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USA: Der Freiheitskampf ist seit je ein Kampf der Arbeiter:innenklasse

Eingereicht on 21. Januar 2021 – 16:22

Robin D.G.Kelley*. Während wir erneut über die Rolle der organisierten Arbeiter:innenschaft im langen schwarzen Befreiungskampf nachdenken, haben sich in Indien genau in diesem Moment 250 Millionen Bauern und Bäuerinnen, Arbeiter:innen, Student:innen und deren Verbündete in einem dreimonatigen Protest gegen die neoliberale Agrarpolitik der Modi-Regierung zusammengeschlossen.

Die neuen Gesetzentwürfe des indischen Parlamentes beseitigen im Wesentlichen die staatlich regulierten Agrarmärkte und erlauben direkte Transaktionen zwischen Bauern/Bäuerinnen und privaten Unternehmen – nämlich internationalen Rohstoffhändlern und Konglomeraten wie Walmart und Cargill.

Die neuen Regelungen werden kleinbäuerische Betriebe zerstören und diejenigen, die überleben, dazu zwingen, Verträge mit globalen Saatgut- und Agrochemielieferanten, Händlern, Verteilern und Einzelhandelskonzernen zu schließen. Die Gesetzgebung fördert die unregulierte Lagerung von Produkten und die Warenspekulation und hebt Gesetze auf, die das Horten von Lebensmitteln aus Profitgründen zu einem kriminellen Vergehen machten.

Stellen Sie sich eine Viertelmilliarde Menschen vor, die versuchen, den ungebremsten Kapitalismus zu stoppen, den Planeten zu retten und sich gegen massive Enteignungen und eine katastrophale Abwanderung in die bereits überlasteten Städte zu wehren: Dies ist ein eindrückliches Beispiel für militante Solidarität angesichts einer globalen Pandemie und einer globalen Rezession. Es ist der grösste Generalstreik in der Geschichte der Menschheit, und kaum jemand spricht hierzulande darüber.

Und doch bieten uns die Ereignisse in Indien vielleicht die wichtigsten Lehren für die Stunde: Der Streik lädt uns ein, uns mit der Frage zu konfrontieren, wer die Arbeiter:innenklasse ausmacht und wo sie verortet ist.

Wenn wir über Arbeiter:innengeschichte im globalen Massstab sprechen, bin ich immer wieder überrascht, wie schnell wir uns auf eine euro-/US-amerikazentrierte Wahrnehmung beschränken und wie wir unbewusst die Stadt gegenüber dem Land privilegieren.

Ich erinnere meine Student:innen immer wieder daran, dass die grössten Arbeiter:innenrevolten des 19. und 20. Jahrhunderts weder in Europa noch in den USA stattfanden, sondern in den Kolonien und Nationen des globalen Südens.

Schwarze Arbeiter:innen und «Rassenkapitalismus»

Wenn ich nach der Rolle der organisierten Arbeiter:innenschaft in der schwarzen Befreiungsbewegung gefragt werde, weise ich immer schnell darauf hin, dass schwarze Arbeiter:innen an der Spitze der Arbeiter:innenbewegung standen, besonders im 19. Jahrhundert, als sich die Arbeiter:innen eher in Parteien und Massenorganisationen zusammentaten als in Zünften  und Handwerksgewerkschaften, wie beispielsweise in den Knights of Labor und den Greenback Labor Party.

Schwarze Arbeiter:innen übernahmen die Führung weisser Arbeiter:innen – oder sie versuchten es zumindest. Die bekanntere Erzählung betont natürlich, wie Kapitalist:innen den Rassismus als Waffe einsetzen, um die Werktätigen zu spalten und den Widerstand zum Schweigen zu bringen; wie sie den Zwangsarm des Staates einsetzen, um Streiks niederzuschlagen oder Sträflingsarbeit zu vergeben; wie sie konservative schwarze Führer:innen bestechen, um gegen Gewerkschaften vorzugehen und Streiks zu brechen; wie sie die Gewalt des Mobs im Namen des Schutzes der weissen Frau und des Kampfes gegen den Kommunismus schüren.

