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Bangladesch: Am Rande der Revolution?

Eingereicht on 7. August 2024 – 11:46

Shehzad Arshad. Die Student:innenproteste in Bangladesch gegen die Wiedereinführung eines verachteten Quotensystems, das Arbeitsplätze für Anhänger:innen der regierenden Awami-Liga reserviert, haben sich zu einer revolutionären Konfrontation mit der Regierung ausgeweitet, während die umkämpfte Premierministerin Scheich Hasina Wajed aus dem Land geflohen ist.

Trotz brutaler Unterdrückung und einer landesweiten Ausgangssperre wurden die Demonstrationen im ganzen Land fortgesetzt und am 3. August kamen 500.000 Menschen. Auf einer Massendemonstration in der Hauptstadt lehnte Nahid Islam, einer der Koordinator:innen der Student:innen, den Aufruf der Premierministerin zum Dialog und Rücktritt der Regierung sowie der Verurteilung von Scheich Hasina ab und forderte die Bevölkerung auf, jegliche Zusammenarbeit mit der Regierung zu verweigern.

Daraufhin rief die Regierung ihre Anhänger:innen auf, am 4. August auf die Straße zu gehen. Bei gewaltsamen Zusammenstößen wurden mindestens 100 protestierende Student:innen und 14 Polizist:innen getötet. Seit Beginn der Proteste wurden mehr als 266 Studierende getötet und 10.000 Aktivist:innen inhaftiert.

Die Entscheidung der Regierung, die Quote von 30 auf 5 Prozent zu senken, hat sich als zu wenig und zu spät erwiesen. Die Proteste, die durch die Wut der 800.000 arbeitslosen Hochschulabsolvent:innen angeheizt wurden, haben sich tief in der Gesellschaft verwurzelt. Die Verhaftung von Studentenführer:innen im Juli, die dazu gezwungen wurden, das „Ende“ der Bewegung zu verkünden, hatte den gegenteiligen Effekt. Die Demonstrationen nahmen zu.

Trotz der Ausgangssperre, der Abschaltung des Internets und der Mobilfunknetze und der gewaltsamen Unterdrückung haben die Student:innen der Regierung getrotzt. Dieser Widerstand war nur möglich, weil die Bewegung zu einem Sammelbecken für die angestaute Unzufriedenheit mit dem autoritären Regime, der Verschlechterung des Lebensstandards und der Ausbeutung der Arbeiter:innen in den für den Weltmarkt produzierenden Sweatshops geworden ist.

Da sich die Konfrontationen zwischen der Bevölkerung und den Sicherheitskräften häufen, gibt es Berichte über eine zunehmende Unruhe unter den Wehrpflichtigen und untergeordneten Offizier:innen. Als Reaktion darauf erklärte der Generalstabschef der Armee, Generalleutnant Waker-Uz-Zaman, am 3. August, dass die Armee zum Wohle der Nation „auf der Seite des Volkes“ bleiben werde.

Nach einem Treffen mit den führenden Sicherheitschef:innen verurteilte Premierministerin Scheich Hasina die Demonstrant:innen als Terrorist:innen und verhängte eine unbefristete Ausgangssperre über alle größeren städtischen Zentren. Die bangladeschische Armee unterstützte die Ausgangssperre.

Student:innen eskalieren den Protest

Anführer:innen der Student:innenbewegung haben die Ausgangssperre für unrechtmäßig erklärt: „Nach der Ein-Punkt-Forderung ist keine ihrer Anordnungen gültig. Daher wurde die ab 18.00 Uhr verhängte Ausgangssperre für unwirksam erklärt“, sagte Hasnat Abdullah, einer der Koordinator:innen der Bewegung gegen Diskriminierung, in einer Presseerklärung.

Die Student:innen haben einen geplanten „Langen Marsch nach Dhaka“ auf den 5. August vorverlegt. Die Student:innenkoordination hat zur Bildung von Kampfkomitees in allen Regionen und Dörfern aufgerufen.

