Trumps Venezuela-Sanktionen töteten 40.000 Menschen
Jakob Reimann. Im August 2017 verhängte US-Präsident Trump drakonische Sanktionen gegen Venezuela, um durch den so erzeugten Druck seine Regime-Change-Politik zu forcieren. In der Folge stürzte die ohnehin taumelnde Wirtschaft des Landes weiter ab. Ein neuer Bericht zweier weltweit renommierter Ökonomen ergibt, dass durch Trumps Sanktionen mehr als 40.000 Menschen getötet wurden.
Die US-Kleptokratie will durch einen Regime Change in Venezuela die größten Ölvorkommen der Welt unter ihre Kontrolle bringen (ich berichtete hier ausführlich). Der neoliberale rechte Putschist Juan Guaidó – der seit langem mit rechten Washingtoner Eliten konspiriert und sich Ende Januar selbst zum Interimspräsident ernannt hat – soll als junger charismatischer Rebell die Straße anheizen, um so den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro zu stürzen und eine Marionettenregierung nach Washingtons Bilde einzusetzen. Bislang vergeblich.
Neben militärischen Drohungen und Support für Guaidó auf sämtlichen Ebenen sind drakonische Wirtschaftssanktionen das Mittel der Wahl der Trump-Regierung, um Maduro zu Fall zu bringen. Im August 2017 wurde ein erstes Paket geschnürt, das den Finanzsektor ins Visier nimmt, im Januar 2019 ein zweites mit der venezolanischen Ölproduktion als Target. Insbesondere das zweite Sanktionspaket lässt die venezolanische Ökonomie vollends zusammenbrechen; der IWF korrigierte jüngst seine BIP-Prognose für Venezuela: statt 5 Prozent, werde die Wirtschaft des Landes 2019 nun um beispiellose 25 Prozent schrumpfen. Einen derartigen ökonomischen Kollaps kennt die Volkswirtschaftslehre normalerweise nur aus dem Kontext von Kriegen oder verheerenden Naturkatastrophen (und der ökonomischen Vernichtung Griechenlands durch Berlin und Brüssel beginnend 2010).
Ende April veröffentlichte das Center for Economic and Policy Research einen bahnbrechenden Bericht, der die menschlichen Kosten des US-Sanktionsregimes widerspiegelt: Allein im ersten Jahr wurden 40.000 Menschen in Venezuela durch Trumps illegale Sanktionen getötet.
Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung
Jeffrey Sachs, einer der beiden Autoren der Studie, gilt als einer der weltweit renommiertesten Ökonomen und arbeitete für IWF, Weltbank, WTO und OECD, hält eine Doppelprofessur an der Columbia University und ist höchster Berater des UN-Generalsekretärs António Guterres zu Fragen nachhaltiger Entwicklung. Auch der zweite Autor Mark Weisbrot gilt als weltweiter Experte zu Wirtschaftsfragen den globalen Süden betreffend.
Gleich im ersten Absatz des Papiers formulieren die Autoren jene Binsenweisheit US-amerikanischer Sanktionspolitik, die von Venezuela bis Nordkorea, von Kuba und Iran bis Palästina und Syrien Gültigkeit besitzt: „Die größten Auswirkungen dieser Sanktionen lasten nicht auf der Regierung, sondern auf der Zivilbevölkerung.“ Denn: Nicht Kim, Assad und Maduro hungern, sondern die von Sanktionen geknebelten Menschen in Nordkorea, Syrien und Venezuela.
Lesen wir kurz in den Report hinein, um die katastrophalen Folgen des Trumpschen Wirtschaftskriegs zu erfassen:
Die Sanktionen verringerten die Kalorienaufnahme der Bevölkerung, erhöhten die Krankheits- und Sterblichkeitsrate (bei Erwachsenen und Kindern gleichermaßen) und vertrieben Millionen von Venezolanern, die aufgrund der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Depression und der Hyperinflation aus dem Land flohen. Sie verschärften die Wirtschaftskrise Venezuelas und machten eine Stabilisierung der Wirtschaft nahezu unmöglich, was zu einer Vielzahl weiterer Todesfälle beitrug. Alle diese Folgen schadeten überproportional den ärmsten und wehrlosesten Venezolanern.
Die Autoren zitieren eine UN-Untersuchung, laut der die am massivsten von den Sanktionen betroffenen Gruppen Frauen, Kinder, Alte, Arme, Indigene, Menschen mit Behinderung und die LGBTQ-Community seien.
Weisbrot und Sachs ermitteln anhand statistischer Daten für den Zeitraum 2017-2018 von drei venezolanischen Universitäten die Schreckenszahl von mehr als 40.000 Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die US-Sanktionen getötet wurden.
Die Autoren weisen außerdem nach, dass die Sanktionen der völkerrechtlichen „Definition von Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung“ entsprechen und damit eine Verletzung der UN-Charta, der Haager Abkommen und der Genfer Konventionen darstellen. Zusätzlich verletzen Trumps Sanktionen die Statuten der Organisation Amerikanischer Staaten sowie – last but not least – die US-amerikanische Verfassung.
