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Die wirtschaftliche und geostrategische Bedeutung der Schwarzmeerregion

Eingereicht on 27. Juni 2022 – 9:58

Clara Weiss. Der imperialistische Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine ist das Ergebnis jahrzehntelanger Bestrebungen der imperialistischen Mächte, die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion unter ihre direkte Kontrolle zu bringen. Er stellt ein qualitativ neues Stadium in der Entstehung eines neuen weltweiten Kampfs zwischen den imperialistischen Mächten um die Neuaufteilung der Rohstoffe des Globus dar.

In ihrer jüngsten Analyse der Rolle kritischer Mineralien für die geostrategischen und wirtschaftlichen Ziele hinter den imperialistischen Bestrebungen, Russland durch einen Krieg zu unterwerfen, stellte die World Socialist Web Site fest:

Die Aufteilung Russlands und seine Unterwerfung durch das amerikanische Kapital würde die amerikanische herrschende Klasse in die Lage versetzen, ein „neues amerikanisches Jahrhundert“ durchzusetzen und China und Eurasien ihren Zielen zu unterwerfen. Rohstoffe spielen dabei eine wichtige Rolle. Angesichts des anhaltenden Bedarfs nach Öl und Erdgas sowie der rapide zunehmenden Nachfrage nach kritischen Mineralien gilt Russland dabei als wichtige Landmasse mit einer immensen Fülle von Reichtümern.

Wenn der Krieg gegen Russland der Vorbereitung des Kriegs gegen China dient, dann soll die Kontrolle über das Schwarze Meer die Aufteilung Russlands vorbereiten. Dieser Artikel wird die entscheidende geostrategische und wirtschaftliche Bedeutung der Schwarzmeerregion erklären, in der sich der Krieg abspielt.

Die geostrategische Bedeutung der Schwarzmeerregion

Der direkte Zugang zu den Rohstoffen der ehemaligen Sowjetunion, der den imperialistischen Mächten seit der Oktoberrevolution von 1917 siebzig Jahre lang verwehrt war, ist für die imperialistischen Mächte seit Jahrzehnten ein wichtiges Ziel. In diesem Zusammenhang ist die Schwarzmeerregion, welche Ost- und Südosteuropa, Russland, den Kaukasus und den Nahen Osten miteinander verbindet, von strategischer Bedeutung

Das Schwarze Meer bildet eine Brücke zwischen Europa, dem Kaukasus und Zentralasien. (Google Maps) [Photo by Google Maps]

Für den US-Imperialismus, der sich bereits in einem langwierigen wirtschaftlichen und politischen Niedergang befand, war die Auflösung der Sowjetunion und die Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie ein Geschenk des Himmels. Trunken vor Siegestaumel rief die herrschende Klasse der USA 1991 den „unipolaren Moment“ aus. Im Jahr 1992 wurde in einem Strategiedokument des Pentagon festgestellt, dass sich die US-Strategie „jetzt wieder darauf konzentrieren muss, die Entstehung eines potenziellen künftigen globalen Konkurrenten zu verhindern“.

Zbigniew Brzezinski, im letzten halben Jahrhundert einer der einflussreichsten außenpolitischen Berater Washingtons, schilderte in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ (The Grand Chessboard) die zentrale Bedeutung der Landmasse Europas und Asiens (von Geostrategen „Eurasien“ genannt) für die verzweifelten Versuche der USA, ihre globale Hegemonie zu erhalten.

Zbigniew Brzezinski

Innerhalb Eurasiens identifizierte Brzezinski den „eurasischen Balkan“ als die Region, in der die großen Konflikte um die Kontrolle über ganz Eurasien stattfinden würden. Er schrieb, diese Region erstrecke sich „von der Krim im Schwarzen Meer direkt ostwärts, entlang der neuen Südgrenze zu Russland, bis zur chinesischen Provinz Xinjiang, dann hinunter zum Indischen Ozean und von dort nach Westen zum Roten Meer, dann nach Norden zum östlichen Mittelmeer und wieder zurück zur Krim“.

