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Assanges Bruder äußert sich kurz vor der Anhörung von Julian in London

Eingereicht on 20. Februar 2024 – 10:34

Richard Phillips & Oscar Grenfell. Die WSWS sprach letzte Woche mit Gabriel Shipton, bevor am heutigen Dienstag vor einem britischen Gericht die Anhörung zur Auslieferung seines Bruders Julian Assange an die USA beginnt.

Shipton erklärte, Assange stehe ganz kurz davor, an seine Verfolger in den USA ausgeliefert zu werden, wo ihm wegen der Enthüllung von Kriegsverbrechen und von diplomatischen Verschwörungen eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren droht.

Shipton spielt eine wichtige Rolle im Kampf für Assanges Freiheit, u.a. indem er den Dokumentarfilm Ithaka produziert hat, der den Fall detailliert schildert.

Die WSWS interviewte ihn am Dienstag. Einen Tag später verabschiedete das australische Parlament einen Antrag zu Assange. Obwohl er vorgeblich zu dessen Unterstützung aufrief, blieb er sehr vage. Weder Assanges Freilassung wurde darin gefordert, noch das Ende seiner Verfolgung durch die USA – noch verpflichtete er die Labor-Regierung, irgendetwas zur Verteidigung ihres verfolgten Staatsbürgers zu unternehmen.

WSWS: Können Sie umreißen, was das britische Gericht nächste Woche bei der Anhörung entscheiden wird, und was dies bedeutet?

Gabriel Shipton: Die Anhörung am 20. und 21. Februar ist Julians letzte Verhandlung vor einem britischen Gericht. Er hat einen schriftlichen Antrag auf Berufung eingereicht, der von einem Einzelrichter abgelehnt wurde. Die Art und Weise, wie er abgelehnt wurde, bedeutete, dass Julian einen verkürzten Berufungsantrag bei zwei verschiedenen Richtern einreichen konnte. Diese werden dann entscheiden, ob Julian die Möglichkeit zur Berufung erhält, und in welchen Rechtsfragen sie sie zulassen. Sie könnten den Antrag auch ganz ablehnen.

Sein Antrag wurde also bereits einmal abgelehnt, und das ist die letzte Chance, bei den britischen Gerichten Berufung einzulegen und eine tatsächliche Berufungsverhandlung zu bekommen. Wenn dies abgelehnt wird, dann werden die Gerichte ganz einfach seine Auslieferung anordnen. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die britische Regierung alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um Julians Auslieferung vorzubereiten. Es standen u.a. Flugzeuge auf dem Rollfeld bereit, um ihn schnellstmöglich in die USA in den Eastern District von Virginia zu fliegen.

Er hat noch eine weitere Option: den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort könnte er eine sofortige Aussetzung der Auslieferung beantragen. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass das Vereinigte Königreich das akzeptieren würde. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass das Vereinigte Königreich alle seine Gesetze zurechtgebogen und zurechtgedreht hat, und zwar zu seinen Gunsten und nicht zu Julians; denn es sind diese Gerichte, die Julians Verfolgung wirklich betreiben. Die gleichen Gerichte haben ihn in den letzten fünf Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten – nicht um eine Strafe zu verbüßen, sondern ausschließlich auf Geheiß der USA.

Diese Gerichte sind vollumfänglich mitschuldig an Julians Verfolgung und wollen Journalisten, Publizisten und allen, die die Wahrheit sagen wollen, signalisieren: Wer Informationen über die nationale Verteidigung der USA enthüllt, landet im Gefängnis, möglicherweise für immer.

WSWS: Es ist eindeutig seine sehr dringliche Situation, da die Auslieferung immer näher rückt. Die UN-Sonderberichterstatterin über Folter und mehrere Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen haben sich gegen die Auslieferung ausgesprochen. Können Sie sich dazu äußern?

