Die, die den Faschismus wirklich wollen – und brauchen
Roberto De Lapuente. Es gibt eine Sehnsucht nach 1933 in dieser Gesellschaft – und diese Sehnsucht geht von denen aus, die unbedingt beweisen wollen, dass sie besser sind als ihre Großeltern.
Faschismus ist »pure Energie«. Und er ist »pure politische Schwerkraft« und klar – auch »sexy«. Nein, das sind nun wahrlich nicht meine Worte. So spricht der größte lebende Antifaschist und Nazijäger im Lande: Philipp Ruch. Der Aktionskünstler gründete 2009 das Zentrum für Politische Schönheit, einen Zusammenschluss von Aktionskünstlern, die kreativ – oder das, was für kreativ gehalten werden kann, wenn man nicht richtig hinschaut – politische Benchmarks setzen will. Als Alice Weidel vor einigen Wochen im Sommerinterview niedergesungen wurde, steckte jenes Zentrum dahinter. Ruch küsst die Faschisten also nicht, wo er sie trifft – er tiriliert sie in Grund und Boden. Und das, obgleich er im Interview mit dem Freitag, genauer mit Jakob Augstein, so völlig schwerelos begeisternde Worte für den Faschismus findet.
Faschismus ist für den Mann, den promovierten Psychologensohn, natürlich und selbstverständlich die AfD. Darunter macht er es nicht. In jenem Interview zeigt er sich in voller Blüte, denn große Zeiten sind für ihn, den passionierten »Neo-Wiesenthal«, angebrochen. Die AfD legt zu, aus seiner Sicht steht 1933 vor der Tür – und man wird den Eindruck nicht los, dass sich seine Truppe plankreativer Aktionskunstmitläufer klammheimlich über diese Entwicklung freut. Denn endlich sind die großen Zeiten da, in denen man sich beweisen muss – schade nur, dass Oma und Opa nicht mehr sind. Für sie wäre es ein Lehrstück gewesen, wie man es hätte machen müssen. Aber diese Feiglinge, sie haben geschwiegen und Alice Weidels vermeintliche Vorgänger nicht von der politischen Bühne intoniert.
Ein ruchloses Interview
Augstein stellt Ruch im Laufe des Gesprächs Fragen, die wirklich wehtun – weniger Ruch als dem mitdenkenden Leser. Zentraler Beleg, er fragt unter anderem: »Plant die AfD denn etwas Vergleichbares wie den Holocaust?« Woher nimmt er das? Man kann dieser Partei viel zutrauen, Sozialabbau und NATO-Engagement ohne rot zu werden etwa, sicher auch einen anderen migrationspolitischen Kurs. Aber den Holocaust, immerhin – für alle, die das nicht wissen – laut Duden die »Verfolgung, Ghettoisierung und insbesondere Massenvernichtung der Juden in Deutschland und Europa«? Sicher, die AfD würde damit wohl nicht hausieren gehen, wenn sie es tatsächlich plante – aber die, die dergleichen nicht in Planung haben, sind ja genauso still. Anders gesagt: Man kann es a) nicht wissen und sollte deswegen b) noch lange keine Unterstellungen in den Raum werfen.
Gut, Augstein unterstellt ja nicht, er begeht eine Suggestion durch Fragestellung. Ruch antwortet freilich auch darauf, der Leser möge sich festhalten, denn er erwidert: »Wir müssen mit allem rechnen.« Im Grunde hätte er recht, es schickt sich durchaus, stets mit allem zu rechnen: Vielleicht bauen die Sozialdemokraten und die Grünen demnächst Zwangslager für Andersdenkende. Dafür gibt es keine Belege, es ist einfach mal so dahingesagt – man muss eben mit allem rechnen. In Zeiten, in denen Hirnregionen zuweilen besser durchblutet waren, hätte man diese Aussage, jederzeit mit allem rechnen zu müssen, noch ergänzt, dass es für diese Haltung auch Belege, Indizien, ja vielleicht sogar Beweise braucht. Denn das macht das Rechnen mit dem Eintritt eines Ereignisses erst rund und gibt Kontur – wer immer mit allem rechnet, auch ganz ohne flankierende Wahrscheinlichkeitsindikatoren, leidet ja eigentlich an einer Diagnose namens Verschwörungstheorie. So jemand sieht Gespenster, wie der Volksmund sagt.
