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Ursachen der Militärputsche in West- und Zentralafrika

Eingereicht on 28. November 2023 – 15:11

Tamas Gerőcs. Die Militärs in sechs westafrikanischen Ländern – Mali, Tschad, Burkina Faso, Guinea, Niger und Gabun – haben vor relativ kurzer Zeit beschlossen, angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage in der Region zivile Regierungen abzusetzen. Sie erreichten ihre Ziele unabhängig voneinander, indem sie relativ wenig Gewalt einsetzten und stattdessen versuchten, sich in einem politischen Vakuum zu legitimieren, das sich seit mehr als einem Jahrzehnt in Teilen West- und Zentralafrikas vergrößert hat. Wie ich in meinem vorherigen Artikel dargelegt habe, sollte die Eskalation lokaler und regionaler Konflikte im Zusammenhang mit dem Zerfall des von den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Verbündeten dominierten globalen Hegemonialsystems nach dem Zweiten Weltkrieg und dem anschließenden Aufstieg neuer Machtkonkurrenten gesehen werden, was zu einer Intensivierung der antiimperialistischen und zwischenimperialistischen Konflikte in der ganzen Welt führt. Leider hat die Eskalation der imperialistischen Rivalitäten nachteilige Auswirkungen auf die Mehrheit der Menschen, die in den globalen Peripherien leben, wo diese komplexen Konflikte die deutlichste Form von Krieg und Plünderung annehmen.

Die militärischen Übernahmen wurden von der lokalen Bevölkerung in der Sahelzone in der Erwartung, dass eine direktere militärische Kontrolle die sich ansonsten verschlechternde Sicherheitslage, die durch die Ausbreitung aufständischer paramilitärischer Gruppen verursacht wurde, stabilisieren könnte, ohne Wenn und Aber gefeiert. Im Gegensatz dazu blieben die mit dem Westen verbündeten Nachbarregierungen und Kommentatoren besorgt, dass ein möglicher Dominoeffekt des Sturzes von Zivilregierungen weitreichende militärische, sicherheitspolitische und politische Folgen in der gesamten Region und darüber hinaus haben könnte. Die meisten Länder der Sahelzone werden heute von Militärjuntas kontrolliert. Diese Länder, die heute als Coup- oder Juntagürtel verspottet werden, sind an vielen Fronten mit aufständischen Separatisten, westlichen Mächten und Mitgliedern der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) konfrontiert.

Die Gefahr eines Krieges in der gesamten Region zwischen der vom Westen unterstützten ECOWAS und der (um internationale Unterstützung bemühten) Koalition der Juntas ist seit dem Staatsstreich in Niger im Juli 2023 erheblich gestiegen, während die separatistischen Aufstände in vielen Teilen der Region unvermindert weitergehen. Die gesamte Sahelzone droht zu einem weiteren Stellvertreterkrieg wie im Nahen Osten, in der Ukraine oder im Kaukasus zu werden, was die Möglichkeit einer baldigen sozialen, wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Verbesserung in Frage stellt. Die veränderte Machtkonstellation könnte jedoch auch die Möglichkeit einer vollständigen Entkolonialisierung mit sich bringen, die in vielen dieser Länder seit ihrer formalen Unabhängigkeit ins Stocken geraten ist.

Militärputsche sind in der Region nicht gänzlich unbekannt; Mali erlebte 2012 einen kurzzeitigen Staatsstreich, der aufgrund des massiven Drucks des Westens und der ECOWAS mit der Rückkehr zu einer zivilen Regierung endete; Ägypten, einer der Giganten Nordafrikas, machte 2013 eine ähnliche Erfahrung, blieb jedoch unter militärischer Führung, die die westlichen Mächte schließlich anerkannten. Es gab auch mehrere erfolglose Putschversuche, wie in Gambia im Jahr 2022, und zwei gescheiterte interne Putschversuche im burkinischen Militär gerade in diesem Jahr.