Aber nicht ausschliesslich hinterhältige Kapitalist:innen sind allein schuld an der Untergrabung der kollektiven Macht der Arbeiter:innenbewegung. Die Gewerkschaften selbst waren ausgrenzend und nicht einschliessend. Sie basierten auf Handwerksberufen und dem Schutz von deren Arbeitsplätzen. Es gab Ausnahmen, wie die IWW und die CIO, aber das Wichtigste ist, dass wenn weisse Arbeiter:innen für sich allein ausgrenzende, rassistische Gewerkschaften aufzubauen versuchen, sie scheitern werden. Wir können uns die Kampagne von 1866 für den Achtstundentag ansehen: In St. Louis bauten Gewerkschafter:innen eine rassenübergreifende Kampagne auf und gewannen; in New Orleans ging eine Kampagne nur für die Weissen in einer Niederlage unter.

Das bringt mich zum Kern der Sache. Die wirkliche Frage ist nicht die Unterstützung der «Schwarzen Befreiung» durch «die Gewerkschaften», sondern vielmehr: Warum hat sich ein so großer Teil der US-Arbeiter:innenbewegung geweigert, die gesamte Klasse einzubeziehen? Denken wir nur an die lange Geschichte des Ausschlusses von schwarzen Arbeiter:innen, asiatischen Werktätigen, Land- und Hausarbeiter:innen. Weshalb haben so viele Gewerkschaften in der Vergangenheit konsequent eine rassenmässig segmentierte Arbeiterschaft und Lohnunterschiede aufgrund von Rassenzugehörigkeit unterstützt oder toleriert?

Wie erklärt sich die Unterstützung der weissen Arbeiter:innenklasse für eine Wohnungspolitik, die nicht nur die Segregation aufrechterhält, sondern auch Häuser in schwarzen und gemischten Vierteln entwertet und den Wert von Häusern in segregierten weissen Vierteln erhöht? Oder eine Politik, die Schwarze von öffentlich finanzierten Einrichtungen ausschliesst – bessere Schulen, bessere Krankenhäuser und Gesundheitsversorgung?

Sind das überhaupt Probleme der Arbeiter:innenbewegung? Sicher sind sie das! Räumliche Segregation erklärt so vieles, was ein alleiniger Fokus auf den Arbeitsplatz nicht erklären kann – versteckte Lebenshaltungskosten, Essenswüsten, Mobilitätsbeschränkungen beim Zugang zu angemessenen Arbeitsplätzen, Haus- und Grundbesitzwerte und Auswirkungen auf den Wohlstand zwischen den Generationen, Schulfinanzierung und Dienstleistungen wie Zugang zu sanitären Einrichtungen, Feuerwehr und Bibliotheken. (Stellen Sie sich vor, was es für schwarze und braune Kinder bedeutet, wenn sie bei ihrem McDonalds in der Nachbarschaft das Internet nutzen, um dem Schulunterricht beizuwohnen).

Das ist es, was wir mit «rassischem Kapitalismus» meinen, der nicht nur tiefe Rassen-, Klassen- und Geschlechterungleichheiten produziert, sondern auch weiterhin einen Teil der weissen Arbeiter:innenklasse in einem Zustand der Prekarität hält, während er sie davon überzeugt, dass schwarze und braune Menschen daran schuld seien.

Das verborgene Geheimnis der Langlebigkeit des rassischen Kapitalismus ist die Fähigkeit des Kapitals und des Staates, die «weissen» Arbeiter:innen einzufangen und ihre Identität an Rasse (Weisssein) und Männlichkeit zu binden. Wir alle müssen uns vom rassischen Kapitalismus befreien.

Ein ideologischer Kampf

Ich behaupte nicht, dass Gewerkschaften hoffnungslos rassistisch sind, ebenso wenig wie Michael Goldfield in seinem herausragenden Buch The Southern Key. Im Gegenteil, wir haben viele Beispiele von Gewerkschaften, die sich für soziale Gerechtigkeit und Antirassismus einsetzen. Ich zögere, diese als «Ausnahmen» zu bezeichnen, da dies impliziert, dass die «Arbeiter:innenbewegung» einzigartig und einheitlich ist, anstatt vielfältig und uneinheitlich.

Einfach ausgedrückt: Die politische Ausrichtung einer Gewerkschaft kann nicht allein auf die inhärenten Widersprüche zwischen Arbeit und Kapital reduziert werden, sondern muss innerhalb eines breiteren ideologischen Kampfes verstanden werden. Die Ausbeutung des Mehrwerts allein erklärt nicht, warum einige Sektoren der Arbeiter:innenbewegung eine Vision von Rassen- und Geschlechtergerechtigkeit und -gleichheit vertreten, während andere an Rassismus, Patriarchat und an der bestehenden sozialen Ordnung festhalten; vielleicht spiegeln die meisten eine chaotische, sich ständig verändernde Kombination dieser Tendenzen wider.