Weiter erklärte er, fast alle 25 Staaten in dieser Region seien „in ethnischer wie religiöser Hinsicht heterogen, und praktisch keiner von ihnen [ist] politisch stabil (…) Diese riesige Region, die von unberechenbarem Hass zerrissen und von mächtigen konkurrierenden Nachbarn umgeben ist, wird vermutlich ein wichtiges Schlachtfeld für Kriege zwischen Nationalstaaten als auch, was noch wahrscheinlicher ist, für langwierige ethnische und religiöse Gewalt werden.“

Der „eurasische Balkan“, laut Zbigniew Brzezinski. Karte aus seinem Buch „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“
(Foto von Zbigniew Brzezinski) [Photo by Zbigniew Brzeziński ]

Brzezinskis Buch war weniger eine „Vorhersage“ als vielmehr eine Darstellung der grundlegenden strategischen Ziele und Überlegungen des US-Imperialismus. Tatsächlich wurde das Gebiet, das er „eurasischer Balkan“ nannte, von den USA in den letzten Jahrzehnten durch eine Mischung aus Luftkriegen und Überfällen und dem systematischen Schüren von Bürgerkriegen und ethnischen Konflikten völlig verändert.

Angefangen mit der US-Invasion in den Irak 1991, dem Einmarsch in Afghanistan 2001 und der zweiten Invasion in den Irak 2003 gehörten zu diesen Bestrebungen auch umfangreiche Interventionen des Imperialismus durch Drohnen und andere Formen der Kriegsführung in Pakistan und vielen weiteren Ländern. In den 1990ern schürten die USA und Deutschland außerdem ethnische Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, die 1999 in der brutalen Nato-Bombardierung Serbiens gipfelten.

Das westliche Ende dieses „eurasischen Balkans“, die Schwarzmeerregion, bildete den Mittelpunkt sowohl der Nato-Erweiterung als auch mehrerer von Washington organisierter Putschversuche. Bis die stalinistischen Bürokratien von 1989–1991 den Kapitalismus in der Sowjetunion und ganz Osteuropa wiederherstellten, befand sich die Schwarzmeerregion größtenteils außerhalb der direkten Kontrolle des Imperialismus. Nur ein Anrainerstaat des Schwarzen Meers, die Türkei, war Mitglied der Nato.

Mit der Zerstörung der Sowjetunion 1991 änderte sich das völlig. Heute, nach 30 Jahren Nato-Osterweiterung, sind alle Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres, außer Russland selbst, entweder Nato-Mitglieder (Türkei, Rumänien und Bulgarien), oder sie wurden nach massiven Eingriffen des US-Imperialismus in ihre Politik (Ukraine, Georgien) bis auf den Namen weitgehend in das Bündnis integriert.

Neben der Nato-Erweiterung zum Schwarzen Meer und an die Ostsee waren auch die „Farbrevolutionen“ von 2003 und 2004–2005 in Georgien und der Ukraine Teil dieser Strategie. Bei diesen „Revolutionen“ handelte es sich um Putsche, die die USA finanzierten, und bei denen sie das privilegierte Kleinbürgertum und Teile der Oligarchie für ihre Zwecke einspannten.

Im Jahr 2008 provozierte Georgien mit Unterstützung Washingtons einen Krieg mit Russland um die beiden abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien an der Ostküste des Schwarzen Meeres.

Der Höhepunkt dieser Operationen war der Putsch in Kiew im Jahr 2014, der von Deutschland und den USA massiv finanziert und von rechtsextremen Milizen wie dem Rechten Sektor und einem Teil der ukrainischen Oligarchie durchgeführt wurde. Der damalige Führer war der „Schokoladen-Oligarch“ Petro Poroschenko.

Osterweiterungen der Nato seit 1949 (Patrickneil/CC BY-NC-SA 4.0) [Photo by Patrickneil / CC BY-NC-SA 4.0]

Osterweiterungen der Nato seit 1949 (Patrickneil/CC BY-NC-SA 4.0) [Photo by Patrickneil / CC BY-NC-SA 4.0]

Diese offenkundigen Schritte zur Einkreisung Russlands, haben im Kreml die Befürchtung ausgelöst, das Schwarze Meer könnte zu einem „See der Nato“ werden. Tatsächlich ist dies vor allem Washingtons Ziel. Die USA sind sich der militärischen und wirtschaftlichen Konsequenzen bewusst, die eine vollständige Kontrolle der Nato über das Schwarze Meer für Russland haben würde.

