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Gate Gourmet : Bilanz einer gewerkschaftlichen Niederlage

Eingereicht on 7. Juli 2014 – 20:19

Die vollständige und totale Niederlage im Arbeitskampf bei Gate Gourmet im Flughafen Genf ist zwar kein Einzelfall. Sie hat aber in ihrer Brutalität und Eindeutigkeit doch mindestens drei wichtige Faktoren der politischen Verschiebungen an die Oberfläche gehoben:

Erstens geht diese Niederlage nicht auf einen offenen Verrat der Gewerkschaftsführung zurück, wie sie die vergangenen 100 Jahre immer wieder kennzeichnen, angefangen über den Generalstreik vom November 1918 über das Friedensabkommen in der Schweizerischen Metall- und Maschinenindustrie vom Sommer 1937, das Flexibilisierungsabkommen Mitte der 70er Jahre, diverse Streiks der vergangenen zehn Jahre, wie etwa bei Swissmetal in Réconvilier (2006) oder den Arbeitskampf in der Kartonfabrik Deisswil (2011). Es gibt tiefer liegende Ursachen für viele neuere Niederlagen in Arbeitskämpfen, so auch für diesen bei Gate Gourmet.

Zweitens wurde in diesem Streik eine traditionelle Spaltung innerhalb des VPOD-SSP zwischen «rechtem» und «linkem» Flügel in eine vorläufige Entscheidung getrieben, bei der der kämpferische Flügel, der insbesondere in der Romandie verankert ist, eine herbe Niederlage einstecken musste. Es kam zum Bruch mit dem massgeblichen Sekretär in den Mobilisierungen im öffentlichen Dienst auf dem Platz Genf und im Flughafen, Yves Mugni, der auch die zentrale Figur der Streikbewegung bei Gate Gourmet gewesen ist. Eine wichtige Rolle in dieser Niederlage spielte auch die Niederlage bei La Providence (2013), die die Gewerkschaft viel Geld gekostet hat –  die Rechte konnte dieses Argument auf ihre Mühlen lenken. Es gibt durchaus Parallelen mit dem Szenario nach dem Swissair-Grounding vom Herbst 2001, als die Sektion Luftverkehr und deren damaliger Leiter Daniel Vischer (Grüne) die Entwicklung einer Widerstandsbewegung gegen die brutalen Abbaumassnahmen zynisch abblockte. Auch damals kamen die Anstösse zu einer Bewegung aus Genf, auch heute wieder wirkte die Sektion Luftverkehr durch ihre zahlenmässige Übermacht als Werkzeug der Rechten in der Gewerkschaft und in der Politik.

Drittens sind die Lohnabhängigen durch die Umstrukturierungen der Arbeitswelt und der Wirtschaftsstruktur in immer stärkere Bedrängnis geraten. Sie sind den neuen Gegebenheiten des Arbeitsalltags weitgehend isoliert ausgeliefert – die Gewerkschaften sind dort kaum mehr wirklich präsent. Die Politik der Sozialpartnerschaft und des Arbeitsfriedens ist eine sichere Schranke gegen ihr Vordringen in diesen «inneren Kreis der Ausbeutung».

Wir publizieren hier eine Bilanzierung der Streikbewegung durch Gauche anticapitaliste in Genf; diese war aktiv im direkten Umfeld des Streiks und in der Solidaritätsbewegung beteiligt. Sie ist erschienen auf www.gauche-anticapitaliste.ch und wurde von der Redaktion maulwuerfe.ch ins Deutsche übertragen.

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Ende Mai haben die Gewerkschaft VPOD, Gate Gourmet (GG) und der Kanton Genf eine Vereinbarung unterzeichnet, die den seit acht Monaten dauernden Streik bei GG am Flughafen Genf beendete. Diese Vereinbarung hat, neben der definitiven Einstellung der Streikbewegung, die Entlassung der Streikenden (ausser einer Person) aus angeblich wirtschaftlichen Gründen und die Anerkennung der durch GG aufgezwungenen Arbeitsbedingungen besiegelt. Im Gegenzug – wenn man denn hier überhaupt von Gegenzug reden kann – hat sich das Unternehmen verpflichtet, Verhandlungen über die Unterzeichnung eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV) der Branche Flughafen Catering aufzunehmen, den entlassenen Streikenden eine Entschädigung für die Entlassung zu bezahlen und in den Entlassungsschreiben keinen Bezug auf den Streik zu nehmen, an dem sich die Streikenden beteiligt haben.

