NATO-Truppen in der Ukraine?
Luis Linden. Nach dem Gipfeltreffen mit Trump diskutieren die NATO-Staaten über eine Entsendung von Truppen in die Ukraine. Die Linkspartei-Führung lehnt das zwar ab, bringt aber eine UN-Mission ins Spiel.
Nach seinem Treffen mit Putin bestellte Trump diesen Montag den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, zusammen mit europäischen Staatschefs, darunter Friedrich Merz, sowie NATO-Generalsekretär Rutte und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ein, um über die Zukunft des Ukrainekriegs zu beraten. Während das Treffen mit dem russischen Präsidenten weitgehend ergebnislos blieb, scheint der Gipfel mit den Europäer:innen die Diskussionen über eine direkte Militärintervention der westlichen Staaten in den Konflikt angeheizt zu haben. Beherrscht wurden die Gespräche vor allem vom Thema der sogenannten Sicherheitsgarantien.
Rutte sprach davon, der Ukraine könnte eine Art informelle NATO-Mitgliedschaft gewährt werden: „Was wir hier diskutieren, sind Sicherheitsgarantien für die Ukraine gemäß Artikel 5.“ Auch Trump bekräftigte diese Perspektive. Der Artikel 5 des NATO-Vertrags schreibt fest, dass im Falle eines Angriffs auf einen der Staaten alle anderen Staaten militärisch beistandspflichtig sind. Hauptsächlich geht es darum, nach einer möglichen Einstellung der Kämpfe NATO-Truppen zur „Absicherung“ hinter der Frontlinie zu stationieren. Der SPIEGEL spekuliert – basierend auf einem Papier der eng mit dem Kanzleramt verbundenen Stiftung Wissenschaft und Politik – mit einer Zahl von 150.000 Soldat:innen.
Laut Emmanuel Macron soll in den nächsten 15 Tagen ein konkreter Plan für Sicherheitsgarantien vorgelegt werden. „Die Briten, Franzosen, Deutschen, Türken und andere sind bereit, Operationen durchzuführen, nicht an der Front, nicht provokativ, sondern zur Beruhigung der Lage in der Luft, auf See und an Land“, so der französische Präsident. Bereits im vergangenen Jahr hatte er die Entsendung europäischer Truppen ins Spiel gebracht und war dabei noch auf mehrheitliche Ablehnung seiner europäischen Kolleg:innen gestoßen.
Nach dem Gipfeltreffen signalisiert nun auch Merz Offenheit für die Stationierung von Bundeswehrsoldat:innen. Es sei „völlig klar, dass sich ganz Europa [an Sicherheitsgarantien] beteiligen sollte.“ Deutschland habe „eine hohe Verantwortung“, dies zu tun. Doch wie in einigen anderen Fragen gibt die Bundesregierung hier kein geeintes Bild ab. Während CDU-Politiker:innen wie Roderich Kiesewetter vorpreschen und angesichts einer möglichen Ukraine-Intervention sogar auf die schnelle Wiedereinführung der Wehrpflicht pochen, drücken führende SPD-Politiker:innen wie der Fraktionschef Mützenich eher auf die Bremse, ohne aber einen solchen Einsatz kategorisch auszuschließen.
Wie realistisch ist ein Friedensabkommen?
Dass jetzt Pläne für die militärische Absicherung eines Abkommens zwischen Russland und der Ukraine verkündet werden, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie vertrackt die Situation weiterhin ist. Alle Versuche Trumps, eine Einstellung der Kämpfe zu erwirken, darunter die Sanktionierung Indiens wegen seines Handels mit Russland, sind gescheitert. Selenskyj und die EU pochen auf die Vereinbarung eines Waffenstillstands als Bedingung für Verhandlungen über ein Friedensabkommen und lehnen Gebietsabtretungen ab. Die Drohung mit Truppenentsendung könnten sie als Hebel sehen, um den Druck auf Putin zu erhöhen.
Der russische Präsident seinerseits hat immer wieder klargemacht, dass er einen Waffenstillstand ablehnt, und ist nicht von seinen Maximalforderungen – Demilitarisierung und geopolitische Neutralität der Ukraine, Eingliederung der eroberten Gebiete in russisches Staatsgebiet – abgerückt. Seine Motivation, schnell ein Abkommen zu erzielen, ist gering, denn in der momentanen Etappe des Krieges spielt die Zeit eher für Russland. Die ukrainische Armee befindet sich in einem schlechten Zustand und ist mit anhaltenden Rekrutierungsproblemen konfrontiert, während russische Truppen zwar langsam und mit hohen Verlusten, aber kontinuierlich die Frontlinie gen Westen verschieben. Laut dem Politikwissenschaftler John Mearsheimer „liegen die Positionen weiterhin so weit auseinander, dass ein Friedensabkommen schwer vorstellbar ist.“ Er geht davon aus, dass der Ausgang des Krieges letztlich auf dem Schlachtfeld entschieden wird.
Währenddessen kann die Unterwürfigkeit, die Selenskyj, Merz, Rutte und Co. Trump gegenüber zur Schau stellen, die Risse im westlichen Lager nicht verbergen. Entgegen dem Willen der Europäer:innen will Trump Verhandlungen nicht von einem Waffenstillstand abhängig machen und hat auch die Bereitschaft für Gebietsabtretungen im Falle eines Abkommens signalisiert. Für etwaige Sicherheitsgarantien sollen die Europäer:innen dagegen die Hauptverantwortung tragen. Mearsheimer spricht davon, dass „Trump versucht, sich langsam aus dem Konflikt herauszuziehen und die Last der Ukraine und der EU aufzubürden.“ Für Selenskyj, der sein Land in die völlige Abhängigkeit von den USA manövriert hat, wird es jedoch kaum eine andere Option geben, als sich Trumps Vorgaben unterzuordnen, während die europäischen Imperialist:innen nicht in der Lage sind, eine eigenständige Position zu entwickeln.