Die militärische Bedeutung der Schwarzmeerregion im Konflikt mit Russland

Ben Hodges, ein ehemaliger Offizier der US Army und früherer kommandierender General der United States Army Europe, erklärte vor kurzem ganz offen, dass die USA in diesem Stellvertreterkrieg das Ziel verfolgen, „endlich Russlands Fähigkeit zu brechen, außerhalb Russlands Macht auszuüben und Georgien, Moldau oder unsere baltischen Verbündeten zu bedrohen“.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Position des Kreml in der Schwarzmeerregion zu schwächen.

Alton Buland, der Direktor für Europapolitik im US-Verteidigungsministerium, beschrieb das Schwarze Meer als „Russlands geostrategisches Gravitationszentrum“ und als sein „Tor zum Süden, Tor zum Nahen Osten [und]… Tor nach Asien“.

Russland hat nur über das Schwarze Meer und die Meerenge des Bosporus Zugang zum Mittelmeer. Der ist jedoch äußerst unsicher, da der Bosporus und die Dardanellen vom Nato-Mitgliedsstaat Türkei kontrolliert werden, zu dem Russland ein sehr angespanntes Verhältnis hat. (So war im Ersten Weltkrieg die Kontrolle über den Bosporus ein wichtiges Ziel im Kampf des Russischen Zarenreichs gegen das Osmanische Reich.)

Die Meerengen Bosporus (rot) und Dardanellen (gelb) (User:Ineriot/CC BY-NC-SA 4.0) 
[Photo by User:Ineriot / CC BY-NC-SA 4.0]

Die Nähe der Schwarzmeerstaaten zu Russland bedeutet außerdem, dass große Teile des europäischen Russlands, wo der Großteil der Bevölkerung des Landes lebt, sehr leicht zum Ziel amerikanischer see- und landgestützter Mittelstreckenraketen werden können. Diese könnten in der Ukraine oder einem anderen Nato-Staat in der Region, wie Rumänien oder Bulgarien, stationiert sein.

In diesem Zusammenhang hat Russland seiner Position im Schwarzen Meer eine hohe militärische Priorität eingeräumt, vor allem in den letzten zehn Jahren. Von den sechs Militärstützpunkten, die Russland nach 1991 in der ehemaligen Sowjetunion beibehalten hat, befinden sich drei am Schwarzen Meer, darunter der Hafen der Schwarzmeerflotte auf der Krim, die Russland 2014 nach dem vom Westen orchestrierten Putsch in Kiew annektierte. Im Jahr 2019 stellte das US Naval War College fest, dass die Annektierung der Krim es Russland ermöglicht habe, seine „maritime Vorherrschaft im Schwarzen Meer“ wiederherzustellen.

Russlands Militärstützpunkt auf der Krim ist nicht nur im Konflikt mit der Ukraine von entscheidender Bedeutung. Von hier aus kontrolliert der Kreml auch seine Militäroperationen in Syrien, wo seit 2011 ein Bürgerkrieg und faktischer Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland tobt. Während Russland hinter dem Assad-Regime steht, unterstützen die USA die islamistische Opposition.

Wenn Russland vom Schwarzen Meer und damit dem Mittelmeer abgeschnitten würde, würde sich auch seine Position im Nahen Osten und Nordafrika deutlich verschlechtern. Dort hat Russland noch immer beträchtliche wirtschaftliche und militärische Interessen, vor allem in Libyen, das durch den Nato-Angriff im Jahr 2011 in einen Bürgerkrieg gestürzt wurde.

Die Meerengen Bosporus (rot) und Dardanellen (gelb) (User:Ineriot/CC BY-NC-SA 4.0) [Photo by User:Ineriot / CC BY-NC-SA 4.0]

Die Nähe der Schwarzmeerstaaten zu Russland bedeutet außerdem, dass große Teile des europäischen Russlands, wo der Großteil der Bevölkerung des Landes lebt, sehr leicht zum Ziel amerikanischer see- und landgestützter Mittelstreckenraketen werden können. Diese könnten in der Ukraine oder einem anderen Nato-Staat in der Region, wie Rumänien oder Bulgarien, stationiert sein.

In diesem Zusammenhang hat Russland seiner Position im Schwarzen Meer eine hohe militärische Priorität eingeräumt, vor allem in den letzten zehn Jahren. Von den sechs Militärstützpunkten, die Russland nach 1991 in der ehemaligen Sowjetunion beibehalten hat, befinden sich drei am Schwarzen Meer, darunter der Hafen der Schwarzmeerflotte auf der Krim, die Russland 2014 nach dem vom Westen orchestrierten Putsch in Kiew annektierte. Im Jahr 2019 stellte das US Naval War College fest, dass die Annektierung der Krim es Russland ermöglicht habe, seine „maritime Vorherrschaft im Schwarzen Meer“ wiederherzustellen.

