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Pro-Israel-Demonstration in Berlin: Die Herrschenden bleiben unter sich

Eingereicht on 12. Dezember 2023 – 10:33

Peter Schwarz. Lügen und Heucheln gehören im bürgerlichen Politikbetrieb zum Geschäft. Aber es gibt eine Grenze, ab der sie unerträglich werden. Diese Grenze wurde mit der Kundgebung „Nie wieder ist jetzt. Deutschland steht auf“, die am vergangenen Sonntag in Berlin stattfand, deutlich überschritten.

Es war die zweite Kundgebung vor dem Brandenburger Tor, an der sich höchste Vertreter des Staates, der etablierten Parteien und der Kirchen sowie Kulturschaffende beteiligten, um unter dem verlogenen Deckmantel des „Kampfs gegen Antisemitismus“ den Völkermord an den Palästinensern in Gaza zu rechtfertigen.

Organisiert hatte die Demonstration der Berliner Immobilienunternehmer Nicolai Schwarzer, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übernahm die Schirmherrschaft. Zu den „Partnern“ zählten die Deutsche Bank und die Commerzbank, die Mercedes Group, Bosch, Bayer und BASF, der Deutsche Fußballbund, die Evangelische Kirche, die katholischen Bischöfe, der Rotary-Club sowie diverse Gedenkstätten.

Am 22. Oktober hatte Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier die Hauptrede gehalten, diesmal übernahm mit Bundestagspräsidentin Bas die protokollarisch zweithöchste Repräsentantin des Staats diese Aufgabe. Bundeskanzler Olaf Scholz rief zur Teilnahme auf. Alle drei sind Mitglieder der SPD.

Weitere prominente Redner waren der Regierende Bürgermeister von Berlin Kai Wegner (CDU), der israelische Botschafter Ron Prosor, der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster sowie die Sänger Roland Kaiser und Herbert Grönemeyer. Die Linke rief ebenfalls zur Teilnahme an der Kundgebung auf, und die Grünenvorsitzende Ricarda Lang sowie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) marschierten in der ersten Reihe.

All diese Parteien stecken bis über den Hals in den israelischen Kriegsverbrechen, die selbst die gleichgeschalteten deutschen Medien nicht mehr verheimlichen können.

Seit dem Aufstand der Hamas am 7. Oktober hat die israelische Armee weit über 20.000 Palästinenser getötet, die große Mehrheit davon Frauen und Kinder. Sie hat zehntausende Bomben auf ein dichtbesiedeltes Gebiet abgefeuert, das kleiner ist als Berlin, fast alle Krankenhäuser sowie einen Großteil der Häuser und der Infrastruktur zerstört und die Mehrzahl der 2,3 Millionen Einwohner in ein kleines Gebiet im Süden getrieben, wo sie weder ein Dach über dem Kopf, noch Verpflegung noch medizinische Versorgung haben. Selbst UN-Generalsekretär António Guterres warnt inzwischen, dass die gesamte Bevölkerung von Massenhunger, Dehydrierung und grassierenden Krankheiten bedroht sei.

Im Westjordanland hat die israelische Regierung faschistische Siedlerbanden von der Leine gelassen, die die palästinensische Bevölkerung mit Unterstützung der Armee ungestraft terrorisieren. 275 Palästinenser, darunter 63 Kinder, sind seit dem 7. Oktober ermordet und 3.365 verletzt worden.

Die Bundesregierung unterstützt diesen Völkermord mit der erlogenen Begründung, Israel übe sein „Recht auf Selbstverteidigung“ aus. Sie beliefert Israel mit Waffen, widersetzt sich international der Forderung nach einem Waffenstillstand und verfolgt in Deutschland alle, die dagegen protestieren, mit Demonstrationsverboten, Polizeischikanen und Festnahmen. Die Demonstration vom Sonntag diente dazu, diese reaktionäre Politik zu unterstützen.

Der Vorwurf des „Antisemitismus“ hat sich längst in eine Keule gegen jede fortschrittliche und antiimperialistische Bewegung verwandelt. Während wirkliche Antisemiten, wie die der rechtsextremen AfD, vom deutschen Staat geschützt und von der israelischen Regierung mit offenen Armen empfangen werden, gelten Kritiker der Netanyahu-Regierung, in der erklärte Rassisten und Faschisten sitzen, als Antisemiten.

Der Holocaust wird völlig aus seinem geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang gelöst und einem ahistorischen Antisemitismus zugeschrieben, der heute dazu verpflichte, die Verbrechen des israelischen Regimes kritiklos zu unterstützen. Doch Hitlers Antisemitismus, den er bürgerlichen Politikern wie dem christlich-sozialen Adolf Stoecker und dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger abgeschaut hatte, richtete sich in erster Linie gegen die sozialistische Arbeiterbewegung. Er diente dazu, kleinbürgerliche Schichten aufzuhetzen und fand seinen mörderischen Höhepunkt im Rahmen des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion.

