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Die FPÖ und der Faschismus in Friedenszeiten

Eingereicht on 19. Juni 2019 – 14:37

David Albrich. Die Koalitionsregierung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) war für Antifaschistinnen und

Antifaschisten weltweit ein Schock. Aber welche Strategie verfolgten die Faschisten der FPÖ in der Regierung?

In einem
internationalen Aufruf zum Boykott der österreichischen Regierung, zuerst
veröffentlicht in der französischen Zeitung Le
Monde
, werden die Freiheitlichen zu Recht als »Erben des Nazismus«
bezeichnet. Wie viele andere versteht der Autor die FPÖ als eine
faschistische Partei
. Aber die Freiheitliche Partei Österreichs oder,
allgemeiner formuliert, die neuen, maskierten faschistischen Parteien (oft als
»rechtspopulistisch« verharmlost
), wie der Front
National
 (jetzt: Rassemblement National) in Frankreich, die »Alternative
für Deutschland
« (AfD), »Lega Nord«
in Italien oder die Schwedendemokraten,
scheinen nicht Punkt für Punkt in die klassischen Faschismusdefinitionen zu
passen – egal ob in die Faschismusanalyse von Leo Trotzki oder in
jene, die von anderen politischen Traditionen entwickelt wurden. Dieser Artikel
behandelt eine faschistische Partei, die in Zeiten in die Regierung gekommen
ist, in denen die Errichtung einer faschistischen Diktatur oder gar nur die
Formierung einer SA-ähnlichen Straßenbewegung weit weg zu sein scheint. Ich
nenne ihre Strategie, nämlich das Verstecken ihres faschistischen Projekts und
die politische Aufbereitung des Bodens für einen faschistischen Straßenflügel,
»Faschismus in Friedenszeiten«. Der Artikel versucht, von der österreichischen
Erfahrung zu verallgemeinern und einige Schlussfolgerungen für die
internationale Entwicklung zu ziehen.

Hintergrund des
Aufstiegs der Rechten

Der globale Kontext,
in dem ÖVP und FPÖ die Wahlen im Oktober 2017 gewonnen haben (mit 31,5 Prozent
beziehungsweise 26,0 Prozent), ist charakterisiert durch die enorme politische
Destabilisierung in Europa und den übrigen westlichen Industriestaaten. Sie
drückt sich aus in der Polarisierung des politischen Parteiensystems nach links
und nach rechts. Hintergrund dieser Entwicklung ist die anhaltende
Stagnationskrise des Weltkapitalismus und die mehr oder weniger ungebrochene
ideologische und praktische Vorherrschaft des Neoliberalismus. Die politische
Dynamik, die hier am Werk ist, ist entscheidend.

Die Entstehung oder
das Erstarken bereits bestehender neofaschistischer oder rechtsnationaler
Parteien ist vor allem ein Produkt des Rassismus
von oben
. Rassismus ist eine Herrschaftsideologie, die von der
bürgerlich-kapitalistischen Klasse und deren Thinktanks, Medien und Politikerinnen
und Politikern produziert und verbreitet wird, um ihre Klasseninteressen zu
legitimieren und die große Mehrheit der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen
zu spalten. In fast allen Staaten Europas haben die etablierten Parteien und
ein Großteil der Medien sich an der rassistischen Hetze gegen Geflüchtete,
Muslime oder andere ethnische oder religiöse Minderheiten beteiligt. Der
Aufstieg der radikalen Rechten in Europa stellt die Linke vor große
Herausforderungen. Ein große Schwäche der Linken im Abwehrkampf gegen Rechts
ist, dass sie – vor allem die sozialdemokratischen Parteien – den Kurs
der neoliberalen Austeritätspolitik
 als Weg zur Krisenüberwindung als
Regierungsparteien mitgetragen haben, und, sobald es zu erneuten
Regierungsbeteiligungen der Linken kommt, weiter an dieser Politik festhalten.

Die Menschen haben zu
Recht die Schnauze voll von leeren Versprechungen der Politikerinnen und
Politiker und erwarten sich echte Veränderungen. Oft ist es die Rechte, die
diese Wut auf »das Establishment« gegen Muslime, Flüchtlinge und Migranten
kanalisieren kann – das haben sowohl FPÖ als auch ÖVP sehr erfolgreich
geschafft. Sie haben in ihren Wahlkämpfen und in der Regierung signalisiert,
dass mit ihnen kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Wenn man die
Wahlkampagnen von FPÖ und ÖVP betrachtet, könnte man nicht sagen, wer von
beiden die faschistische und wer die konservative Kraft ist. Das wiederum
bestärkt die radikale Rechte und gibt faschistischen Straßenbewegungen
Selbstvertrauen. So ähnlich FPÖ und ÖVP auch aussehen und sich in der Regierung
verhalten, gibt es doch wichtige Unterschiede zwischen faschistischen Kräften
und traditionellen konservativen Rechten, wie ich später aufzeigen werde.