Am Sonntag rief Nahid Islam die Demonstrant:innen auf, ihren Sitzstreik an der Shahbag-Kreuzung in der Hauptstadt Dhaka fortzusetzen, bis die Regierung gestürzt ist:

„Die Student:innen sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir haben heute zu Stöcken gegriffen. Wenn Stöcke nicht helfen, sind wir bereit, zu den Waffen zu greifen.“

Er prangerte die Awami-Liga als Terrorist:innen an und sagte: „Die Awami-Liga will einen Bürgerkrieg im Land herbeiführen … Unsere Ziele sind klar. Der Sieg allein ist unser Ziel. Wir lassen uns noch Zeit. Wenn die Regierung weiterhin auf Gewalt zurückgreift, wollen wir sie wissen lassen, dass wir die Ganabhaban im Auge haben“, womit der Amtssitz der Premierministerin gemeint ist.

Er wandte sich direkt an Scheich Hasina und sagte: „Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weiterhin zu Gewalt und Blutvergießen greifen oder entsprechend der Forderung der Student:innen zurücktreten wollen.

Unsere Ein-Punkt-Forderung ist bekanntgegeben worden. Jetzt müssen wir noch die Umrisse unseres zukünftigen Bangladeschs bekanntgeben. Wenn wir entführt, ermordet oder verhaftet werden, wenn es niemanden gibt, der es verkündet, werden Sie die Bewegung fortsetzen.

Wenn meinen Brüdern in die Brust geschossen wird, wenn eine meiner Schwestern verletzt wird, dann werden wir nicht untätig bleiben. Bildet Protirodh-Sangram-Komitees (Komitees für den Widerstandskampf) in jedem Viertel, jedem Dorf, jeder Mahalla (Stadtviertel) und jeder Gasse. Bildet Widerstand, wo immer wir angegriffen werden.

Wir akzeptieren diese Regierung nicht. Von nun an werden die Student:innen das Land führen. Die Ankündigung der Student:innen ist endgültig.“

Wohin jetzt?

Was als Student:innenprotest begann, hat sich zu einer totalen Konfrontation zwischen der Regierung und den Massen entwickelt. In den kommenden Tagen wird sich zeigen, ob die Student:innen in der Lage sind, landesweit Millionen von Menschen zu mobilisieren, und ob sie die Arbeiter:innenklasse davon überzeugen können, ihr soziales Gewicht in die Waagschale zu werfen und die einfachen Soldat:innen vom Oberkommando der Armee zu trennen.

Da Bangladesch an der Schwelle zur Revolution steht, muss die Bewegung die Slogans und Forderungen entwickeln, die notwendig sind, um die entscheidenden Kräfte zu mobilisieren, je nachdem, was als Nächstes kommt. Der Sturz des Regimes – ja, aber wer wird es ersetzen?

Die Geschichte und der Charakter des Oberkommandos der Armee zeigen, dass man ihm nicht trauen kann. Obwohl es behauptet, das Volk zu verteidigen, steht es in Wirklichkeit hinter der Regierung, die die Massen unterdrückt oder gar ermordet. Die Unterstützungsbekundungen der einfachen Soldat:innen auf den Straßen, auf denen sich der lange Marsch versammelt, zeigen, dass der Zeitpunkt für einen endgültigen Aufruf an die Soldat:innen gekommen ist, mit der Regierung zu brechen, die Proteste zu unterstützen und sich selbst zu organisieren, indem sie Soldat:innenkomitees bilden, um verantwortliche Offizier:innen zu wählen und ein Veto gegen Befehle des Oberkommandos einzulegen.