Gabriel Shipton: Es ist ermutigend, dass die neue UN-Sonderberichterstatterin in diesem entscheidenden Moment eine sehr deutliche Stellungnahme abgibt. Der letzte Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, hat das aus meiner Sicht maßgebliche Buch über die Behandlung und Verfolgung von Julian Assange in den letzten 13 Jahren geschrieben. Es heißt The Trial of Julian Assange. Deshalb ist es sehr ermutigend, dass die neue Sonderberichterstatterin, die sogar Australierin ist, sich geäußert hat.

Ich glaube, das relativiert die Bemühungen der australischen Regierung. Die UN bezeichnen dies als Verstoß gegen Julians grundlegende Menschenrechte und fordern das Vereinigte Königreich auf, Julian nicht auszuliefern. Die australische Regierung dagegen ist nicht einmal dazu in der Lage und bittet nicht einmal ihre engsten Verbündeten, das Vereinigte Königreich und die USA, Julian freizulassen. Deshalb ist es mutig von der UN-Sonderberichterstatterin, aber es wirft auch ein Schlaglicht auf das fehlende Engagement und den fehlenden Mut des Landes, dessen Staatsbürger Julian ist.

WSWS: Können Sie etwas über die Bedeutung des Urteils gegen Joshua Schulte für Assange sagen? Schulte wurde beschuldigt, die von WikiLeaks veröffentlichten Vault 7-Dokumente weitergegeben zu haben, die eine riesige weltweite CIA-Spionageoperation belegen. Dafür wurde er unter barbarischen Bedingungen festgehalten und jetzt zu 40 Jahren Haft verurteilt.

Gabriel Shipton: Was über seine Verurteilung geschrieben wurde, ist die lebenslange Haftstrafe ohne Begnadigung, die aus dem Patriot Act übernommen wurden. Dass dieser gegen Schulte angewandt wurde, macht deutlich, dass die Staatsanwaltschaft in Fällen, in denen es um die nationale Sicherheit geht, auf solche Maßnahmen drängt. Das haben sie auch im Fall von Chelsea Manning versucht, indem sie diese Maßnahmen im Sinne des Patriot Act einführten.

Da er im Fall Schulte benutzt wurde, gehen wir davon aus, dass er auch in Julians Fall eine Rolle spielen wird und dass eine lebenslange Haft ohne Bewährung beantragt wird. Wenn er in die USA ausgeliefert wird, könnte er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen. Das widerlegt die Behauptungen von Leuten wie der amerikanischen Botschafterin in Australien, Caroline Kennedy, und von Labor-Politikern wie Julian Hill, die von irgendeinem geheimnisvollen Deal sprechen, den Julian annehmen sollte, obwohl ganz offensichtlich ist, dass die Staatsanwaltschaft in den USA bereit ist, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Leute dafür zu bestrafen, die Wahrheit zu sagen.

WSWS: Assanges schlechter Gesundheitszustand war die Grundlage für das frühere, mittlerweile gekippte Urteil eines Amtsgerichts, er könne nicht ausgeliefert werden. Wie steht es um Julians Gesundheit, und welche Auswirkungen hat der laufende Auslieferungsversuch auf sie?

Gabriel Shipton: Das war vor zwei Jahren, als das Gericht entschieden hat, dass Julian zu krank ist, um ausgeliefert zu werden. Nach den Expertenaussagen, die damals vor Gericht angehört wurden, ist es für Julian nicht besser geworden. Er hat die letzten Jahre in einem Hochsicherheitsgefängnis verbracht. Seine Situation und sein Gesundheitszustand haben sich seit dem Urteil des Amtsgerichts noch weiter verschlechtert. Das muss von den Gerichten berücksichtigt werden. Ich erwarte nicht, dass sie es tun, aber ich erwarte, dass sich die australische Regierung für einen ihrer Staatsbürger einsetzt, dessen Menschenrechte laut den Vereinten Nationen verletzt werden. Wenn die australische Regierung dazu nicht bereit ist, wozu soll sie dann gut sein?

WSWS: Der Labor-Premierminister Anthony Albanese hatte einmal über Assanges Fall gesagt „genug ist genug“ und „die Sache muss zu einem Abschluss gebracht werden“. Er behauptete, er würde sich bei den USA entsprechend einsetzen. Allerdings scheint er sogar diese Pose weitgehend eingestellt zu haben. Stimmt das?