Obwohl jeder Putsch spezifische kontextuelle Merkmale aufweist, lassen sich durch einen ganzheitlichen historischen Ansatz auch gemeinsame Dynamiken in Bezug darauf erkennen, wie die Sahelzone als geografische Region in das kapitalistische Weltsystem integriert wurde. Aus dieser Perspektive ist es wichtig festzustellen, dass die meisten der Länder, die in jüngster Zeit militärische Übernahmen erlebt haben, ehemalige französische Kolonien sind, so dass dieses Erbe eine der Hauptantriebskräfte für die Verschiebung der Machtverhältnisse zu sein scheint. Dies zeigte sich auch daran, dass sich in der gesamten Region, insbesondere in Mali, Niger, Burkina Faso und Guinea, die Empörung der Bevölkerung gegen Frankreich entlud. Die Tatsache, dass die Feindseligkeit gegenüber Frankreich nicht nur von den Putschisten geschürt wurde, sondern auch von großen Teilen der lokalen Bevölkerung geteilt wurde, sollte nicht überraschen, denn das Erbe des Kolonialismus ist bis zum heutigen Tag sehr präsent.

Vor der Kolonialisierung verfügte die Sahelzone über ein komplexes sozio-ökologisches Lebensgefüge. Auf den fruchtbaren Böden lebten verschiedene landwirtschaftliche Gesellschaften, und interethnische Ehen waren keine Seltenheit, auch nicht zwischen Viehhirten wie den Fulani, Händlern aus der Sahara wie den Tuareg oder sesshaften Bauern, die das fruchtbare Land kultivierten, wie den Hausa. Vor dem Eindringen der Europäer verband der Transsaharahandel viele Jahrhunderte lang Nord- und Westafrika, von den Goldminen Malis und Ghanas in den bewaldeten Küstenregionen bis hin zu Kairo im Nordosten des Nils und Nubien im Südosten, mit den globalen Handelswegen des Indischen Ozeans und des Mittelmeers. Diese Handelsnetze verbanden sich weitgehend mit der Ausbreitung des Islam, der bis heute das vorherrschende rechtlich-kulturelle Regulierungssystem in der gesamten Sahelzone ist. Es wäre nicht übertrieben, die Region als eine der Kornkammern Afrikas zu bezeichnen, was die Franzosen scheinbar dazu inspirierte, diese komplexe Geografie zu erobern und in ein einzigartiges Kolonialsystem zu integrieren.

Das französische Eindringen erreichte seinen Höhepunkt während des so genannten „Scramble for Africa„, das in der Tat weitgehend durch imperialistische Rivalitäten und die anschließende europäische Expansion auf dem Kontinent nach der Berliner Konferenz von 1884 angeheizt wurde, ähnlich wie die heute wieder aufkommenden zwischenimperialistischen Kämpfe. Frankreichs ursprüngliches Ziel war es, die schwindende globale Hegemonie Großbritanniens herauszufordern, indem es ein koloniales Hinterland errichtete, das dem Rückgrat des britischen Empire ähnelte, ohne das Großbritannien nicht in der Lage gewesen wäre, seine globale militärische, industrielle und kommerzielle Macht im 19. Jahrhundert nicht so lange hätte aufrechterhalten können. Im Falle der britischen Hegemonie diente die Unterwerfung Indiens dem Zweck dieses imperialen Projekts, weshalb die Franzosen danach strebten, ein vergleichbar großes Gebiet mit ähnlich wertvollen Ressourcen zu erwerben. Daher konzentrierte sich die französische koloniale Eroberung auf den alten Sudan, der historisch gesehen einen Großteil der heutigen Sahelzone umfasste.