Ruch führt freilich aus, dass ihn die Gewaltandrohung der AfD »gegen unsere politischen Eliten« ziemlich beschäftigt. Mit dieser fraternisierenden Aussage – nach »unserer Demokratie« sind es nun auch »unsere politischen Eliten« – will er die Aussage, dass auch mit einem Holocaust, einem Genozid also, einen Völkermord, um es klarer zu sagen, zu rechnen sei, nachvollziehbar machen. Natürlich sind auch die Politiker der AfD »unsere politischen Eliten«. Sie wurden nicht einfach von einer höheren Macht in die Parlamente kooptiert, sondern sind aus Wahlen hervorgegangen. Es sei denn, man sieht die Wählerschaft, den Souverän als höhere Macht. Ruch lässt es so aussehen, als gäbe es berechtigte und unberechtigte Volksvertreter. Und Augstein lässt es ihm durchgehen – was andererseits auch anständig ist, denn so bekommt man ein unverfälschtes Bild vom politischen Verständnis dieses Philipp Ruchs. Wie kommt man von der elitären Elitenkritik der AfD eigentlich zum Völkermord? Ruch liefert hier keine befriedigenden Antworten. Woher auch nehmen, wenn nicht stehlen?
Die »Linken« machen auf Stauffenberg
An diesem Interview zeigen sich einige Affekte, die Linke – entschuldigen Sie: »Linke« – immer wieder hervorbringen. Ihr »antifaschistischer Impuls« versteht sich stets darauf, dass rechtspopulistische Parteien nicht aus der Gesellschaft selbst entstanden sind, sondern einen Fremdkörper darstellen, der die kuschelige Harmonie, die vorher die Gesellschaft trug, mit rüder Aggression zerrissen haben soll. Schon der Postkartenmaler aus dem 20. Bezirk in Wien war und ist für die Nachbetrachtenden ein »Unfall der Geschichte« gewesen. Ein Bug, der aus dem Nichts kam – unerklärlich und völlig überraschend. Die AfD ist für die, die heutigen Verhältnisse zu einem neuen 1933 küren, ein ebensolcher Unfall – man kann sie nicht erklären und man will es auch nicht tun. Weshalb nicht, scheint klar: Die Existenz einer solchen Partei hat unmittelbar mit dem Totalversagen »unserer politischen Eliten« zu tun. Mit einem Parteiwesen, dass sich so verkrustet und so vom Bürger wegbewegt hat, dass eine Reaktion zwangsläufig war. Wenn diese »Linken« heute sagen, dass »niemand rechts wählen« muss, dann meinen sie zwischen den Zeilen auch, dass der Wähler besser Nichtwähler werden sollte.
Dabei scheint es so zu sein, als ob diese »Linken« nur vordergründig vor der Wahl solcher Alternativparteien warnen. Denn im Grunde ihres Herzens lieben sie die Aussicht auf den Faschismus, dieser »puren Energie«, wie Ruch ihn gegenüber Augstein nannte. Denn die Gleichsetzung des zeitgenössischen Deutschlands mit jenem aus dem Jahre 1933 hat einige Attraktivität: Damals waren die moralischen Attribute klar vergeben – heute sind sie, auch wenn man sich natürlich um Klarheit bemüht, weitaus komplexer einzuschätzen. Versetzt man sich in seiner Gemütslage 92 Jahre zurück, dann sind die Entitäten klar. Hier die guten Demokraten, die braven Linken und Kommunisten – die ja, wie Thilo Jung neulich von Historiker Götz Aly erfahren musste, ebenso die Demokratie beenden wollten –, dort die Teufel der NSDAP. Wenn die AfD also Faschismus ist, wenn sie als neue NSDAP durchgeht, hat man den Vorzug klarer Konturen, die der eindimensionale Mensch unbedingt benötigt, um seinen Treiben eine gewisse Struktur geben zu können.
