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Schweiz: Steuerpolitik für Vermögende

Eingereicht on 4. Juni 2021 – 16:44

Marco Medici und Siro Torresan. Die Verrechnungssteuer auf Obligationen sowie die Stempelsteuer sollen abgeschafft werden. Gesamthaft geht es dabei um Steuergeschenke an die Vermögenden von rund 3,5 Milliarden Franken. Geld, dass dann in den Kassen des Bundes fehlt. Die Steuerpolitik als Instrument um Klasseninteressen im Parlament durchzuboxen.

Mitte April 2021 verabschiedet der Bundesrat die «Botschaft zum Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (Stärkung des Fremdkapitalmarkts)». Darin schlägt er dem Parlament die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen sowie die Abschaffung der Abgabe auf Börsenumsätzen vor. Die Kapitalist*innen frohlocken, denn ihnen winken dadurch Einsparungen von über einer Milliarde Franken. Doch der Reihe nach.

Roadmap und Grundsatzentscheid

Im Dezember 2014 setzt der Bundesrat den «Beirat Zukunft Finanzplatz Schweiz» ein. Der bis Ende 2019 befristete Auftrag an das Gremium lautet, die Landesregierung in Fragen der Ausrichtung der Finanzmarktstrategie zu beraten. Die Zusammensetzung (Stand Juni 2016) des Beirats spricht Bände. Bestens vertreten ist die Privatwirtschaft: Patrick Odier (Geschäftsführer und Teilhaber der Schweizer Privatbank Lombard-Odier-Gruppe), Axel Weber (Verwaltungsratspräsident der UBS), Urs Berger (Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands und Ver-waltungsratspräsident Die Mobiliar) sowie David Frick (Senior Vice President Nestlé) sind unter anderem mit von der Partie. Hinzu kommen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Verwaltung. Proforma darf auch der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Daniel Lampart, in der illustren Herrenrunde teilnehmen. Ja, denn im 20-köpfigen Beirat sitzt gerade mal eine einzige Frau.

In seinem letzten Arbeitsjahr nimmt der Beirat eine Analyse der gesamten Finanzmarktpolitik vor und erstellt die «Roadmap Finanzplatz 2020+». Darin werden die «strategischen Prioritäten der kommenden Jahre» erarbeitet. Eine besondere Priorität aus Sicht des Beirates ist eine «steuerliche Entfesselung des Schweizer Kapitalmarktes.» Sie scheint so wichtig zu sein, dass diese Stelle als eine der ganz wenigen im Dokument unterstrichen wird. Und als ein konkreter Vorschlag für die angebliche nötige «Entfesselung» wird ein «Umbau der Verrechnungssteuer» vorgeschlagen.

Ausgehend von dieser Roadmap erarbeitet der Bundesrat eine Vorlage für die Reform der Verrechnungssteuer und schickt diese Ende 2020 in die Vernehmlassung. Nach der Auswertung der 71 erhaltenen, kontrovers ausfallenden Antworten, trifft der Bundesrat Mitte April 2021 einen Grundsatzentscheid: Die generelle Abschaffung der Verrechnungsteuer auf Obligationen. Zur Erinnerung: Obligationen sind Wertpapiere, die im Gegensatz zu Aktien auch von Staaten ausgestellt werden können. In der Regel haben Obligationen einen festen Zinssatz und sind befristet

Einladung zum Steuerbetrug

Die Regierung teilt ihren Vorschlag dem Parlament mit der eingangs erwähnten Botschaft «Stärkung des Fremdkapitalmarkts» mit. Darin schlägt die Regierung – wenn schon, denn schon – auch gleich die Abschaffung der Abgabe auf Börsenumsätzen vor. Diese Abgabe bringt heute dem Bund etwa 25 Millionen Franken pro Jahr ein.

Die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen kostet den Bund an Steuerausfällen einmalig eine Milliarde Franken. Dann folgen jährliche Mindereinnahmen zwischen 170 und 250 Millionen Franken. Wichtig dazu ist Folgendes: Angenommen Frau Meyer hat Obligationen des Unternehmens X, die ihr einen Zinsertrag von 1000 Franken einbringen. Ausbezahlt werden ihr vom Unternehmen 650 Franken. Die 35 Prozent Verrechnungssteuer (350 Franken) werden direkt dem Staat überwiesen. Deklariert Frau Müller in ihrer Steuererklärung den Zinsertrag von 1000 Franken als Einkommen, erhält sie die 35 Prozent (350 Franken) ausbezahlt vom Staat. Nun rechnet die Regierung durch ihre vorgeschlagene Reform mit den oben erwähnen jährlichen Steuerausfällen in Millionenhöhe. Das heisst: Sie geht davon aus, dass in Zukunft Zinserträge auf Obligationen nicht mehr deklariert werden und so Steuern hinterzogen werden. Die Vorlage des Bundesrats ist somit eine direkte Einladung zum Steuerbetrug!

Selbstverständlich begrüssen die Wirtschaftsverbände wie SwissHoldings, Economiesuisse und Bankiervereinigung die vorgeschlagene Reform. Es sei dies eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Und beim heutigen, tiefen Zinsniveau sei der Steuerausfall verkraftbar. Doch ein Steuersystem sollte unabhängig vom Zinsniveau stimmig sein.

