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Der Faschismus ist zurück

Eingereicht on 16. Februar 2018 – 9:27

Roberto Saviano.  Ein Mann schießt in einer kleinen italienischen Stadt aus einem fahrenden Auto auf fünf afrikanische Migranten. Wie das Land mit dem Anschlag von Macerata umgeht, zeigt den Bankrott des politischen Systems

Am späten Samstagvormittag des 3. Februar begannen nach und nach die Meldungen aus Macerata einzutreffen: aus einem schwarzen Alfa Romeo 147, der durch die kleine mittelitalienische Kreisstadt fuhr, waren Schüsse abgefeuert worden. Auf Facebook rief der Bürgermeister der Stadt alle Einwohner auf, zuhause zu bleiben, weil „ein bewaffneter Mann aus einem Auto heraus schießt“.

Ein paar Tage zuvor war in Macerata die zerstückelte Leiche einer jungen Frau in einem Koffer gefunden worden. Das italienische Opfer wurde als Pamela Mastropietro identifiziert und der nigerianische Drogendealer Innocent Oseghale wegen Mordverdachts verhaftet. Oseghale sitzt noch immer im Gefängnis, auch wegen Missachtung der Justiz und des Vorwurfs, die Leiche versteckt zu haben.

Der Lega-Nord-Chef, ein Anstifter

Aber zurück zu jenem Samstag: Die Ungewissheit über die Ereignisse dauerte nur kurz an. Bald schon zirkulierten die ersten Bilder eines jungen Mannes namens Luca Traini, der von der Polizei festgenommen worden war. Er hatte sich die italienische Flagge um die Schultern gelegt und laut Augenzeugen den faschistischen Gruß gezeigt. Sechs Menschen wurden verletzt, durchweg afrikanische Immigranten. Auch auf die Zentrale der Mitte-Links stehenden Demokratischen Partei (PD) in Macerata war beschossen worden. Schüsse auf Einwanderer, der faschistische Gruß, die italienische Nationalflagge – was braucht man mehr, um das Geschehene beim Namen zu nennen?

Warum also fiel es den italienischen Medien so schwer, das Ganze als faschistisch inspirierten Terror-Angriff einzustufen? Ich musste sofort an einen Tweet des Lega Nord-Chefs Matteo Salvini denken, dessen fremdenfeindliche Partei für die am 4. März anstehende Parlamentswahl mit Silvio Berlusconis Forza Italia verbündet ist. Zwei Tage vor dem Angriff schrieb Salvini zu dem Mord an Pamela Mastropietro und der Verhaftung Oseghales: „Was hat dieser Wurm überhaupt noch in Italien gemacht? (…) Die Linke hat Blut an den Händen.“ Moralischer Anstifter der Macerata-Attacke könnte damit Matteo Salvini sein, der seit Jahren ohne einen Gedanken an die Folgen seiner Worte Hass sät.

Aber woher kommt eine derartige Zurückhaltung seitens der Medien und anderer Politiker? „Die Tat eines Verrückten“; „Wir sind nicht hier, um über Faschismus zu sprechen“; „Nicht darüber reden, damit kein Kapital daraus geschlagen wird“ – das waren die Kommentare, manche unvermittelt und spontan, andere kühl und kalkuliert. Sehr wenige Politiker sprechen über die Opfer der Attacke, denn sich auf die Seite der Immigranten zu stellen, das kostet mutmaßlich Wählerstimmen.

Nur die kleine Partei Potere al Popolo (Macht dem Volk) besuchte die Verletzten direkt nach dem Angriff im Krankenhaus. Wilson, Jennifer, Gideon, Mahamadou, Festus und Omar heißen sie. Alle sind sehr junge Leute, die versuchen, in Italien Fuß zu fassen.

Dieser tödliche Cocktail

Gesellschaftliche Phantome entstehen immer in Momenten der Krise. Ausländerhass ist das Ergebnis eines tödlichen Cocktails aus schlechter Politik, unverantwortlicher Informationspolitik und ökonomischer Krise. Italien hat jede Orientierung verloren. Das Klima einer endloser Wahlkampagne hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die scheinbar niemand kontrollieren kann: Der gesamte politische Wahlkampf konzentriert sich auf das Thema Einwanderung. Immigranten werden als der primäre Grund für das lange Anhalten der ökonomischen Krise betrachtet, aber auch für das Risiko von Anschlägen. Wobei angemerkt sei, dass die einzige Attacke, die als echtes Massaker betrachtet werden könnte, von einem Italiener gegen Ausländer verübt wurde.

