Regime, sondern auch gegen die Fundamentalisten. Unsere Vorsitzende Meena hat erkannt, dass, wenn die Fundamentalisten die Kontrolle in Afghanistan übernehmen, die Situation noch schlechter sein würde als unter russischer Besatzung. Und weil RAWA die einzige Stimme gegen diese Fundamentalisten war, und Meena die Stimme von RAWA, haben sie beschlossen, diese Stimme verstummen zu lassen, und haben unsere Vorsitzende Meena 1987 in Pakistan ermordet.

Als wir nach Pakistan gegangen sind, haben wir in zwei Bereichen gearbeitet: im Politischen und im Sozialen. Von Anfang an war RAWA eine politische Organisation von Frauen. Denn die anderen Frauenverbände und Organisationen, die es 1977 in Afghanistan gab, drehten sich lediglich um solche Dinge, wie wie werde ich eine gute Frau, eine gute Ehefrau und Mutter, und es wurde vor allem darüber gesprochen, wie man das Haus zu putzen und zu kochen hat und wie man Kinder am besten erzieht. RAWA war die erste Organisation, die damit angefangen hat, über mehr als das zu sprechen; zu sagen, dass Frauen Teil von politischen Prozessen und Entscheidungen in Afghanistan sein können. Also sind wir eine politische Organisation, denn wir denken, dass, um die Situation der Frauen in Afghanistan zu ändern, die politische Struktur geändert werden muss.

Doch als wir in Pakistan waren, haben wir angefangen, in beiden Bereichen zu arbeiten. Denn geflüchtete Frauen brauchten vor allem soziale Aktivitäten, Schulen, Waisenhäuser, Krankenhäuser. Durch diese Projekte konnten wir in Kontakt mit Frauen treten.

Nach der Ermordung unserer Vorsitzenden haben wir nicht aufgehört, ihrem Weg zu folgen. Denn RAWA war nicht Meena, RAWA war und ist eine Organisation. Sie hat sie angeführt, doch andere Mitglieder hatten auch etwas zu sagen und wollten weitermachen. Und trotz all der Schwierigkeiten haben wir auch weitergemacht, auch in Afghanistan waren wir aktiv. Hier jedoch waren wir von der ersten Minute an nur im Untergrund tätig. Selbst während der Zeit der Taliban, als die Fundamentalisten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1992 die Kontrolle in Afghanistan übernahmen, war RAWA die einzige Organisation, die Berichte und Bilder aus den Städten schickte. Denn während dieser Zeit haben sämtlichen Medien und internationale Organisationen das Land verlassen. Afghanistan war vergessen. Aber wir haben dort weitergearbeitet, wir haben die Verbrechen der Taliban dokumentiert und weiterhin Frauen organisiert. Alle Schulen für Frauen waren geschlossen; also hat RAWA im Untergrund Bildung organisiert, überall im Land. Das war unsere Form des Kampfes, so haben wir uns am Leben erhalten.

Wir waren erneut mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, denn die Taliban und auch die Jihaddisten, die anderen Fundamentalisten, wussten, dass RAWA als einzige Organisation sehr klar und sehr stark gegen sie agiert. Außerdem war es für sie kaum zu verstehen, dass ausgerechnet Frauen Widerstand leisten. Also haben sie immer wieder versucht, uns zu stoppen, indem sie uns verfolgten und unsere Mitglieder verhaften ließen.

Desweiteren war RAWA nach dem Kollaps des Taliban-Regimes mit vielleicht ein paar anderen demokratischen Parteien die einzige Organisation, die klar gesagt hat, dass mit US-amerikanischer Besatzung nichts verändert werden wird. Denn die USA sind Imperialisten, und Imperialisten werden einer Nation nicht zur Freiheit verhelfen. Natürlich sind die Taliban ein diktatorisches Regime gewesen und sie mussten entmachtet werden. Aber das muss in der Hand der afghanischen Bevölkerung liegen, nicht in der der USA oder der anderer westlicher Staaten. Es ist nicht ihre Aufgabe, uns Demokratie und Frauenrechte zu geben.