Auch wenn die durch diese imperialistische Rivalität entstandene zersplitterte Landkarte Westafrikas nicht dem ursprünglichen Wunsch des französischen Kolonialismus entsprach (der auf die Vereinigung der gesamten Region abzielte), konnte Frankreich niemals eine Weltmacht erfolgreich herausfordern, indem es die Ressourcen West- und Zentralafrikas unbegrenzt nutzte. Als sich jedoch die politische Struktur des Kolonialsystems nach dem „Scramble“ verfestigte, konnte Frankreich sein eigenes hegemoniales System in Westafrika etablieren. In der Belle Epoque der Kolonialzeit beendeten die französischen Verwalter, um „ihre Kolonien zu entwickeln„, die gemeinschaftliche Nutzung der riesigen Grasflächen, wodurch das ökologische Gleichgewicht zwischen Viehzüchtern, Bauern und dem Boden gestört wurde, der sich dank der alten Praktiken der extensiven Fruchtfolge regenerieren konnte. Diese agrarökologische Wechselbeziehung wurde durch Baumwoll- und Erdnussplantagen und andere monokulturelle Exportkulturen ersetzt, was zu einer massiven Verarmung der Böden führte. Wie Mahmood Mamdani am Beispiel von Darfur gezeigt hat, erwies sich die Tribalisierung und administrative Aufteilung der verschiedenen ethnischen Gruppen – die ansonsten fließende interethnische Grenzen hatten – in Verbindung mit der Versteppung ihres fruchtbaren Landes als katastrophal für Mensch und Natur gleichermaßen. Obwohl dies zu massivem Widerstand und schließlich zur nationalen Befreiung in ganz Nord- und Westafrika führte, scheute Frankreich nie davor zurück, sich in die westafrikanische Politik einzumischen, um jeden in Schach zu halten, der als Bedrohung für den Status quo angesehen wurde. Frankreichs Bestreben, seine regionale Macht aufrechtzuerhalten, setzte sich auch nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien in den 1960er Jahren fort, was zur grundlegenden Doktrin der so genannten Françafrique geworden ist.

Der neokoloniale Modus Operandi der Françafrique diente der Aufrechterhaltung wichtiger kolonialer Politiken, z. B. der sogenannten CFA-Franc-Zone, die der französische Präsident De Gaulle 1945 zur Kontrolle der Finanzen der west- und zentralafrikanischen Kolonien eingerichtet hatte. Die währungspolitische Überwachung innerhalb der CFA-Zone war jedoch Teil eines größeren Projekts als nur der Schutz der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in Westafrika. Das neue hegemoniale System der Nachkriegszeit, das auf dem globalen wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau unter Führung der USA beruhte, zielte auf die geoökonomische Neuausrichtung der europäischen Kolonialmächte mit Beginn des Kalten Krieges ab. Die USA förderten die europäische Integration in die spätere Europäische Union mit der Aussicht auf einen gemeinsamen europäischen Markt und unterstützten gleichzeitig die Öffnung der kolonialen Märkte für amerikanische Unternehmen. Die USA brauchten Verbündete, um die damalige Sowjetunion einzudämmen, für die Frankreich der bevorzugte Partner in Westafrika war.

Indem es das alte Kolonialsystem durch die europäische Integration ersetzte, wurde das deutsch-französische geoökonomische Tandem zum Eckpfeiler von Amerikas globalem Wiederaufbau. Sowohl Deutschland als auch Frankreich profitierten von dem hegemonialen Übergang. Deutschland erlangte mit der D-Mark (später Euro) und der in Frankfurt ansässigen Europäischen Zentralbank eine wirtschaftliche Vormachtstellung in der EU, und die deutsche Industrie erschloss sich über die EU-Erweiterung Wirtschaftssatelliten in Süd– und Osteuropa. In ähnlicher Weise konnte Frankreich seine wirtschaftliche Vormachtstellung in West- und Zentralafrika durch währungs- und wirtschaftspolitische Kontrolle wiederherstellen. So behielt Frankreich in der westafrikanischen Währungsunion das CFA-System bei, indem es einen an die französische Währung (später den Euro) gekoppelten Wechselkursmechanismus beibehielt und 50 % der Devisenreserven der Mitgliedsstaaten bei der französischen Zentralbank zurückhielt. Frankreich profitierte also enorm von der Verwendung der afrikanischen Reserven für verschiedene Finanztransaktionen, z. B. als Sicherheit für die künftige Europäische Zentralbank. Darüber hinaus entfielen rund 70 % des Gesamtumsatzes in der westlichen und zentralen CFA-Zone auf französische Banken, während die französische Zentralbank ihr Vetorecht im Vorstand der beiden angeschlossenen lokalen Zentralbanken, der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA) und der Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft Zentralafrikas (CEMAC), aufrechterhielt.