Ein weiteres Argument ist Lesern vielleicht nicht neu, in Italien ganz sicher nicht. Es wird zumeist am Ende von Artikeln gebracht: „Aber wenn Italiener Angst haben, dann muss es einen Grund dafür geben.“ Eigentlich ist es Zeitverschwendung, mit Fakten zu kommen und zu betonen, dass Einwanderung keine Krise, sondern ein Phänomen ist, das wir – verantwortlich und vorausschauend gelenkt – kontrollieren können. Auch lohnt es sich kaum, anzumerken, dass es sehr gute Beispiele aus der Praxis gibt und ausgezeichnete Vorbilder existieren, denen wir folgen könnten. Ebenso sinnlos ist es, die sinkende Kriminalitätsrate anzuführen. Irgendjemand, der deutlich weniger Probleme als ich hat, eine populäre Saite anzuschlagen, wird argumentieren, dass es einen Grund dafür geben muss, wenn Italiener sich gefährdet fühlen. Heute sind Gefühle – welcher Art auch immer – wichtiger als die Realität.

Und dann sind da die Stimmen, die davor warnen, der gewalttätigen Episode zu große Bedeutung zukommen zu lassen. Je mehr ich über Migranten spreche, desto mehr wird mir vorgeworfen, Hass gegen sie zu fördern. Diese Logik zäumt das Pferd von hinten auf, und ich frage mich: Wie ist es möglich, dass ich mit Berichten über die Geschehnisse in den Auffanglagern in Libyen oder über die Verunglimpfungskampagne gegen die im Mittelmeer arbeitenden NGOs genau das Gegenteil von dem erreiche, was ich anstrebe?

Migranten sind in einem demographisch gesehen dem Tod geweihten Land wie Italien eine wichtige Ressource. Aber selbst wenn ich das zu erklären versuche, höre ich die nachdrückliche Bitte: Mund halten; lieber nicht erwähnen; am besten um etwas Anderes kümmern.

Die Geschichten, die über Migranten berichtet werden, sind das Ergebnis von Wahlkampfkalkül verbunden mit einer neuen Narrative, die einen Raum füllt, der immer der Lega Nord vorbehalten war. Jetzt wird er von der euroskeptischen und populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) eingenommen: Rechts und links gibt es nicht mehr; was es gibt, sind Italiener mit Problemen und die kommen vor allen anderen.

In Europa gab es das so noch nie

Nach dem Angriff in Macerata geschah etwas in Europa bisher noch nicht Dagewesenes: PD-Sekretär Matteo Renzi und M5S-Chef Luigi Di Maio drängten alle, über die Ereignisse zu schweigen. Warum? Um nicht die Stimmen der fremdenfeindlichen Wähler zu verlieren. Das ist ihre Angst, und das ist die Konsequenz eines völlig inhaltsleeren politischen Systems.

Der Terrorist Luca Traini, der Feuer auf unbewaffnete Passanten nur aus dem Grund eröffnete, weil sie Afrikaner waren, hat im vergangenen Jahr für die Lega Nord kandidiert. Sagt uns das, dass Salvinis Partei kriminelle und gewalttätige Extremisten als Wahlkandidaten aufstellt? Nein, überhaupt nicht. Es sagt uns etwas über alle Parteien, und das ist, dass sie keine Substanz mehr haben, dass sie vor Ort keine Kandidaten aufstellen können, weil sie den Kontakt zur realen Welt verloren haben.

Wenn heutzutage Politiker, Journalisten oder Intellektuelle Aussagen wie „Was immer Sie von Immigration halten“ voranschieben, muss ihnen klar sein, wie unverantwortlich das ist. In einer so fragilen Zeit wie der, in der wir leben, kann Leichtfertigkeit nicht toleriert werden. Auf dem Papier, im Fernsehen und in den sozialen Medien sollte jedes einzelne Wort abgewogen werden – und zwar sehr genau.

Quelle: freitag.de… vom 16. Februar 2018

 

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