Antisemitischer Anschlag in Halle (Saale): Der Schoß ist fruchtbar noch …
Gruppe ArbeiterInnenmacht. Lange Zeit wurde der sich wieder erhebende rechte Terror in Deutschland verharmlost oder gar verleugnet. Am Mittwoch, den 9. Oktober, hat er einmal mehr seine blutige, menschenverachtende Fratze gezeigt. Mindestens ein schwerbewaffneter, paramilitärisch auftretender Nazi versuchte, in Halle (Saale) in eine Synagoge einzudringen, um dort am Jom-Kippur-Feiertag (Tag der Sühne, Versöhnungsfest) ein Blutbad anzurichten. Vorbild war offenbar das rechte Attentat auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh vom letzten Jahr. Der Nazi von Halle filmte seinen Auftritt, wobei er in einem wirren Rundumschlag den Holocaust leugnete, den Feminismus für den Rückgang der deutschen Bevölkerung verantwortlich machte und natürlich die „Umvolkung“ durch Migration als durch „die Juden verursacht“ erklärte – wobei dann „die Juden“ wieder eigentlich an allem schuld seien.
Natürlich wird in den nächsten Tagen wieder viel vom „verrückten Einzeltäter“ die Rede sein, auch wenn mittlerweile selbst bürgerliche RechtsextremismusforscherInnen diese Sichtweise offen in Frage stellen. Dies kennen wir schon von vielen „Einzelfällen“, wie etwa dem Mord an Walter Lübcke (dem Kassler Regierungspräsidenten) im Juni. Dabei handelt es sich nur um die Spitze des Eisberges von alltäglichen rassistischen und faschistischen Gewaltakten sowie eine offensichtlich immer stärkere Aufrüstung auf allen Ebenen der rechten Szene. Wie die NSU-Affäre gezeigt hat, wurde das schon bestehende Ausmaß der rechten Terrorszene von den „Sicherheitsbehörden“ heruntergespielt und auf ein kleines, unbedeutendes, jugendliches Killertrio reduziert.
Dagegen reicht eine Internetsuche über Beschlagnahme von Waffen bei Polizeirazzien allein in diesem Jahr, um festzustellen, dass selbst die Polizei wissen müsste, dass die rechte Szene wohl schon eine kleine Armee ausrüsten könnte. Die Machtergreifungsphantasien der Gruppe „Revolution Chemnitz“, die im Gefolge der Chemnitzer Hetzjagden im letzen Oktober in der Bundesrepublik einen rechten Aufstand lostreten wollte, haben wohl einen realen Hintergrund in Form einer sich ausweitenden faschistischen Szene und eines politischen Rechtsrucks. Dabei können sich die rechten Kreise auf Sympathien und UnterstützerInnen auch in den „Sicherheitsbehörden“ stützen. Dazu zählen nicht nur die VerharmloserInnen und VerleugnerInnen von der Art des Herrn Maaßen, dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten. Rechte Netzwerke, die bei Bundeswehr und SEKs aufgedeckt wurden, sind wohl nur die Oberfläche. Auch die Affäre um die Anwältin eines NSU-Opfers, die offenbar aus Polizeikreisen selbst bedroht wurde, zeigt das Ausmaß der rechten Verseuchung.
Das ist der Bodensatz, aus dem rechter Terror wie der des Stephan B. in Halle erwächst, der ihn sich bewaffnen lässt, von dem er ideologisch geprägt, fanatisiert und „ausgebildet“ wurde. Auch würde es nicht wundern, wenn der symbolkräftige Angriff auf eine Synagoge von einer größeren Gruppe vorbereitet wurde und wie so oft als Auftakt für „Größeres“ geplant war. Tatsächlich scheiterte B. glücklicherweise an der Sicherheitstür der Synagoge und so endete die Aktion in der sinnlosen Tötung und Verletzung von unbeteiligten PassantInnen und einem aussichtslosen Gefecht mit sehr spät eintreffenden Polizeieinheiten. Damit wird sich auch die rechte Szene nur bedingt zu einem solchen „Helden“ bekennen – ohne dass damit gesagt ist, dass er dort nicht einen ähnlichen Status wie die NSU-IdiotInnen bekommen wird, NachahmungstäterInnen mit eingeschlossen.
