Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Kampagnen, Schweiz

Zum Beispiel Pavatex AG: Wie die Arbeiter in der Schweiz entwaffnet werden

Eingereicht on 15. Dezember 2014 – 15:55

 

(Redaktion maulwuerfe.ch) Ende Oktober 2014 wurde von der Pavatex AG die Schliessung der Produktion in Fribourg per Ende November 2014 bekanntgegeben. Dabei sollten die 45 Arbeiter ohne Sozialplan auf die Strasse gestellt werden. Keine Besonderheit in der Schweiz, die keinen Kündigungsschutz und zudem die absolute Friedenspflicht kennt. Das Besondere liegt vielmehr in der kämpferischen Reaktion der verzweifelten Arbeiter und wie diese durch die Gewerkschaften – mit ihrem unverrückbaren Festhalten an der absoluten Friedenspflicht –  in die sozialpartnerschaftliche  Sackgasse geführt wurden.

Eigentlich ist auch der Ablauf der Ereignisse nichts Aussergewöhnliches. Viele Zehntausende von Lohnabhängigen wurden in der Schweiz in den vergangenen fünf bis sechs Jahren mit Entlassungen, Verlängerung der Arbeitszeiten, Lohnkürzungen konfrontiert; wenige Tausend haben versucht, sich dagegen zu wehren, in den wenigsten Fällen erfolgreich. Der grosse Kampf der SBB-Angestellten in den Werkstätten in Bellinzona vom Frühjahr 2008 liegt schon weit  zurück, die Kämpfe im öffentlichen Dienst in Genf (Flughafen, Spitäler, Altersheime) und die lokalen Arbeiterkämpfe im Tessin (Industrie, Verkauf) von 2011 bis 2013 liegen zeitlich schon näher, waren aber wohl die einzigen wirklich erfolgreichen Manifestationen eines durchaus existierenden Bedürfnisses nach kollektivem Widerstand gegen die vernichtende Walze der Unternehmermacht in der helvetischen Republik. In diesen Kämpfen gelang es den Lohnabhängigen jeweils, die Gewerkschaften zu einem Instrument ihres Widerstandes zu machen und sich so der hegemonialen Tendenz in den Schweizer Gewerkschaften entgegen zu stemmen, jede Bewegung für die Zwecke der Bürokratie zu instrumentalisieren.

Diese erfolgreichen Bewegungen machten nie Halt bei Verhandlungen über Sozialpläne, sondern bewahrten und entwickelten den Kern eines grundsätzlichen Motivs dieser Basisaktivitäten, das auf eine Beseitigung des Herrschaft des Kapitals, auf eine Befreiung aus der Unterwerfung unter die soziale und politische Macht der Unternehmer und ihres Staates überhaupt hinausläuft. Die – in ihrer verzweifelten Lage – vorwärtsdrängenden Segmente der Lohnabhängigen hatten in diesen seltenen Fällen das Glück, im Gewerkschaftsapparat auf – leider lokal beschränkte –  Kräfte zu stossen, die in dieselbe Richtung drängten und für ihre Strategie  selbst gerade an der Entwicklung von Ansätzen einer kämpferischen Strömung an der Basis ein vitales Interesse haben. Nicht so im Falle der Pavatex AG, wie der Ablauf der Ereignisse zeigt.

Ein angekündigter Niedergang

Die Firma Pavatex wurde 1936 in Fribourg gegründet, seither eröffnete sie Werke in Cham (Kanton Zug), in Golbey (Frankreich), Deutschland, Österreich, Italien und in den Beneluxstaaten. Das Westschweizer Wirtschaftsmagazin «Bilan» bezeichnete kürzlich die Firma als Marktführerin im Bereich der Holzweichfaserdämmstoffe. 2010 betrug der Jahresumsatz knapp 80 Millionen Euro.