»Paradigmenwechsel in
der Gesellschaftspolitik«

Die
Regierungsbeteiligung der FPÖ als Juniorpartner widerspricht der historischen
Erfahrung mit Faschismus. Heute würde man von Faschisten erwarten, dass sie
Hitlers Strategie der totalen Macht übernehmen. Hitler bestand auf der
Kanzlerschaft und lehnte es ab, als Juniorpartner in eine Koalitionsregierung
zu gehen. Der Bundessprecher der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander
Gauland
, wiederholte diese Strategie, als
er meinte
, die AfD solle eine »knallharte Opposition« sein und es dürfe
keine »Anbiederung an die Regierenden geben«.

Elmar Podgorschek,
führender freiheitlicher Politiker und Mitglied des FPÖ-Bundesvorstands,
diskutierte genau diese Frage mit dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke
auf einem AfD-Treffen im Mai 2018. In seiner Rede »Was die
AfD von der FPÖ lernen kann
« sagte Podgorschek:

»In der Opposition
ist es natürlich wesentlich einfacher, aber auch Regieren ist nicht so schwer,
wenn man gewisse Grundregeln einhält und das auch weitergibt … Wir haben uns
diese Entscheidung nicht leicht gemacht, aber dennoch war es für uns so wichtig
… Durch die Migrationskrise und die Wirtschaftskrise ist es dringend nötig,
dass wir einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaftspolitik einleiten.«

Podgorschek sprach
dabei sehr offen über die Diskussionen in der Führung, bevor diese entschied,
als Juniorpartner in die Regierung zu gehen. Er gibt einen interessanten
Einblick in die gesamte Politik der FPÖ in der Regierung. Sie konzentriert sich
darauf, Widerstände im Staat selbst zu brechen (in den Institutionen, den
Ministerien, dem öffentlichen Rundfunk), auf Politik für und durch die Polizei,
auf den Parteiaufbau und auf die Wahrung ihrer Unabhängigkeit von anderen
politischen Strömungen, besonders gegenüber ihrem Koalitionspartner ÖVP. Bis
zum Bruch der Regierungskoalition nach Bekanntwerden der Ibiza-Affäre ging
diese Strategie auch auf: Alle Umfragen zeigten, dass die FPÖ (und auch die
ÖVP) ihre Stimmen ein Jahr nach dem Regierungsantritt hat halten können –
andere faschistische Kräfte werden auf die FPÖ und ihre Strategie schauen. Es
ist demnach wichtig, hier ein paar allgemeinere Schlüsse aus der FPÖ-Strategie
zu ziehen.

Unterwanderung und
der Umbau des Staats

Die FPÖ-Führung
versuchte bewusst, die Fehler der Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 – als
Juniorpartner der ÖVP – zu vermeiden und den Staat gezielt zu unterwandern und
umzubauen. Konfrontiert mit einer möglichen Regierungsbeteiligung nach dem
rasanten Aufstieg der FPÖ drängte der damalige Führer Jörg Haider die
faschistischen Kader (eine ausführlichere Diskussion dieser Kader aus den
faschistischen Studentenorganisationen, den sogenannten »Burschenschaften«,
folgt später im Artikel) in den späten 1990er-Jahren in die zweite und dritte
Reihe und stellte ungebundene, neoliberale Quereinsteiger an die Spitze, die
letztendlich Minister und Profiteure der Privatisierungspolitik wurden. Nach
zahlreichen Konflikten kam es 2005 zur Parteispaltung und die alte Führung
wurde von Heinz-Christian Strache und den Parteikadern – den Mitgliedern der
faschistischen Burschenschaften – gestürzt.