Russlands Militärstützpunkt auf der Krim ist nicht nur im Konflikt mit der Ukraine von entscheidender Bedeutung. Von hier aus kontrolliert der Kreml auch seine Militäroperationen in Syrien, wo seit 2011 ein Bürgerkrieg und faktischer Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland tobt. Während Russland hinter dem Assad-Regime steht, unterstützen die USA die islamistische Opposition.

Wenn Russland vom Schwarzen Meer und damit dem Mittelmeer abgeschnitten würde, würde sich auch seine Position im Nahen Osten und Nordafrika deutlich verschlechtern. Dort hat Russland noch immer beträchtliche wirtschaftliche und militärische Interessen, vor allem in Libyen, das durch den Nato-Angriff im Jahr 2011 in einen Bürgerkrieg gestürzt wurde.

Karte der Schwarzmeerregion (Norman Einstein/CC BY-NC-SA 4.0) [Photo by Norman Einstein / CC BY-NC-SA 4.0]

Da sich die Nato der geostrategischen und militärischen Bedeutung des Schwarzen Meeres für Russland sehr wohl bewusst ist, hat sie in den letzten Jahren mehrere Provokationen inszeniert, einige davon unmittelbar vor der russischen Invasion.

Dazu gehörten die massive Marineübung Sea Breeze im Schwarzen Meer im Jahr 2021, an der eine Rekordzahl von 32 Staaten, 5.000 Soldaten, 32 Schiffen und 40 Flugzeugen teilnahmen. Es kam auch mehrmals zu Provokationen, u.a. schickte Großbritannien im Juni 2021 ein Kriegsschiff in die von Russland beanspruchten Gewässer vor der Krim, woraufhin die russische Armee eine Bombe vor dem Zerstörer abwarf. Im Frühjahr und Herbst 2021 schickten die USA zudem provokativ mehrere Kriegsschiffe ins Schwarze Meer, obwohl sie wussten, dass Moskau dies als „rote Linie“ im Hinblick auf seine nationalen Sicherheitsinteressen betrachtete. Im Februar 2022 hatte die Nato 18 Kriegsschiffe im Schwarzen Meer stationiert.

Letzten Monat rief Großbritannien zu einer Nato-geführten Marineintervention im Schwarzen Meer gegen Russland auf, um unter dem Deckmantel einer „humanitären Mission Frachter mit ukrainischem Weizen zu schützen“ und eine globale Hungerkrise abzuwenden. Ankara hat jedoch seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine die Dardanellen und den Bosporus, die Meerenge zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer, für russische und Nato-Kriegsschiffe gesperrt.

Griechenland grenzt zwar nicht direkt an das Schwarze Meer, spielt als Nato-Mitglied jedoch seit einigen Jahren eine zunehmend zentrale Rolle in den Plänen der USA und der Nato für die Schwarzmeerregion. Die USA haben die griechische Hafenstadt Alexandroupoli an der nördlichen Ägäis zu einer wichtigen Militärbasis ausgebaut. Seit Ankara die Meerengen gesperrt hat, wird die Stadt für Militärlieferungen an die Ukraine im Nato-Krieg gegen Russland benutzt.

„Getreide, Ölsaaten und Mineralöle“:

Pipelines und die wirtschaftlichen Ressourcen der Schwarzmeerregion

Die Schwarzmeerregion war in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts ein zentraler Schauplatz. Insbesondere der deutsche Imperialismus hat versucht, die Region, und vor allem die Ukraine, unter seine direkte Kontrolle zu bringen. Der Historiker Christian Gerlach wies auf die Parallelen zwischen den deutschen Kriegszielen in beiden Weltkriegen hin. Er schrieb, dass die Besatzungspolitik der Nazis in der damaligen Sowjetunion – die mindestens 27 Millionen Tote forderte – sich auf die Ausbeutung von einigen wenigen Materialien konzentrierte: „Getreide, Ölsaaten und Mineralöl.“ (Christian Gerlach: „Krieg, Ernährung, Völkermord. Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg“, Zürich 2001, S. 14)

Die heutige Kriegspolitik des US-amerikanischen und deutschen Imperialismus, die im Grunde auf eine erneute Unterjochung der gesamten Region und ihre Verwandlung in ein koloniales Anhängsel der imperialistischen Mächte abzielt, steht in dieser Tradition.