Und wie ich angedeutet habe, fanden einige der entscheidendsten Kämpfe nicht am Arbeitsplatz, sondern auf der Ebene des Staates statt – Kämpfe um Sozialpolitik, gegen staatliche Gewalt, um Budget- und Steuerentscheidungen, Wohnungsbau und Wohlfahrt, Bildung usw.

Wenn wir uns die 1930er Jahre noch einmal anschauen, die Ära, die wir als die Blütezeit des rassenübergreifenden Radikalismus der Arbeiter:innenklasse ansehen, sollten wir drei Dinge berücksichtigen. Die Linke, und hier meine ich speziell die Kommunistische Partei, unterschied sich von anderen sozialistischen Parteien bis zu diesem Zeitpunkt dadurch, dass sie den Antirassismus in den Mittelpunkt stellte.

Ungeachtet der vielen Fehler und Fehltritte der KP widersetzte sie sich im Allgemeinen der Farbenblindheit, indem sie die Besonderheiten der Kämpfe schwarzer, brauner und indigener Arbeiter:innen hervorhob, während sie sich gegen den Rassismus weisser Arbeiter:innen stellte und nicht versuchte, diesen wegzuerklären. Zweitens drehten sich die grössten Mobilisierungen der KP nicht so sehr um Hilfsmassnahmen, Arbeitsplätze oder gewerkschaftliche Kämpfe, sondern vor allem um die Verteidigung der «Scottsboro Boys», neun junger schwarzer Männer, die fälschlicherweise beschuldigt wurden, zwei weisse Frauen in einem Zug in Alabama vergewaltigt zu haben.

Drittens waren die 1930er Jahre die Periode, die wir oft als die Linkswende in den USA beschreiben, auch durch den aufkommenden Faschismus gekennzeichnet; dieser zog einen Teil der weissen Arbeiter:innenklasse zu Gruppen wie den Schwarzhemden, den Ku-Kux-Klan, der Weissen Legion und der amerikanischen Nazipartei.

Mit anderen Worten, was die Gewerkschaftsbewegung für soziale Gerechtigkeit oder Bürgerrechte oft antreibt, sind Bewegungen mit einer Vision von Gerechtigkeit, Bewegungen, die antifaschistisch, antirassistisch und – ich wage es zu sagen – antikapitalistisch sind (obwohl die Unterstützung des Letzteren nicht notwendigerweise mit der Unterstützung des Ersteren gleichzusetzen ist).

Wo Organisieren erfolgreich war

Im Süden waren schwarze werktätige Aktivist:innen, unter ihnen viele Kommunisten, der Schlüssel zum Aufbau des CIO in der Region. Dies zeigte sich sogar während der frühen Phasen der Angriffe des Kalten Krieges auf die Arbeiter:innenschaft und auf die Linke. Operation Dixie, die Nachkriegskampagne zur Organisierung des Südens, wird gewöhnlich als totaler Misserfolg angesehen, aber wie Will Jones zeigt, war sie dort erfolgreich, wo schwarze Arbeiter:innen führend waren – z. B. unter schwarzen Holzarbeiter:innen in North Carolina und schwarzen Tabak- und Baumwollpressenarbeiter:innen in North Carolina, Arkansas und West-Tennessee.

Schwarze Arbeiter:innen bauten die Kampagne der International Woodworkers of America (IWA) zur Organisierung von Sägewerksarbeitern im Süden auf und hielten sie aufrecht, trotz der unablässigen Gewalt von Unternehmer:innen, verbündeten Geschäftsleuten und weissen Arbeiter:innen und trotz der grossen Anstrengungen des CIO, die Rassenfrage auszublenden.

In Elizabethtown, North Carolina, wo die IWA 1948 einen militanten Streik gegen eines der grössten Holzunternehmen im Südosten führte, waren es gerade die rassische Solidarität und die Unterstützung der schwarzen Gemeinde, die ihren Erfolg sicherten.(1)

Die weitgehend kommunistisch geführte Food, Tobacco, Agricultural, and Allied Workers of America (FTA) beruhte auf der Fähigkeit der Gewerkschaft, eine tief verankerte Quelle schwarzer Solidarität anzuzapfen, die sich um Arbeitsplatzbedingungen, Löhne und Rassendiskriminierung drehte. Bis 1947 gewann die FTA 111 Gewerkschaftswahlen und brachte etwa 15.000 Arbeiter:innen in die Gewerkschaft.

