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Die Neue Rechte gegen die Interessen der Gelben Westen

Eingereicht on 29. Dezember 2018 – 12:43

Zurzeit meinen die europäischen Populisten der Neuen Rechten, Grund zum Feiern zu haben. Sie sehen die Bewegung der Gelben Westen als eine willkommene Gelegenheit, Macron zu schwächen und bei den nächsten Europawahlen eine hypothetische Mehrheit zu gewinnen. Ihr politisches Projekt steht jedoch weitgehend im Widerspruch zu den Forderungen der Gelben Westen.

«Macron ist nicht mehr mein Gegner. Er ist kein Problem mehr für mich. Es gibt ein Problem für die Franzosen»: Die Worte sind von Matteo Salvini. Anfang Dezember begrüßte der italienische Ministerpräsident die politische Krise, die durch die Gelben Westen in Frankreich und die Schwächung von Emmanuel Macron ausgelöst wurde. Eine indirekte Antwort auf den französischen Präsidenten, der sich einige Wochen zuvor zum «Hauptgegner» der Entstehung einer populistischen Kraft der Neuen Rechten auf dem Alten Kontinent erklärt hatte, d.h. dem Projekt, an dem der Vorsitzende der Italienischen Lega fest im Hinblick auf die Europawahlen arbeitet.

Europäische Ziele für europäische Populisten

Diese waren in letzter Zeit diskret, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Bewegung der Gelben Westen geschickt neu anzufachen. Aber hinter den Kulissen beschleunigen sich die Verhandlungen zur Vorbereitung eines gemeinsamen Wahlkampfes für die nächsten Europawahlen. Das Projekt wurde im Juli bekannt, als der italienische Premierminister aufgrund seines jüngsten Wahlsieges seine Absicht bekundete, in Europa eine «Lega der Legen» zu gründen. Seitdem haben die bilateralen Treffen zwischen Salvini, Orban, Marine Le Pen und anderen sekundären Führern der Neuen Rechten zugenommen.

Über dieser europäischen Allianz hängt der Schatten von Steve Bannon, dem Mann, der den Erfolg von Donald Trump auf der anderen Seite des Atlantiks ermöglichte. Der ehemalige strategische Berater war neben Marine Le Pen und Tom Van Grieken (Führer der flämischen Neuen Rechten) bei einem Treffen am 8. Dezember in Belgien anwesend. Und er brachte sein Projekt deutlich zum Ausdruck: «In kleinen Dörfern, in ländlichen Gebieten Frankreichs und auf den Straßen von Paris sind die Gelben Westen, die «Bedauernswerten» Frankreichs, genau das gleiche Volk, das Donald Trump [….] gewählt hat, die gleiche Art von Menschen, die für den Brexit gestimmt haben. Sie wollen die Kontrolle über ihr Land haben, sie glauben an den Nationalstaat.»

Wenn sie es nicht offen zugeben können, ist es diese Perspektive, die die Projekte der europäischen Neuen Rechten antreibt. Sie hoffen, dass die durch die Gelben Westen ausgelöste Krise die Führer des heutigen Europas weiter herausfordern und ihr populistisches politisches Projekt konsolidieren wird. Diese Hypothese wird durch aktuelle Umfragen gestützt, die zeigen, dass das Rassemblement National mit 24% der abgegebenen Stimmen wohl der Gesamtsieger der Europawahlen in Frankreich wird, da es keine Gelbe-Westen-Liste gibt.

Ein politisches Projekt gegen die Interessen der Gelben Westen

Wenn es jedoch die «gleiche Art von Menschen» ist wie diejenigen, die Donald Trump wählen konnten – und wovon einige für die europäischen Populisten stimmen könnten – so sind wir hinsichtlich des politischen Programmes weit entfernt von den Forderungen der Gelben Westen. Trotz entsprechenden Bemühungen der extremen Rechten in diese Richtung sind nationalistische und fremdenfeindliche Forderungen nicht Teil der sichtbaren Forderungsplattform der Bewegung. Vielmehr weisen im wirtschaftlichen Bereich (mit der Frage der Kaufkraft und der Lohnerhöhungen) und den demokratischen Forderungen (mit der Einführung eines Referendums) die Forderungen der Gelben Westen in eine andere Richtung.

