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Schweiz: Widerstand gegen die Durchsetzungsinitiative der SVP

Eingereicht on 20. Januar 2016 – 17:56

BFS Zürich. Seit einigen Jahren dominiert der Begriff des „Ausländers“ die politischen Debatten in der Schweiz. Auch wenn sich der Fokus periodisch von Flüchtlingen auf längerfristig in der Schweiz lebende Migrant*innen verschiebt, geht es dabei immer um eine bewusste Spaltung der arbeitenden Bevölkerung.

Nach den Diskussionen um Flüchtlingsströme und #refugeeswelcome im letzten Sommer, wird die nächste Auseinandersetzung rund um die Durchsetzungsinitiative der SVP stattfinden, welche ein direkter Angriff auf die Lohnabgängigen in der Schweiz darstellt.

Am 28. Februar 2016 wird die stimmberechtigte Bevölkerung der Schweiz über die Durchsetzungsinitiative (DSI) abstimmen. Die DSI wird, wie jede Schweizer Volksinitiative, die Verfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft um einen Artikel ergänzen. Dabei handelt es sich beim DSI-Verfassungsartikel gar nicht um einen solchen, sondern um ein bereits ausgearbeitetes Gesetz, welches in der Verfassung platziert würde. Dies zeigt sich beispielsweise im konkreten Strafbestand-Katalog, der aufgeführt ist, und in den bereits festgehaltenen Strafmassen.

Nach der DSI sollen Straftaten wie Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Brandstiftung, Geldwäsche, Gewalt und Drohung gegen Beamte, öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeit, aber auch Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz mit Landesverweis und Einreiseverbot bestraft werden. Dabei unterscheidet die Initiative zwischen schweren Straftaten, bei denen ein einmaliges Vergehen reicht, und einem Katalog an leichteren Verstössen, welche im Wiederholungsfall ebenfalls zur Ausweisung führen. Dabei spielt es keine Rolle, ob dasselbe Vergehen, oder ein anderes aus dem Katalog bereits begangen wurde.

Angriff auf Grundrechte

Die SVP bezeichnet die Durchsetzungsinitiative als Reaktion auf die „zu lasche“ Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, welche 2010 vom Stimmvolk angenommen und 2015 umgesetzt wurde. Zentraler Streitpunkt bildete dabei die so genannte Härtefallklausel. Nach dieser hat eine verurteilte und eigentlich auszuweisende Person das Recht, von einem Gericht angehört und allenfalls als Härtefall eingestuft zu werden. Ein Härtefall zu sein bedeutet, dass das private Interesse an einem Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an einer Ausweisung übersteigt und die Person deshalb in der Schweiz bleiben darf, auch wenn eigentlich eine Ausschaffung vorgesehen wäre. Die individuelle Anhörung vor einem Gericht oder einem Richter bildet eine zentrale Grundlage des bürgerlichen Rechtssystems. Diese Grundlage würde mit der DSI untergraben. Denn die automatische Anwendung eines Gesetzes auf eine Person würde die Aushebelung der Gewaltenteilung in Exekutive, Judikative und Legislative bedeuten. Diese Gewaltenteilung ist eng mit der Herausbildung und dem Wesen des bürgerlichen Staates verbunden. Die Durchsetzungsinitiative ist also – auf dieser Ebene betrachtet – ein Angriff auf den bürgerlichen Staat, dessen demokratisches Selbstverständnis sowie auf die bürgerlichen Grundrechte.