Die Schliessung des Werkes in Fribourg fiel nicht aus heiterem Himmel. Weil der Spanplatten-Hersteller den Löwenanteil seines Umsatzes in Frankreich und Italien macht, traf ihn die Krise in Europa hart. Bereits im September 2011 baute Pavatex in der Schweiz 10 Arbeitsplätze ab und setzte in der Produktion eine Lohnkürzung von 4 Prozent durch. Zudem wurde 2013 im französischen Golbey ein modernes Werk eröffnet. Damit wurde die Konkurrenzsituation für das veraltete Werk in Fribourg zusätzlich verschlechtert. Anfang 2014 sollten daher weitere 18 Stellen in Fribourg gestrichen werden. Nach Interventionen der Gewerkschaft und der Betriebskommission konnte dieser Abbau abgewendet werden; an dessen Stelle sollte ab Herbst 2014 jedoch Kurzarbeit eingeführt werden. 90 Prozent  der Belegschaft in Fribourg sind Mitglied der Gewerkschaft Unia.

Seit 2011 verdichteten sich mithin die Anzeichen für eine Schliessung der Fabrik. Doch diese Anzeichen wurden von der Gewerkschaft nicht genutzt, um im Betrieb, im gesamten Unternehmen und in der Region die Kräfte aufzubauen, die einen Widerstand gegen das drohende Unheil hätten entwickeln können. Dazu muss erwähnt werden, dass Pavatex u.a. in Cham (im Kanton Zug) und wie bereits erwähnt, in Golbey (FR) je ein Werk betreibt, in die die Produktion aus Fribourg ausgelagert werden soll. Die einvernehmlichen «Lösungen» mit Lohnkürzungen, Teil-Entlassungen und, zuletzt, der Einführung von Kurzarbeit setzten vielmehr auf eine illusionäre Hoffnung, damit «das Schlimmste» abwenden zu können.

Der Aufbau eines erfolgreichen  Widerstandes in Fribourg hätte also auch entsprechende Aktivitäten der Gewerkschaft in Cham und in Golbey erfordert, was ganz klar eine schwere Verletzung des Arbeitsfriedens bedeutet hätte, wie dies in jedem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) als wichtigste Bestimmung festgehalten ist. Es hätte also erfordert, auf die Entwicklung von Ansätzen der Kampfkraftkraft der Arbeiterklasse zu setzen, und nicht auf ein gutes Einvernehmen mit den Unternehmern.

Das Platzen der Illusionen und die verzweifelte Gegenwehr

Aufgrund dieser Vorgeschichte erstaunt es nicht, dass die Schliessung der Fabrik für die Arbeiter keine Überraschung war, aber auch, dass für sie die Erhaltung der Fabrik in Fribourg nicht als eine realistische Option erschien. Der Schliessungsentscheid wurde daher von ihnen nie in Frage gestellt. Was für sie aber das Fass zum Überlaufen brachte, war dass die Firma keinen Sozialplan vorlegte, sondern eine Personalfirma beauftragte, den betroffenen Arbeitern eine sogenannte «Laufbahnberatung» anzubieten. Eine Leistung, die durch jede öffentliche regionale Arbeitsvermittlung (RAV) eh schon angeboten werden muss. Als sich die Unternehmensführung weigerte, mit den Arbeitern und der Gewerkschaft Unia über einen Sozialplan zu verhandeln, traten die Arbeiter am 11. November in einen Streik und besetzten die Fabrik.

Vorerst haben die Gewerkschaft und die Betriebskommission nach dem Bekanntwerden des Schliessungsentscheides Ende Oktober die Arbeiter noch davon abhalten können, direkt aktiv zu werden. Bereits damals stellten sie in einer spontanen Aktion die Maschinen ab. Aber als darauf nichts geschah, platzte ihnen der Kragen und sie griffen ab dem 11. November direkt in die Ereignisse ein. Ihre Forderungen waren klar wie auch minimal: Aufnahme von Verhandlungen mit der Gewerkschaft und der Betriebskommission. Pavatex trat unter dem Druck des Streiks und der Betriebsbesetzung auf die Forderung ein und es begannen nach dem dritten Streiktag Verhandlungen zwischen Delegationen der Firmenleitung, der Fribourger Regierung, Unia und der Betriebskommission. Kurz vorher hatte die Firmenleitung den Streik als illegal erklärt und stellte die Lohnzahlungen ein.