Auf diese Weise wurden die verarmten westafrikanischen Staaten einfach um ihre Ersparnisse gebracht, über die sie ohne französische Erlaubnis mehr als 75 Jahre lang nach der Unabhängigkeit nicht frei verfügen konnten. Infolgedessen hielt die UEMOA die Mitgliedstaaten weiterhin in einer monetären Knechtschaft und entschädigte Frankreich für eine untergeordnete wirtschaftliche Rolle in der EU mit garantierten Handelsüberschüssen mit jedem westafrikanischen Staat seit dessen Unabhängigkeit.

Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel für die kombinierte Entwicklung der europäischen Integration mit der Wiederherstellung der wirtschaftlichen und politischen Vorherrschaft Frankreichs in West- und Zentralafrika ist der Bereich der Kernenergie. Bei der Konsolidierung der europäischen Mächte in der Nachkriegszeit rückte die Zusammenarbeit in Nischenbereichen der Energieversorgung mit der Unterzeichnung des EURATOM-Vertrags in Rom 1957 in den Vordergrund. Frankreich war einer der Hauptnutznießer beider Ereignisse und begann mit dem Ausbau seiner Kernkraftkapazitäten, die inzwischen die zweitgrößten der Welt sind (68 % der französischen Energieproduktion stammten 2021 aus 56 betriebsbereiten Kernreaktoren). Als Gegenleistung für die Unabhängigkeit Nigers im Jahr 1960 unterzeichneten die beiden Länder den Verteidigungsvertrag von 1961 sowie weitere Abkommen, die französischen Unternehmen exklusive Monopolrechte für den Abbau von Bodenschätzen, einschließlich der Uranvorkommen Nigers, und für andere öffentliche Beschaffungen einräumten (ähnliche bilaterale Verträge wurden zwischen Frankreich und den anderen ehemaligen afrikanischen Kolonien geschlossen). Niger ist damit zum größten Uranlieferanten sowohl für die EU (20 % der Gesamteinfuhren) als auch für Frankreich im Besonderen (fast 30 % der Gesamteinfuhren im Jahr 2022) geworden.

Vor dem Staatsstreich in Niger wurde das Exklusivrecht Frankreichs zur Uranausbeutung von Areva genutzt, einem französischen Staatsunternehmen, das später in Orano umbenannt wurde und 63,4 % von SOMAIR, dem nationalen Bergbauunternehmen Nigers, kontrolliert. Nach Angaben der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) ist Niger mit einem Anteil von 25,38 % der zweitgrößte Lieferant von Natururan in die EU, was ca. 20 % der Gesamteinfuhren Frankreichs entspricht. Der Uranabbau hat zu zahlreichen Kontroversen geführt. Wie die Filmemacherin Amina Weira in ihrem Dokumentarfilm Anger in the Wind gezeigt hat, hinterlässt er in dem verseuchten Gebiet um die Tagebaue in der Region Arlit eine ökologische Katastrophe, die sich negativ auf die Gesundheit der örtlichen Bevölkerung auswirkt.

In vielerlei Hinsicht sicherte Françafrique Frankreichs Position in dem von den USA dominierten globalen Hegemonialsystem auf Kosten der Entwicklung der westafrikanischen Gesellschaften. Letztere wurden den wirtschaftlichen Bedürfnissen Frankreichs so stark untergeordnet, dass sich der innerafrikanische Handel unter diesen globalen Bedingungen kaum entwickeln konnte. Solange Frankreichs von den USA gestützte Dominanz intakt bleibt, ist es praktisch unmöglich, die westafrikanischen Volkswirtschaften in eine kohärente regionale Arbeitsteilung auf der Grundlage der Zusammenarbeit zwischen den Sahel-Staaten zu integrieren.

