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20 Jahre nach dem gescheiterten Putsch in Venezuela gegen Hugo Chávez

Eingereicht on 21. April 2022 – 16:33

Pedro Brieger. Vor 20 Jahren, im April 2002, wurde der venezolanische Präsident Hugo Chávez durch einen Putsch gestürzt. In gewissem Sinn kann man sagen, dass es sich dabei um den letzten Staatsstreich in Lateinamerika handelte, der im Stil jener im 20. Jahrhundert durchgeführt wurde, wenn eine Gruppe von Zivilisten und Militärs sich darin einig waren, einen demokratisch gewählten Präsidenten zu stürzen, und es zu einem institutionellen Bruch kam, das Parlament aufgelöst wurde und jemand die Macht übernahm, der nicht durch einen Urnengang gewählt worden war.

Genau das war es, was damals geschah. Aber mit einem ganz anderen Ausgang als bei allen anderen bekannten vorherigen zivil-militärischen Putschen. Sie stürzten Chávez am 11. April und drei Tage später, im Morgengrauen des 14. April, kehrte er in den Präsidentenpalast Miraflores zurück, umringt von einer riesigen Menschenmenge, die ihm zujubelte.

Von dem Moment an, als Chávez im Dezember 1998 die Wahlen gewonnen hatte, arbeiteten die zwei großen traditionellen Parteien – die sozialdemokratische Acción Democrática (AD) und das Christlich-Soziale Komitee für Unabhängige Politische Wahlorganisation – bekannt unter der Abkürzung Copei – gemeinsam mit Unternehmern, den wichtigsten Massenmedien und der US-Regierung daran, ein konspiratives Netz aufzubauen, um den Sturz von Chávez herbeizuführen. Die Sektoren, die 40 Jahre lang in Venezuela das Sagen hatten, weigerten sich zur Kenntnis zu nehmen, dass Chávez einen überwältigenden Wahlsieg errungen und eine enorme Unterstützung im Volk hatte. Zur Überraschung vieler trat er die Präsidentschaft mit einem Schwur auf die von ihm als „sterbend“ bezeichnete Verfassung von 1961 an und machte sich sofort an die titanische Aufgabe, die politischen und gesellschaftlichen Strukturen eines Landes umzugestalten, das aufgrund seines Erdölreichtums als „Saudi-Venezuela“ bezeichnet wurde. Jedoch lebte die Mehrheit der Bevölkerung in Armut. Um sein Projekt umzusetzen, brauchte er eine neue Verfassung, die 1999 von der verfassunggebenden Versammlung ausgearbeitet und knapp ein Jahr nach seiner Übernahme der Präsidentschaft in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit angenommen wurde.

Im Weißen Haus begriff man schnell, dass es auch eine neue, von den USA unabhängige Außenpolitik gab. Unter anderem nahm sich Chávez vor, dem Zusammenschluss der erdölproduzierenden Länder ein größeres Gewicht zu verschaffen, und seine Verbindungen mit Muammar al-Gaddafi in Libyen und Sadam Hussein im Irak waren – ganz klar – in Washington nicht gern gesehen, denn das betraf die USA direkt. Andererseits zeigte Chávez seine Sympathien mit der kubanischen Revolution, verurteilte den Einmarsch in Afghanistan 2001 und stellte das große regionale Projekt Washingtons einer Freihandelszone für die Amerikas (Área de Libre Comercio para las Américas, Alca) in Frage. Das Weiße Hause hatte genügend Gründe, um sich eines Präsidenten zu entledigen, der in einer Zeit an die Macht gekommen war und die neoliberale Politik grundsätzlich in Frage stellte, als der sogenannte „Konsens von Washington“ sich in vollem Aufwind befand und fast alle Regierungen in der Region, angeführt von Argentinien, Mexiko und Peru, umklammerte. Ein Jahr vor dem Putsch hatte Peter Romero, stellvertretender Außenminister für die Westliche Hemisphäre, bekräftigt, Chávez habe „das Recht, dorthin zu reisen, wohin er wolle und zu sagen, was er wolle, aber das, was er sagt, wird Konsequenzen für die Wahrnehmung der USA haben“. Die Botschaft hätte nicht klarer sein können.