Winston-Salem, North Carolina, war zum Epizentrum der FTA-Stärke in der Region geworden. Angeführt von einer aussergewöhnlichen Gruppe schwarzer Frauen, insbesondere Moranda Smith, Velma Hopkins, Theodosia Simpkins und Viola Brown, hatte die Betriebsgruppe 22 erfolgreich Arbeiter:innen bei der R.J. Reynolds Tobacco Company organisiert.

Sie kämpften nicht nur für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, sondern vertraten die radikale schwarze Vision, dass Bürger- und Menschenrechte untrennbar mit Arbeitsrechten verbunden sind.

Sie protestierten gegen die Rassentrennung, kämpften gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, belebten die örtliche Ortsgruppe der NAACP [National Association for the Advancement of Colored People] wieder, starteten Kampagnen zur Wähler:innenregistrierung, richteten Kurse zur Arbeiter:innenbildung ein, gründeten eine Bibliothek mit Bänden über afroamerikanische Geschichte und politische Ökonomie und waren massgeblich dafür verantwortlich, dass 1947 mit Reverend Kenneth Williams der erste schwarze Stadtrat von Winston-Salem gewählt wurde.(2)

Kollektive Macht unter Beschuss

Der Erfolg der von der Linken geführten Gewerkschaften wie der FTA, der International Mine, Mill, and Smelter Workers, der Farm Equipment Workers, der United Electrical, Radio and Machine Workers of America (UE) und anderen wurde durch die Streikwelle von 1945-46 gestärkt, nur um dann von der Antwort des Staates und der Unternehmen auf den Aufstand der Arbeiter:innen in der Nachkriegszeit niedergeschlagen zu werden.

Die kollektive Macht der Arbeiter:innenschaft, insbesondere in Fällen beispielhafter rassenübergreifender Zusammenarbeit, drohte die Macht der Unternehmen stark zu beschneiden oder, schlimmer noch, für das Kapital eine neue politische Ordnung einzuführen, die die Wirtschaft weiter regulieren, den Wohlfahrtsstaat ausbauen, die Rechte der Arbeiter:innen schützen und die Gewinne der Unternehmen untergraben würde.

Wir alle wissen, was dann geschah: Der Krieg gegen die Arbeiter:innenschaft wurde im Namen des Kampfes gegen den Kommunismus verschärft. Linksgerichtete kämpferische Arbeiter:innen wurden entlassen oder deportiert oder vor das House Un-American Activities Committee (HUAC) [Das Komitee für unamerikanische Umtriebe war im Kalten Krieg ein berüchtigtes Gremium des Repräsentantenhauses; A.d. Ü] gebracht.

Das Taft-Hartley-Gesetz (1947) schränkte das Streikrecht der Werktätigen ein; verbot die Praxis des «closed shop», das heisst, dass in einem Betrieb nur eine Gewerkschaft aktiv sein durfte, solidarische Boykotte und «Sympathiestreiks»; verhängte saftige Geldstrafen gegen Gewerkschaftsfunktionär:innen, die sich nicht gegen unbewilligte Streiks wehrten; hinderte die Gewerkschaften daran, politische Kampagnen zu unterstützen; und verlangte von Gewerkschaftsfunktionär:innen die Unterzeichnung von Loyalitätseiden und eidesstattlichen Erklärungen, in denen sie versicherten, keine Kommunist:innen zu sein.

Diejenigen, die sich weigerten zu unterschreiben, waren die linksgeführten Gewerkschaften – die Gewerkschaften, die sich am meisten als antirassistisch erwiesen –, wofür sie zwischen 1949 und 1950 kurzerhand aus dem CIO ausgeschlossen wurden.

Die Geschichte endet hier jedoch nicht. Immer noch ist der Mythos vorherrschend, dass die Unterdrückung durch den Kalten Krieg die Bürgerrechtsbewegung dazu zwang, Arbeit und wirtschaftliche Gerechtigkeit zugunsten der Aufhebung der Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen und anderer Forderungen der Mittelschichten fallenzulassen.

Tatsächlich ging es beim March on Washington 1963 um zwei Dinge: die Beendigung rassistischer Gewalt und die Sicherung von «Jobs und Freiheit». Die führenden Organisatoren, Bayard Rustin und A. Philip Randolph, hatten beide ihre Wurzeln in sozialistischen und Arbeiter:innenbewegungen.