Ob eine Art von Friedensabkommen in naher Zukunft möglich ist, bleibt also höchst unsicher. Doch selbst wenn es gelingen sollte, eine Einigung zu erzielen, wäre diese aller Wahrscheinlichkeit nach fragil, ohne die zugrundeliegenden Widersprüche, die zum Ausbruch des Krieges geführt haben, aufzuheben. Ein mögliches Szenario, das in den Kreisen der Trump-Regierung diskutiert wird, ist „ein längerer Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinien, wobei territoriale Fragen offen bleiben – möglicherweise sogar für Jahrzehnte“, wie der Analyst Michael Hirsch in Foreign Policy beschreibt. Als vergleichbare Modelle nennt er die Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südkorea sowie die israelische Besatzung des Westjordanlands. In diesem Kontext käme den NATO-Truppen die Rolle zu, im Zuge der Einfrierung des Konflikts die Frontlinie auf ukrainischer Seite zu militarisieren.
Für eine unabhängige Antikriegsbewegung
Wenn nun offen über die Stationierung von NATO-Truppen in der Ukraine diskutiert wird, lässt sich der Charakter des Konflikts als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem NATO-Block kaum noch von der Hand weisen. Nachdem dreieinhalb Jahre Krieg bereits hunderttausende Opfer auf beiden Seiten, die Zerstörung der Infrastruktur und Lebensbedingungen und die weitgehende Abschaffung demokratischer und sozialer Rechte der ukrainischen Arbeiter:innen und Armen mit sich gebracht haben, verspricht auch das Szenario eines „Friedensabkommens“ mit NATO-Intervention kein Ende der Unterjochung.
Nicht nur würde eine Stationierung westlicher Soldat:innen das Risiko einer unmittelbaren Konfrontation mit Russland erhöhen, wodurch die Folgen einer möglichen neuen Runde des Krieges noch viel fataler ausfallen könnten als bisher. Auch würde sie den Status der Ukraine als Vasallenstaat der USA und EU und militärisches Bollwerk gegen den Rivalen Russland verfestigen. Um die Unabhängigkeit der Ukraine ging es den westlichen Staaten in diesem Krieg tatsächlich nie. Falls es zu einem Abkommen kommen sollte, werden sie alles daran setzen, die Rückzahlung der massiven Schulden und die Verwirklichung der schon getätigten und geplanten Investitionen ihrer Kapitalist:innen abzusichern. Während Trump seine kolonialistischen Ambitionen mit dem Rohstoffdeal offen auf den Tisch gelegt hat, planen auch deutsche Kapitalist:innen im Namen des „Wiederaufbaus“, sich Energieversorgung, Industrieproduktion und Agrarflächen in der Ukraine unter den Nagel zu reißen. Egal, wie der Streit zwischen Putin, Trump und den EU-Staaten um die Aufteilung der Beute ausgeht: Die Leidtragenden werden die ukrainischen Arbeiter:innen und Armen sein.
Die einzige Konsequenz für Linke kann daraus sein, sich gegen jegliche Militärinterventionen in der Ukraine zu stellen. Der Vorsitzende der Partei Die Linke Jan van Aken kritisiert richtigerweise die Pläne für die Entsendung von NATO-Truppen: „Wenn sich dann dort NATO- und russische Soldaten direkt gegenüber stehen, besteht ständig die Gefahr eines ganz großen Krieges. Deshalb sind NATO-Soldaten in der Ukraine keine Sicherheitsgarantie, das Gegenteil ist richtig: NATO-Soldaten in der Ukraine sind eine Unsicherheitsgarantie.“
Zugleich ist er sich jedoch einig mit Merz und Co., dass die westlichen Staaten für „Sicherheitsgarantien“ sorgen müssten. Dabei bedeuten Sicherheitsgarantien in der Sprache der Imperialist:innen nur die Sicherung der eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen. Van Aken schwebt ein Einsatz von UN-Blauhelmtruppen im Umfang von 30.000 bis 40.000 Soldat:innen vor. Ganz abgesehen davon, dass die Entsendung von Blauhelmen der Zustimmung des UN-Sicherheitsrats – in dem Russland ein Vetorecht hat – bedarf, und damit völlig unrealistisch scheint, ist es eine Illusion, dass UN-Einsätze einen rein humanitären und neutralen Charakter tragen.
Die Aufgabe der Linken wäre es stattdessen, eine von allen kapitalistischen Regierungen und den von ihnen abhängigen Institutionen wie der UN unabhängige Perspektive für die Beendigung des Kriegs aufzuzeigen. Durch kollektiv organisierte Kriegsdienstverweigerung und die Bestreikung von militärischer Infrastruktur könnten die Arbeiter:innen auf beiden Seiten das Morden stoppen. Einen gerechten Wiederaufbau im Interesse der ukrainischen Massen kann es nur geben, wenn das ausländische Kapital enteignet wird und die Arbeiter:innen selbst die Planung der Produktion in die Hand nehmen.
Auch in Deutschland gilt es, eine unabhängige Antikriegsbewegung zu organisieren, die der Aufrüstung der Bundeswehr und zukünftigen Auslandseinsätzen in der Ukraine und anderswo den Kampf ansagt. Wir laden alle linken und gewerkschaftlichen Organisationen – inner- und außerhalb der Linkspartei – ein, mit uns über diese Perspektive zu diskutieren.
Quelle: klassegegenklasse.org… vom 23. August 2025
Tags: Deutschland, Europa, Imperialismus, Politische Ökonomie, Russland, Strategie, Ukraine, USA, Widerstand
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