In den Fängen der Sozialpartnerschaft

Die Bedingung für den Verhandlungsbeginn war allerdings, dass die Arbeiter die Arbeit wieder aufnehmen und die Besetzung der Fabrik einstellen würden. Dies geschah denn auch am 17. November. Fatalerweise für die Arbeiter. Denn die Verhandlungen endeten weitgehend ohne substantielle Zugeständnisse der Firma. Die Arbeiter hatten mit dem Abbruch des Streikes und der Betriebsbesetzung  auch ihr einziges Druckmittel aus der Hand gegeben. Die Fabrik wurde am 21. November endgültig geschlossen, wie auch an diesem Tag die Verhandlungen zu Ende gingen.

Die Unia wertet diesen Ausgang – wie üblich bei solchen Schelmenspielen – trotzdem als positiv: «Die Anwesenheit der Gewerkschaft Unia bei den Verhandlungen zwischen der Belegschaft und der Pavatex-Direktion über faire Unterstützungsmassnahmen hat sich positiv ausgewirkt.» (Unia, Medienmitteilung vom 24.11. 2014) Sicher positiv für die Gewerkschaftsführung, die sich erneut mit den Unternehmern einigen konnte. Dass dabei für Arbeiter kein Sozialplan herausschaute, scheint niemanden in der Gewerkschaft zu kümmern. Die erreichte Rückzahlung von Geldern, die von ihnen über die Jahre in den sogenannten Hilfsfonds einbezahlt wurde, ist eine juristische Selbstverständlichkeit und hätte auch ohne Verhandlungs-Theatralik vor jedem Gericht erwirkt werden können.

Dass die Arbeiter in ihrer Verzweiflung blind auf die Gewerkschaft vertrauten und den Streik am 17. November im Vertrauen auf die Verhandlungen abbrachen, hat ihnen schmerzliche Einbussen beschert. Sie werden nun in alle Winde zerstreut, die meisten von ihnen wohl in die Langzeitarbeitslosigkeit oder in noch schlechtere Jobs, denn sie sind mehrheitlich über 50 Jahre alt und arbeiten durchschnittlich seit 15 Jahren bei Pavatex. Diese wertvolle Erfahrung wird  damit wohl nie mehr positiv genutzt werden können: auf die eigene Kraft zu vertrauen, und weder den Unternehmern noch den Gewerkschaften und schon gar nicht den politischen Instanzen zu vertrauen.

An diesem Arbeitskampf sieht man vor allem die hoffnungslose Situation, in der sich die Arbeiterklasse in der Schweiz befindet. Es ging hier nicht um eine kühne Abwendung der Schliessung der Fabrik; nicht einmal um eine konkrete Forderung bezüglich Sozialplan. Sondern lediglich um die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Firmenleitung und der Unia. Ein Kampf gegen Betriebsschliessungen liegt für die Lohnabhängigen in der Schweiz jenseits des Horizonts des Möglichen – die materiellen Instrumente und Zusammenhänge, um konkrete Aktionen  dafür zu entwickeln, fehlen schlicht und einfach. Am allerwenigsten sind die Gewerkschaftsführungen an solchen Kämpfen interessiert, denn diese würden ihr Lebenselement, die Sozialpartnerschaft, deren zentraler Pfeiler die absolute Friedenspflicht ist, unweigerlich untergraben. Zudem würde eine Gewerkschaftspolitik gegen Betriebsschliessungen und Massenentlassungen unausweichlich den Aufbau von kämpferischen Zusammenhängen erfordern, die nicht mehr einfach so kontrollierbar wären.

Die Orientierung der gewerkschaftlichen Interventionen – falls überhaupt! –  auf Sozialplanverhandlungen erlaubt erstens eine Kontrolle allfälliger Kampf-Bewegungen und, zweitens, führt diese Orientierung zu einer weiteren Stärkung der Gewerkschaftsbürokratie in den Augen gerade einer paralysierten Basis. Und diese ist in der Schweiz aufgrund der mangelnden Kampferfahrung in der sehr grossen Überzahl.

Tags: , ,