Im März gab Trumps Außenminister Mike Pompeo auf einer Pressekonferenz indirekt zu, dass die „sich stündlich zuspitzende humanitäre Krise“ keineswegs ein Kollateralschaden der US-Sanktionspolitik ist, sondern deren bewusst herbeigeführtes Ziel. Und bereits im Juli 2017 nannte Trump bei einem Treffen mit Geheimdienstmitarbeitern seine eigentlichen Absichten in Venezuela:
„Mit diesem Land sollten wir in den Krieg ziehen. Sie haben all das Öl und liegen direkt vor unserer Haustür.“
Klassischer Bankraub
Einen Monat nach dieser Kriegs(absichts)erklärung verhängte Trump im August 2017 Sanktionen insbesondere gegen den venezolanischen Finanzsektor, wodurch das Land effektiv vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten wurde. Die dringend benötigte Restrukturierung der Staatsschulden wurde so unterbunden.
Neben Interventionen von außen waren es sowohl unter der Chavez- als auch der Maduro-Regierung Korruption, Missmanagement und ausbleibende Investitionen in die Ölinfrastruktur des Landes, die Venezuela in eine tiefe Wirtschaftskrise stürzten. Allein zwischen 2013 und 2016 schrumpfte das venezolanische Bruttoinlandsprodukt um fast 25 Prozent, so die Autoren der Studie, und Trumps „Sanktionen verhinderten, dass sich die Wirtschaft von dieser tiefen Rezession erholen konnte“. Auch waren die Sanktionen laut Weisbrot und Sachs der Hauptgrund, der die „hohe Inflation“ zur „Hyperinflation“ explodieren ließ.
Im Zuge der Sanktionen begingen die USA und ihre Verbündeten auch offenen Diebstahl von im Ausland liegenden Vermögenswerten des venezolanischen Staates. Die Trump-Regierung fror in Höhe von 7 Milliarden US-Dollar sämtliche Konten von Citgo ein, der US-Tochter des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA, und öffnete sie im Gegenzug dem selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó. Während Trump also effektiv einen Multimilliarden-Konzern klaute, beging die Bank of England auf Weisung Washingtons klassischen Bankraub, als sie venezolanisches Gold im Wert von 1,2 Milliarden US-Dollar konfiszierte und sich weigerte, es Maduro auszuhändigen. Und die Rechtsaußen-Regierung in Kolumbien klaute einen venezolanischen Düngemittelhersteller im Wert von 269 Millionen US-Dollar.
Wenn ein Raubüberfall einen gewissen Millionenbetrag übersteigt, wird der Akt des Diebstahls derart abstrakt, dass die Räuber ungeschoren davonkommen – es weiß ohnehin niemand, welche Nummer denn zu wählen wäre, um den Raub anzuzeigen.
Hunger als Kriegswaffe
Neben dem Finanz- war der Ölsektor das zweite Target, auf das die Trump-Administration feuerte. Waren die USA 2018 mit über 35 Prozent noch der Hauptabnehmer venezolanischer Ölexporte, fielen die Exporte im Zuge der neuen Sanktionen vom Januar dieses Jahres im März über drei Wochen hinweg das erste Mal auf Zero. Auch drängte die Trump-Regierung weltweit andere Abnehmer venezolanischen Öls, ihre Importe einzustellen und drohte bei ausbleibender Unterwerfung diesen wiederum mit Sanktionen (ein Schritt kopiert übrigens aus dem Anti-Iran-Playbook; das Ziel Regime Change ist ohnehin bei beiden Ländern dasselbe).
Selbst die russische Gazprom unterwarf sich Washingtons neokolonialistischem Diktat und fror sämtliche Konten und Transaktionen mit PDVSA ein.
Allein seit Januar brach die venezolanische Ölproduktion um mehr als ein Drittel ein, Analysten prognostizieren für 2019 ein Einbrechen auf katastrophale zwei Drittel gegenüber zum Vorjahr. Doch die meisten Mittel zum Import von lebenswichtigen Gütern wie Nahrungsmittel und Medikamente sowie technisches Gerät zum Erhalt von Wasser- und Elektrizitätswerken stammen aus Maduros Regierungstöpfen – und diese werden wiederum großteils durch die Öleinnahmen des Landes gefüllt. Damit ist jeder Angriff auf den Ölsektor ein Angriff auf den Bezug dieser lebenswichtigen Güter selbst.