Seither führte die
Spitze ein strengeres Parteiregime ein und schottete die Partei vor
»Trittbrettfahrern« und »Quereinsteigern« ab, die »nur das schnelle Geld machen
wollen«. Vizekanzler Strache sandte dieses Mal seine harte Elite in alle
wichtigen Regierungspositionen: Sein Redenschreiber Herbert Kickl wurde
Innenminister; Mario Kunasek, der enge Verbindungen zu der Straßenkampftruppe
der »Identitären
Bewegung
« hat, erhielt das Verteidigungsministerium; der ehemalige
Präsidentschaftskandidat und Mitglied der faschistischen Studentenverbindung
»Marko-Germania«, Norbert Hofer, übernahm die Führung im
Infrastrukturministerium. Die Parteikader sitzen nun in vielen Staats- und
staatsnahen Betrieben und brachten selbstverständlich ihr Büropersonal mit.
Elmar Podgorschek bilanzierte
erfreut
: »Wir haben jetzt bei der Übernahme der Bundesregierung beinhart alle
Aufsichtsräte und teilweise, wo es möglich war, die Geschäftsführer der
staatlichen und halbstaatlichen Betriebe ausgetauscht.«

Dies geschah nicht
nur, um die Fehler von 2000 zu vermeiden. Es ist der Kern einer besonders
gefährlichen FPÖ-Strategie. Die FPÖ hatte die Kontrolle über den gesamten
Repressionsapparat des Staates erhalten – mit anderen Worten, über die Polizei,
den Geheimdienst und das Militär. Dass das Innenministerium schon vor der
Regierungsbildung in den Gesprächen mit der ÖVP zur Koalitionsbedingung erhoben
wurde, zeigt die strategische Wichtigkeit des Repressionsapparats für die FPÖ.
Sie versucht, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und den repressiven Kern des
Staates neu aufzustellen. Das führte bereits zu einem Geheimdienstskandal: Im Februar
führte eine Polizeisondereinheit unter Leitung eines FPÖ-Politikers eine Razzia
im österreichischen Geheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung (BVT), durch und beschlagnahmte Daten, die über
Naziorganisationen gesammelt wurden (unter anderem über den Neonazi-Kongress
»Verteidiger Europas«, auf dem Innenminister Kickl, damals noch als
FPÖ-Generalsekretär, als einer der Hauptredner auftrat). Das offensichtliche
Ziel war, unerwünschte Mitarbeiter, welche die rechtsextreme Szene überwachen,
einzuschüchtern und den BVT-Chef, der eine nahe Beziehung zur ÖVP hat, zu
diskreditieren.

Politik für und durch
die Polizei

Das führt uns zu
einem zweiten wichtigen Punkt: Die FPÖ richtete ihre Regierungspolitik auf die
Polizei – aus mehreren Gründen. Sie kann ihren faschistischen Kaderbestand
erweitern, ein weiteres Standbein aufbauen (zusätzlich zur Straßenbewegung,
deren Aufbau ihr derzeit noch Schwierigkeiten bereitet) und über mehr
Staatsrepression ein gesellschaftliches Klima zu ihren Gunsten schaffen, in dem
eine echte faschistische Straßenbewegung wachsen kann. Das macht die
FPÖ-Strategie gefährlicher als jene, die von offeneren Faschisten, wie der
Goldenen Morgenröte in Griechenland, verfolgt wird. Es ist ebenso denkbar, dass
die zukünftige SS – also eine den Faschisten völlig loyale Polizeitruppe –
nicht von außen in den Staatsapparat kommt, sondern von innen entsteht. Die
Polizeieinheit, die die Razzia im Verfassungsschutz durchführte, die
Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS), wird von einem
FPÖ-Polizei-»Gewerkschafter« angeführt, der Beiträge von Neonazis auf seiner
Facebook-Seite geteilt hat. Die EGS
brüstet sich in Polizeikreisen
 gerne mit »Negerklatschen«: Gemeint
ist, Schwarze zu Boden zu ringen und nach Drogen zu durchsuchen.

Das Innenministerium
versuchte gezielt, Neonazis für die Polizei zu gewinnen. Es wurden 4.200 neue
Polizisten rekrutiert und Minister Kickl platzierte Inserate für den
Polizeidienst auf extrem rechten Websites (eine davon ist eng mit der
faschistischen »Identitären
Bewegung
« verbunden) und antisemitischen, islamfeindlichen Magazinen, die
von Neonazis gelesen werden. In denselben Ausgaben gab Kickl Interviews.

Einmal in der Polizei
werden die neuen Rekruten (und natürlich die bereits aktiven Beamten) über eine
spezielle FPÖ-Polizeigewerkschaft, die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und
Freiheitlicher (AUF), das heißt Mitglieder der FPÖ, näher an die Freiheitlichen
herangezogen. Einen Mitgründer der AUF, Peter Goldgruber, holte sich Kickl als
Generalsekretär ins Innenministerium. Im Februar traf sich die AUF-Führung mit
Kickl in seinem Ministerium, um die Arbeit der Gewerkschaft als »Bindeglied«
und »Schnittstelle« zwischen dem Ministerium und den Polizeibeamten zu
koordinieren, wie es Kickl und AUF-Chef Werner Herbert ausgedrückt
haben
.

