Italien, die zahnlose Linke und Meloni: USA über alles!
Sergio Bologna. Lasst uns eine schöne Oppositionsbewegung aufbauen, wir gründen die »Linke« neu!
Dokumente und Appelle werden verfasst, die Rechte, ihre Programme und ihre Aufrufe aufs Genaueste untersucht – all das kostet wenig Mühe. Man macht Umzüge, Kundgebungen, Sit-ins. Opposition machen ist bequem, befriedigend, man wird wieder jung. Aber das ist es nicht, was es braucht, um die Dinge wirklich zu ändern.
Um die Dinge zu ändern, ist es nötig, das Vertrauen der Arbeiter zurückzugewinnen, der unteren Mittelschicht, der Prekären, der Arbeitslosen; man muss sich in ihre Welten, ihre Umgebung begeben, nicht mit Versprechungen, sondern mit Aktionen, die etwas bringen, um Nähe, Solidarität, Diskussion und Erneuerung zu schaffen. Eine harte, kontinuierliche, dunkle Arbeit, die einem niemand dankt, und die Jahre braucht, bevor sie Resultate liefert; eine Arbeit, die viel zu wenige weitergemacht haben – und dann oft Händchen haltend mit der katholischen Nächstenliebe. Viele dieser Leute haben nicht gewählt. Aber das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, anstatt den Transgender hinterherzulaufen. Eine Linke gibt es nur auf einer Klassenbasis, niemals auf biologischen Grundlagen.
Bringt Antifaschismus heute etwas? Bis zu einem gewissen Punkt. Meloni bewegt sich in internationalen Kreisen, die von denen kontrolliert werden, die die EU zerstören wollen, die Krieg wollen, die die USA als herrschende Macht wollen. Meloni stellt sich an die Seite von Liz Truss, die den Platz von Boris Johnson eingenommen hat, von CDU-Chef Friedrich Merz, der Merkel in ihrer Partei verdrängt hat. Meloni ist nicht Orban, hämmert euch das in den Schädel! Sie ist von der neuen atlantischen Doktrin angeheuert worden. Draghi wird respektiert, aber er hat weder eine Partei noch eine Bewegung im Rücken, politisch zählt er nichts, er hat keine Gefolgschaft. Meloni hat eine – wenn auch ziemlich kaputte – Partei, und sie hat Gefolgschaft. Deshalb lieber Meloni (Gott, Vaterland, Familie) als Draghi. Und dann hat er ja auch noch den Euro gerettet, für die neuen Falken ein Makel.
Meloni hat wenig mit Faschismus zu tun. Er ist ihre Schminke, nicht ihre Substanz. Der wirkliche Kapitalismus von heute ist nicht faschistisch, er ist »nachhaltig« (»Wir fokussieren uns auf die Nachhaltigkeit, nicht weil wir Umweltschützer sind, sondern weil wir Kapitalisten sind«, schrieb Larry Fink, der Gründer von Blackrock, 2022 in seiner Botschaft an die Firmenchefs der ganzen Welt), der Kapitalismus von heute wendet sich an die »Talente«, nicht an die Schläger. Über das Mantra der Nachhaltigkeit bilden sich heute die neuen Eliten. Das scheint im Widerspruch zu ihrer Kriegstreiberei zu stehen, aber das tut es nicht. James Burnham veröffentlichte sein »Regime der Manager« (Original: »The Managerial Revolution«) 1941, mitten im Krieg. Das Buch hat eine ungewöhnliche Geistesverwandtschaft mit der »digitalen Revolution« von Fink.
Die Sabotage an den Nord Stream-Pipelines ist ein point of no return. Seine Anonymität ist die Chiffre des Dritten Weltkriegs. Meloni hat noch nicht einmal ihren Einberufungsbescheid erhalten, ist aber bereits in vorderster Front, unter dem Kommando von Uncle Sam.
Quelle: wildcat.de… vom 3. November 2022
Die Linke und »ihre« Leute
Cosimo Scarinzi. In der italienischen Presse und im Denken vieler Genossinnen und Genossen selbst geht man heute von einer Trennung aus zwischen den Parteien und Organisationen der Linken und dem, was früher ihr gesellschaftlicher Bezugspunkt war. Ich denke, es lohnt sich, die strukturellen Gründe für diese Trennung zu hinterfragen, es sei denn, man möchte glauben, dass jemand abgelenkt war und vergessen hat, sich mit der Intervention auf dem Terrain der Klasse zu befassen.
Bekanntlich gab es in Italien vor Jahrzehnten die bedeutendste kommunistische Partei im Westen, mit Millionen von Mitgliedern, einer festen Verbindung zur wichtigsten Gewerkschaft, einem sehr dichten Netz von Volkshäusern, Untergliederungen im Betrieb und Stadtteil, und einer Hegemonie über große Teile der intellektuellen Welt. Links von der KPI gab es darüber hinaus in den 1970er Jahren eine Reihe von recht großen revolutionären Organisationen, die auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung mehr Aktivisten hatten als die KPI selbst, auch wenn ihre soziale Verwurzelung natürlich deutlich geringer war.