Auch die Stempelsteuer soll weg

Ein weiteres Steuergeschenk in Milliardenhöhe für die Vermögenden soll durch die Abschaffung der Stempelsteuer erfolgen. Der Name der Steuer stammt aus einer Zeit, in der tatsächlich zum Zeichen einer Bewilligung einen Stempel auf ein Dokument angebracht wurde. Stempelsteuern werden jeweils als Umsatzabgabe («Transaktionssteuer») beim Kauf und Verkauf von Aktien, Anleihen, Anlagefonds und anderen Wertschriften erhoben. Banken und Broker*innen sind beauftragt, die Steuer einzuziehen. Für inländische Wertschriften beträgt die Abgabe 0,075 Prozent, für ausländische Wertschriften 0,15 Prozent. Bei den Versicherungen funktioniert die Stempelsteuer wie folgt: Die Versicherungsfirma ziehen Stempelsteuern in der Höhe von fünf Prozent des Prämienvolumens bei den versicherten Personen ein. Dies gilt bei Haftpflichtversicherungen, Autoversicherungen, Reiseversicherungen oder Tierversicherungen, nicht aber bei Krankenkassen und in der Regel auch nicht bei Lebensversicherungen.

Gravierender Wettbewerbsnachteil?

Die Steuer gilt auch bei Erhöhung von Eigenkapital bei einer Kapitalgesellschaft und wird in diesem spezifischen Fall Emissionsabgabe genannt. Schafft also eine Firma eine Million Franken zusätzliches Aktienkapital an, so sind 750 Franken Emissionsabgabe zu bezahlen. Ein läppischer Betrag.

Trotzdem reichte die FDP bereits im Dezember 2009 einen Vorstoss im Nationalrat ein, der die zeitlich gestaffelte, Abschaffung der Stempelabgabe in drei Schritte zum Ziel hat: Zuerst sollen die Abgaben auf Kapitalerhöhungen (Emissionsabgabe) und Versicherungspolicen fallen, fünf Jahre später dann in allen übrigen Fällen. Begründet wird der Vorstoss mit der Behauptung, die Stempelsteuer sei ein «gravierender Wettbewerbsnachteil des Finanzplatzes Schweiz».

Weit weniger läppisch als die 750 Franken Stempelsteuerabgabe sind die Steuerausfälle, sprich die Steuergeschenke an die Kapiatlist*innen, die durch den Vorschlag der FDP entstehen. Es sind unter dem Strich 2,25 Milliarden Franken. Schritt eins dazu tat der Nationalrat bereits in der Frühlingssession 2013, als er mit den Stimmen der Bürgerlichen die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital beschloss, was zu Mindereinnahmen für den Bund von 250 Millionen Franken gleichkommt. Doch der Ständerat sistierte seine Beschlussfassung, um die Beschlüsse des Nationalrats zu Schritt 2 (Abschaffung der Steuer auf inländische Wertschriften und ausländische Obligationen) und Schritt 3 (Abschaffung auf die übrigen ausländischen Wertschriften sowie der Abgabe auf Sach- und Vermögensversicherungen) abzuwarten.

Wieder auf dem Tisch

Aus einer Reihe verschiedenster Gründe wurde diese Debatte auf die lange Bank geschoben. Doch jetzt kommt wieder Bewegung in die ganze Sache. Die zuständige Kommission des Ständerats will die Abschaffung der Emissionsabgabe (Schritt 1) vorantreiben, wie sie am 20.April in ihrer Medienmitteilung mitteilt. Sie schlägt dem Ständerat mit neun gegen vier Stimmen vor, die «Arbeiten zur Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital wieder aufzunehmen.» Die vier Gegenstimmen stammen aus dem linksgrünen Lager. Die bürgerliche Mehrheit der Kommission ist wie der Bundesrat der Meinung, dass «die Emissionsabgabe auf Eigenkapital jene belastet, die in Unternehmen investieren wollen.» Und dass wegen der Coronakrise «zahlreiche Unternehmen ihr Eigenkapital erhöhen müssen, damit sie ihre Verluste auffangen können.» Daher sei «es wichtig, diese Bestrebungen steuerlich nicht zu benachteiligen.»

Verstaatlichung als Lösung

«Die ganze Steuerpolitik ist ein Paradebeispiel dafür, welche Klasseninteressen im Parlament druchgeboxt werden sollen», sagt Gavriel Pinson, Präsident der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) auf Anfrage des vorwärts. Er fügt hinzu: «Für die Kommission ist der Ausfall von 250 Millionen ‹vertretbar›. Schlimm genug. Sie verschweigt zudem, dass es bei der Reform der Stempelsteuer um total 2,25 Milliarden Franken geht. Und wenn wir noch die Geschenke an die Vermögenden durch die Abschaffung der Verrechnungssteuer dazurechnen, sind wir bei einer Summe von rund 3,5 Milliarden Franken!»

Pinson geht davon aus, dass sowohl die Reform der Verrechnungssteuer wie auch jene der Stempelsteuer durch Referenden bekämpft werden. «Unsere Partei wird sie tatkräftig unterstützen, davon bin ich überzeugt», kündigt der Genosse an. Er unterstreicht, dass die PdAS die kurzfristig «Erhöhung der Steuern auf Grosseinkommen und Grossvermögen» fordert. «Doch am Ende geht es darum, die Finanzinstitute zu verstaatlichen», hält Pinson am Ende fest.

Quelle: vorwaerts.ch… vom 4. Juni 2021

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