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„Der wirkliche Sieg der Ukraine ist der Zusammenbruch Russlands“

Eingereicht on 18. Februar 2023 – 17:33

Florian Rötzer. Ukrainischen Regierungs- und Militärangehörige geht es nicht nur um eine Verteidigung der Ukraine, wie man im Westen zu beruhigen sucht.

Von den Unterstützern der Ukraine, die auf militärischen Sieg setzen und Verhandlungsinitiativen jetzt ablehnen, heißt es, der russische Präsident Wladimir Putin verfolge einen Traum von einer kolonialistischen Großmacht. Er wolle die Ukraine und die nationale Identität als selbständiges Land auslöschen. Es bleibe keine andere Wahl, als der Ukraine, also der von Kiew kontrollierten Land, solange wie erforderlich bei der Verteidigung zu helfen, was auch heißt, bei der Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete. Und es wird immer betont, die Ukraine wolle nur sich verteidigen und nicht ihrerseits Russland angreifen und auflösen. Aber dieses ständig wiederholte Mantra, nur der Ukraine bei ihrer Verteidigung zu helfen, übersieht – wahrscheinlich willentlich im Propagandaeifer -, dass es durchaus auf die nationalistische Agenda etwa des Nationalhelden Stepan Bandera zurückgehende Tendenzen in der Ukraine gibt, mit der westlichen Hilfe den Krieg nach Russland zu tragen.

Wir haben schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die Unterstützer in Politik und Medien ihre Augen davor verschließen oder gar nicht sehen wollen, dass in der Ukraine keineswegs alles gut läuft und dass in Russland und der Ukraine durch ihre Gegnerschaft oft spiegelbildliche Entwicklungen stattfinden, etwa was Patriotismus, nationale Identität, Bekämpfung von Opposition oder sogar territoriale Ansprüche angeht.

Es gibt Zehntausende von Kämpfern der Freiwilligenverbände, die pro forma meist dem Innenministerium, manche auch dem Verteidigungsministerium unterstellt sind. Gerade wieder versucht das Innenministerium eine neue „Offensivgarde“ aufzustellen, die den Freiwilligenverbänden wie Asow unterstellt werden und von deren Schlagkraft sowie ideologischer Ausrichtung auf einen radikalen Nationalismus eine geplante Offensive profitieren soll. Der Militärgeheimdienstchef Budanow beispielsweise kokettiert mit einem zerfallenden Russland und ebenfalls ukrainischen Ansprüchen auf russisches Staatsgebiet (Der ukrainische Geheimdienstchef und die Eroberung russischer Gebiete), der Oberkommandierende Saluschnyi bekannte sich zu Stepan Bandera und dem Ziel, Russland auszuschalten.

Im Verteidigungsministerium spukt beispielsweise Dmitri Jarosch umeinander, kurzzeitig offiziell Berater des Oberkommandierenden, wahrscheinlich noch immer, aber inoffiziell. Der ehemalige Chef des Rechten Sektors, der aus der Maidan-Bewegung kommt und 2014 zur Kampfeinheit wurde, betreut jetzt Freiwilligenverbände und spricht ganz offen davon, dass die Ukraine angeblich einst zu ihr gehörende russische und belarussische Gebiete besetzen und „zurückholen“ soll (Imperialistische Träumereien einer Großukraine, Dmitri Jarosch oder die ukrainischen Freunde des Westens). Er verbreitet überblasene Vorstellungen, dass die Ukraine im Augenblick die Nato und den Westen mit „seinem Leben und seiner gewohnten Lebensweise“ rettet und verkündet, „dass die vollständige Zerstörung dieses hässlichen, vorimperialen Substrats (gemeint ist Russland) in naher Zukunft stattfinden wird. Und keine noch so dummen, exaltierten Propagandisten, keine Generalmobilmachung und kein noch so veraltetes ‚Atomarsenal‘ werden dem Kreml helfen“. Und er schließt: „Und den letzten Nagel in den Sarg des hirnlosen Unterreichs von Ork wird natürlich die große und mächtige Ukraine schlagen.“ Auf der russischen Seite stehen die Nationalisten dem freilich nichts nach, wie der Ex-Präsident Medwedew vorexerziert.

Jarosch propagierte auf seinem Facebook-Kanal den unkommentiert in der „Ukrainischen Wahrheit“ veröffentlichten Text des einflussreichen Vorsitzenden des Verteidigungs- und Sicherheitsrats Danilov über die „Entkolonialisierung“ Russlands, die von der Welt akzeptiert werden müsse. Mittlerweise scheint einigen führenden Ukrainern das Sendungsbewusstsein zu Kopf gestiegen zu sein, sie glauben, was propagiert wird, dass die Ukraine mit ihren heroischen Menschen den Auftrag hat, für die „zivilisierte Welt“ zu kämpfen und diese zu verteidigen. Dazu gehört auch, Russland zu zerschlagen, was man im Westen noch überhört. Danilov überlegt in seinem Text, was der Sieg der Ukraine bedeuten und wie die Sicherheit hergestellt werden:

„Der wirkliche Sieg der Ukraine ist der Zusammenbruch Russlands, sein Verschwinden als integraler Gegenstand von Geschichte und Politik. Russland ist nicht nur ein Problem der Ukraine, es ist ein Problem, das sich mit Wundbrand ausgebreitet hat und die ganze Welt bedroht.“

Russland sei zum „Reich des Bösen“ geworden, das mit der atomaren Apokalypse drohe. Jahrhundertelang habe Russland bewiesen, kein demokratisches Land sein zu können: „Ein monströses Gebilde mit höhlenmenschlichen Instinkten und einer unmenschlichen Natur hat keinen Platz in der modernen Weltordnung.“ Danilov attestiert zwar dem Putinismus als einer Form des Faschismus, einer „Ideologie der rassistischen Überlegenheit“ zu folgen, was er allerdings ebenfalls macht, nur umgekehrt.

Russland, das gekennzeichnet sei durch ein „Minderwertigkeitssyndrom“,  müsse zerbrochen werden in viele einzelne Staaten, was Danilov Entkolonialisierung und eine große Idee  nennt. Das müsse sein, weil eine Entnazifizierung wie im Nach-Hitler-Deutschland nicht möglich sei. Offenbar versuchen Mitglieder der Regierung den Boden für eine Zerschlagung Russlands zu bereiten, was natürlich besonders schräg ist, weil doch die Ukraine gerade angeblich die Prinzipien der Souveränität und territorialen Integrität verteidigt.

Auch Außenminister Dmytro Kuleba spielt hier mit, was wenig verwundert, weil er den bekennenden Bandera-Fan und diplomatischen Trampel Andrei Melnyk vom Botschafter zum Vizeaußenminister befördert hat. Natürlich will er nur seine private Meinung geäußert haben, wenn er sagt, dass das Russische Reich von Frankreich, Deutschland und der Ukraine geschaffen wurde, weswegen die drei Länder nun entscheiden müssten, wie es mit ihm weitergeht. Aber eigentlich kehrt nun die Ukraine die Geschichte und Machtverhältnisse um: „Wenn früher Russland als Imperium das Schicksal der Ukraine abseits von Europa bestimmte, so wird jetzt die Ukraine als Teil Europas das Schicksal des russischen Reiches bestimmen. In der Tat werden sich die dreihundert Jahre Geschichte auf den Kopf stellen.“

#Bild: Karte mit der Großukraine und dem zerstückelten Russland im Büro von Militärgeheimdienstchef Budanov. Demonstrativ bei einem Interview ukrainischen Journalisten gezeigt.

Quelle: overton-magazin.de… vom 18. Februar 2023

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