Nichtsdestotrotz blieb Frankreichs ständiger Versuch, die Westafrikaner zu unterdrücken und auszubeuten, von den panafrikanistischen Befreiungsbewegungen nicht unbehelligt. Einer der bedeutendsten Denker des antikolonialen Kampfes, Frantz Fanon, schrieb „Die Verdammten dieser Erde„, ein Manifest zur Befreiung Algeriens, das damals das letzte französische Überseedépartement war. In der Zeit nach der Unabhängigkeit wurde Libyen, das am weitesten entwickelte Land Afrikas, zu einem wirksamen Verfechter der Überwindung der neokolonialen Last Afrikas durch die Stärkung der regionalen Zusammenarbeit, bevor Muammar Gaddafi 2011 von rivalisierenden Rebellen, die von der NATO und ihren Verbündeten (darunter Frankreich) unterstützt wurden, gestürzt wurde. Einer der ehrgeizigsten Pläne Gaddafis war die Schaffung eines regionalen Währungsblocks auf der Grundlage der enormen libyschen Goldreserven unter der Aufsicht einer panafrikanischen Zentralbank in Tripolis. Dies hätte den Untergang des CFA-Währungsblocks bedeutet, so dass Gaddafis Plan eindeutig gegen Frankreichs hegemoniale Bestrebungen in „Françafrique“ verstieß, weshalb Frankreich die NATO-Intervention anführte, ohne die die Rebellen nicht in der Lage gewesen wären, Gaddafi zu stürzen und hinzurichten.

Der Sturz Gaddafis löste das größte Chaos aus, mit unvorstellbarem Leid für die Menschen in Nord- und Westafrika durch bewaffnete Schmuggler und den Exodus schwerer Waffen, der den totalen Zusammenbruch der Sicherheit in der gesamten Sahelzone verursachte. Seitdem herrscht in Libyen ein endloser Bürgerkrieg mit rivalisierenden Behörden im westlichen Teil des Landes mit dem Zentrum in Tripolis, das von der NATO und der EU unterstützt wird, und im östlichen Teil mit dem Zentrum in Benghazi, das von russischer Militärhilfe unterstützt wird. Infolgedessen wurde die alte, aber ansonsten sehr gut ausgebaute Infrastruktur Libyens aufgegeben und verfällt, was weitgehend für den Zusammenbruch der Dämme von Derna im September verantwortlich ist, bei dem Tausende von Menschen in dem belebten Kulturzentrum im Nordosten Libyens ums Leben kamen.

Darüber hinaus ist die Ausbreitung der Militärputsche in der Sahelzone die entfernte, aber direkte Folge des libyschen Bürgerkriegs. Nach der Demobilisierung von Gaddafis ehemaligen Tuareg-Söldnern kehrten diese schwer bewaffneten Kämpfer in ihre Heimatländer Mali und Niger zurück, wo sie sich mit lokalen Paramilitärs zusammentaten, von denen viele durch die klimabedingte weit verbreitete Verarmung enteignet wurden. Dies hat den ohnehin schon eskalierenden Konflikt zwischen Hirten und Bauern verschiedener Ethnien um die knapper werdenden Weideflächen und Wasserressourcen weiter verschärft und zur Ausbreitung von Gewalt in vielen ländlichen Gebieten Subsahara-Afrikas geführt. Diese paramilitärischen Gruppen starteten später einen groß angelegten separatistischen Aufstand (in den westlichen Medien als dschihadistische Bewegung bezeichnet), zunächst im Norden Malis im Jahr 2012, der dann 2015 auf Niger und Burkina Faso übergriff. Dies führte schließlich zu einem politischen Chaos, in dem führende Vertreter des Militärs in jedem dieser Länder (manchmal Mitglieder der Präsidentengarde) die mit dem Westen verbündeten Zivilregierungen mit dem Versprechen stürzten, Stabilität und Ordnung wiederherzustellen, wozu letztere trotz massiver westlicher Militärhilfe offenbar nicht in der Lage waren. Ein bekanntes Szenario, das in den 1980er Jahren in Darfur begann, breitete sich in den 2020er Jahren in der gesamten Region aus.