Seitdem und bis heute arbeiten wir in Afghanistan, wegen der Situation, leider immer noch im Untergrund. Als wir noch in Pakistan waren, konnten wir offener arbeiten und zum Beispiel Demonstrationen veranstalten.

Unsere politische Arbeit besteht vor allem aus der Bildung von Mädchen und jungen Frauen – aber immer im Untergrund. Auch machen wir Veranstaltungen, feiern zum Beispiel Frauen- und Menschenrechte. Diese Veranstaltungen müssen wir mit anderen demokratischen Organisationen zusammen machen, die offen arbeiten können. Wir arbeiten mit ihnen, wenn sie beispielsweise Demonstrationen organisieren, aber nicht unter dem Namen RAWA. Dasselbe gilt aus Sicherheitsgründen für unsere Arbeit im Sozialen Bereich.

Ihr arbeitet nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land. Wie gestaltet sich diese Arbeit und wie weit ist die Bevölkerung dort vom Fundamentalismus geprägt?

In den Städten arbeiten wir eher mit intellektuellen Frauen wie zum Beispiel Studentinnen und Lehrerinnen, Frauen, die lesen und schreiben können. Wir versuchen, sie für Aktionen und Demonstrationen gegen die Besatzung der USA und gegen die Fundamentalisten zu mobilisieren. In den Dörfern haben wir mehr soziale Projekte. Unsere Projekte sind anders als die von anderen Organisationen, die vor allem Geld damit machen wollen. Wir dagegen arbeiten mit sehr wenig Geld, und worum es uns geht ist, mit den Menschen gemeinsam zu arbeiten. In den Dörfern ist es sehr wichtig, unter den Leuten zu sein. Denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass es zu Zeiten der russischen Besatzung eine große linke Bewegung gab. Da diese stark verfolgt wurde, sind viele dieser Menschen nach Europa geflohen. Dort sind sie einfach verschwunden. Aber der Grund, dass RAWA weiterhin existiert, ist, dass wir nicht versuchen, aus dem Land zu fliehen. Wir wollen mit und unter den Menschen sein. Wenn du kämpfen willst, musst du in der Bevölkerung sein, und der beste Ort für eine revolutionäre Organisierung sind die Dörfer; in den Dörfern vertrauen dir die Leute, und du kannst den Leuten ebenfalls vertrauen. Wenn du das Vertrauen der dörflichen Bevölkerung erst einmal gewonnen hast, werden diese Menschen dich um jeden Preis verteidigen. Außerdem wollen wir genau diese Menschen mobilisieren, denn die soziale Ungleichheit betrifft vor allem die Leute in den Dörfern. Heute sind die meisten Dörfer unter der Kontrolle der Taliban, ISIS oder anderer Jihaddisten – wir wollen genau dort sein, mit diesen Frauen arbeiten und sie gegen diese Kontrolle mobilisieren. Die Menschen haben weniger Möglichkeiten und weniger Zugang, also brauchen sie auch mehr Unterstützung. Das ist gut für sie, und das ist gut für uns. Mit diesen Menschen können wir die Revolution machen. Wir dürfen uns nicht nur auf die Städte konzentrieren. Auch ist es so, dass es in den Städten viele Spione gibt, die dich innerhalb kürzester Zeit fertig machen können. In den Dörfern jedoch ist es einfacher, zu überleben – auch deswegen sind wir dort.

Du hast gesagt, dass ihr auch politischen Unterricht organisiert und dass RAWA eine explizit politische Organisation ist. Was unterrichtet ihr?