Randolphs Eröffnungsrede enthielt eine klare Agenda für die Arbeiter:innenbewegung. In Anlehnung an Karl Marx‘ oft zitierten Satz im Kapital, dass «die Arbeit sich in der weissen Haut nicht befreien kann, solange sie in der schwarzen gebrandmarkt ist», warnte er:

«[D]iese Bürgerrechtsrevolution ist nicht auf den Neger beschränkt, noch ist sie auf die Bürgerrechte beschränkt, denn unsere weissen Verbündeten wissen, dass sie nicht frei sein können, während wir es nicht sind. . .

«[W]ir haben keine Zukunft in einer Gesellschaft, in der 6 Millionen Schwarze und Weisse arbeitslos sind und Millionen weitere in Armut leben. Auch ist das Ziel unserer Bürgerrechtsrevolution nicht nur die Verabschiedung von Bürgerrechtsgesetzen. Ja, wir wollen, dass alle öffentlichen Einrichtungen allen Bürgern offenstehen, aber diese Einrichtungen werden für diejenigen, die es sich nicht leisten können, sie zu nutzen, wenig bedeuten.

«Ja, wir wollen ein Gesetz für faire Arbeitspraktiken, aber was wird es bringen, wenn die profitorientierte Automatisierung die Arbeitsplätze von Millionen von Arbeitern, schwarz und weiss, vernichtet?»(3)

Der Negro American Labor Council (NALC) war einer der Hauptunterstützer des Marsches. Er hatte lokale Märsche unter dem Motto «Freiheit von Armut durch Vollbeschäftigung» organisiert und drohte mit einer nationalen eintägigen Arbeitsniederlegung, um den Kongress zur Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes zu drängen.

Die NALC kämpfte auch für die Anhebung des bundesweiten Mindestlohns und dessen Ausweitung auf alle Arbeiter:innen und unterstützte die Bemühungen, Hausangestellte zu organisieren, das House Un-American Activities Committee abzuschaffen und die American Labor Party als Alternative zu etablieren.

Was geschah also mit dieser Vision von wirtschaftlicher Gerechtigkeit? Erstens warfen die grossen Gruppen – die Southern Christian Leadership Conference, der Congress on Racial Equality, die NAACP und die Urban League – ihre Energien fast vollständig auf die Verabschiedung des verwässerten Bürgerrechtsgesetzes, die Unterstützung eines Wahlrechtsgesetzes und den Versuch, die Demokratische Partei zu beeinflussen.

Zweitens verriet die Arbeiter:innenbewegung die Agenda der Koalition für Rassengerechtigkeit. Die AFL-CIO-Führer George Meany und Walter Reuther von den United Auto Workers gaben hochtrabende Erklärungen ab und leisteten finanzielle Beiträge zur Unterstützung der Bürgerrechte, während sie ihren weissen Mitgliedern, die sich Sorgen machten, dass die Beseitigung rassistischer Barrieren für gleiche Löhne, Zugang zu qualifizierten Arbeitsplätzen und ungehinderten Zugang zu Wohnraum ihren privilegierten Status bedrohen würde, nachgaben.

Drittens schlossen Randolph und andere Führer:innen schwarze Frauenorganisationen davon aus, eine bedeutende Rolle in der Bewegung zu spielen. Dies schwächte die Koalition, auch weil Aktivistinnen wie Pauli Murray, Anna Hedgeman, Dorothy L. Robinson, Rosa Parks, Gloria Richardson und Dorothy Height sich bereits verpflichtet hatten, Arbeit und wirtschaftliche Gerechtigkeit mit Fragen der Rassen- und Geschlechtergleichheit zu verbinden.(4)

Eine radikale Erneuerung für Gerechtigkeit

Das Student Non-Violent Coordinating Committee (SNCC) und die Mississippi Freedom Democratic Party gaben die wirtschaftliche Gerechtigkeit nie auf. Sie vertraten nicht nur ein Programm der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, sondern gingen noch weiter und forderten die Umverteilung des Reichtums, Reparationen und die Macht der Arbeiter:innen.

Als das SNCC im Sommer und Herbst 1963 seine Freedom-Vote-Kampagne in Mississippi organisierte, stellten sie in einer «Scheinwahl» eine Reihe von Kandidat:innen auf, um die weisse Demokratische Partei des Gliedstaates herauszufordern, und zwar mit einem ziemlich radikalen Programm, das das Recht der Arbeiter:innen auf Organisierung und Tarifverhandlungen, einen Mindestlohn von $ 1. 25 Dollar, Unterstützung für landwirtschaftliche Kooperativen anstelle von Sharecropping [=Naturalpacht in Deutschland; A.d.Ü] und Enteignung, Bereitstellung von zinsgünstigen Krediten für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, eine progressive Landsteuer auf Grundstücke über 500 Acres [ca 2 km2] und Steuerbefreiung für diejenigen, deren Grundstücke kleiner als 500 Acres sind.