Wie konnte dies geschehen?

Wir haben über diesen Streik ausführlich in unserer Zeitung L’Anticapitaliste berichtet; wir möchten aber hier nochmals die wichtigsten Elemente in Erinnerung rufen. Der Streik fand in einem Unternehmen stattgefunden, wie sie sich heute in grosser Zahl in der kapitalistischen Arbeitsteilung entwickeln. Es werden Leute eingestellt, wovon ein grosser Teil in der Firma ausgebildet wird und deshalb für die Einstellung keinerlei spezifische Qualifikationen benötigen. Aus diesem Grund sind die Leute auswechselbar und können beinahe zu jedem Zeitpunkt ausgewechselt werden. Sie werden einem permanenten Druck unterworfen, so dass durch den unterschiedlichen jeweiligen Status die Arbeiter und Arbeiterinnen zu festen Verträgen, als Hilfspersonal auf Stundenbasis, als Temporärangestellte und selbst als Personal, das an GG durch ein Unternehmen im Sozialbereich zur Verfügung gestellt wird, teilweise durch staatliche Subventionen finanziert, eingestellt werden.

All dies kommt in diesem Unternehmen mit knapp 120 Lohnabhängigen zusammen. Ihr unterschiedlicher Status – und damit notwendigerweise auch ihre unterschiedlichen Lohn- und Arbeitsbedingungen – bewirkt, dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter untereinander, wie auch gegenüber den Arbeitslosen in andauernder Konkurrenz befinden; diese warten nur darauf, ihren Platz einnehmen zu können.

Ein anderes wichtiges Element, das bei einer Analyse dieser Bewegung und dieses Unternehmens beachtet werden muss, ist die Tatsache, dass die selben Bedingungen, die durch GG den Angestellten in Genf vorgeschlagen wurden und die dann den Anlass für den Arbeitskampf abgaben, durch die Sektion «Luftverkehr», die für die anderen Schweizer Flughäfen zuständig ist, ohne Widerrede akzeptiert wurden.

Die Gewerkschaft hat so selbst dem Unternehmen GG einen starken Trumpf zugespielt, um die Bedingungen, die es aufzwingen wollte auch durchzusetzen. Dieses Argument wurde dann übrigens durch GG in der Presse wie auch bei den Verhandlungen oft gegen die Streikenden und gegen den VPOD benutzt.

So konnte dann GG ohne Furcht den GAV, der für das Personal auf dem Flughafen Genf seit dem Swissair-Grounding in Kraft war, einseitig auf den 31. Dezember 2013 aufkündigen. Diese Kündigung hatte zur Folge, dass das gesamte Personal ab Anfang 2014 Einzelarbeitsverträgen unterstellt wurde, die wie zwei Wassertropfen dem nationalen GAV der Hotelrestauration ähneln. Diese Einzelarbeitsverträge verschlechtern die Lohnbedingungen beträchtlich und schliessen den VPOD aus dem Unternehmen aus. Denn seit einigen Jahren wurde der VPOD für seinen Geschmack ein zu fordernder, ein zu extremer Sozialpartner.

In diesem Kontext lancierte der VPOD im September 2013 den Streik bei GG. Einen Streik, der sich seit Beginn als sehr minoritär erwies. Zudem liess der Druck, der vom Management gegen die Streikenden und die Nicht-Streikenden ausgeübt wurde, kaum auf eine Erweiterung der Streikbewegung hoffen. Diese Druckmassnahmen haben bereits am zweiten Tag Früchte gezeigt, da ein Teil der Streikenden an die Arbeitsplätze zurückkehrte. Die Fortsetzung ist nicht glänzend gewesen: Entlassung eines Teils der Streikenden, Klage von GG wegen Hausfriedensbruch anlässlich einer mit den Streikenden und dem Solidaritätskomitee durchgeführten Aktion. Damit war klar: Dieser Streik würde hart werden!

Das Unternehmen kümmerte sich nicht weiter um den Streik angesichts seiner schwachen Befolgung und seiner kaum wahrnehmbaren Auswirkungen auf die Produktion; es suchte keine Verhandlungslösung mit den Streikenden und mit ihrer Gewerkschaft. GG hat offen auf die Erschöpfung der Streikenden und einen langsamen Tod der Bewegung gewettet.