RAWA ist eine demokratische, säkulare Organisation. Offiziell sind wir keine Marxistinnen, dennoch arbeiten wir mit Marxistinnen zusammen, die sehr willkommen sind. Wir sind nicht anti-marxistisch, wir haben keine Angst vor dem Marxismus und denken auch nicht, er könne in Afghanistan nicht funktionieren. Aber die Situation in Afghanistan bedingt, dass wir erst einmal eine demokratische Veränderung brauchen. Das ist für uns im Moment das Wichtigste. In unseren Klassen sprechen wir über verschiedene Dinge, vor allem über die aktuelle Situation. Denn leider ist die afghanische Bevölkerung, mit diesen Medien und der imperialistischen Besatzung, beinahe apolitisch geworden. Die Menschen versuchen erst mal, nach sich selbst zu schauen, oder sie sind stark beeinflusst von den Medien. Unser Versuch ist es, den Menschen vor allem zwei Dinge nahezubringen; erstens, dass diese „Friedensgespräche“ nicht wirklich solche sind. Wir sprechen über die imperialistischen Pläne für unser Land und versuchen, die Menschen für den Widerstand zu organisieren, sie für Demonstrationen zu mobilisieren und sie dazu zu bringen, ihre Stimmen zu erheben. Aber natürlich lesen wir auch manchmal marxistische Bücher, denn es handelt sich um eine Ideologie, die in manchen Ländern funktionieren kann und manche Menschen, auch manche unserer Mitglieder, denken, der Marxismus sei der einzige Weg, uns zu befreien. Auch lesen wir Bücher über den Iran, zum Beispiel Bücher von Frauen in den dortigen Gefängnissen, schauen Filme oder sprechen über die Politik in Kobanê und Afrin. Denn in einem Land wie Afghanistan müssen wir uns auch Beispiele aus anderen Ländern anschauen. Wenn du mit einer Kultur aufwächst, die dir beibringt, dass Frauen die Hausarbeit machen müssen, dass sie Mutter, Schwester oder gute Ehefrau sein müssen, dann ist es wichtig, Frauen zu ermutigen und ihnen andere Perspektiven beizubringen. Vielleicht macht das für europäische Länder nicht so viel Sinn, aber in unserer Situation funktioniert das sehr gut. Andere Bildung zu erhalten, in einer Gesellschaft, die dir erzählt, Frauen können nur diese kleinen Dinge tun, und sie könnten nur Lehrerinnen, Mutter oder Gynäkologin werden. Wir müssen ihnen eine andere Bildung verschaffen. Das Hauptthema unserer Bildung ist also genau das.

Wie ist eure Selbstverteidigungsstruktur, wie verteidigt ihr euch gegen all die Schwierigkeiten, mit denen ihr konfrontiert seid?

Das Einzige ist, dass wir im Untergrund arbeiten. Natürlich hat diese Untergrundarbeit ihre eigenen Regeln; wir können nicht offen darüber sprechen, was wir tun. Wir ändern unsere Namen, unseren Wohnort regelmäßig. RAWA-Mitglieder ziehen oft in andere Städte, Provinzen oder gehen eine Weile komplett in den Untergrund. Auch können wir elektronische Kommunikationsmittel wie Handys und das Internet nicht für unseren Austausch nutzen. Und vielleicht ist die Burka für Frauen nicht wirklich gut, aber in unserem Fall können wir sie nutzen, um uns selbst zu schützen, vor allem wenn wir in die Dörfer gehen. Wenn du dort eine Burka anziehst, werden dich die Menschen nicht erkennen. Wichtig sind vor allem unsere Verbündeten, Menschen, denen wir vertrauen können und umgekehrt. Diese Beziehungen helfen enorm, dich zu schützen.

Wie schafft ihr es Demonstrationen nur von Frauen zu organisieren, während zur selben Zeit Bombardierungen stattfinden.