Als erste Reaktion auf den Aufstand vor dem Staatsstreich in Mali hatte Frankreich zwei große Militäroperationen gestartet, um die Dschihadisten einzudämmen und die verbündeten Zivilregierungen zu unterstützen, wobei es sich auf die alten Verteidigungsverträge berief. Zunächst startete es 2013 die Operation Serval in Mali, die es später unter der Schirmherrschaft der Operation Barkhane 2014 auf die gesamte Sahelzone ausdehnte. Die Ergebnisse waren sehr begrenzt, was die Eindämmung der Gewalt angeht, und beide Operationen mussten nach der Machtübernahme durch die Militärs eingestellt werden.

Obwohl die Militärregierungen sowohl in Mali als auch in Niger die Kündigung ihrer jeweiligen Verteidigungsabkommen mit Frankreich aufkündigten und die französischen Botschafter aufforderten, ihre Länder zu verlassen – zusammen mit dem Abzug der französischen Truppen -, weigerte sich Frankreich, die Putschisten anzuerkennen, stimmte aber schließlich zu, das gesamte geschätzte 4.000-köpfige Militärpersonal abzuziehen, zusammen mit der Beendigung der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen, an der seit 2013 13.000 Soldaten in Mali patrouillierten. Es überrascht nicht, dass weitere 1.100 amerikanische Soldaten in Niger stationiert sind, da sich die Vereinigten Staaten in den Kampf gegen die Dschihadisten einschalten.

Das französisch-amerikanische Tandem hat in vielerlei Hinsicht seine früheren imperialistischen Bestrebungen nachgeahmt, als die beiden in den 1960er Jahren einen ähnlichen Kolonialkrieg in Indochina führten, der nicht nur mit einem massiven Truppenabzug endete, sondern sich auch als Wendepunkt in der Entwicklung der amerikanischen Hegemonie erwies. Ähnlich wie Vietnam nimmt Niger eine zentrale Stellung im Gesamtgefüge der französischen neokolonialen Struktur, auch bekannt als Francafrique, ein, was erklärt, warum die westlichen Mächte und ihre regionalen Verbündeten so vehement auf den Putsch reagierten. Zusammen mit Frankreich investierten die Vereinigten Staaten vor dem Putsch massiv in die nigrische Armee; sie bauten allein drei Stützpunkte in Niger, darunter die größte und modernste Drohnenanlage in Agadez. Dies hat sich als eine weitere Fehlkalkulation erwiesen, denn General Tchiani, der nigrische Putschistenführer, soll von keinem Geringeren als dem amerikanischen Militär ausgebildet worden sein, was das Pentagon sehr verärgert hat.

Die Frustration wurde auch durch die Energiekrise in Europa und die Möglichkeit verstärkt, dass Russlands Wagner-Söldner den Kampf gegen die Dschihadisten auch in Niger übernehmen könnten, wie es in Mali, Burkina, der Zentralafrikanischen Republik und Ostlibyen geschehen ist. In der Folge könnte sich Russland Zugang zu kritischen Infrastrukturen verschaffen, z. B. zu den Uranlieferungen nach Europa oder zu der unablässigen Strategie von Gazprom, sich Zugang zu der noch nicht fertig gestellten Trans-Sahara-Pipeline zu verschaffen, die nigerianisches Erdgas über Niger und Algerien mit Europa verbindet. Das Schicksal dieses Plans, der auch als NIGAL bekannt ist (und den Nigers abgesetzter Präsident Mohamed Bazoum unterzeichnet und gebilligt hat), ist nun jedoch in Frage gestellt.