Gabriel Shipton: Albanese war im Oktober zu Besuch bei Biden in den USA und erklärte, er habe das Thema zur Sprache gebracht. Aber er hat nie behauptet, er habe die Biden-Regierung oder den Präsidenten direkt aufgefordert, Julian freizulassen. Das war jedoch, worauf wir gedrängt haben, eine direkte Aufforderung der Regierung, Julian freizulassen. Die Regierung ist angesichts der näher rückenden Anhörung unheimlich still geworden.

Es wäre uns lieber, sie würden viel mehr tun, und wir fordern von ihr auch immer wieder, einfach das für Julian zu tun, was sie für australische Staatsbürger und Journalisten im Iran, China oder Vietnam tun würden. Was ihr für sie getan habt, das tut auch für Julian. Wir erwarten nur eine faire Behandlung. Allerdings halte ich es in Julians Fall für offensichtlich, dass es für sie etwas ganz anderes ist, weil die Regierung es mit den USA und dem Vereinigten Königreich zu tun hat. Wenn es um unsere Beziehung zu diesen so genannten „Partnern“ geht, wird klar, dass es sich nicht um eine Partnerschaft handelt, sondern dass wir als Diener gesehen werden.

WSWS: Allerdings geht die Labor-Regierung auch im Inland hart gegen Whistleblower vor, u.a. indem sie grünes Licht für die Anklage gegen David McBride gibt, der Kriegsverbrechen in Afghanistan aufgedeckt hat. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesem Vorgehen und ihrer Untätigkeit bei der Verteidigung von Assange?

Gabriel Shipton: Vielleicht. Es gibt diese staatlichen Institutionen, die an früheren Regierungen beteiligt waren, die Julian offen feindselig gegenüberstanden. Die Politiker haben vielleicht gewechselt, aber die staatlichen Institutionen sind noch die gleichen, und ihre Haltung zu Julian war immer, dass sie sich von der Wahrheit und von Leuten bedroht fühlten, die enthüllen, was sie hinter verschlossenen Türen tun. Das war genauso bei diesen anderen Anklagen.

WSWS: Das Magazin The Nation hat letzten Monat einen Artikel von Charles Glass veröffentlicht, der ein kürzliches Treffen mit Assange im Gefängnis Belmarsh schilderte. Julian soll sich Berichten zufolge besorgt geäußert haben, dass WikiLeaks nicht mehr so viele Enthüllungen über Kriege veröffentlichen kann wie früher. Seine Verfolgung hat andere Whistleblower abgeschreckt, und die Organisation wurde Ziel von finanziellen und anderen Sanktionen. Offensichtlich handelt es sich bei den Auslieferungsversuchen um Vergeltung, aber können Sie sich dazu äußern, über das, was Assange da gesagt hat, angesichts des Krieges in der Ukraine, des Völkermords im Gazastreifen und der Gefahr eines Weltkriegs?

Gabriel Shipton: Ich bin mir sicher, dass es so ist. Man muss sich nur daran erinnern, dass diese Projekte für Kriege im Ausland eskalierten, als es gegen Julian wirklich losging, und sie mussten Julian von der Bildfläche verschwinden lassen. Als die Verfolgung wirklich forciert wurde, das war 2017 und 2018, mussten sie ihn zum Schweigen bringen, und das haben sie 2019 geschafft, als sie ihn aus der Botschaft gezerrt und ins Gefängnis gesteckt haben. Das führte zu den Ereignissen von 2020, und heute zu diesen scheinbar endlosen Konflikten im Nahen Osten und der Ukraine. Ich glaube nicht, dass diese Projekte in gleicher Weise möglich gewesen wären, wenn WikiLeaks noch im Spiel wäre und wenn Julian noch mitreden könnte.