Gleichzeitig werden
die Beamten radikalisiert und das soziale Klima verändert. Deportationen von
Geflüchteten, besonders von Afghaninnen und Afghanen, werden intensiviert und
Berichte über mehr Abschiebungen werden in den Parteimedien, wie Zeitungen,
über Whatsapp und auf Facebook gefeiert. Das
Innenministerium forderte
 die Polizeidirektionen per E-Mail auf,
künftig »die Staatsbürgerschaft eines mutmaßlichen Täters in … Aussendungen

[und Interviews]

zu benennen … Außerdem gegebenenfalls bei einem Fremden dessen
Aufenthaltsstatus bzw. ob es sich um einen Asylbewerber handelt«.

Seit dem
Regierungsantritt ist ein dramatischer Anstieg an täglichen rassistischen
Personenkontrollen durch die Polizei (Stop and Search) zu beobachten. Ebenso
wie Ethnic Profiling-Maßnahmen entlang von öffentlichen Verkehrsmitteln und
regelmäßige Massenrazzien auf öffentlichen Plätzen und in Parks, in denen
Geflüchtete und Menschen mit schwarzer oder dunklerer Hautfarbe systematisch
von der Polizei zusammengetrieben und nach Drogen durchsucht werden.

Wahrung der
Unabhängigkeit der FPÖ

Die FPÖ-Spitze ist
sich bewusst, dass sie als unabhängige politische Kraft operieren muss. Wie
weiter oben argumentiert, mögen ÖVP und FPÖ über ihren Rassismus und ihre
Anti-Establishment-Maske an der Oberfläche ähnlich erscheinen. Außerdem müssen
beide ihrer Wählerschaft signalisieren, dass sich mit ihnen alles verändern
wird. Aber Faschisten haben ihre eigene Agenda (mehr dazu später). Darüber
hinaus barg die Regierungsbeteiligung die Gefahr, selbst als Teil des
Establishments wahrgenommen zu werden. Der Wunsch nach Veränderung war das
treibende Moment der Nationalratswahl 2017. Wahltagsbefragungen haben
gezeigt, dass rund die Hälfte der FPÖ-Wähler der Meinung waren, dass sich
Österreich in den letzten Jahren negativ entwickelt hat und 35 Prozent von
ihnen waren mit der Vorgängerregierung unzufrieden.

Podgorschek machte
diese Unabhängigkeit in seiner Rede vor der AfD deutlich:

»Die Konservativen
sind bei uns nicht konservativ. Sie sind nur bei Sonntagsreden konservativ. Wir
sagen immer: Sie blinken rechts und biegen links ab … Diese Zusammenarbeit mit
Schwarz [der ÖVP] ist keine Liebesheirat, ich sage das immer, das ist eine
Vernunftehe … Traue keinem Schwarzen!«

Das bedeutet, wie
Podgorschek erklärte, die eigenen Medien auszubauen (Facebook, Youtube-Kanäle,
etc), über die sie einen direkteren Kontakt zur eigenen Wählerschaft herstellen
können, die »Neutralisierung des öffentlichen rechtlichen Rundfunks« und die
Aufrechterhaltung ihres Bildes als vermeintliche Kraft gegen das
»Establishment«, zu dem sie auch die ÖVP zählen. FPÖ-Politiker attackieren
regelmäßig prominente Journalisten und haben bereits begonnen, den öffentlichen
Sender ORF umzubauen. In der bereits zitierten E-Mail an die Polizeidirektionen
griff das Innenministerium die Pressefreiheit an, indem es die
Order ausgab
, die »Kommunikation mit [kritischen] Medien auf das nötigste
(rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken«. Daran wird deutlich, wie die
verschiedenen Aspekte der FPÖ-Regierungsstrategie ineinander greifen: Die
Unterwanderung und der Umbau des Staates, die Politik für und durch die Polizei
und die Wahrung der Unabhängigkeit.

FPÖ: Nachfolgepartei
der NSDAP

Bevor ich zeigen
möchte, dass das Verhalten der Faschisten in der Regierung absolut Sinn ergibt
(was das Argument, dass es sich bei der FPÖ um eine faschistische Kraft
handelt, bestätigen wird), soll von einem historischen Standpunkt aus
argumentiert werden, warum die FPÖ eine faschistische Partei ist. Ich möchte
zuerst einen Blick auf ihre Ursprünge und ihre Kader werfen.