Diese Demonstrationen finden nicht unter dem Name RAWA statt und werden nicht von RAWA, sondern von anderen demokratischen Gruppen organisiert. Sie werden dann bei der Regierung registriert, die diese dann auch schützen muss, aber natürlich vertraut niemand der Polizei. Es gibt zwar auch einzelne Verbindungen zu ihnen, die helfen können, aber natürlich haben RAWA und andere demokratische Organisationen in Afghanistan ihre eigenen Verteidigungsstrukturen.

Vielleicht siehst du sie nicht sofort, aber wenn etwas passiert, sind sie da. Wenn wir zum Beispiel zu Demonstrationen gehen, wird das Gelände ein paar Tage vorher angeguckt, mit den Leuten in den Läden gesprochen, zu denen es gute Verbindungen gibt, und durch sie können dann Informationen gesammelt werden. So arbeiten wir also in etwa, aus Sicherheitsgründen kann ich da leider nicht weiter ins Detail gehen.

Könntest du vielleicht noch ein bisschen mehr über die Situation der US-Besatzung und der Verbindung zu den Fundamentalisten erzählen?

Wie ich bereits gesagt habe, sind all diese fundamentalistischen Gruppen nichts als die Söhne der USA. Denn wir wissen, dass die Vereinigten Staaten sie in den 80er-Jahren unterstützt und bewaffnet haben, um gegen die Sowjetunion zu kämpfen. Aber jetzt gibt es andere Pläne für die Region. Afghanistan ist für alle diese Kräfte aus Gründen der strategischen Lage sehr wichtig. Aber auch aus anderen Gründen, wie Opium oder Waffenhandel und den natürlichen Ressourcen. All die Großmächte, die USA, Russland und jetzt auch China, kämpfen um ihre Vormachtstellung. Die Fundamentalisten sind die Söhne der USA. Sie wurden von ihnen etabliert und sie wurden und werden von ihnen unterstützt. Nach dem Kollaps der Taliban, waren die Jihaddisten nicht gerade mächtig. Aber die USA haben 2001, als sie eine sogenannte demokratische Regierung in Afghanistan errichten wollten, die Jihaddisten an die Macht gebracht.

Und wir sagen immer, dass diese Regierung sogar noch terroristischer ist als die Taliban. Ihre Mentalität, ihre Gedanken sind genau dieselben. Aber die USA hat sie zu Demokraten erklärt. Sie wollen eine demokratische Regierung mit diesen undemokratischen Menschen errichten, mit Frauenfeinden. Diese Jihaddisten sind also nun an der Macht in Afghanistan. Alle von ihnen haben Kriegsverbrechen begangen, aber ohne jegliches Verfahren, ohne Fragen gestellt zu bekommen, kamen sie durch die USA an die Macht. Das, was 2001 mit den Jihaddisten passiert ist, passiert nun mit den Taliban. Sie sprechen mit den Taliban und sie nennen es Friedensverhandlungen, aber das sind keine Friedensverhandlungen, das sind politische Deals. Über die Opfer wird nicht gesprochen. Die Taliban attackiert Menschen, sie haben Tausende Unschuldige getötet. Gerade einmal vor ein paar Tagen gab es einen Anschlag, zwei Tage später wieder, kurz darauf ein neuer. Bei jeder Attacke ermorden sie über hundert Menschen. Und zu dieser Zeit werden dann solche Friedensverhandlungen geführt, und dort wird über alles gesprochen, nur nicht über Kriegsverbrechen. Und befragt man sie dazu, antworten sie, naja, in Afghanistan sind eben alle Menschen Kriminelle. Die Taliban sind ebenfalls Kriminelle, also können sie eben auch regieren. Aber die Wahrheit ist, dass die USA eine Marionettenregierung konstituieren will – mit all diesen Verbrechern. Das Einzige, was ihnen wichtig ist, ist die Wirtschaft und ihre strategischen Interessen. Die Menschen in Afghanistan spielen keine Rolle.