WSWS: Ein Aspekt der Lage ist, dass wir die schrecklichen Kriegsverbrechen im Gazastreifen erlebt haben, die jedoch weltweit massiven Widerstand ausgelöst haben, was auf eine breitere Antikriegsstimmung hinweist. Wir halten das im Fall von Assange für relevant, weil wir glauben, der Kampf für seine Freiheit hängt von einer massiven Antikriegsbewegung von Arbeitern und Jugendlichen ab. Können Sie dazu etwas sagen?

Gabriel Shipton: Ich glaube, das ist sicherlich notwendig. Ich glaube nicht, dass Julian ohne eine solche Bewegung freikommen kann. Die Arbeit von WikiLeaks und Julian hat eine unglaubliche Affinität zur weltweiten Antikriegsbewegung. Das wird definitiv eine wichtige Rolle für Julians Freiheit spielen und diese Bewegung in die Parlamente der Welt und den Kongress tragen, damit sich die Entscheidungsträger damit auseinandersetzen. Ich glaube, es gibt einen Weg für diese Antikriegsbewegungen, mit dem politischen Kapital, von dem sie im Moment so viel besitzen, wirklich effektiv vorwärtszukommen.

Ich glaube auch, dass Leaks und Whistleblower ebenfalls von entscheidender Bedeutung für Julians Freiheit sind. Vor kurzem haben Whistleblower in der ecuadorianischen Botschaft dieses ganze Material veröffentlicht – Aufzeichnungen und E-Mails der Sicherheitsfirma, die Julian bewachen sollte, aber in Wirklichkeit der CIA dabei geholfen hat, ihn auszuspionieren und seine Entführung und sogar seine Ermordung zu planen. Diese Art von Leaks werden eine wichtige Rolle dabei spielen, die Korruption und den Einsatz dieser Institutionen bei Julians Verfolgung aufzudecken, was die Leute noch nicht wirklich verstehen. Aber dazu brauchen sie diese Originaldokumente und das Quellenmaterial, die nicht widerlegt werden können.

WSWS: Julian ist offensichtlich eine Person des öffentlichen Lebens – ein Journalist und ein politischer Gefangener –, aber er ist auch ein Ehemann, Bruder, Sohn und Vater von zwei kleinen Kindern. Können Sie uns etwas über die Auswirkungen seiner Verfolgung auf die Familie sagen?

Gabriel Shipton: Wir konzentrieren uns alle darauf, für Julian zu kämpfen. Nicht nur indem wir für seine Freilassung kämpfen. John [sein Vater] und Stella [seine Frau konzentrieren sich darauf, ihn im Gefängnis am Leben zu erhalten und ihm eine emotionale Rettungsleine zur Außenwelt zu sein.

Ich denke, die Kampagnen, ob sie erfolgreich sind oder nicht, halten Julian am Leben, machen ihm Hoffnung, dass draußen Menschen für ihn kämpfen, dass noch nicht alles verloren ist. Millionen Menschen unterstützen ihn, Presseinstitutionen, führende internationale Politiker und auch Leute auf der Straße. Für mich als Julians Familienmitglied ist es fast genauso wichtig, ihm diese Nachrichten zu bringen, wie die Aktionen selbst, weil es ihn aufrechterhält, am Leben hält.

Ich habe von vielen politischen Gefangenen auf der ganzen Welt gehört, und sie alle sagen, dass es sie in der Zeit ihrer Haft aufrechterhalten hat, zu wissen, dass draußen Leute für sie kämpfen.

Was die Auswirkungen angeht, wir sind alle vereint im Kampf für Julian. Das hat Auswirkungen. Ich muss Zeit getrennt von meiner jungen Familie verbringen, wenn ich mich im Ausland für Julian einsetze, genau wie Julian es getan hat. Es hat also große Auswirkungen. Sie sind genauso Opfer von Julians Verfolgung. Julians Leiden ist beispiellos, aber auch andere sind in einer Weise betroffen, die noch lange bis in die Zukunft anhalten wird.

#Titelbild: Gabriel Shipton [Photo]

Quelle: wsws.org… vom 20. Februar 2024

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