Das SNCC hatte auch die Mississippi Freedom Labor Union (MFLU) gegründet, um Landarbeiter:innen im Delta zu organisieren. Im Frühjahr 1965 traten etwa 350 Mitglieder der Gewerkschaft in den Streik, um 1,25 Dollar pro Stunde für das Hacken von Baumwolle (Unkrautbeseitigung) zu fordern. Die Pflanzer:innen gaben nicht nach, sondern vertrieben die Arbeiter:innen und liessen sie verhungern.

Im Januar 1966, als der Luftwaffenstützpunkt in Greenville verkauft werden sollte, besetzten die Streikenden ihn, um die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf ihre Notlage zu lenken. Nachdem die Polizei der Air Force sie vertrieben hatte, gruppierten sie sich in einem Lager, das sie «Strike City» nannten, und baten liberale Organisationen und die Regierung um Lebensmittel, Kleidung und andere grundlegende Güter.(5)

Leider hatte die MFLU keinen wirtschaftlichen Einfluss, um die Pflanzer zur Erfüllung ihrer Forderungen zu zwingen, und es fehlte ihr an staatlicher Unterstützung. Aber diese Niederlage prägte die Politik der MFDP, die eine radikale wirtschaftliche Vision verfolgte, selbst als schwarze Mississippianer:innen aus der Mittelschicht endlich in die demokratische Partei aufgenommen wurden.

Bis 1968 unterstützte die MFDP ein garantiertes Jahreseinkommen, eine erweiterte Tagesbetreuung für arme und arbeitende Mütter, eine umfassende medizinische Versorgung für alle, erhöhte Bundesmittel für Lebensmittelmarkenprogramme, kostenlose Hochschulbildung, ein Ende der Wehrpflicht und einen vollständigen Rückzug des Militärs aus Vietnam.(6)

Diese revolutionäre Vision eines Gewerkschaftswesens der sozialen Gerechtigkeit fand ihren Ausdruck unter den schwarzen Autoarbeiter:innen in Detroit. Im Mai 1968 führte der Veteranenorganisator General Baker einen wilden Streik von 4’000 Arbeiter:innen im Dodge-Werk an, um gegen eine Beschleunigung des Fliessbandes zu protestieren. Sie gewannen nicht, da die meisten weissen Arbeiter:innen den Streik nicht unterstützten, aber aus dieser Aktion wurde das Dodge Revolutionary Union Movement (DRUM) geboren.

Die Streiks weiteten sich auf das Getriebe- und Achsenwerk in der Eldon Avenue aus, woraus ELRUM entstand, sowie weitere Aktionen in anderen Werken wie die Ford Revolutionary Union Movement (FRUM). Zu den spezifischen Forderungen der FRUM gehörten die Sicherheit am Arbeitsplatz, niedrigere Produktionsanforderungen und ein Ende der rassistischen Einstellungspraktiken.

Natürlich wollten die RUM-Führer bessere Arbeitsbedingungen und Löhne für schwarze Arbeiter erkämpfen, aber ihr ultimatives Ziel war die Freiheit für alle Arbeiter – und das bedeutete in ihren Augen das Ende des Kapitalismus. So kamen 1969 die Führer aller RUMs zusammen und gründeten die League of Revolutionary Black Workers, mit dem langfristigen Ziel, eine politische Partei oder revolutionäre Bewegung zu werden.

Die Liga kämpfte gegen die Führung der UAW [Gewerkschaftsbund im Automobilsektor; A.d.Ü.], die nicht nur versuchte, die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung zu zerschlagen, sondern auch die Polizei rief, um ihre Treffen aufzulösen und auf Gewalt setzte, um die Kampagne der Liga zur Wahl von Ron March, einem Mitglied der DRUM, in den Vorstand der UAW zu untergraben.