Da die Regierung am Rande des Zusammenbruchs steht, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bewegung eine strikte Unabhängigkeit von den Parteien der bürgerlichen Opposition, wie der Nationalistischen Partei, bewahrt. Sie sind ebenso brutal und korrupt wie die Awami-Liga und stehen für dasselbe neoliberale Programm, das die Ausbeutung der bangladeschischen Arbeiter:innenklasse im Dienste des lokalen und internationalen Kapitals gewährleistet.

Um dauerhafte Wurzeln zu schlagen und einem Versuch der Armee oder der Opposition zu widerstehen, Hasinas Regierung durch eine der „nationalen Einheit“ zu ersetzen, die sich aus Militärs oder bürgerlichen Räuber:innen mit anderen Gesichtern zusammensetzt, müssen sich die Sangram-Komitees in den größeren Betrieben und Bezirken etablieren. Die Komitees müssen lokale und nationale Führungsgremien wählen, die aus abwählbaren Delegierten bestehen, und an die einfachen Soldat:innen appellieren, sie bei der Bewaffnung von Selbstverteidigungsmilizen zu unterstützen.

Die Student:innenproteste haben das Feuer entfacht, aber damit das Inferno den gesamten Staatsapparat verschlingt, der Scheich Hasinas Befehl, die Bewegung in Blut zu ertränken, ausgeführt hat, muss die Arbeiter:innenklasse durch die Bildung von Aktionskomitees in den großen Betrieben und Stadtvierteln in die Aktion einbezogen werden.

Damit die Bewegung weiter vorankommt und nicht durch ungleiche Entschlossenheit, Klassengegensätze und unterschiedliche politische Ziele zersplittert, muss sich die Arbeiter:innenklasse an die Spitze der Bewegung setzen und für ihr eigenes Programm kämpfen, das einzige Programm, das die dringendsten Bedürfnisse der Lohnabhängigen, der Bäuer:innenschaft, der unteren Schichten des Kleinbürger:innentums und der Studierenden erfüllen kann.

Um für diese Perspektive zu kämpfen, ist es notwendig, eine revolutionäre Partei der Arbeiter:innenklasse aufzubauen, die sich aus den revolutionären Arbeiter:innen, Student:innen und Jugendlichen zusammensetzt und mit einem Aktionsprogramm zur Vollendung der Revolution durch den Sturz des Kapitalismus und die Schaffung einer Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung auf der Grundlage von Räten der Arbeiter:innen, Soldaten und Bäuer:innen, die von einer bewaffneten Miliz verteidigt werden, ausgestattet ist. Eine solche Regierung würde sich der unmittelbaren Bedürfnisse der Massen annehmen, indem sie ein Notprogramm gegen Inflation und Armut einführt, das durch die Enteignung der Reichen, des Finanzsektors und des Großkapitals finanziert wird, um eine demokratische Planwirtschaft zu errichten.

Solidarität

Heute besteht die unmittelbare Aufgabe aller linken Kräfte und der Lohnabhängigen in der ganzen Welt in der Solidarität mit der Bewegung. Wir verurteilen die brutale Ermordung von Studierenden durch die Regierung und rufen die internationale Arbeiter:innenklasse und Student:innenorganisationen auf, die Bewegung in Bangladesch zu unterstützen. Wir rufen die Gewerkschaften, linken Parteien und Bäuer:innennorganisationen in Bangladesch auf, die demokratischen Rechte zu verteidigen und die Student:innenbewegung zu unterstützen.

Die Ermordung von Hunderten veranschaulicht die Realität der Institutionen der bürgerlichen Demokratie, während die Student:innen und die Arbeiter:innenklasse versuchen, für ihre Forderungen zu kämpfen. Was die Herrschenden fürchten, zeigt uns in Wirklichkeit den Weg nach vorn – den vereinten Kampf aller Unterdrückten, die Arbeiter:innenklasse an der Spitze einer Bewegung, die den Kampf für demokratische Rechte, gegen kapitalistische Ausbeutung und für eine sozialistische Gesellschaft miteinander verbindet.

Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 7. August 2024

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