Es muss also darauf hingewiesen werden, dass die europäischen Populisten ein politisches Projekt haben, das sich gegen die Gelben Westen richtet. Es ist sehr gut, dass sie das neoliberale Projekt der Europäischen Union anprangern, aber die Politik, die sie in Italien und insbesondere in Ungarn verfolgen, steht im Einklang mit der Spar- und Flexibilisierungspolitik der Arbeit von Brüssel. So hat die italienische Regierung, nachdem sie die Muskeln gezeigt hat, kürzlich bei der Budgetfrage nachgegeben. Sie hat gerade ein Defizit von 2,04% für 2019 ausgewiesen, was näher an den EU-Anforderungen liegt als die 2,4%, für die sie ursprünglich angekündigt hatte, dass sie nicht einlenken würde. Außerdem sind Haushaltskürzungen in Höhe von 7,5 Mrd. € vorgesehen, die die beiden versprochenen Vorzeigereformen der italienischen Regierung – universelles Einkommen und die Umkehrung der Rentenreform – betreffen und die innerhalb der Regierungskoalition, die aus Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung (M5S) und der Salvini-geführten Lega besteht, zu inneren Spannungen führen. In Ungarn ist die Bilanz von Viktor Orban nicht besser. Die neue Arbeitsreform, die es den Lohnabhängigen ermöglicht, 400 geleistete Überstunden drei Jahre später auszahlen zu lassen, treibt den Protest im Land voran.

Die konkrete Machtausübung zeigt die falsche «Alternative», die der Populismus gegen die antisoziale Politik der Europäischen Union darstellt. Außerdem musste die Präsidentin der Nationalen Front ihr Programm nach ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen gegen Macron und nach den Standards ihrer neuen Partner selbst überarbeiten. Für Marine Le Pen hat der Bruch mit der Europäischen Union nun zweite Priorität: «Wir kämpfen nicht gegen Europa, sondern gegen die Europäische Union, die zu einem totalitären System geworden ist». Darin  widerspiegelt sich vor allem die Aufgabe des Bruchs mit der von der Europäischen Union befürworteten Sparpolitik, zumindest wenn wir der Kopie glauben, die die «Schwesterpartei» des Rassemblement National in Italien darstellt. Es bleibt die geradlinige Fremdenfeindlichkeit, bei der Europa heute weit davon entfernt ist, hinten anzustehen…. und die weitgehend transalpinen Unternehmern zugutekommt, die die Anti-Migranten-Maßnahmen von Salvini nutzen, um eine immer wichtiger werdende Arbeitskraft in der Struktur der italienischen Wirtschaft überauszubeuten.

«Wir wissen, wie Revolutionen entstehen, wir wissen nicht, wie sie enden…»

Diese Widersprüche zwischen Diskurs und Realität erklären, warum Marine Le Pen zunehmend verärgert ist über die Wendung der Ereignisse in der Bewegung der Gelben Westen. Heute sind wir weit entfernt von der anfänglichen Anti-Steuer-Färbung. Die wirtschaftlichen Forderungen, die sie stellt, sind das Gegenteil des Programms von Marine Le Pen, das die Erhöhung des Mindestlohns nie verteidigt hat, entgegen den Interessen der Unternehmer. Gleiches gilt für demokratische Fragen, bei denen der Bruch mit der Fünften Republik nicht auf der Tagesordnung steht.

Vor allem kann sie ihren Wahlkampf nicht beginnen, ohne Anzeichen, dass sich diese wiederbelebt. Sie ist also still. Aber das ist nicht bei allen der Fall. Sébastien Chenu, Sprecher des RN, sagte kürzlich: «Wir vertrauen darauf, dass die Gelben Westen in der Verschwiegenheit der Wahlkabine die richtige Wahl treffen. Dem müssen wir nichts weiter hinzufügen, das ist offensichtlich. Oder Nicolas Bay, MdEP, der dem Sud-Radio sagte: «Es besteht die Möglichkeit, Gelbe Westen auf unserer Liste bei den Europa-Wahlen willkommen zu heißen [….] Wir wenden uns an all diejenigen, die ihren Kampf verlängern wollen».

«Ihren Kampf verlängern»: In die Sprache der RN übersetzt heisst das, die Bewegung beenden und zu den Europawahlen überzugehen…. nur dass sich die Dinge ändern könnten, wenn die Bewegung in die Verlängerung geht. Laut L’Express kommt nun in den Rängen der rechtsextremen Partei ein wenig Optimismus auf: «Wir wissen, wie Revolutionen entstehen, wir wissen nicht, wie sie enden….» Ein Zeichen dafür, dass das Fortbestehen der Bewegung auf den höchsten Ebenen der Partei beunruhigend ist. Und das zu Recht, es könnte durchaus über das hinausgehen, was die Förderer des Nationalismus denken, aber auch die Wächter des Systems, die versuchen, die Glaubwürdigkeit der Gelben Westen zu untergraben, indem sie das Gespenst der extremen Rechten nutzen. Bis hin zur Hinterfragung beispielsweise des europäischen neoliberalen Projekts, die europäische Populisten in den Ländern betreiben, in denen sie gewählt wurden. Dies wäre der beste Weg, um die «Revolution» fortzusetzen, die sowohl Macron als auch Marine Le Pen fürchten.

Quelle: revolutionpermanente.fr… vom 29. Dezember 2018; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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