Die FPÖ wurde 1955
von ehemaligen SS-Offizieren gegründet. Sie war, so der Politikwissenschaftler
Anton Pelinka, »von Anfang an erkennbar, ja geradezu demonstrativ eine Gründung
von ehemaligen Nationalsozialisten für ehemalige Nationalsozialisten«. Sein
Urteil ist vernichtend:

»In keinem anderen
Land Europas ist eine derartige Kontinuität zwischen einer Partei, die eine
barbarische Diktatur verkörperte, und einer in einem postfaschistischen (oder
postnazistischen) liberal-demokratischen System als »Normalpartei« agierenden
Parlamentspartei festzustellen. Die FPÖ repräsentiert die Fortsetzung der
deutsch-völkischen Tradition, deren Höhepunkt der Nationalsozialismus und der
von diesem zu verantwortende Holocaust war.«

Mit anderen Worten,
die FPÖ muss als Nachfolgepartei der NSDAP verstanden werden. Der erste
FPÖ-Obmann war Anton Reinthaller, ein ehemaliger SS-Brigadeführer sowie
Reichstagsabgeordneter der NSDAP. 1938, kurz vor der Annexion Österreichs durch
Nazideutschland, wurde er NS-Landwirtschaftsminister im »Anschlusskabinett«. In
seiner Antrittsrede als erster FPÖ-Obmann sagte Reinthaller: »Der nationale
Gedanke bedeutet in seinem Wesen nichts anderes als das Bekenntnis der
Zugehörigkeit zum deutschen Volk.«15 Reinthallers Nachfolger, Friedrich Peter,
war SS-Obersturmführer und Mitglied der berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade,
die unter direktem Befehl von Heinrich Himmler stand und für die schwersten
Kriegsverbrechen im Hinterland der Ostfront verantwortlich war. Im September
1941 vernichtete Peters Einheit das Dorf Leltschitky und erschoss 1.089
Jüdinnen und Juden.

Faschistische
Kaderschmieden

Seit ihrer Gründung
spielen die sogenannten »Burschenschaften« und ähnliche Organisationen
(»Landsmannschaften«, »Corps«,…) eine zentrale Rolle in der FPÖ. Zusammen mit
dem Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) und dem Ring Freiheitlicher Studenten
(RFS), derenFührungsmitglieder sich aus den Burschenschaften rekrutieren,
bilden sie die Kaderschmiede der FPÖ. In Österreich gibt es nur rund 4.000
Mitglieder von Burschenschaften (und um präzise zu bleiben, von allen
deutschnationalen Korporationen), aber sie haben die vollständige Kontrolle
über die FPÖ. Führer Strache ist Mitglied der »Vandalia Wien« und vier seiner
fünf Stellvertreter sind Burschenschafter. 20 von 33 Mitgliedern des
Bundesvorstands und 21 von 51 Abgeordneten im Parlament gehören
deutschnationalen Verbindungen an. Die Burschenschaften funktionieren dabei
nicht nur als Kaderschmieden für die FPÖ, sondern alle prominenten
Neonazi-Führer in Österreich kommen aus diesem Milieu.

In der Zwischenkriegszeit führten
ihre Mitglieder die blutige Konterrevolution als Befehlshaber der Freikorps an
und bildeten ein wichtiges Standbein der NSDAP in Deutschland und Österreich.
Sie machten in der Nazi-Maschinerie schnell Karriere und organisierten den
Holocaust und die Auslöschung ganzer Dörfer und Regionen als Teil der
»Partisanenbekämpfung«. SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner von der
Burschenschaft »Arminia Graz« war Nachfolger des Chefs des
Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Reinhard Heydrich, und damit Leiter der
Naziterrormaschinerie; SS-Untersturmführer Irmfried Eberl von der »Germania
Innsbruck« ermordete als Kommandant des Konzentrationslagers Treblinka
hunderttausende Jüdinnen und Juden aus dem besetzten Polen und der Ukraine;
SS-Obersturmführer und SS-Arzt Hermann Richter von der »Sängerschaft Skalden
Innsbruck« entnahm in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen
Lagerinsassen bei vollem Bewusstsein Organe, um zu beobachten, wie lange sie
diese Folter überleben konnten. Bis heute ehren die Burschenschaften diese
Nazibestien in ihren Mitgliederlisten. 2004 hielt FPÖ-Obmann Strache selbst die
»Totenrede« beim jährlichen »Heldengedenken«, um die gefallenen deutschen
Soldaten im Zweiten
Weltkrieg
 zu ehren – genau am Tag der Befreiung vom
Nationalsozialismus am 8. Mai.

Kein Wunder, dass die
Burschenschaften noch immer Lieder wie »Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir
schaffen die siebte Million« singen, wie zu Beginn des Jahres 2018 bei der
Burschenschaft »Germania Wiener Neustadt« aufgedeckt
wurde
.