Dies könnte die aggressive Reaktion Nigerias erklären, da der neu gewählte Präsident des Landes, Bola Tinubu (der nur wenige Wochen vor dem nigrischen Staatsstreich sein Amt antrat und den Vorsitz der ECOWAS innehat), der nigrischen Junta offen mit einem militärischen Eingreifen drohte. Obwohl nicht ganz klar ist, warum Tinubu sofortige Maßnahmen forderte (die er kurz darauf wieder zurücknahm), sollte dies angesichts der Geschichte seines Landes, das sich mit Frankreich um die regionale Führung streitet, auch nicht unbedingt eine Überraschung sein. Sowohl der nigerianische Kongress als auch das starke Militär des Landes sprachen sich gegen den Plan eines sofortigen Eingreifens aus, der vorerst vom Tisch ist. Tinubus Rückzieher zeigte, dass seine politische Legitimität noch nicht gefestigt ist, da die Wahlergebnisse von seinen politischen Gegnern in einem Land, das selbst eine Reihe von Militärputschen in Zeiten politischer Krisen erlebt hat, heftig angefochten wurden.

Hinzu kommt, dass die Hausa-Fulani-Bevölkerung Nordnigerias dem nigerischen Volk ethnisch und kulturell sehr nahe steht. Wie bereits erwähnt, war die Grenze das Ergebnis der französisch-britischen Rivalität während des Scramble, was jede grenzüberschreitende nigerianische Militäraktivität bei vielen Nigerianern äußerst unpopulär macht. Nordnigeria hat ein eigenes internes Sicherheitsproblem, das den ethnisch bedingten Konflikten zwischen Bauern und Hirten anderswo in der Sahelzone sehr ähnlich ist, so dass ein endloser, kostspieliger Krieg, selbst wenn er von westlichen Mächten unterstützt würde, für die arme nigerianische Wirtschaft unrealistisch ist. Nichtsdestotrotz reagierte Nigeria sehr aggressiv – es kappte 70 % der nigerischen Stromversorgung und stoppte alle grenzüberschreitenden Aktivitäten, was für den von Importen abhängigen Binnenstaat Niger einen hohen Tribut bedeutete.

Trotz (oder gerade wegen) der durch die Sanktionen verursachten Härten demonstrierten sowohl Mali als auch Burkina ihre Solidarität mit Niger, und die drei Militärregierungen unterzeichneten einen gegenseitigen Verteidigungspakt, der vermutlich alte Vereinbarungen mit Frankreich ersetzt. Außerdem gründeten sie die Allianz der Sahel-Staaten (AES) mit dem erklärten Ziel, den Handel zwischen den Sahel-Staaten zu fördern und die Zusammenarbeit in so wichtigen Bereichen wie dem Austausch von Brennstoffen und Strom, dem Transportwesen, der Kontrolle des Mineralienabbaus und der Unterstützung von landwirtschaftlichen Projekten zu verbessern. Kurz gesagt, es brachte sie in einem erneuten Versuch der panafrikanistischen regionalen Zusammenarbeit näher zusammen. Dies hat bereits ihre Popularität und Legitimität bei ihren Bürgern verbessert, abgesehen von der erfolgreichen Mobilisierung der antifranzösischen Stimmung. Bezeichnend für diese Popularität ist die eindrucksvolle Rede des ehrgeizigen jungen burkinischen Militärführers Ibrahim Traore auf dem zweiten Afrika-Russland-Gipfel, der im Juli in Sankt Petersburg stattfand, und die geschickt so gestaltet war, dass sie das Andenken an Thomas Sankara, den ermordeten panafrikanistischen Militärführer Burkinas, widerspiegelte.