Die historischen Bedingungen dafür sind leicht zu verstehen: Das ungestüme Wachstum der Arbeitsproduktivität und folglich des Bruttoinlandsprodukts schuf Spielräume für höhere Löhne, die Ausweitung des Sozialstaats und die Eroberung von Rechten. Und das kam nicht von selbst; in den 1970er Jahren gab es einen außergewöhnlichen Zyklus von Arbeiterkämpfen, die sich mit einer Jugendrevolte verschränkten, und mit der Frauenbewegung zusammen zu einer ganz besonderen Bewegungserfahrung führten.
In diesem Kontext spielte die politische und gewerkschaftliche institutionelle Linke eine doppelte Rolle, einerseits als Einhegung und Disziplinierung des Klassenkonflikts, andererseits als Vermittler – was in dieser Phase jedenfalls wichtige Erfolge für die Arbeiter brachte.
In den folgenden Jahrzehnten gab es einige radikale Veränderungen, die ich sehr schematisch zusammenfasse:
– die Spielräume für Lohnerhöhungen schrumpfen massiv; es kommt zu einer – durch die »Globalisierung« begünstigte – Gegenoffensive der Arbeitgeber, die institutionellen Gewerkschaften »verwalten« diese und sichern sich dadurch Anteile an Ressourcen und Macht;
– die institutionelle politische Linke gibt alle sozialdemokratischen Praktiken auf (im Grunde war die KPI eine gemäßigte sozialdemokratische Partei in italienischer Soße, auch wenn sie eine kommunistische »Identität« und enge wirtschaftliche Beziehungen zur UdSSR pflegte) und wird zu einer liberalen Linken, die die Bürgerrechte verteidigt. Meiner Meinung nach war dies in gewisser Weise das Einzige, was sie tun konnte, wenn sie nicht den unwahrscheinlichen Weg einer Radikalisierung im Sinne der Arbeiter einschlagen wollte, das schien in einigen Momenten möglich, ist aber als Hypothese schon bei Tagesanbruch gestorben;
– die »revolutionäre« Linke schrumpft zur Bedeutungslosigkeit und kultiviert nur noch ihre Nostalgie für vergangene Zeiten;
– die »Bewegungen« entwickeln sich in Ermangelung einer Mobilisierung auf dem Terrain der Klasse autonom, manchmal auf interessante und manchmal auf fragwürdige Weise.
In dieser Situation ist die von Sergio Fontegher Bologna formulierte Hypothese einer »harte(n), kontinuierliche(n), dunkle(n) Arbeit, die einem niemand dankt, und die Jahre braucht, bevor sie Resultate liefert; eine Arbeit, die viel zu wenige weitergemacht haben« zweifellos richtig und die einzig mögliche, es sei denn, man will nur noch Gartenarbeit machen. Aber sie wirft einige Probleme auf.
Heute gibt es zwar Kämpfe, aber sie sind bestenfalls branchenbezogen, meistens betrieblich und lokal. Wir können dabei eine Rolle spielen und stimulieren, koordinieren, Kommunikation aufbauen…, aber wenn nicht wieder ein Zyklus allgemeiner Kämpfe in Gang kommt – was sicherlich nur minimal von der Subjektivität der GenossInnen abhängt –, kann die derzeitige Situation der Zersplitterung nur dazu führen, dass man sich in den unmittelbaren Problemen derjenigen einschließt, die sich mobilisieren.
Zum vorläufigen Abschluss möchte ich sagen, dass es heute darum geht, die zentrale Bedeutung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren, in dem Bewusstsein, dass wir gegen den Strom und für die Zukunft arbeiten. Man weiß allerdings auch, dass das Wasser vor dem Sieden still ist und dass echte Bewegungen zuerst vor allem die Genossen und Genossinnen überrumpeln. Es geht darum, zur richtigen Zeit in der effektivsten Position zu sein.
Quelle: .wildcat.de… vom 3. November 2022
Meine Güte, wo sind wir hier gelandet!?
Maurizio. Die Überschrift versucht angesichts des Stils, mit dem die Präsidenten der beiden Parlamentskammern jenseits einer auch nur einer minimalen Logik von verfassungsmäßigen Garantien gewählt wurden, mit leichter Ironie auf das einzugehen, was die Genossen Sergio und Cosimo geschrieben haben. Auch ich beziehe mich auf die Situation, in der wir vor nunmehr einem halben Jahrhundert in Italien waren – und teile die Überlegungen der beiden für diese Zeit: Zwischen Ende der 1960er und Mitte der 1970er Jahre führten die umfangreichen Fabrikkämpfe zu erheblichen Lohnerhöhungen, die durch Produktivitätszuwächse möglich wurden; gleichzeitig führten die Kämpfe zu fortschrittlicheren politisch-institutionellen Kräfteverhältnissen, die sich in der Reform der Sekundarschule, in der Rentenreform, dem Arbeitnehmerstatut und der Gesundheitsreform niederschlugen. Durch die institutionelle Übereinkunft, die Kommunistische Partei von der Regierung fernzuhalten, war die Fortsetzung dieses Wegs aber blockiert, eine reformistische Auflösung der sich von Norden nach Süden ausbreitenden Arbeiterinitiative wurde verunmöglicht. Staatliche Stellen entschieden sich, in Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften, der subversiven Rechten und der organisierten Kriminalität im Inland, bewusst für eine Strategie des Massakers, die von [dem Anschlag auf die Landwirtschaftsbank auf der] Piazza Fontana bis zum versuchten Staatsstreich ging und Italien mit dem Rest des damals faschistischen europäischen Mittelmeerraums in Einklang bringen sollte.