Die Demonstration vom Sonntag war von dieser Propaganda geprägt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte, der Massenmord der Schoah an den europäischen Juden dürfe sich niemals wiederholen. Israel habe das Recht sich zu verteidigen, Deutschland stehe an Israels Seite.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erklärte, die Lage der jüdischen Gemeinden in Deutschland sei „angesichts des antisemitischen Aufruhrs auf deutschen Straßen“ dramatisch. Mit „antisemitischem Aufruhr“ meinte er offensichtlich die zahlreichen pro-palästinensischen Demonstrationen, an denen sich in Deutschland teilweise über Zehntausend und international Hunderttausende beteiligen, darunter auch zahlreiche Juden, und die trotz Polizeischikanen fast durchwegs friedlich ablaufen.

Schon das offizielle Motto der Demonstration „Nie wieder ist jetzt“ beruht auf einer historischen Fälschung. Der Aufstand der Hamas, eine Reaktion auf 75 Jahre Vertreibung und Unterdrückung, die den Gazastreifen in ein riesiges Gefängnis verwandelte und unter dem Netanyahu-Regime immer schlimmer wurde, kann nicht mit dem Holocaust gleichgesetzt werden – der Vernichtung von sechs Millionen wehrlosen Juden durch einen bis an die Zähne bewaffneten imperialistischen Staat.

Der zweite Teil des Mottos „Deutschland steht auf“ stammt direkt aus dem Fundus der Rechtsextremen. Jens-Christian Wagner, der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, zweier ehemaliger Nazi-Konzentrationslager, weigerte sich deshalb, an der Demonstration teilzunehmen.

In einer persönlichen Erklärung begründete er dies damit, dass unter diesem Motto „seit Jahren Querdenker:innen und extrem Rechte, u.a. aus der AfD, antisemitische Verschwörungslegenden, Geschichtsrevisionismus und antidemokratische Hetze“ verbreiten. „Antisemitismus bekämpft man nicht, indem man Parolen von Antisemiten übernimmt.“

Weiter schreibt Wagner, der Slogan „Deutschland steht auf“ impliziere „eine Lesart, nach der Deutschland (durch wen auch immer) unterdrückt und gebeugt wird und sich nun wiederaufrichten soll. Eigentlich kann man den Spruch nur als nationalistisch lesen. Deshalb wird er von den oben genannten Gruppen ja auch für ihre antisemitische Propaganda benutzt.“

Und deshalb – muss man hinzufügen, auch wenn Wagner selbst diesen Schluss nicht zieht – diente er auch als Motto der Kundgebung. Die deutsche Regierung unterstützt den Völkermord in Gaza nicht, weil sie sich Sorgen um das Schicksal der israelischen Juden macht, sondern weil sie, wie die USA, im energiereichen und strategisch bedeutsamen Nahen Osten ihre eigenen nationalen, imperialistischen Interessen verfolgt und sich dabei auf Israel als militärischen Brückenkopf stützt. Die Unterdrückung des palästinensischen Widerstands dient dazu, gegen die libanesische Hisbollah, den Iran und andere Gegner in der Region vorzugehen und den Einfluss Russlands und Chinas zurückzudrängen.

Angesichts der wachsenden Empörung über das israelische Vorgehen spürten die Organisatoren der Demonstration offenbar, dass sie auf schwankendem Boden stehen. Sowohl der Aufruf wie viele Redner betonten, die Kundgebung richte sich nicht nur gegen Antisemitismus und Judenhass, sondern gegen jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie trete „für ein friedliches und respektvolles Miteinander“ ein. Zu einem gemeinsamen interkonfessionellen Gebet, das die Kundgebung eröffnete, wurde auch die muslimische Alhambra Gesellschaft eingeladen.

Doch das sind zynische Ausflüchte. Die Parteien, die die Kundgebung trugen, schüren täglich Fremdenhass, verschärfen die Asyl- und Abschiebegesetze, verfolgen muslimische Migranten, zensieren Künstler und schließen kulturelle Einrichtungen, wie das Berliner Oyoun, die ihnen eine Plattform bieten. Sie pumpen zig Milliarden in die militärische Aufrüstung und den Krieg gegen Russland in der Ukraine.

Dabei sind sie zunehmend isoliert. Die Demonstration vom Sonntag brachte laut Angaben der Polizei trotz prominenter Unterstützung und großzügiger Förderung durch Banken und Konzerne nur 3000 Mensch auf die Beine. Die Herrschenden blieben unter sich. Bei der Regierungsdemonstration im Oktober hatte die Polizei noch 10.000 Teilnehmer gezählt.

#Titelbild: Bundeskanzler Olaf Scholz und Rabbiner Yehuda Teichtal zünden am 7. Dezember 2023 die erste Kerze des Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor in Berlin an [AP Photo/Markus Schreiber]

Quelle: wsws.org… vom 12. Dezember 2023

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