Spaltung der Lohnabhängigen

Wenn wir nun den Blick etwas schärfen und die ideale Vorstellung des bürgerlichen Staates nicht mehr als Referenz nehmen – die Geschichte bewies allzu oft, dass viele bürgerliche Ideale schnell zu leeren Hüllen verkamen, sobald sie den Interessen der Bourgeoisie im Wege standen – wird eine weitere Ebene sichtbar: Die Durchsetzungsinitiative dient der Spaltung der lohnabhängigen Bevölkerung und spielt verschiedene Bevölkerungsgruppen, die eigentlich dieselben objektiven Interessen haben, gegeneinander aus. Mit der DSI, wie auch im geringeren Masse schon mit der Ausschaffungsinitiative, werden zwei verschiedene Strafkataloge eingeführt, welche je nach Herkunft des Menschen andere Konsequenzen für Vergehen androhen. Damit passt die DSI sehr gut in das rassistische Grundklima der Schweiz. Die SVP, die bei den nationalen Wahlen im Oktober 2015 auf einen Stimmenanteil von fast 30% kam, schürt seit Jahren ein Klima, indem rassistische Vorurteile, Stereotype und die Vorstellung eines „reinen Volkes“ gedeihen und immer widerlichere Blüten treiben. Diese Grundstimmung hilft wiederum dabei, die wirtschaftliche Ausbeutung von Menschen zu intensivieren. Personenfreizügigkeit und Masseneinwanderungsinitiative führen dazu, dass Menschen nur noch nach ihrer Arbeitskraft beurteilt werden, ihr Aufenthalt beschränkt und unsicher gehalten wird und eine kulturelle und soziale Abschottung die Gräben noch vertieft.

Und dennoch erreichen die Angriffe auf die lohnabhängige Bevölkerung mit der DSI eine neue Dimension. Während die Verschärfungen des Asylgesetzes auf Geflüchtete abzielen und die Masseneinwanderungsinitiative die Einwanderung insbesondere aus dem europäischen Raum auf die wirtschaftlich verwertbaren Personen beschränken will, zielt die DSI auch auf Personen, die seit mehreren Generationen in der Schweiz leben, aber keinen Schweizer Pass besitzen. Damit wird – noch stärker als sonst – versucht, entlang ethnischer Linien den Menschen Identität und Zugehörigkeit zuzusprechen, oder vorzuenthalten. Wenn „das Volk“ zukünftig wieder verstärkt nach Blut und Herkunft definiert wird, muss das uns schockieren, und wir dürfen nicht länger passiv bleiben.

Ausbau der Repression

An diesem Punkt kommt eine dritte Ebene ins Spiel. Wenn wir uns wehren wollen, wenn wir den Rechtsruck in der Schweiz, das verstärkte Auftreten von Neonazigruppierungen, welche in diesem Klima wieder selbstsicherer werden und die Angriffe auf unsere Freunde und Freundinnen, egal ob mit oder ohne Schweiz Pass, bekämpfen wollen, dann kommen wir sehr schnell in Situationen, in denen wir selbst die Wucht und Härte der Justiz zu spüren bekommen. Sobald wir als politische Aktivist*innen keinen Schweizer Pass besitzen, wird die DSI unsere Arbeit stark behindern und uns gefährden. Die Straftatbestände der einfachen Körperverletzung (Polizist umschubsen), Raufhandel (sich einer Nazigruppe in den Weg stellen), öffentliche Aufforderung zur Gewalttätigkeit (Aufruf zur Blockade) oder Gewalt und Drohung gegen Beamte („Hau ab du Tubel!“ zu einem Zivilbeamten) können unter Umständen reichen, um des Landes verwiesen zu werden. Die Durchsetzungsinitiative spaltet also nicht nur und stellt nicht einzig die bürgerlichen Rechtsgrundsätze in Frage. Sie ist auch ein weiterer Schritt der repressiven Verfolgung verschiedener „unliebsamer“ Gruppierungen.

Solidarität und Widerstand als Antwort

Die Durchsetzungsinitiative ist der vorläufige Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung, die scheinbar kein Ende findet. Politiker, die in anderen europäischen Ländern als „rechtsextrem“ gelten, gehören in der Schweiz zum politischen Establishment. Die Empörung über die Verankerung eines gesamten Gesetzesartikels in der Verfassung ist in bürgerlich-liberalen Kreisen erstaunlich gering. Auch die etablierten linken Parteien vernachlässigen den Kampf gegen diese Initiative sträflich. Dabei böten die Entwicklungen der letzten Jahre mehr als genug Anlass zur Empörung. Wir müssen auch aus diesen Gründen kontinuierlich weiterkämpfen, anprangern und die Solidarität zwischen uns Lohnabhängigen, egal woher wir kommen, praktisch werden lassen. Nur durch den massenhaften und aktiven Widerstand der lohnabhängigen Bevölkerung kann den Rechten und dem rassistischen Klima auf angemessene Weise begegnet werden.

Quelle: sozialismus.ch vom 18. Januar 2016

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