Obwohl Russland und China eine große Herausforderung für die imperialistischen Bestrebungen des Westens in Afrika darstellen, ist der Wettbewerb mit den westlichen Mächten, insbesondere der NATO, eher in einer eskalierenden globalen Rivalität um Ressourcen und neue politische Allianzen verankert. Die Eskalation des zwischenimperialistischen Konflikts begann mit Handels- und Wirtschaftskonkurrenz in Nischenbereichen wie der Nukleartechnologie oder anderen industriellen Technologien und in bestimmten Regionen der globalen (Halb-)Peripherie wie der Ukraine, dem Kaukasus oder sogar Taiwan, aber die Konkurrenz schlug in offene militärische Feindschaft um. Unter dem Druck der westlichen Sanktionen ist Russland seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine besonders darauf bedacht, Partner in diesen Randregionen zu finden, um seine eigenen globalen und militärischen Ziele zu unterstützen. Seit 2022 ist der Druck auf Russland immens gewachsen, überall dort Arbeitsbeziehungen zu knüpfen, wo es konnte, auch in Ländern wie Nordkorea oder dem Junta-Gürtel. Was es zumindest in der Sahelzone anbieten konnte, war die militärische Unterstützung der Wagner-Söldner und eine gewisse Hilfe bei Getreidelieferungen, obwohl die plötzliche Enthauptung der Wagner-Söldner und ihre Wiedereingliederung in die russische Armee diese Bemühungen erschwert haben. Nichtsdestotrotz haben russische Verteidigungsabgeordnete bereits den Juntagürtel besucht, um eine umfassendere militärische und politische Zusammenarbeit anzustreben, die tatsächlich dazu beitragen könnte, den Verbleib der Juntas an der Macht zu sichern.

Auch China war in West- und Zentralafrika präsent, wenn auch mit einem etwas anderen geopolitischen Ansatz. Es hat sein Militärbündnis nicht nach denselben geopolitischen Gesichtspunkten ausgerichtet wie Russland, das versucht, die französische Militärpräsenz bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ersetzen. Stattdessen ist China eher in der Lage, die lokale Wirtschaft nach seinen eigenen ressourcenintensiven und marktorientierten Initiativen umzugestalten. Dies hat sich seit der globalen Finanzkrise von 2008 noch verstärkt, die das chinesische Kapital dazu zwang, international zu expandieren und multilaterale Vereinbarungen wie die Belt and Road Initiative oder die kürzlich erweiterten BRICS 11 zu treffen. Zu diesen geopolitischen Zwecken engagiert sich China für die Bereitstellung dringend benötigter finanzieller Unterstützung und Infrastrukturprojekte in Teilen Afrikas, die aufgrund des Erbes verschiedener europäischer Monopole besonders unterentwickelt sind.

Die Spaltungen in West- und Zentralafrika finden nicht in einem globalen Vakuum statt, sondern sind das Ergebnis geopolitischer Spannungen, die durch die erbitterte Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten in einem sich auflösenden globalen System ausgelöst werden. Zwischenimperialistische Konflikte sind jedoch nicht mit antiimperialistischen Kämpfen zu verwechseln. Beide können sich in Momenten historischer Konjunktionen überschneiden, insbesondere in einer solchen Übergangsperiode, in der wir heute leben. Der eskalierende globale Imperialismus mit der zunehmenden Militarisierung und den Wirtschaftssanktionen bringt keinen Frieden und keine Konsolidierung, sondern mehr Verwüstung und Kriege sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene. Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, sollte sich eine echte antiimperialistische Bewegung auf regionale Initiativen stützen, die die Zusammenarbeit und Bündnisse innerhalb dieser Regionen fördern. Initiativen wie der G5-Sahel-Gipfel zur Sicherheit oder das Panafrikanische Zahlungs- und Abrechnungssystem (PASS) für einen neuen afrikanischen Währungsblock sowie die Afrikanische Freihandelszone (AFCTA) sollten als wichtige Schritte in diese Richtung betrachtet werden. Die Menschen in Afrika verfügen über alle Ressourcen und Kapazitäten, um auf diesen Erfahrungen aufzubauen, zu denen die Juntas vielleicht auch ihre eigenen Erfahrungen hinzufügen können.

#Titelbild: Staatschefs aus Burkina Faso, Niger und Mali unterzeichnen die Liptako-Gourma-Charta zur Gründung der Allianz der Sahel-Staaten (AES). Bild über Colonel Assima Goita auf X.

Quelle: africasacountry.com… vom 28. November 2023; Übersetzung durch die Redaktion maulwuerfe.ch

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