Die Umkehrung der
Strategie Hitlers

Auch wenn die
Regierungsbeteiligung der faschistischen FPÖ sehr bedrohlich war, drohte nicht
unmittelbar die faschistische Machtübernahme und Diktatur wie 1933 in Deutschland.
Das Verhalten der FPÖ in der Regierung war so, wie ich es von geschickten
faschistischen Parteien in Friedenszeiten im Vergleich zu Zeiten von
Bürgerkrieg und imperialistischen Kriegen erwarte.

Es gibt einen
wesentlichen Unterschied zwischen der Zwischenkriegszeit und heute. In den
Analysen von Leo Trotzki wird
deutlich, dass der Faschismus zwei Flügel benötigt; einen parlamentarischen
Flügel, welcher der Bewegung ein respektables Gesicht gibt und die Gegner
lähmen kann, und einen Flügel auf den Straßen, eine wirkliche Massenbewegung
als Machtbeweis, die imstande ist, politische Gegner zu terrorisieren. Adolf
Hitler musste seine Sturmtruppen, die auf den Straßen bereits stark waren,
zähmen und einen respektablen Parlamentsflügel aufbauen sowie bei Wahlen
antreten.

Der Historiker Robert
O. Paxton betonte in seiner vergleichenden Analyse verschiedener Formen des
»klassischen Faschismus« der 1920er- und 1930er-Jahre, dass »einige wenige
faschistische Bewegungen«, wie jene von Hitler und Mussolini, »sehr viel
erfolgreicher als die übliche Sorte faschistischer Straßenredner und
Schlägertypen« wurden. Erstere fühlten sich »(…) nicht nur zur Herrschaft
berufen, sondern waren auch von keinem der Gewissensbisse der Puristen geplagt,
an bürgerlichen Wahlen teilzunehmen. [Hitler und Mussolini] machten sich daran
– mit eindrucksvollem taktischen Geschick und auf durchaus verschiedenen Wegen,
die sich über Versuch und Irrtum erschlossen –, zu unentbehrlichen Teilnehmern
im Rennen um die politische Macht in ihren Ländern zu werden. (…) Die meisten

[der]

schwachen Imitate zeigten, dass es nicht ausreichte, ein buntes Hemd
überzuziehen, herumzumarschieren und irgendeine lokale Minderheit zusammenzuschlagen,
um den Erfolg eines Hitler oder Mussolini zu haben … Die Imitate brachten es
über das Gründungsstadium nicht hinaus und unterlagen daher auch nicht den
Transformationen der erfolgreichen Bewegungen. Sie blieben »rein« – und
bedeutungslos.«

Hitler musste seine
Strategie nach dem gescheiterten Putschversuch von 1923 in München anpassen. Er
dachte zunächst, dass es genügen würde, bewaffnet auf die Zentren der Macht zu
marschieren und die herrschende Klasse würde sich auf seine Seite schlagen. Aber
die Polizei eröffnete das Feuer auf Hitler und seine Begleiter, er selbst wurde
inhaftiert. Die herrschende Klasse fürchtete, dass – wenn sie sich mit Hitler
verbünden würden – ein erfolgreicher Putsch erneut einen Aufstand der
Arbeiterklasse provozieren könnte, wie schon beim Kapp-Putsch 1920, als sich
Arbeiter in ganz Deutschland gegen die Konterrevolution bewaffneten. Das
Ruhrgebiet fiel de facto unter die Kontrolle der Roten Ruhrarmee. Die Regierung
brauchte mehrere Monate, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Im
Gefängnis in Landsberg zog Hitler den Schluss, dass er seine Bewegung unter
Kontrolle halten und einen offiziell wirkenden Parlamentsflügel aufbauen
musste:

»Statt die Macht
durch Waffengewalt zu erringen, werden wir zum Ärger der katholischen und
marxistischen Abgeordneten unsere Nasen in den Reichstag stecken. Wenn es auch
länger dauert, sie zu überstimmen als sie zu erschießen, so wird uns
schließlich ihre eigene Verfassung den Erfolg garantieren.«

Wenn er von den
deutschen Eliten ernst genommen werden wollte und ihm die mächtigsten Männer
Deutschlands die Führung über die Konterrevolution anvertrauen sollten, musste
Hitler eine politische Massenbewegung inner- und außerhalb des Parlaments
aufbauen. Die SA sollte vor allem unbewaffnet aufmarschieren und Hitlers
langfristige Perspektive des parlamentarischen Wachstums der Nazis sollte seine
Gegner beruhigen und täuschen. Ein Häufchen Schlägerkommandos, die Terror
verbreiten, würde zu wenig sein. Er schrieb an SA-Chef Pfeffer von Salomon in
seinem »SA-Befehl Nr. 1«, dass die SA nicht nach »militärischen«, sondern nach
»parteizweckmäßigen« Gesichtspunkten zu organisieren sei: »Was wir brauchen,
sind nicht hundert oder zweihundert verwegene Verschwörer, sondern
hunderttausend und aberhunderttausend fanatische Kämpfer für unsere
Weltanschauung. Nicht in geheimen Konventikeln soll gearbeitet werden, sondern
in gewaltigen Massenaufzügen.«