Wir sehen, dass es eine große Verbindung gibt zwischen den USA und den Fundamentalisten. Also sagen wir, dass der einzige Weg, diese Krise zu beenden, der ist, beide Akteure zu bekämpfen; sowohl die Besatzung Afghanistans durch die USA und die NATO als auch die Taliban, die Jihaddisten, ISIS und all die anderen.

Am Anfang der Besatzung Afghanistans, als Deutschland Teil der Besatzung war, gab es eine Rede im Deutschen Parlament, und einer der Abgeordneten sagte, dass die deutsche Freiheit auch in Afghanistan verteidigt werden würde. Haben die deutschen Truppen eine besondere Rolle im Krieg eingenommen?

Wie du bereits gesagt hast, war Deutschland zu Beginn des Krieges in Afghanistan involviert. Deutsche Truppen waren vor allem im Norden des Landes aktiv. Es ist offensichtlich, dass auch sie Verbrechen begangen haben – es gab beispielsweise Bombardierungen, bei denen Unschuldige getötet wurden. Aber seit etwa einem Jahr ist Deutschland nicht mehr so sehr involviert, sowie andere europäische Staaten auch. Nun sind es vor allem die USA; sie sagen zwar, es handele sich um die NATO, aber eigentlich sind es vor allem US-Amerikanische Truppen. Das liegt aber nicht daran, dass Deutschland so besonders friedlich ist. Es geht um imperialistische Interessenkonflikte.

Jeder der Beteiligten will mehr – und die USA lässt das nicht zu. Also sind sie heute nicht mehr so aktiv in Afghanistan, denn es passt ihnen nicht, dass sie nicht mehr Macht abbekommen. Trotzdem unterstützt die deutsche Regierung weiterhin die korrupte afghanische Regierung.

Wir können uns die Situation der geflüchteten Menschen hier anschauen. Viele fliehen vor dem Krieg, und sie landen hier in Deutschland, vor allem junge Menschen. Aber sie werden zurück nach Afghanistan abgeschoben und es wird als „sicheres Herkunftsland“ benannt. Es ist absurd, Afghanistan als einen sicheren Ort zu bezeichnen. Nur muss Deutschland das tun, da sie die afghanische Regierung unterstützen. Sie unterstützen damit aber eine der korruptesten Regierungen der Welt, geben ihnen Geld und lassen die Menschen, die wirklich Hilfe brauchen, im Stich.

Kannst du uns noch mehr über die Situation der Frauen in Afghanistan erzählen und darüber, wie die Organisierung von Frauen eine Basis für eine Veränderung darstellt?

Leider wird die Situation der Frauen jeden Tag schlechter. Einer der Gründe des Krieges, den die USA begonnen hat, war, dass sie gesagt haben, sie müssten die Frauen befreien. Für uns, als eine Organisation von Frauen, war von Anfang an klar, dass das nur eine Ausrede war, um den Krieg zu beginnen. Sie haben die Situation der Frauen missbraucht.

Aber wie ich vorher sagte, haben sie selbst die Frauenfeinde an die Macht gebracht, sie selbst haben diese Regierung kreiert. Du kannst nicht Frauenfeinde in eine Regierung setzen und dann erwarten, dass sie Frauenrechte respektieren und etablieren, das ist nicht möglich. Manchmal propagieren sie auch, dass sich die Dinge in Afghanistan ändern, und listen ein paar Beispiele auf. Diese Beispiele sind aber wenige, und sie zeigen sie nur zu Legitimationszwecken.