Die Ligamitglieder wussten, dass der Rassismus die Fähigkeit der Werktätigen einschränkt, sich zu vereinigen und die Stärke der gesamten Arbeiter:innen untergrub. Aber sie argumentierten auch, dass weisse Arbeiter:innen vom Rassismus in Form von höheren Löhnen, saubereren und sichereren Arbeitsplätzen und einer grösseren gewerkschaftlichen Vertretung profitierten.(7)

Es gibt viele weitere Beispiele. Greensboro, North Carolina, war ein Zentrum der rassenübergreifenden und antirassistischen Arbeiter:innenorganisierung. Letztes Jahr begingen wir den 50. Jahrestag des Greensboro-Massakers, als bewaffnete Ku-Kux-Klans und Nazis am helllichten Tag fünf Organisator:innen ermordeten – vier von ihnen waren Mitglieder der Workers Viewpoint Organization (der späteren Kommunistischen Arbeiter:innenpartei). Die Veranstaltung am 3. November 1979 wird gewöhnlich als Anti-Klan-Kundgebung beschrieben, aber sie waren auch dort, um Textilarbeiter:innen zu organisieren.

Spulen wir zurück ins Jahr 1996: Die Ortsgruppe 2603 der Union of Needletrades, Industrial, and Textile Employees (UNITE) setzte sich in einer dreijährigen Kampagne gegen K-Mart in Greensboro durch, vor allem dank der starken Basis der Gewerkschaft in der afroamerikanischen Gemeinde.

Die Gewerkschaft griff die Rassendiskriminierung frontal an, reichte eine Beschwerde bei der EEOC [= U.S. Equal Employment Opportunity Commission] ein und gewann wichtige schwarze Gemeindeführer:innen für die Organisation eines Boykotts. Der Boykott zwang K-Mart, die Löhne anzuheben und ein Beschwerdeverfahren einzuführen, das die Arbeiter:innen vor ungerechten Disziplinarmassnahmen und Kündigungen schützen soll. Der Stadtrat von Greensboro verabschiedete eine Resolution, die verlangt, dass alle Unternehmen, die sich fortan in der Stadt ansiedeln wollen, einen existenzsichernden Lohn von 12,50 Dollar pro Stunde zahlen müssen, bevor sie Steuervergünstigungen der Stadt erhalten.

Der Boykott wurde von einer Koalition schwarzer Geistlicher aus Greensboro organisiert, die sich «The Pulpit Forum» nannte. Die Führer:innen des Forums beteiligten sich an Massenaktionen zivilen Ungehorsams, die zur Verhaftung mehrerer Geistlicher führten, darunter auch Reverend Nelson Johnson. Johnson hatte zusammen mit seiner Frau Joyce die Kundgebung vom 3. November organisiert, bei der er in einer Feuersbrunst eine schwere Messerwunde erlitt.

Der wichtigste Punkt ist, dass UNITE eine Bürgerrechts- & Gemeinschaftsstrategie verfolgte, indem sie an die gesamte schwarze Gemeinschaft und ihre Tradition des Widerstands gegen Rassismus und Ungerechtigkeit appellierte. Die Mobilisierung der gesamten schwarzen Gemeinschaft war der Schlüssel zu ihrem Sieg.

Die Arbeiter:innenklasse, wie sie wirklich ist

Die wichtigste Lehre aus dem indischen Generalstreik ist, dass wir die Zusammensetzung der Arbeiter:innenklasse neu denken müssen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit von den grossen Industriegewerkschaften, in denen wir uns die Arbeiter:innenklasse vorstellen, auf die niedrig entlohnten, marginalisierten Arbeiter:innen in den Bereichen Fast Food, Einzelhandel, Gesundheitswesen, häusliche Pflege, Hausarbeit, Landwirtschaft usw. verlagern müssen – Arbeiter:innen, die mit unfreiwilliger Teilzeitarbeit, Kurzzeitverträgen, Null-Stunden-Verträgen, Telemarketing (z. B. Heimarbeiter:innen und Gefängnisarbeit) und der Concierge-Wirtschaft überleben müssen: Uber, Lyft, Grub Hub und so weiter – so bietet sich ein vollständig anderes Bild.

Einst mächtige Motoren der rassischen und geschlechtlichen Ausgrenzung, die oft mit dem Kapital zusammenarbeiteten, um gläserne Decken und rassisch segmentierte Löhne durchzusetzen, hat sich die Arbeiter:innenbewegung des 21. Jahrhunderts weitgehend Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, des Antirassismus, der Rechte von Einwanderern und grenzüberschreitende Strategien zu eigen gemacht.

Es scheint, dass die neuen Arbeiterführer:innen unter anderem Lehrer:innen, Krankenpfleger:innen und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen, Büroangestellte, Fast-Food-Beschäftigte und Flugbegleiter:innen sind.