Und dennoch, wie Trotzki argumentierte,
hatte »Hitler nicht übersehen, dass der Weg zur Macht durch grausamsten
Bürgerkrieg hindurchführt«, und »dass seine Reden vom friedlichen,
demokratischen Weg eine bloße Tarnung sind, eine Kriegslist.«

Heute drehen manche
Faschisten diese Strategie um. Sie sind bereits stark in den Parlamenten, haben
aber Probleme, eine Massenbewegung auf der Straße aufzubauen.

Hürden für militante
Straßenbewegung

Warum es modernen
Faschisten nur in Ansätzen gelingt, Massenaufmärsche auf
den Straßen
 zu organisieren, das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es
in vielen Ländern eine lebendige antifaschistische Tradition, die den Versuch
der Faschisten, die Vorherrschaft
über die Straße
 zu gewinnen, bekämpft.

Zum anderen existiert
der dunkle Schatten von Auschwitz, der dem Faschismus heute im Weg ist.
Faschisten bauen vor dem Hintergrund der Schrecken des Zweiten Weltkriegs auf.
Seit Auschwitz verbindet man mit Faschismus Krieg und den Holocaust. Alles, was
damit verbunden ist, versucht eine faschistische Partei zu verstecken
(wenngleich sie von Zeit zu Zeit ihren Anhängerinnen und Anhängern keinen
Zweifel über ihre Bewunderung für Hitlers Terror und den Holocaust lassen). Ein
weiterer Grund ist, dass die wirtschaftliche Krise noch nicht tief genug ist,
dass verzweifelte Massen des Kleinbürgertums und Teile der deklassierten Arbeiterklasse
zu einer faschistischen, gewaltbereiten Straßenbewegung strömen würden. Die
Gesellschaften in den 1920er  und 1930er Jahren waren radikalisiert durch
die imperialistischen Kriege und Aufmärsche der Freikorps, Heimwehren usw. auf
der rechten und des Republikanischen
Schutzbundes
, des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold usw. auf der linken Seite.

Faschistisches
Projekt der FPÖ

Die Tatsache, dass
moderne Faschisten Probleme beim Aufbau einer massenhaften Straßenbewegung
haben, ändert nichts daran, dass sie Faschisten sind. Maskierte faschistische
Parteien, die sich auf die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu ihren
Gunsten, die Unterwanderung und den Umbau des Staates und die Herausbildung von
Parteikadern konzentrieren, sind meinem Verständnis nach noch gefährlicher als
offener auftretende Faschisten, wie beispielsweise die Goldene Morgenröte in
Griechenland.

Moderne Faschisten
versuchen, sich bei dem radikalsten, unzufriedensten Teil der herrschenden
Klasse zu beweisen. Aber zwischen der traditionellen Rechten (Republikaner,
ÖVP, Konservative, Orbán…) und faschistischen Kräften (Alt-right-Bewegung,
FPÖ, Jobbik…) besteht eine besondere Beziehung. Die Arbeitsteilung liegt darin:
Ein aggressiverer, gewalttätigerer Neoliberalismus im Gegenzug für die
Rehabilitierung von Faschismus. In Österreich agiert die Freiheitliche Partei
als Kettenhund für die konservative, neoliberale Rechte. Um seine Gegner zu
bezwingen (inner- und außerhalb des Parlaments) und seine neoliberale Agenda
(12-Stunden-Tag, Zerschlagung des Sozialversicherungssystems, Kürzungen im
Sozialsystem für Langzeitarbeitslose etc.) nutzt Kanzler Kurz die Brutalität
und Skrupellosigkeit der FPÖ.