Aber die reale Situation ist eine andere, insbesondere in den Dörfern. Die Lage der Frauen dort ist sehr hart, da die fundamentalistischen Gruppen vor allem in den Dörfern viel Macht haben. Sie sind involviert in viele Verbrechen und Gewalt gegen Frauen; es gibt viele Fälle von Vergewaltigung, sexualisierter Gewalt, Zwangsheirat. Aber niemand redet darüber, denn die, die diese Verbrechen begehen, sind die, die Geld, Waffen und Macht von der US-Regierung erhalten, um gegen die Taliban zu kämpfen. Wir sagen, dass es unmöglich ist, die Frauen eines Landes mit fremder Besatzung zu befreien, mit Bombardierungen. Es liegt in der Verantwortung afghanischer Frauen, für ihre Befreiung selber zu kämpfen. Heute sagen sie, sie hätten Angst, dass die Errungenschaften für Frauen in Afghanistan wieder verschwinden könnten. Und ja, warum werden sie wieder verschwinden? Weil sie einfach so aus dem Nichts gebracht wurden. Afghanische Frauen werden nicht für diese Errungenschaften kämpfen. Wenn die Menschen für etwas gekämpft haben, ist es schwierig, das Erkämpfte wieder zu verlieren. Doch wenn etwas nur etabliert wurde, obwohl niemand dafür gekämpft hat, ist es ganz schnell auch wieder verloren. Also werden sie Deals mit der Taliban machen, und sie werden die Rechte der Frauen opfern, denn für sie sind Dinge wie ihre Interessen, strategisch sowie ökonomisch, wichtiger als die Rechte der Frauen und Menschenrechte allgemein.

Gibt es eine internationalistische Bewegung in Afghanistan oder bekommt ihr Unterstützung von Internationalist*innen, sowohl heute als auch in der Geschichte?

Leider ist Afghanistan so etwas wie ein vergessener Fleck auf der Landkarte. Die USA unterstützen die Fundamentalist*innen, ebenso wie Saudi-Arabien, Pakistan, Iran. Die demokratischen Gruppen bekommen solche Unterstützung nicht.

RAWA als Organisation steht zur Zeit vielen Problemen gegenüber, zum Beispiel was die Sicherheit, aber auch das Finanzielle angeht, ebenfalls wegen der geringen Unterstützung von Internationalist*innen. Wir haben ein paar Soli-Gruppen in den USA, Italien, Japan und Deutschland, aber die Menschen in Europa und den USA, allgemein in westlichen Staaten, sind stark beeinflusst von den Medien. Wenn die Medien nicht über eine Sache sprechen, dann gibt es auch keinerlei Interesse dafür. Selbst Linke sind stark beeinflusst von diesen Medien.

Heutzutage werden die Medien dieser Länder nicht über Afghanistan berichten, denn es heißt, mit Afghanistan ist jetzt alles in Ordnung, die Frauen sind frei oder wenn sie es noch nicht sind, dann wollen sie es wohl auch nicht anders. Deswegen versuchen selbst die Linken nicht, mehr über die Situation dieses Landes zu erfahren. Aber gerade Unterstützung aus anderen Ländern ist sehr wichtig für eine Bewegung. Ich rede gar nicht über die finanzielle Unterstützung, ich rede von der politischen Unterstützung. Insbesondere in europäischen Ländern könnte der Bewegung eine Stimme gegeben werden; aber wir haben in den letzten Jahren keine Demonstrationen zu Afghanistan gesehen. Die USA haben Afghanistan 2001 bombardiert. In diesem Jahr gab es ein paar Demonstrationen; aber nicht im Ansatz so viele wie während des Irakkriegs. Sie legitimieren ihre Kriege und teilen ein in Gut und Böse, selbst die Linken tun das. Sie sagen, das ist ein guter Krieg, denn wir kämpfen schließlich gegen das Böse, die Taliban. Aber es gibt keinen guten und schlechten Krieg. Alle Kriege sind imperialistische Kriege, die wegen finanzieller und ökonomischer Interessen geführt werden.

Wir sagen also unseren Genoss*innen hier in Deutschland und anderen Ländern: Denkt nach, versucht die Realität in anderen Ländern zu sehen und nutzt andere als die Mainstream-Medien. Denn die vertreten nur die Interessen der Imperialisten und Großmächte.

Quelle: lowerclassmag.com… vom 23. Juli 2019

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