Sie haben sich neue Strategien zu eigen gemacht, von der Verabschiedung von Mindestlohngesetzen auf kommunaler und staatlicher Ebene bis hin zum Einsatz von Community Benefits Agreements zur Sicherung von Arbeitsplätzen mit existenzsichernden Löhnen, gerechten Arbeitsbedingungen, umweltfreundlichen Baupraktiken, bezahlbarem Wohnraum sowie von Kinderbetreuungseinrichtungen. Und im Bündnis mit Bewegungen wie dem Movement for Black Lives und Aktivisten für die Rechte von Einwanderer:innen sind Kampagnen wie OUR Walmart, Fight for Fifteen, Change to Win führend und bauen die dynamischste Arbeiter:innenbewegung auf, die wir seit Generationen gesehen haben.(8)

Fussnoten:

(1) William P. Jones, «Black Workers and the CIO’s Turn Toward Racial Liberalism: Operation Dixie and the North Carolina Lumber Industry, 1946-1953», Labor History 41 no. 3 (2000), 279-306; siehe auch Goldfield, The Southern Key.

(2) Robert Korstad, Civil Rights Unionism: Tobacco Workers and the Struggle for Democracy in the Mid-Twentieth-Century South (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2003).

(3) Andrew E. Kersten, A. Philip Randolph: A Life in the Vanguard (Lanham: Rowman & Littlefield, 2007), 155-56.

(4) Siehe z. B. William P. Jones, March on Washington: Jobs, Freedom, and the Forgotten History of Civil Rights (New York: Norton, 2013); Michael K. Honey, Going Down Jericho Road: The Memphis Strike, Martin Luther King’s Last Campaign (New York: W. W. Norton, 2008); Robert Zeiger, For Jobs and Freedom: Race and Labor in America since 1865 (Lexington: University Press of Kentucky, 2010); Alan Draper, Conflict of Interest: Organized Labor and the Civil Rights Movement, 1954-1968 (Ithaca, NY: Cornell University Press, 1994); Robert Korstad und Nelson Lichtenstein, „Opportunities Found and Lost: Labor, Radicals, and the Early Civil Rights Movement“, Journal of American History 75 (Dezember 1988), 786-811.

(5) https://snccdigital.org/events/occupation-of-greenville-air-force-base/

(6) Programm der Mississippi Freedom Democratic Party [1968], https://www.crmvet.org/docs/mfdp_program.pdf

(7) James Geschwender, Class, Race, and Worker Insurgency (Cambridge: Cambridge University Press, 1977); Dan Georgakas und Marvin Surkin, Detroit: I Do Mind Dying: A Study in Urban Revolution (Chicago: Haymarket Books, 2012, orig. 1975); Muhammad Ahmad (Maxwell Stanford), We Will Return in the Whirlwind: Black Radical Organizations, 1960-1975 (Chicago: Charles Kerr, 2003), 237-283; und siehe Film, „Finally Got the News“, dir. And prod. Stewart Bird, Rene Lichtman und Peter Gessner (First Run Icarus Films, orig. 1970).

(8) Siehe Sarah Jaffe, Necessary Trouble: America’s New Radicals (New York: Nation Books, 2016); Bill Fletcher, Jr. und Fernando Gapasin, Solidarity Divided: The Crisis in Organized Labor and a New Path Toward Social Justice (Berkeley und Los Angeles: University of California Press, 2009); Dorian T. Warren, „The American Labor Movement in the Age of Obama: The Challenges and Opportunities of a Racialized Political Economy“, Perspectives on Politics, 8 Nr. 3 (September 2010), 847-860; Robin D. G. Kelley, „Building a Progressive Movement in 2012“, Souls 14, Nr. 1 und 2 (2012), 10-18; Premilla Nadasen, Household Workers Unite! The Untold Story of African-American Women Who Built a Movement (Boston: Beacon Press, 2016).

*Robin D.G. Kelley ist Gary B. Nash-Professor für amerikanische Geschichte an der UCLA. Er hielt diesen Vortrag bei einem DSA-Labor-Webinar in New York City in einer Diskussionsrunde mit Michael Goldfield, dessen Buch The Southern Key ebenfalls in dieser Ausgabe von Against the Current rezensiert wird. Das erste Buch von Professor Kelley war Hammer and Hoe: Alabama Communists During the Great Depression (1990). Zu seinen weiteren Werken gehören die preisgekrönte Biografie Thelonious Monk: The Life and Times of An American Original (2009) und Studien über die gegenseitige Befruchtung der afroamerikanischen und afrikanischen Kulturen.

Quelle: Against the Current Nr. 210… vom 18. Januar 2021; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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