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«Gelbe Westen»-Bewegung auf dem Weg zum Streik am 5. Februar?

Eingereicht on 28. Januar 2019 – 15:56

Bernard Schmid. Gegendemo aus dem Pro-Regierungs-Lager endet trotz Hätschelei durch die Medien mit einem Totalflopp – faschistische Attacken gegen linke Demonstrationsteilnehmer/innen – 300 Delegierten aus dem progressiven Protestspektrum verabschiedeten einen Aufruf im ostfranzösischen Commercy – Unterdessen zeichnet sich eine Perspektive des Zusammengehens mit einem Streikaufruf, an Lohnabhängige gerichtet, am 05. Februar d.J. ab.

Wenn man einer Demonstration von ihrem Ankunftsort her entgegen gehen will, und dabei suchen muss, wo denn hier vielleicht irgendwo eine Demo läuft, dann gibt es ein Problem. In der Regel für deren Veranstalter/innen, weil das meistens bedeutet, dass sie nicht eben üppig ausfiel. Dies passiert manchmal auch bei progressiven Mobilisierungen (so „entging“ eine Demo gegen die Arbeitsrechts„reform“ am 19. Oktober 2017 dem Verf. dieser Zeilen glatt, weil der Kampf damals faktisch aufgegeben war und die Demo vergleichsweise winzig ausfiel). Aber, zum Glück, eben nicht nur progressiven.

Ungefähr so verlief es auch am gestrigen Sonntag, den 27. Januar 19 auch der Demonstration der „roten Schals“ (foulards rouges), die zuvor als Gegenbewegung zu den Protesten der „gelben Westen“ angekündigt und durch einige Medien gehörig aufgebauscht worden war. Es sollte dort „für die Institutionen“ demonstriert werden, und „gegen die Gewalt“ (aber nicht so sehr gegen jene, die bislang von der Polizei ausging); für die Vernunft undsoweiter.

Ursprünglich plante der Verfasser dieser Zeilen sogar, zu ihrem Ausgangsort zu kommen, von wo aus sie um 14 Uhr loslaufen sollte, also an die place de la Nation im Südosten von Paris. Doch dann las der Verfasser Agenturmeldungen, die von dreißig Anwesenden um 12 Uhr mittags – dem Zeitpunkt der angekündigten Sammlung – und von dreihundert um kurz vor 14 Uhr berichtete. Die Sache schien die Mühe dann doch nicht wert. Als jedoch eine AFP-Meldung um die Mitte des Nachmittags von „einigen Tausend“ Teilnehmenden spricht, macht der Autor sich doch noch auf den Weg, kurz nach 16 Uhr. Aufgrund starker Polizeikräfte – bei einer faktischen Pro-Regierungs-Demonstration im Prinzip eher unerwartet, doch die Sicherheitskräfte zeigen sich besorgt darum, „die beiden Lager auseinanderzuhalten“, auch wegen anwesender Gegendemonstranten – und der Schließung mehrerer Ausgänge in der dorthin führenden Métro-Station trifft der Autor erst um circa 16.30 Uhr (OK, kurz danach) auf der place de la Bastille ein.

Um 16.27 Uhr hatte der eigens eingerichtete Liveticker der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde, die mit gleich mehreren Journalisten plus Photographen vor Ort war und sich merklich Mühe gab, die Sache zu unterstützen und in ein positives Licht zu tauchen, ein Eintreffen der Demo auf dem Bastille-Platz (das gleichnamige frühere Gefängnis dort ist zwar berühmt, doch längst abgerissen) verkündet. (Vgl. lemonde.fr…) Doch um 16.35 Uhr – ist nichts von einer Demo zu sehen, höchstens von kleinen Menschengrüppchen, die traubenweise beisammen standen. Wohlwollend kann man davon ausgehen, dass das Eintreffen der Demo auf dem Platz fünf bis zehn Minuten vor der Online-Veröffentlichung der entsprechenden Ankündigung durch den LM-Journalisten (Alexandre Lemarié, sichtlich enthusiastisch über die Pro-Macron-Demonstration) anfing. Doch nach maximal einer Viertelstunde ist davon so wenig übrig, dass die Demonstration nur relativ winzig gewesen sein kann. Aus der Zahl der noch Anwesenden und der rundherum Abziehenden darf geschlossen werden, dass höchstens 2.000 Menschen, was sich mit sonstigen Berichten deckt (vgl. etwa bei einer KP-nahen Webseite, mit welcher wir für dieses Mal einverstanden sein dürfen: canempechepasnicolas.over-blog….).