Wie kommt man aus einer ausweglosen Lage?

Angesichts dieser Situation bestand die Strategie der Streikleitung darin, sich an die hohe Politik zu wenden und von daher Druck auf das Unternehmen auszuüben. Diese Orientierung erlaubte es, während der Wahlkampfperiode im Kanton vom September bis in den November hinein eine gewisse öffentliche Unterstützung aufzubauen; die Jagd nach Wählerstimmen verpflichtet schliesslich! Diese Unterstützung verflüchtigte sich jedoch schnell, sobald die Wahlen vorbei waren. Und alle, die während des Wahlkampfes vorgaben, die kämpfenden Arbeiterinnen und Arbeiter zu unterstützen, sind auf immer verschwunden, genau gleich wie ihre Versprechen.

Von da an haben die Strategen des Streiks darauf gesetzt, auf den für den Flughafen verantwortlichen Staatsrat, Pierre Maudet, Druck auszuüben und ihn für seine Mitverantwortung für das Lohn- und Sozialdumping im Flughafen Genf Cointrin zu verurteilen; ein solches wird auf diesem staatlichen Flughafen durch die darauf arbeitenden Unternehmen systematisch betrieben. Dieses Vorgehen beruht auf einem wahren Element: Es ist der Kanton Genf, der alleine entscheidet, welchen Unternehmen er die Betriebsbewilligung auf dem Flughafen erteilt.

Die Strategie bestand darin, Druck auf Maudet auszuüben, damit dieser GG in den Senkel stelle und die Firma verpflichte, den Verhandlungsweg einzuschlagen und dass Maudet, der VPOD, die Streikenden und das Unternehmen gemeinsam einen Weg fänden, der für die Arbeiterinnen und Arbeiter zufriedenstellend wäre.

Die Karte «Maudet der Retter» wurde durch die Streikleitung über eine wichtige Zeitspanne der acht Monate Streik immer wieder herum geschwenkt. Dies in völliger Verkennung der Tatsache, dass dieser nichts als ein Gewählter der Freisinnigen Partei ist, der Partei, die die Unternehmer und die Banken und auch die Konkurrenzfähigkeit des Flughafens verteidigt. Dies macht es schwierig, daran zu glauben, dass Maudet sechs Monate gebraucht hätte, um eine Lösung für den Konflikt zu finden und noch weniger, dass diese für die Streikenden vorteilhaft gewesen wäre.

Aus dieser Niederlage lernen

Dieser Streik endete eindeutig mit einer schmerzlichen Niederlage für die Streikenden, für die Gewerkschaft und für die gesamte Arbeiterbewegung. Wenn es uns auch nicht zusteht, bezüglich der während des Streiks gefassten strategischen und taktischen Entscheidungen Lektionen zu erteilen, so steht es uns doch zu, eine politische Analyse dieser Niederlage zu machen.

Es ist offensichtlich, dass wir heute eine Periode einer tiefer Krise der Arbeiterbewegung durchleben. So grundlegende Reaktionen wie die Unterstützung von kämpfenden Kollegen in einem anderen Unternehmen sind aus den Gewohnheiten der linken Kräfte wie auch der Arbeiterinnen und Arbeiter vollständig verschwunden.

Die Herausforderung besteht eindeutig darin, Netzwerke von Aktivistinnen und Aktivisten aufzubauen, die bereit sind, an ihren Arbeitsplätzen Kämpfe zu entwickeln und Streiks, die da und dort ausbrechen können zu unterstützen, darüber zu informieren und zu mobilisieren. Unsere Rolle muss der Wiederaufbau eines Klassenbewusstseins sein. Ein solches wird nur  entwickelt werden können, wenn man sich direkt an die Arbeiterinnen und Arbeiter wendet und sie über die aktuellen Bewegungen informiert und einen gegenseitigen Austausch über die Lebens- und Arbeitsbedingungen aufbaut.

Die Förderung solcher Solidaritätsnetzwerke zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern ist das einzige Mittel, um ein Kräfteverhältnis aufzubauen, das zukünftige Streiks – auch im Flughafen Genf – nicht in einer solchen vernichtenden Niederlage enden lassen wie derjenige bei GG.

 

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