Der internen Auseinandersetzungen der von Chávez angeführten Bewegung und die internationale Belagerung beflügelten die oppositionellen Kreise in ihrer Zielstellung, ihn zu stürzen. Im Februar 2002 gab die Washington Post Erklärungen eines Beamten des US-Außenministeriums wieder, der vorhersagte, dass, „wenn Chávez seine Angelegenheiten nicht baldigst regelt, er seine Amtszeit nicht bis zum Ende durchstehen wird“. Parallel dazu bekräftigten Funktionäre des Internationalen Währungsfonds (IWF), dass „sie keine Probleme damit hätten“, eine eventuelle „Übergangsregierung“ wirtschaftlich zu unterstützen.

In innenpolitischer Hinsicht lag das Problem in der Schwäche und im Prestigeverlust der beiden großen Parteien, die sich in Venezuela seit dem berühmten Regierbarkeitsabkommen von 1958, bekannt als der „Pakt von Punto Fijo“, in der Regierung abwechselten. Chávez’ meteorenhafter Aufstieg war – neben anderen Faktoren – gerade die Folge der großen Korruption, in die AD und die Copei verwickelt waren, und der Verschwendung von Millionen von Dollar, die als Einkünfte aus den Erdölpreisen ins Land strömten.

Obwohl in den letzten Jahren die Version verbreitet wurde, dass Venezuela schon vor Chávez ein reiches und entwickeltes Land gewesen sei, steht fest, dass die enormen Einnahmen aus den Erdölkonzessionen nicht an die Mehrheit der Bevölkerung „ausgeschüttet“ wurden. Das wurde sogar in einem Leitartikel der Washington Post nach dem gescheiterten Putsch von 2002 eingestanden, der bestätigte, dass 80 Prozent der Bevölkerung arm waren. Dies ist ein Schlüssel, um zu verstehen, warum Chávez weit über die traditionellen politischen Parteien hinaus zu einer solch beliebten Figur wurde.

Tatsächlich verwies Chávez ein einem Interview im Dezember 2001 auf den Unternehmerdachverband Fedecámaras als verbindende Kraft der Opposition, da die politischen Parteien ihre Glaubwürdigkeit völlig verloren hatten. „Wo sind die Oppositionsparteien?“, fragte er. „Wo sind die Führungspersönlichkeiten der Opposition, die diese Gruppen zusammenführen könnten? Es gibt sie einfach nicht, und deshalb übernimmt er diese Rolle.“

Am 11. April 2002 kam es in Caracas zu einer Reihe von Gewalttätigkeiten. Am darauffolgenden Tag gab General Lucas Rincón bekannt, dass man Präsident Chávez zum Rücktritt aufgefordert und er dies akzeptiert habe. Diese Äußerung sorgte selbst in den Reihen der Chavistas für große Verwirrung. Es war eine Lüge. Er war festgenommen und aus Caracas weggebracht worden.

Die Geschichte Lateinamerikas bis April 2002 lehrte, dass, wenn ein Präsident gestürzt wurde, sein Schicksal der Tod war (Salvador Allende, Chile 1973), das Gefängnis (Estela Martínez de Perón, Argentinien 1976) oder das Exil (João Goulart, Brasilien 1964) ‒ um aus der langen Liste der zivil-militärischen Putsche nur einige Beispiele zu nennen. Aus diesem Grund bejubelten alle Putschunterstützer diesen in aller Öffentlichkeit und ohne irgendwelche Scham, weil sie davon überzeugt waren, dass die Geschichte sich wiederholen würde. Niemand kam in den Sinn, dass Chávez’ Sturz scheitern könnte, denn sie zählten ja auch auf die Unterstützung durch das Fernsehen, das Radio, die Tageszeitungen und – nicht weniger wichtig – das Augenzwinkern aus Washington. Und ihr Hass auf Chávez vergiftete sie derart mit ihrer eigenen Propaganda, dass sie fest daran glaubten, dass ganz Venezuela sich gegen den Präsidenten erheben würde.