Auf den Stufen der Bastille-Oper sitzen knapp fünfzig Menschen in „Gelben Westen“, die die Pro-Regierungs-Demonstranten mit Sprechchören und Parolen herausfordern. In kleineren Gruppen ziehen die Teilnehmer/innen an der „Rote Schals“-Demonstration, im Durchschnitt eher älter als jünger, vom Platz. Ein paar junge Franzosen mit Migrationshintergrund lassen sich von Kameras in T-Shirts mit der Aufschrift „Ich liebe die Republik“ filmen. Zwischendrin steht eine Frau mit einem selbstgemalten Schild, auf dessen einer Seite „Gegen die Polizeigewalt“ und auf der anderen Seite „Gegen die Gewalt der Regierung“ steht. Umstehende diskutieren mehr oder weniger aufgeregt auf sie ein. Kurz danach wird sie mir anvertrauen, für eine „Anti-Gewalt-Demonstration“ sei es in ihren Augen relativ wenig friedfertig zugegangen, mehrfach sei zwar nicht sie selbst, doch ihr Schild physisch attackiert worden.

Zwei Überraschungen hielt diese (kleine) Mobilisierung dabei parat: Erstens, wie parteiisch selbst eine im Allgemeinen relativ sachlich und informationshaltig berichtende bürgerliche Zeitung wie Le Monde offenkundig vorging. Ihre Berichterstatter vor Ort konnten sich offenkundig vor Enthusiasmus über die faktisch Pro-Regierungs-Demonstration kaum einbekommen, und ihr Chefreporter vor Ort (Alexandre Lemarié) weigerte sich auch auf wiederholte Nachfragen von on-line Lesenden beharrlich, irgendeine Zahlenangabe zur Demonstrationsbeteiligung herauszurücken. Stattdessen schrieb er schlicht mehrfach von „viele“. Später, zweite Überraschung (auch wenn man wohl nicht überrascht zu sein braucht) ist das offenkundige Nach-Oben-Rechnen der Teilnehmerzahl durch die Behörden, dies jedoch in ziemlich übertriebenem Ausmaß. Am Spätnachmittag sprach die Pariser Polizeipräfektur von angeblich „10.500“ Teilnehmenden. Unser Kommentar dazu: im Leben nicht!

Am Vortag (Samstag, den 26.01.18) hatten mehrere Tausend Menschen – ihre Zahl ist insofern schwer zu schätzen, als es mehrere Routen zeitgleich gab – im Zusammenhang mit den Anti-Regierungs-Protesten demonstriert. Frankreichweit gab das Innenministerium am Abend eine Gesamtzahl von „69.000“ heraus. Diese läge über den Zahlengaben vom 05. Januar d.J. (damals „50.000“), dem diesjährigen Neubeginn der Proteste, jedoch unterhalb derer vom 12. sowie 19. Januar 19 (jeweils „84.000“ laut Regierungszahlen).

Wie um zu unterstreichen, wie heterogen dieser Protest jedoch ist und welche Vorsichtsmaßnahmen mitunter geboten sein können, fand gegen 14 Uhr in der Nähe des Bastille-Platzes (sowie unweit des Lyoner Bahnhofs in Paris) eine Attacke von faschistischen Elementen gegen den Demonstrationsblock der undogmatisch-trotzkistischen Partei NPA (Neue Antikapitalistische Partei) statt. In Wirklichkeit handelte es sich eher um zwei Angriffe: zunächst mit Fäusten auf der Ebene des Fronttransparents, wenig später mit Steinwürfen auf den gesamten Demoblock, der dabei auseinander gesprengt wurde. An ihm waren rund fünfzig Personen aus dem Kern sowie dem Umfeld der Gruppe Les Zouaves beteiligt. (Der Begriff Zouave benannte ursprünglich 1830 einen einheimischen Hilfssoldaten im soeben kolonisierten französischen Algerien, und wird seitdem für eher unernst auftretende Personen verwendet.) Es handelt sich um eine informelle Gruppe, welcher sowohl ehemalige Mitglieder der für ihre Gewalttätigkeit bekannten, 1969 gegründete, studentisch-neofaschistischen Gruppe GUD (Groupe Union Défense) als auch der „identitären Bewegung“ sowie Fußballhooligans angehören. Vgl dazu unter anderem: lahorde.samizdat… , lutte-ouvriere.org…, danactu-resistance.over-blog…