Landwirtschaft

Die Lebensmittelkrise, die der Krieg ausgelöst hat, verdeutlicht die zentrale Bedeutung der Schwarzmeerregion für den globalen Getreidemarkt. Tatsächlich gelten die Region, und vor allem Russland und die Ukraine, nicht nur als „Kornkammer“ Europas sondern eines Großteils von Afrika und dem Nahen Osten.

Die wichtigsten Exportgüter der Ukraine stammen alle aus der Agrarindustrie. Ab dem Jahr 2020 standen an oberster Stelle Ölsaaten (10,1 Prozent der Exporte im Wert von 5,32 Milliarden Dollar), gefolgt von Mais (9,29 Prozent bzw. 4,89 Milliarden Dollar) und Weizen (8,76 Prozent oder 4,61 Milliarden Dollar).

Russland war im Jahr 2021 der weltweit führende Exporteur von Weizen; daneben entfallen auf das Land auch 2,3 Prozent des weltweiten Maismarkts. Zusammen mit der Ukraine ist Russland führender Produzent und Exporteur von Sonnenblumenöl und Gerste. Rumänien ist ebenfalls ein wichtiger Agrarproduzent. Seit 2021 ist es der größte Mais- und Sonnenblumenproduzent Europas und einer der fünf größten Produzenten von Weizen und Sojabohnen in der EU.

Die Kontrolle über diese Rohstoffe verspricht immense Profite, vor allem in Zeiten von Lebensmittelkrisen, in denen die Agrarkonzerne mit den Maispreisen massive Spekulationen betreiben. Der globale Lebensmittelkonzern Cargill, eines der größten Unternehmen der Welt und eines von vier Unternehmen, die mehr als 70 Prozent des weltweiten Agrarmarktes kontrollieren, konnte alleine im letzten Jahr bei 134 Milliarden Dollar Umsatz fünf Milliarden Dollar Gewinn erzielen. Das Gesamtvermögen der Familie Cargill stieg während der Pandemie im Durchschnitt um 120 Millionen Dollar pro Tag und wird angesichts der Rekordpreise für Lebensmittel noch deutlich weiter wachsen.

Gas und Öl

Abgesehen von ihren immensen landwirtschaftlichen Ressourcen und Rohstoffen ist die Schwarzmeerregion auch von entscheidender Bedeutung für Russlands Ölexporte und den Transport der Öl- und Gasreserven aus dem Kaukasus und Zentralasien.

Die Washingtoner Denkfabrik Carnegie Foundation erklärte in einer Analyse aus dem Jahr 2021: „Das Schwarze Meer ist eine wichtige Handels- und Verkehrsader für Russland. Sowohl Russland als auch die zentralasiatischen Staaten sind für den Export von Getreide und Öl per Schiff sehr stark vom russischen Hafen Noworossijsk abhängig.“

Russland ist keineswegs eine „imperialistische“ Macht, sondern faktisch vor allem ein Rohstofflieferant für die Weltwirtschaft. Öl und Gas sowie Kohle und andere Mineralien gehören zu den wichtigsten Exportgütern Russlands. Rohöl und raffiniertes Öl machen zusammen 37 Prozent (oder 74,4 Milliarden Dollar) der russischen Exporte aus, gefolgt von Erdgas (sechs Prozent der Exporte im Wert von fast 20 Milliarden Dollar), Gold (5,67 Prozent im Wert von 18,7 Milliarden Dollar), Kohle (4,4 Prozent bzw. 14,5 Milliarden Dollar), Platin (3,2 Prozent bzw. 10,5 Milliarden Dollar) und Weizen.

Der Hafen Noworossijsk an der russischen Schwarzmeerküste ist der größte Hafen des Landes und sein drittwichtigster Knotenpunkt für den Export von Rohöl. Laut der EIA (dem US-Amt für Energiestatistik) gingen im Jahr 2020 täglich 459.000 Barrel Öl durch diesen Hafen.

Angesichts seiner extrem hohen Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten wäre die Sperrung des Zugangs zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer für Russland in wirtschaftlicher Hinsicht gleichbedeutend damit, ihm „das Rückgrat zu brechen“.

Auch ist das Schwarze Meer genauso wichtig für den Zugang zu den Rohstoffen Zentralasiens und des Kaukasus.

