Deutschland: »Denen reicht das Gefühl, irgendwie gegen Nazis zu sein«
Die Zahl rassistischer Aufmärsche nimmt zu, Antifaschisten bleiben hilflos. Es fehlt eine Strategiedebatte. Ein Gespräch mit Thomas Zmrzly. Thomas Zmrzly ist Sprecher des Dusiburger Netzwerk gegen Rechts.
Die neofaschistische Partei »Die Rechte« hatte für den 1. Mai einen Aufmarsch in Duisburg angemeldet. Hat der stattgefunden?
Nein, die Nazis sind mit rund 250 Teilnehmern in Essen aufmarschiert. Wir waren von vornherein davon ausgegangen, dass es sich bei uns nur um eine Art Scheinanmeldung handelte, die von den extremen Rechten nur in Anspruch genommen worden wäre, wenn ihre Demonstrationspläne in Essen für sie nicht durchsetzbar gewesen wären.
Und doch wurde Duisburg in letzter Zeit mehrfach von extremen Rechten als Aufmarschort missbraucht …
Das stimmt an sich. Am 1. Mai haben sich hier jedoch nur eine Handvoll Rechte versammelt. Auch die Aufzüge des lokalen Pegida-Netzwerkes sind keineswegs mehr so bedeutend, wie sie zu ihrem Beginn waren. Es gehört jedoch auch zur Wahrheit, dass die Zahl rassistischer und offen faschistischer Aktivitäten in ganz NRW kontinuierlich zugenommen hat.
Was sind die Gründe dafür?
Wir haben es im gesamten Ruhrgebiet mittlerweile mit einer stetig zunehmenden sozialen Deklassierung der Menschen zu tun. Die Auswirkungen sind auch in vielen Innenstädten kaum mehr zu übersehen. So wird das Erscheinungsbild dominiert von sogenannten Billigläden oder sogar von Leerstand. Man muss schon mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu bemerken, wie viele Menschen mittlerweile Pfandflaschen sammeln, um sich das bisschen Stütze, was sie noch von den Ämtern bekommen, etwas aufzubessern. Hinzu kommt, dass die Stimmungsmache bürgerlicher Parteien – hier vor allem der SPD – gegen angebliche Armutsflüchtlinge in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus Spuren hinterlassen hat. Da ist es für Neonazis fast schon ein leichtes, an den Rassismus der politischen Mitte anzudocken.
Inwiefern tragen die Gegendemonstrationen zum Erstarken der Nazis bei?
Wir haben es mit einer Schwäche der außerparlamentarischen Linken zu tun. Hinzu kommt jedoch auch eine ausgeprägte Ignoranz nicht weniger Antifagruppen, die sich für die konkreten Probleme der Bevölkerung, für Armut, für Aufrüstung und Krieg nicht interessieren. Denen reicht es, das gute Gefühl zu haben, irgendwie gegen Nazis zu sein. Das kann aber nicht alles sein.
Sondern?
Früher hieß es immer, Antifaschismus müsse mehr sein, als nur gegen Nazis aktiv zu werden. Dass es in der politischen Linken massive Defizite gibt, wird doch schnell klar, wenn die Dortmunder Nazis – wie geschehen – einen »Nationalen Antikriegstag« ausrufen oder die Parole »Kapitalismus zerschlagen« propagieren. Mit einer derartigen Demagogie haben sie durchaus Erfolg bei Jüngeren. Was vom angeblichen Antikapitalismus der Nazis tatsächlich zu halten ist, haben sie am 1. Mai in Weimar gezeigt, als sie wieder einmal auf Gewerkschafter eingeprügelt haben. Das zeigen auch Forderungen nach Wiedereinführung eines Arbeitsdienstes für angeblich nicht Arbeitswillige und ihre rassistische Hetze gegen nichtdeutsche Arbeiter.
Und trotzdem: Wenn die politische Linke diesem Gebaren nur »Nazis raus« entgegenzubringen hat, hat sie sich in diesem Moment selbst überflüssig gemacht und kann den Protest gegen Nazis getrost SPD und Bündnis 90/Die Grünen überlassen. Und diesem Zustand sind wir mit einigen Ausnahmen in NRW recht nahe.
Und was sollte man dagegen tun?
Beispielsweise indem eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme des bisherigen Wirkens gemacht und eine ernsthafte Strategiedebatte geführt wird. Davon sind wir aber meilenweit entfernt. Das sieht man aktuell auch daran, dass zum Thema Pegida und des dort propagierten antimuslimischen Rassismus verhältnismäßig lange geschwiegen wurde.
Es wiederholt sich im Endeffekt das Szenario, das wir bereits aus der Friedensbewegung kennen. Einige Platzhirsche geben den Takt vor, verweigern sich nahezu jeglicher Realität und der Diskussion. Jeder, der auch nur zaghaft Kritik übt oder offensichtliche Schwächen dieser Bewegung benennt, wird zum Nestbeschmutzer erklärt. Ein »Weiter so« wird sich auf Dauer jedoch weder in der Antifa- noch in der Friedensbewegung durchhalten lassen. Das würde am Ende bestenfalls in der politischen Bedeutungslosigkeit enden.
Quelle: Junge Welt vom 4. Mai 2015 / www.jungewelt.de
Tags: Antifaschismus, Deutschland, Strategie
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