Natürlich ist diese Entwicklung der rechten Gewalt nicht zu trennen vom allgemeinen Rechtsruck in Deutschland und weltweit. Nachdem der „Kampf gegen Umvolkung“ wieder parlamentsfähig geworden ist und die Naziverbrechen als „Fliegenschiss“ verharmlost werden dürfen, ohne dass die betreffenden politischen Kräfte (nicht nur die AfD) von der Straße gefegt und von der Öffentlichkeit geächtet werden, ist die braune Scheiße, die sich in seinem Windschatten wieder hervortraut, wahrlich kein Wunder. Darüber hinaus findet sich in Halle (Saale) ganz konkret ein rechter Sumpf, der die Herausbildung der barbarischen Gesinnung eines Stephan B. sicherlich begünstigte. Er musste nicht im „anonymen“ Netz suchen, um ein rechtes, rassistisches, völkisches Milieu zu finden. In Halle (Saale) findet sich ganz real auch ein Zentrum der „Identitären Bewegung“, in dem AfD-Rechte und Neonazis ein und aus gehen.
Bei dem ganzen Revival von Völkischem und vaterländischer Wiederbesinnung ist auch klar, dass eines der Kernelemente des rechten Populismus wieder voll lebendig ist: der Antisemitismus. „Die Juden/Jüdinnen“ als die angeblichen Totfeinde alles Völkischen, die „vaterlandslosen KosmopolitInnen“, die VertreterInnen des „Globalismus“ müssen immer wieder als ultimative/r FeindIn der Rechten herhalten. Der Rassismus, das Kernelement der rechten Ideologie, braucht die „Antirasse“, die „Kraft“, die angeblich alles „gesunde Volkstum“ untergräbt und per „globaler Gleichmacherei“ auflösen würde.
Spätestens seit Halle sind all diejenigen, die den Eindruck erweckt haben, Antisemitismus sei ein Thema von anti-israelischer Hetze und Palästina-Solidarität, widerlegt. Die reale und wachsende Gefahr auch für die jüdischen Menschen in Deutschland geht wahrlich nicht von BDS, MigrantInnen aus muslimisch geprägten Ländern oder anti-zionistischen Linken aus – wie man es auch aufgrund von Publikationen gewisser anti-deutscher „Linker“ glauben könnte –, sondern von der „Mitte“ der deutschen Gesellschaft, die sich wiederum rassistisch mobilisieren lässt – und in der sich offensichtlich auch wieder der eliminatorische Antisemitismus erhebt. Es war nur eine Frage der Zeit, dass die allgemeine Hetze gegen MigrantInnen auch in mordbereiten Antisemitismus umschlägt.
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ – Mit diesem Satz endet bekanntlich Brechts Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Der Schoß, aus dem Faschismus und Barbarei krochen, sind nach wie vor fruchtbar, bringen nach wie vor Ungeheuer hervor – nicht nur in Form eines barbarisierten antisemitischen Attentäters, sondern auch in Form wachsender kleinbürgerlicher, reaktionärer, rechtspopulistischer oder gar faschistischer Bewegungen und Gruppierungen.
Auf den bürgerlichen Staat, auf die Polizei und Dienste ist in diesem Kampf nicht erst seit dem NSU-Skandal kein Verlass. Antisemitismus, Rassismus und Faschismus müssen wir selbst organisiert und massenhaft entgegentreten, indem wir eine breite antifaschistische Aktionseinheit aufbauen, die sich auf jene gesellschaftliche Kraft stützt, die Faschismus, Rassismus, Rechtspopulismus und Antisemitismus wirklich stoppen und den Nährboden entziehen kann: die ArbeiterInnenklasse. Die Lehre – nicht nur aus Halle (Saale) – muss sein, eine solche Einheitsfront der Gewerkschaften, reformistischen ArbeiterInnenparteien, der radikalen Linken, MigrantInnen und rassistisch Unterdrückten aufzubauen, die Naziterror und Rechtsextremismus gemeinsam, organisiert und militant entgegentritt.
- Gegen jede rassistische Gewalt – Kampf dem Antisemitimus!
- Zerschlagung der neuen Nazibanden durch massenhafte und organisierte gemeinsame Aktion und Mobilisierung!
- Kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat – organisiert die antifaschistische Selbstverteidigung!
Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 10. Oktober 2019
Tags: Antifaschismus, Deutschland, Faschismus, Neue Rechte, Rassismus, Strategie
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