Ab diesem Punkt schlüpft man in eine Rolle mit historischen Vorbildern, mausert sich zum neuen Stauffenberg, der anders als der wirkliche, den Koffer an der richtigen Stelle positioniert – und im Raum bleibt; der wirkliche Stauffenberg flüchtete ja noch vor der Detonation, dieser Feigling. Die heutigen Kämpfer gegen diesen sexy Faschismus, von dem Ruch so begeistert spricht, simulieren sich Mut, Entschlossenheit und Kampf bis zur letzten Patrone. Nie wieder ist demnächst. In dieser Simulation gefallen sie sich. Es wertet ihr teils steuermittelfinanziertes Treiben ungemein auf, wenn sogar mit einem Holocaust zu rechnen ist. So viele Jahre sprach man in dieser Bundesrepublik von damals, man arbeitete sich jahrzehntelang an früher ab – das Jetzt war weitaus unwichtiger, die Jetzigen zweitrangig. Davon hatten einige ganz offenbar die Schnauze voll, sie wollten auch im Mittelpunkt stehen. Wie konnte man das anstellen? Indem man die damaligen Jahre kopiert und so tut, als wiederhole sich Geschichte doch. Dass es also Menschen in Deutschland gibt, die sich den Faschismus zurücksehnen – lassen wir den Begriff mal so stehen, auch wenn er historisch falsch ist –, kann man tatsächlich so stehenlassen: Es sind aber in der Mehrheit Leute, die sich als Antifaschisten begreifen und die ihn wiederbelebt wissen wollen.
Faschismusbegierde
Sie spüren instinktiv, dass sie nur Bedeutung und Aufmerksamkeit erhalten, wenn die Zeiten sich so entwickeln. Bleibt der Faschismus aus, malt ihn keiner mehr als das was kommt an die Wand, verschwinden sie wieder in der Versenkung – und müssen am Ende gar einer ganz normalen Alltagsarbeit nachgehen, für die die Politik gemeinhin keine Fördermittel ausschüttet – Arbeiter und Angestellte sind auf sich selbst gestellt. Nur der Faschismus verleiht ihnen eine Wichtigkeit und Größe – und das wissen diese »Linken« auch. Liegt Sehnsucht in einer Aussage, wonach sogar mit einem neuerlichen Holocaust zu rechnen sei? Böse Zungen behaupten, dass viele jener »Linken«, die mit Regenbogen-Flagge gegen den Genozid an den Palästinensern demonstrieren und aufstehen, es mit einer verinnerlichten Egozentrik tun: Denn hier können sie sich endlich beweisen – schau her, Oma! So macht man das, wenn jemand ein Volk vernichtet! Und nicht so wie du und Opa damals!
Die Beschäftigung mit 1933 ist eine Form der Projektion – man lagert das Böse und die Anpassung in »die damaligen Leute« aus, um sich selbst von Schuld und Ambivalenz zu entlasten. Man bekämpft durch die Reaktivierung eines vermeintlich neuen Faschismus also symbolisch Nazis von gestern, statt die autoritären oder gleichgültigen Tendenzen von heute in sich selbst und der Gesellschaft zu reflektieren. Diese »Linken« engagieren sich insofern nicht politisch, sondern gehen einer seelischen Strategie nach: Sie therapieren die eigene Unzulänglichkeit, indem sie sich in einem symbolischen Wettbewerb zu ihren Großeltern stellen. Der Faschismus, den sie dräuen sehen und bei dem angeblich damit zu rechnen ist, dass er Verbrechen anrichten wird, wie schon der historische Vorläufer, kompensiert seelische Schwulitäten – von politischem Gehalt ist diese Posse mitnichten.
Insofern kann man getrost von einer Begierde sprechen, dass es nun endlich so kommen möge und man in einer großen Zeit des Widerstandes landet, in dem diese Aktionskünstler zu Vorbildern und Führungsgestalten mutieren, denen man nacheifern, denen man dereinst Denkmäler errichten und nach denen man Straßen und Alleen benennen wird. Sie sehnen sich offenbar nach einem totalitären System, in dem sie sich beweisen können. Wer sagt ihnen, dass sie, falls es wirklich dazu kommen sollte, mit Widerstand nicht weit her ist? Und wer erklärt ihnen auch gleich noch, dass das Risiko eines solchen reaktionären Systems von vielen Seiten droht – allen voran von einer Europäischen Union, die ihre Bürger immer stärker unter Generalverdacht stellt und sie daher »vorausschauend« überwachen möchte? Man muss mit allem rechnen.
Quelle: overton-magazin.de… vom 4. November 2025
Tags: Deutschland, Europa, Faschismus, Imperialismus, Neoliberalismus, Repression, Widerstand, Zionismus








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