Nach der Zerstörung der Sowjetunion strömten die Vorstände der Energiekonzerne in die Region, um mit den ehemaligen stalinistischen Bürokraten, die sich in Oligarchen verwandelt hatten, lukrative Verträge auszuhandeln und Zugang zu diesen Rohstoffen zu erhalten. Wie die World Socialist Web Site im Jahr 1999 erklärte, war ein zentrales Ziel der in den 1990er Jahren vom Imperialismus angezettelten Kriege auf dem Balkan der Zugang zum Kaspischen Meer. Dieses liegt direkt östlich vom Schwarzen Meer und beherbergt vermutlich die weltweit größten unerschlossenen Öl- und Gasreserven: zwischen 17 und 33 Milliarden Barrel Öl und 232 Billionen Kubikmeter Gas.

Da das Kaspische Meer ein Binnengewässer ist, wurde die Pipeline-Infrastruktur zu einer zentralen Frage bei der Kontrolle über diese Rohstoffe. Russlands Pipelines stellen zwar nicht mehr die einzige Zugangsmöglichkeit zu diesen Rohstoffen dar, sind aber noch heute von zentraler Bedeutung und verlaufen allesamt durch das Schwarze Meer. So transportiert die kaspische Pipeline, die von einem multinationalen Konsortium aus russischen Staatsunternehmen und dem US-Energiekonzern Chevron betrieben wird, Öl von den Ölfeldern in Kasachstan sowie den russischen Ölfeldern in der kaspischen Region zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Von dort aus wird es in die ganze Welt verschifft.

In den vergangenen 20 Jahren haben die USA und die EU das Ende mehrerer Pipeline-Projekte durchgesetzt, die durch das Schwarze Meer verlaufen wären und die Ukraine umgangen hätten. Sie verfolgen auch Konkurrenzprojekte, die eine direkte Verbindung zwischen der EU und den Gas- und Ölfeldern der kaspischen Region und Zentralasiens herstellen sollen.

So setzten die USA den Bau der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (auch bekannt als BTC-Pipeline) durch, die unter Umgehung Russlands Öl von Aserbaidschan über Georgien in die Türkei liefert. Die Pipeline war ein wichtiger Faktor bei den Operationen der USA in Georgien, wo Washington im Jahr 2003 einen Putsch finanzierte und einen Krieg gegen Russland unterstützte.

Diese Pipeline-Kriege haben auch dazu geführt, dass rivalisierende, von Russland unterstützte Projekte torpediert wurden. Abgesehen von den russisch-deutschen Nord-Stream-Pipelines war das größte davon das 50 Milliarden Dollar teure South Stream-Pipelineprojekt. Durch diese Pipeline sollte russisches Gas von der Schwarzmeerküste durch Bulgarien, Serbien und Ungarn über eine Route nach Österreich befördert werden, und auf einer anderen über Griechenland nach Italien. Mit einer jährlichen Kapazität von 63 Milliarden Kubikmetern hätte die Pipeline ein Zehntel des gesamten damaligen europäischen Gasbedarfs abgedeckt. Der Kreml war gezwungen, das Projekt unmittelbar nach dem Putsch in der Ukraine 2014 abzubrechen.

Die wichtigsten russischen Gaspipelines nach Europa. South Stream konnte aufgrund des Widerstands der EU nie fertiggestellt werden.
(Samuel Baily/CC BY 4.0) [Photo by Samuel Bailey / CC BY 4.0]

Mit diesen Pipeline-Kriegen werden drei wichtige Ziele verfolgt:

Erstens versuchen die imperialistischen Mächte, die direkte Kontrolle über die immensen Rohstoffe der ehemaligen Sowjetunion zu bekommen. Aber neben Russland wollen sie auch China, das sein wirtschaftliches Engagement in der Region beträchtlich ausgeweitet hat, daran hindern, sie zu kontrollieren.

Zweitens wollen sie die russische Wirtschaft – und damit auch das Putin-Regime – schwächen, die stark von Öl- und Gasexporten abhängig ist.

Drittens sollen sie den imperialistischen Mächten, vor allem den USA, einen geostrategischen Vorteil im Konkurrenzkampf der Öl- und Gaskonzerne um Marktanteile verschaffen.