Diese Strategie war nicht von Erfolg gekrönt, aber sie beeinflusste den Ausgang der sozialen Kämpfe, indem sie zuerst ihre Sprengkraft eindämmte und später zur Implosion des in der republikanischen Verfassung verankerten Parteiensystems führte. Seine institutionelle Dynamik als Vertreter des Volkes wurde stillgelegt und durch das Scheinbild eines demokratischen Staates ersetzt. Das führte schließlich zu dem entmutigenden aktuellen Ergebnis eines Parlaments, das zum Großteil aus Vertretern von Parteiklüngeln besteht und nur einer kleinen Anzahl von Linken.
Das wichtigste Ergebnis der Wahlen ist natürlich der klare Sieg der vereinigten Rechten, deren Koalition mit 45 Prozent der abgegebenen Stimmen fast 60 Prozent der Sitze in beiden Kammern des Parlaments errungen hat. Der Grund dafür ist die kombinierte Wirkung des »Rosatellum« genannten Wahlgesetzes und der Verringerung der Zahl der Abgeordneten und Senatoren. Ihre repräsentative Legitimität ist bereits durch den Rückgang der Wahlbeteiligung von 72,8 Prozent 2018 auf 63,8 Prozent in diesem Jahr geschwächt. Der Stimmenanteil der Fratelli d’Italia schnellte von 4,35 Prozent im Jahr 2018 auf 26 Prozent; diese Stimmen kamen vor allem von Wählern, die zuvor Lega (2018 17,37 Prozent, diesmal 8,9 Prozent) oder Forza Italia (2018 14,01, diesmal 8,3 Prozent) gewählt hatten; ein geringerer Teil von etwa fünf Prozentpunkten kam von ehemaligen Fünf-Sterne-Wählern. Die Fratelli haben diese Stimmen erhalten, weil sie in den letzten zehn Jahren die einzige Oppositionspartei waren – und nicht weil sich das rechte Wählerpotenzial ausgeweitet hat.
Bereits beim ersten Akt zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode mit der Wahl des Parafaschisten La Russa zum Präsidenten des Senats war die Zusammensetzung der künftigen Regierung gefährdet – Forza Italia enthielt sich, gerettet wurde La Russa durch etwa 20 heimliche Stimmen aus den Reihen der zukünftigen Opposition. Aber die anschließende Wahl des reaktionären Katholiken Lorenzo Fontana zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer festigte die Drei-Parteien-Koalition vorläufig wieder. Dieser Auftakt scheint keine Regierung anzukündigen, die den kommenden Stürmen gewachsen ist.
Wir haben die noch nie dagewesene Situation einer ziemlich widersprüchlichen national-atlantischen Regierung mitten in einer Weltkriegs-Krise, die sich auf europäischem Boden abspielt und die nicht zufällig kurz nach Merkels Rückzug ausgelöst wurde. Niemand befasst sich mit den Voraussetzungen, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Wie in einem Western: im Saloon schießen alle wild um sich, um den kleinen Hund zu töten, der hereinkommt, niemand denkt ernsthaft darüber nach, wie man die Raserei stoppen kann, denn im Film ist es schon klar, dass der kleine Hund mitten im Raum unbeschadet davonkommen wird. Aber die Wirklichkeit funktioniert nicht wie ein Western, wir sollten uns nicht ablenken lassen und sollten an Tagen, in denen sich das Ausmaß des Krieges durch eine scheinbar unaufhaltsame Trägheit verfestigt, wachsam sein.
Auch ich kann nur eine vorläufige Schlussfolgerung ziehen. Bereits bei den Wahlen der Präsidenten der beiden Kammern hat die Front der siegreichen Rechten mit der Aufstellung von zwei Figuren wie La Russa Ignazio Benito und Fontana Lorenzo Risse bekommen, weil Forza Italia sich bei der Bildung der zukünftigen Regierung in die Enge getrieben sieht, nicht nur, weil sie aus einer Minderheitenposition handelt, sondern auch interne Konflikte hat. Die Gefahr einer Implosion auf institutioneller Ebene sollte nicht unterschätzt werden.
#Bild: Faschisten gegen kämpfende Arbeiter: Streikende Arbeiter der Logistik Niederlassung SDA der italienischen Post in Carpiano bei Mailand. Sie wurden gegen 21 Uhr am 25. September 2017 von einer Bande von über 100 Schlägern überfallen. Quelle: milanotoday.it…
Quelle: wildcat.de… vom 3. November 2022
Tags: Antifaschismus, Breite Parteien, Faschismus, Gewerkschaften, Italien, Neoliberalismus, Neue Rechte, Stalinismus
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