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Der Putsch in Bolivien und die Debatte über wirtschaftliche Motive

Eingereicht on 22. November 2019 – 11:10

Gaston Remy. Während die Putsch-Regierung zusammen mit den Streitkräften Arbeiterklasse und die Bauernschaft, die sich weiterhin wehren, unterdrückt und die MAS [die Partei von Evo Morales] zusammen mit Führungen

der Gewerkschafts- und Sozialbewegungen mit den Putschisten verhandelt, ergeben sich in Argentinien unterschiedliche Interpretationen über die wirtschaftlichen Motive des Putsches.

Die in Bolivien nach dem Putsch entstandene Lage erregt allgemeine Aufmerksamkeit, auch in der argentinischen Provinz Jujuy. Die Bilder vom Massaker an der Landbevölkerung der Kleinstadt Sacaba in Cochabamba oder von der Repression in der Kohlenwasserstofffabrik Senkata in der Stadt El Alto lassen keinen Zweifel aufkommen. Es handelt sich um einen Putsch.

Innerhalb des breiten Spektrums der Argentinier, die sich gegen die Putschisten stellen, kursieren unterschiedliche Interpretationen über die wirtschaftlichen Motive, die hinter dem Putsch stehen. Im Großen und Ganzen könnten wir sie in zwei Visionen zusammenfassen. Eine von ihnen spricht von einer «neoliberalen Rache», die die Beseitigung der wirtschaftlichen Verbesserungen betont, die durch die Arbeiter-, Bauern- und Volksmehrheiten während der MAS-Regierungszeit in Bezug auf Beschäftigung und Zugang zum Konsum erzielt wurden, Einkommenssteigerungen, die die Armut reduzierten und ihre Lebensbedingungen verbesserten. Mit dem ökonomischen Motiv verbunden steht die Entwicklung des Rassenhasses gegen die Mehrheit einer indigenen Bevölkerung als Mechanismus der sozialen Disziplinierung zu entwickeln. Dieser könnte bei einer allfälligen Konsolidierung des putschistischen Regimes eine stärkere Ausbeutung der Arbeitskräfte ermöglichen. Aus diesem Grund ertönt in den Straßen der Schrei, „die Pollera wird respektiert, Carajo“ [Die Pollera ist der traditionelle Überwurf bei den Indigenen Lateinamerikas].

Ein zweites Motiv sind die imperialistischen Interessen an den Bodenschätzen des Landes, die in seiner Geschichte eine Konstante waren. Während der Regierungen von Evo Morales erhob der Staat bestimmte Einwände, und verband sich über eine Aktienmehrheit mit dem ausländischen Kapital wie beispielsweise bei der Gewinnung von Gas und Kohlenwasserstoffen. Eine der Ressourcen, die am meisten im Fokus stehen würden, ist das im Salar de Uyuni enthaltene Lithium, das zusammen mit den Salinen im Norden Chiles und dem NOA in Argentinien 70% der weltweiten Vorräte dieses Minerals umfasst. Nach dem Scheitern einer Partnerschaft zwischen der staatlichen Yacimientos de Litio de Bolivia (YLB) und einem deutschen Unternehmen (ACI Systems) zur Herstellung von Lithium-Batterien aufgrund des Druckes von Bürgerinitiativen in Potosí stellt sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen bezüglich dieser strategischen Ressource. Darüber ist zu einem Konflikt zwischen Unternehmen in den Vereinigten Staaten, Deutschland und China gekommen, in dem sich die Regierung Morales mit einem unter ihnen verbünden wollte.

Es besteht kein Zweifel daran, dass das ausländische und lokale Kapital hinter dem Putsch steht. Diesen Ansätzen fehlt jedoch sozusagen eine Integration in die weitere Dynamik der bolivianischen Wirtschaft. Obwohl sie nach wie vor das höchste Wachstum in der Region aufweist, erlebt sie gleichzeitig eine anhaltende Erschöpfung durch die Umkehrung der Faktoren, die ihr seit 2005 Impulse gegeben haben. Darunter der Preis für Mineralien, vor allem aber für Gas und die geringere Produktion von Kohlenwasserstoffen, was eine der Hauptfinanzierungsquellen für den Staat schwächt. Infolge der niedrigeren Steuereinnahmen besteht seit 2014 ein anhaltendes Defizit, das sich aus der grundsätzlichen Aufrechterhaltung der öffentlichen Investitionen und der Umverteilungspolitik ergibt, was zu allen möglichen Spannungen bei der Finanzierung führt.

Während die Zentralbank dieses Defizit weitgehend durch Kredite an den öffentlichen Sektor und vor allem durch Verschuldung im Ausland gedeckt hat, haben beide Faktoren die Reserven aufgebraucht; dazu kommen die negativen Auswirkungen des Widerstandes gegen die «Roten» im Außenhandel und im Kapitalverkehr, die zu einem noch stärkeren Druck auf die dauerhaft sinkenden Reserven führen (36% zwischen 2015 und dem Juni 2019). Die Regierung von Evo Morales hatte diese potenzielle Krise mit einer noch härteren Strukturanpassung (in diesem Jahr mit der Nichtzahlung des Doppelbonus im öffentlichen und privaten Sektor) verwaltet. Dahinter stand und zwar mit dem Wunsch, eine allmähliche Verbesserung mit den Interessen des Imperialismus und der Großbourgeoisie in Einklang zu bringen. In diesem Sinne gab er ihren dominanten Unternehmerinteressen nach, insbesondere der Agroindustrie und den Viehzüchtern im Osten, indem er die Ausweitung Agrargrenze beschloss. Dies ist die Quadratur des Kreises, der die materiellen Grundlagen der Macht der Sektoren sicherte, die nun zum Putsch ansetzten. Im aktuellen noch unbestimmten Stadium wollen sie den Putsch nutzen, um die Drecksarbeit zugunsten der grossen Kapitale zu verrichten.

Als erste Schlussfolgerung, wenn wir den eisernen Griff betrachten, den «die Oligarchien und der Imperialismus» den linkspopulistischen Regierungen aufzwingen – wie der Journalist Claudio Scaletta behauptet – müssen wir die Grenzen hervorheben, die diese Regierungen gerade der Massenbewegung auferlegen, indem sie versuchen, die kapitalistischen und imperialistischen Unternehmen ausgewogen zu verwalten, während sie den Mehrheiten bestimmte Zugeständnisse machen, ohne jedoch die grundlegenden Interessen der Ersteren zu beeinträchtigen. Wenn die Wirtschaft zu kriseln beginnt, kann nur der Klassenkampf entscheiden, wer für die Krise bezahlt. Es ist derselbe Klassenkampf mit der sozialen Kraft der Bergleute und Arbeiter in strategischen Sektoren wie Gas und Transport, der es ermöglicht, gemeinsam mit den Bauern, Jugendlichen und Studenten die Putschisten und ihren Plan für den grossen Ausverkauf des Landes zu besiegen. Darüber nachzudenken ist unumgänglich, wollen wir dieses historische Dilemma siegreich überwinden.

Quelle: laizquierdadiario.com.bo… vom 21. November 2019; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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