Die USA waren einmal der weltweit größte Nettoimporteur von Gas, sind aber durch die Förderung von Schiefergas zu einem wichtigen Gasexporteur geworden und konkurrieren heute direkt mit Russland um den europäischen Markt. Im Januar 2022, kurz vor der russischen Invasion in die Ukraine, überstiegen die US-Exporte von Flüssiggas (LNG) nach Europa erstmals die Lieferungen durch russische Pipelines. Als Reaktion auf den Beginn des Ukraine-Kriegs brach Deutschland das russisch-deutsche Gaspipelineprojekt Nord Stream 2 fast sofort ab, während das Weiße Haus eine Erhöhung seiner LNG-Lieferungen nach Europa von 22 Milliarden Kubikmeter auf 37 Milliarden Kubikmeter ankündigte.

Die fünf Länder der Welt mit den größten jährlichen Nettoeinfuhren von Erdgas. Aufgrund der „Schiefergasrevolution“ haben
die USA ihre Importe ab 2008 drastisch reduziert und sind seitdem zu einem wichtigen Exporteur von LNG geworden.
(Plazak/CC BY-NC-SA 4.0) [Photo by Plazak / CC BY-NC-SA 4.0]

Die Gewinne der US-Schiefergaskonzerne sind im ersten Quartal dieses Jahres bereits um ein Vielfaches gestiegen: Die Gewinne von Pioneer Natural Resources haben sich mehr als verfünffacht, die von Continental Resources mehr als verdreifacht.

Der Konflikt mit China in der Schwarzmeerregion

Während Russland das Hauptziel der imperialistischen Intervention in der Schwarzmeerregion war, ist auch die Rivalität mit China in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Anliegen der USA und der EU in der Schwarzmeerregion geworden.

Für China ist die Region die einfachste und schnellste Verbindung zwischen Ostasien und Europa. Die Initiative Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI), die ursprünglich als 40-Milliarden-Dollar-Infrastrukturprojekt geplant war, soll durch den Kaukasus und Osteuropa verlaufen, u.a. durch Aserbaidschan, die Ukraine, Georgien und die Türkei. Obwohl es bei dem Projekt in den letzten Jahren nur sehr geringe Fortschritte gab, hat China bedeutende Wirtschaftsbeziehungen mit vielen Ländern in der Region angeknüpft, vor allem mit der Ukraine, die sich seit 2017 an der BRI beteiligt.

Im Jahr 2019 wurde China der wichtigste Handelspartner der Ukraine und verdrängte Russland auf den zweiten Platz. Die Ukraine ist außerdem Chinas zweitgrößter Lieferant von Getreide und Waffen geworden. Anfang 2021 erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj, er hoffe, dass sein Land zu „einer Brücke für chinesische Unternehmen nach Europa“ werde.

Die wachsende Rolle Chinas in der Ukraine ist jedoch vor allem den USA ein Dorn im Auge, und Washington versucht durch umfangreiche Interventionen, die zunehmende wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und China zu untergraben. Im Frühling 2021, als die USA Kiews Provokationen gegen Russland im Schwarzen Meer unterstützten, trat die ukrainische Regierung auf Druck der USA in letzter Minute von einem milliardenschweren Deal zurück, der China erlaubt hätte, das ukrainische Unternehmen Motor Sitsch zu übernehmen, das zu den weltweit größten Herstellern von Flugzeug- und Hubschraubermotoren gehört. Die Kosten für die ukrainische Regierung waren beträchtlich.

Doch auch die EU betrachtet den wachsenden Einfluss Chinas in der Region als Gefahr für ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen, die die europäischen Mächte zunehmend unabhängig von Washington wahrnehmen wollen.

Die EU-Denkfabrik Global Security schrieb vor kurzem in einer Analyse:

„Die USA sind in der [Schwarzmeer-]Region aktiv, um den geopolitischen und energiepolitischen Interessen Russlands entgegenzuwirken und den zunehmenden Einfluss Chinas, seiner BRI und der chinesischen Digitalen Seidenstraße durch Entwicklungshilfe, Militärhilfe und die Unterstützung der Drei-Meeres-Initiative (3SI) und des Clean Network zu begrenzen. In Konkurrenz zu den russischen Energieinteressen (insbesondere Nord Stream 2) versuchen die USA auch, einen Markt für ihre Energieexporte zu finden.