Inzwischen gibt es auch Solidaritätsbekundungen sowohl von der linksalternativen Branchengewerkschaft SUD PTT (Sud bei Post und Telekom) als auch von ihrem, locker strukturierten, Dachverband Union syndicale Solidaires. Bis Mittwoch werden wir diese und weitere Erklärungen zum Thema zusammentragen und einleiten.

Ebenfalls am Samstag, 26.01.19 wurde eine prominente Gallionsfigur der „Gelben Westen“, der ältere und als betont „gewaltfrei“ geltende Jérôme Rodrigues, entweder durch einen Granatsplitter oder – wie die Protestbewegung angibt – durch ein Hartgummigeschoss, abgeschossen aus der Distanzwaffe LBD alias flash-ball, aus nächster Nähe am Kopf getroffen. Er droht, ein Auge für immer zu verlieren. (Vgl. etwa: ladepeche.fr…) Die Regierung soll sich darob „berunruhigt“ zeigen (vgl. lemonde.fr…). Dennoch rief er selbst im Nachhinein zu Ruhe und Besonnenheit auf, während der ihm relativ nahe stehende „Gelbwesten“-Prominente Eric Drouer – der 35jährige LKW-Fahrer aus dem östlichen Pariser Umland – in seiner draufgängerischen und verbalradikalen Art einen „beispiellosen Aufstand“ und „mit allen Mitteln“ ankündigte. (Vgl. actu.orange.fr… und huffingtonpost.fr…)

Im Hinblick auf den 05. Februar d.J. zeichnet sich unterdessen eine wahrscheinlich interessant werdende Konstellation ab. Die Spitze des gewerkschaftlichen Dachverbands CGT hatte zunächst für dieses Datum zum Streik aufgerufen und einen allgemeinen Appell veröffentlicht. Allerdings glaubte sie wohl selbst nicht an einen durchschlagenden Erfolg – die Politik der CGT-Spitze besteht seit Dezember 18 darin, zu Protestterminen unabhängig von den „Gelben Westen“ und parallel zu ihnen (jedoch an anderen Daten) aufzurufen, um zu versuchen, die soziale Energie auf ihre Art zu kanalisieren. Doch seitdem bezogen sich u.a. Eric Drouet (er nimmt das Wort „Generalstreik“ in den Mund), NPA-Sprecher Olivier Besancenot, der linkssozialdemokratische und linksnationalistische Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon auf diesen Aufruf und betonen, an dem Tag etwas Gemeinsames auf die Beine stellen zu wollen. In linksgewerkschaftlichen u.a. Milieus gewinnt dieser Aufruf an Breite. Vielleicht entsteht etwas Interessantes daraus – wir bleiben am Ball!

Unterdessen verabschiedeten rund 300 Delegierte verschiedener Protestkollektive aus ganz Frankreich am Samstag und Sonntag (26./27. Januar) in Commercy, einer Industriestadt in der Nähe von Nancy, eine gemeinsame Erklärung. (Vgl. reporterre.net…) Ihr Ansatz, der progressivste innerhalb der heterogen zusammengesetzten Bewegung, zielt auf eine Verallgemeinerung basisdemokratischer Strukturen und Koordinationsformen. Auch auf dieses Thema werden wir in Bälde noch weitaus näher eingehen.

So viel für heute…

Artikel von Bernard Schmid vom 28.1.2019 – wir danken!

Siehe Aufrufe u.a. der CGT zum “General”streik am 5.2.2019 und denjenigen der CGT bei Ford

Quelle: labournet.de… vom 28. Januar 2019

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