Die FPÖ verfolgt im
Allgemeinen eine flexible Wirtschaftspolitik –, in der Opposition forderte sie
manchmal sogar Reichensteuern und lehnte den 12-Stunden-Arbeitstag ab. Als vor
den letzten Nationalratswahlen absehbar wurde, dass sie mit der ÖVP die nächste
Regierung bilden würde, passte sie ihr Wirtschaftsprogramm mehr oder weniger
gänzlich der neoliberalen Agenda des bevorstehenden Koalitionspartners an. Aber
Neoliberalismus ist nicht ihre Priorität. Es sieht mehr nach einem Gefallen für
die herrschende Klasse aus, der die Freiheitlichen ihre Würdigkeit beweisen
wollen. Ihre oberste Priorität in der Regierung ist der Umbau des repressiven
Staatsapparats und die Wahrnehmung des günstigen Augenblicks, ihre Agenda der Verrohung
der Gesellschaft voranzutreiben. Im Gegenteil, die FPÖ ist sich dessen völlig
bewusst, dass die neoliberale Wirtschaftspolitik ihre eigenen Wähler (Teile der
unzufriedenen, unorganisierten Arbeiterklasse) eher trifft als die bürgerliche
Basis der ÖVP. Strache überließ das Finanzministerium der ÖVP und setzte selbst
eine unbekannte Figur in das Sozialministerium, die man – falls nötig – leicht
absägen und von der Partei trennen könnte.

Die Arbeitsteilung
konnte man am besten im Deal zwischen FPÖ und ÖVP im Fall von Österreichs
Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt beobachten. Wie aufgedeckt wurde, drängte
die FPÖ zum Rückzug aus dem Pakt, der bis dahin von Kanzler Kurz begrüßt wurde.
Mit dem Ausstieg rollte Strache der Straßenkampftruppe der »Identitären Bewegung«,
die wochenlang eine Kampagne gegen den UN-Migrationspakt organisierte, den
braunen Teppich aus. Im Gegenzug erhielt Kurz’ ÖVP die Zustimmung der FPÖ bei
der Zerschlagung
der »Notstandshilfe«
 (eine Sozialleistung für Arbeitslose). Allerdings
förderte dieser Fall auch die Instabilität des Deals zu Tage. Infolge wütender
Attacken seiner Wähler musste
Strache beteuern
, dass niemand enteignet werde. Auf der anderen Seite brach
ÖVP-Wissenschaftsminister Heinz Faßmann sein Schweigen
 und griff
indirekt Kanzler Kurz und seinen Vize Strache an, indem er den Rückzug aus dem
UN-Migrationspakt beklagte. Er sagte: »Österreich ist natürlich ein
Einwanderungsland.«26

Schlussfolgerungen

Faschismus ist eine
flexible politische Bewegung. Die faschistische Bewegung war nach 1945 nie weg,
sondern hat nur verschiedene Organisationsformen angenommen. Auch heute agieren
Faschisten und haben europaweit Erfolg – vor allem mit parlamentarischen
Formationen. Auf dem Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1933 blickte Hitler
zurück auf den Weg der Partei an die Macht: »Allmählich entstand im Staat der
Demokratie der Staat der Autorität, im Reiche der jammervollen
Gesinnungslosigkeit ein Kern fanatischer Hingebung und rücksichtsloser
Entschlossenheit. Eine einzige Gefahr konnte es gegen diese Entwicklung geben:
Wenn der Gegner (…) mit letzter Brutalität am ersten Tag den ersten Keim der
neuen Sammlung vernichtete.«

Entschlossener
Widerstand gegen jeden Versuch faschistischer Organisierung ist allerdings
nicht nur deswegen nötig, weil in der Zukunft möglicherweise eine große Gefahr
lauern könnte.

In der derzeitigen
politischen Entwicklung ist Rassismus das entscheidende Element, das den Aufstieg
der radikalen Rechten ermöglicht. Rechtsnationalistische und faschistische
Parteien, egal ob in der Regierung oder in der Opposition, treiben den
Rassismus der traditionellen »Zentrumsparteien«, in den meisten Fällen
sozialdemokratische und konservative Parteien, gegen
Muslime
 und Geflüchtete auf die Spitze. Das Zentrum reagiert darauf
mit Zugeständnissen oder Übernahme extrem rechter Inhalte. Diese Dynamik stärkt
wiederum auch jene, die eine faschistische Straßenbewegung aufbauen wollen.
Schon heute bedrohen europaweit Faschisten mit Brandanschlägen und Überfällen
Leib und Leben von Geflüchteten, Gewerkschafterinnen und Andersdenkenden, wie
beispielsweise der organisierten Linken. Zwar bevölkern noch keine
Bürgerkriegsarmeen die Straßen und ebenso wenig setzen die Herrschenden
systematisch auf eine Übergabe der Macht an sie. Doch die gegenwärtigen
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse sind nicht von Ewigkeit.
Auch für den »Faschismus in Friedenszeiten« gilt: Keine Freiheit für die Feinde
der Freiheit!

Quelle: marx21.de…
vom 19. Juni 2019

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