Mehr noch, sie waren sich ihres Sieges derart sicher, dass sie nicht einmal verheimlichten, dass sie den Putsch schon seit Monaten vorbereitet hatten. Die Tageszeitung El Nacional, einer der Protagonisten des Putsches, feierte den Tag, an dem Chávez stürzte, und stellte erleichtert fest, dass „man glücklicherweise nicht bei Null anfangen muss. Mehrere Institutionen haben sich ernsthaft und beharrlich mit multidisziplinären Methoden vorbereitet, und es liegen Projekte und Studien vor, die es gestatten, sie mit der von uns allen geteilten Dringlichkeit in die Praxis umzusetzen“. Außerdem zählten sie auf die Unterstützung der USA, was sich in einigen der einflussreichsten Zeitungen widerspiegelte. Die Washington Post bekannte in ihrer Ausgabe vom Sonnabend, 13. April, dass „Mitglieder der unterschiedlichsten Oppositionskreise des Landes in den letzten Wochen die US-Botschaft in der Hoffnung aufgesucht haben, Hilfe beim Sturz von Chávez zu erhalten. Unter den Besuchern waren aktive und sich im Ruhestand befindende Angehörige der Streitkräfte, Führungspersonal der Massenmedien und Politiker der Opposition.“

Der Leitartikel der New York Times beruhigte die Putschisten sicherlich: „Mit dem gestrigen Rücktritt des Präsidenten Hugo Chávez ist die venezolanische Demokratie nicht mehr durch einen anmaßenden Diktator bedroht.“ Und die Chicago Tribune jauchzte voller Freude am Sonntag, 14. April, dass „es nicht oft vorkommt, dass eine Demokratie Nutzen zieht aus einem militärischen Eingreifen, das einen gewählten Präsidenten aus dem Amt treibt“. Weniger als acht Stunden nach dem Putsch gab die angesehene Ratingagentur Merrill Lynch ihrerseits ein Kommuniqué mit dem Titel „Profitieren vom Übergang“ heraus, in dem sie feststellte, dass sich das Panorama für Investitionen in Venezuela verbessert habe.

Diejenigen, die den Putsch durchführten, waren der Ansicht, dass alle Voraussetzungen gegeben waren, den Chavismus zu zerschmettern. Und so kam es, dass sie am Freitagnachmittag des 12. April den sogenannten „Verfassungsakt der Regierung des demokratischen Übergangs und der nationalen Einheit“ unterzeichneten, um Pedro Carmona, Präsident der Fedecámaras, zum neuen Präsidenten Venezuelas zu ernennen. Dieser löste sofort die Nationalversammlung auf und setzte die in einer Volksabstimmung angenommene Verfassung außer Kraft. Am 13. April titelte das Oppositionsblatt 2001: „Es lebe die Freiheit“. Der Putsch war gelungen.

Aber die Putschisten hatten einen fundamentalen Faktor außer acht gelassen: die Unterstützung des Volkes für Chávez. Tausende gingen nach einem von den alternativen und kommunitären Radios verbreiteten Aufruf in zahlreichen Städten auf die Straße, um den Präsidenten zu verteidigen, und am Freitag, 12. April, wurde in der Nacht in den Armenvierteln kräftig auf die Kochtöpfe geschlagen. Am Sonnabend, 13. April, informierten bereits verschiedene internationale Medien, dass Chávez nicht zurückgetreten, sondern festgesetzt worden war. Nach Stunden der Ungewissheit in den eigenen Reihen derjenigen, die Carmona zum Präsidenten ausgerufen hatten, und angesichts anhaltender Demonstrationen für Chávez, wurde selbst Carmona bewusst, dass er nicht die Macht haben würde, um an der Regierung zu bleiben, und er trat zurück. Im Morgengrauen des Sonntag, 14. April, kehrte Chávez in den Miraflorespalast zurück, während die Massen um ihn herum „Er ist zurück, er ist zurück“ skandierten.

Zum ersten Mal in der Geschichte Lateinamerikas und der Karibik scheiterte ein zivil-militärischer Staatsstreich. Vielleicht besteht die wichtigste Lehre für jedwede Regierung, die von sich sagt, „volksnah“ zu sein, und sich zum Ziel setzt, die Interessen der Mächtigsten anzutasten, darin, dass die Mobilisierung des Volkes der Schlüssel ist, sich an der Macht zu halten.

#Bild: Chávez bei seiner Rückkehr in den Präsidentenpalast Miraflores am 13. April 2002. QUELLE:ERNESTO MORGADO

Quelle: amerika21.de… vom 21. April 2022

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