Die EU will einen dritten Raum zwischen China und den USA schaffen, damit sie unabhängig agieren kann. Sie arbeitet relativ autonom und durch vielseitige politische Initiativen und Partnerschaften daran, ihre strategische Autonomie zu verwirklichen.“

Schlussfolgerungen

Wie schon in den beiden letzten Weltkriegen ist die Schwarzmeerregion auch heute zu einem der wichtigsten Schlachtfelder zwischen den verschiedenen kapitalistischen Staaten geworden. Die imperialistischen Mächte sind entschlossen, den Einfluss Russlands und Chinas zu untergraben, während sie gleichzeitig untereinander um die Vorherrschaft über die Region konkurrieren.

Ein Ausdruck dieser rivalisierenden Bestrebungen war die Wiederbelebung des so genannten „Intermariums“ („zwischen den Meeren“) einem Bündnis osteuropäischer Staaten von der Ostsee über das Schwarze Meer bis hin zur Adria. Unter Trump neigte Washington zu einer ausdrücklichen Unterstützung dieses Bündnisses, das die polnische Regierung und die rechtsextreme Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) seit langem forcieren.

Das Intermarium wurde ursprünglich von dem polnischen Diktator Józef Piłsudski entwickelt, der Polen zwischen den Weltkriegen zu einem Bollwerk des Imperialismus in der Region aufbaute. Das Intermarium richtete sich hauptsächlich gegen die UdSSR und den Einfluss der russischen Revolution auf die Massen in Osteuropa. Es schloss Bündnisse mit rechten antikommunistischen Kräften in der ganzen Region und Exilanten aus der ehemaligen Sowjetunion. Sein Ziel war es, nationalistische Kräfte in der Sowjetunion zu mobilisieren, um diese von innen heraus zu destabilisieren und den Weg für eine Wiedereinführung des Kapitalismus zu ebnen.

Piłsudskis Konzept eines Intermariums nach dem Ersten Weltkrieg: Es erstreckt sich von der Ostsee im Norden bis zum Mittelmeer und dem Schwarzen Meer im Süden. In Hellgrün die Teile der ukrainischen und belarussischen Gebiete, die 1922 in die Sowjetunion eingegliedert wurden (GalaxMaps/CC BY-NC-SA 4.0) [Photo by GalaxMaps / CC BY-NC-SA 4.0]

Heute ist dieses Bündnis unter der Schirmherrschaft der EU und der Nato als „Drei-Meere-Initiative“ wiederbelebt worden. Genau wie das Intermarium in der Zwischenkriegszeit ist auch diese Initiative abhängig von der Unterstützung der imperialistischen Großmächte und rechtsextremer nationalistischer Kräfte. In Osteuropa wird sie von rechtsextremen Kräften wie der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und dem neofaschistischen Asow-Bataillon in der Ukraine unterstützt.

Zwar richtet sich dieses Bündnis heute hauptsächlich gegen den Einfluss Chinas und Russlands. Allerdings wollen Washington und Warschau damit auch die bedeutende Position des deutschen Imperialismus in Osteuropa untergraben. Berlin, die dominante imperialistische Macht der EU, ist bezeichnenderweise nicht Mitglied. Aus Angst, an den Rand gedrängt zu werden, hat die Bundesregierung jedoch vor kurzem versucht, trotz des deutlichen Widerstands Polens bessere Beziehungen zur Drei-Meere-Initiative aufzubauen.

Unabhängig von diesen wechselnden Allianzen treibt die Krise des Weltkapitalismus die imperialistischen Mächte auf einen neuen globalen Flächenbrand zu. Der imperialistische Stellvertreterkrieg in der Ukraine, faktisch eine Konfrontation zwischen den weltweit größten Atommächten, wäre nur das erste Kapitel in einem solchen Konflikt. Doch die internationale Arbeiterklasse hat noch ein Wörtchen mitzureden.

Wie Leo Trotzki betonte, folgen Marxisten nicht der Kriegskarte, sondern der Karte des Klassenkampfs. Die einzige „Lösung“, die die heutigen Regierungen für die Krise des Kapitalismus haben, sind katastrophale Kriege. Im Gegensatz dazu muss die Arbeiterklasse ihre Antwort auf diese Krise durch einen internationalen Klassenkampf auf sozialistischer Grundlage entwickeln, indem sie dafür kämpft, dem Kapitalismus und dem überholten nationalstaatlichen System – der Ursache des Kriegs – ein Ende zu setzen.

Quelle: wsws.org… vom 27. Juni 2022

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