Allein im ersten Jahr der Sanktionen verlor die venezolanische Wirtschaft Öleinnahmen von über 6 Milliarden US-Dollar; zum Vergleich: sämtliche Importe nach Venezuela 2018 beliefen sich auf gerade einmal 10 Milliarden Dollar. Im Vergleich zu 2013 stürzten insbesondere Nahrungsmittelimporte 2018 um mehr als drei Viertel ab. Dies ist der wesentliche Ursprung der 40.000 Toten: Einbrechende Öleinnahmen führen zu einbrechenden Nahrungsmittelimporten führen zum Aushungern der Menschen im Land. Und die Zahl der 40.000 Toten bezieht sich „nur“ auf 2018, bei anhaltender Verschärfung des Konflikts könnte 2019 ein Vielfaches dieser Toten produzieren.
Im Jemen-Krieg bombardiert die Saudi-Emirate-Koalition Lebensmittelfabriken und Häfen zum Import von Nahrung, um so Hunger als Kriegswaffe zu missbrauchen. Die Trump-Administration setzt zwar weniger spektakuläre Mittel ein, doch ist die zugrundeliegende Taktik – den Hunger von Millionen Menschen herbeiführen, um ihn so zur Waffe gegen die Regierung zu instrumentalisieren – im gleichen Maße verachtenswert und demonstriert einmal mehr die tiefsitzende moralische Verrohung des U.S. Empire, das für sein geopolitisches Geplänkel buchstäblich über Leichen geht.
Neben den bereits versäumten Einnahmen von 6 Milliarden Dollar bleiben jeden Tag sanktionsbedingt weitere 30 Millionen US-Dollar an Einnahmen aus. Die Misanthropie der Mächtigen: Ende Januar versprach die Trump-Regierung ein „humanitäres Hilfspaket“ für die venezolanische Bevölkerung in Höhe von 20 Millionen – ein Betrag also, den ebendiese Regierung durch ihre illegalen Sanktionen alle 16 Stunden verbrennt.
Heiko Maas und seine Freunde rechtsaußen
Während in Venezuela eifrig an der nächsten heißen Phase des Putsches gearbeitet wurde, traf sich Bundesaußenminister Heiko Maas vergangene Woche auf seiner ersten Südamerika-Reise im Amt im rechtsregierten Kolumbien nicht nur mit Guaidós „Schatten-Außenminister“ Julio Borges, sondern auch zum freundschaftlichen Meeting mit dem neugewählten Präsidenten Brasiliens – dem Nazi und Faschisten Jair Bolsonaro, dem größten regionalen Unterstützer des Putschisten Guaidó.
Seit Beginn der Venezuela-Krise unterstützte Heiko Maas den in Washington co-geplanten neoliberalen Putsch von Rechtsaußen. Nachdem er bereits 2017 mit der rechtsextremen Justizministerin Israels, seiner guten persönlichen Freundin Ayelet Shaked, illegal im Hubschrauber über das völkerrechtswidrig besetzte Westjordanland flog, stellt Maas mit seiner Kungelei mit Bolsonaro und Guaidó einmal mehr unter Beweis, dass er sich – entgegen seiner progressiven, liberalen Rhetorik – am Ende doch im Kreise seiner rechtsaußen Schwestern und Brüder dieser Welt am wohlsten fühlt.
Beim Lesen des Sachs-Weisbrot-Reports, der ergab, dass durch Trumps Sanktionen gegen Venezuela allein im ersten Jahr 40.000 Menschen getötet wurden, kam mir unweigerlich das legendäre 60-Minutes-Interview aus dem Jahr 1996 in den Sinn, in dem Madeleine Albright meinte, eine halbe Million durch US-Sanktionen getöteter irakischer Kinder seien „den Preis wert“.
Auch für Trump und seine Regime-Change-Falken Pompeo und Bolton sind die 40.000 von ihnen ermordeten Venezolanerinnen und Venezolaner den „Preis“ garantiert „wert“. Dem deutschen Pressewald war der bahnbrechende Sachs-Weisbrot-Report nicht einmal eine Erwähnung wert, er wurde konsequent totgeschwiegen – ein journalistisches Armutszeugnis.
Linken-MdB Andrej Hunko nannte im Deutschlandfunk-Interview zwar die Zahl der „30 bis 40.000 Toten durch die Wirtschaftssanktionen“, doch gab es bei Tagesschau, SPIEGEL, Welt & Co. keinerlei Berichterstattung zum katastrophalen Sachs-Weisbrot-Bericht. Die kritische Leserin dieses Artikels möge sich bitte einen Moment die Reaktion deutscher Medien vorstellen, hätte der Bericht nicht US-amerikanische Sanktionen, sondern russische behandelt.
Das Ignorieren des Sachs-Weisbrot-Reports demonstriert erneut, dass der deutsche Journalismus – möge er auch noch so aggressiv auf den nichtsnutzigen Clown im Weißen Haus persönlich einschlagen – treu als transatlantischer Komplize fungiert und die übergeordnete Empire-Politik stillschweigend mitträgt, anstatt seinen Job zu erledigen: die Checks and Balances der Macht zu sein.
Blutzoll
Eine Freundin von mir war vor einer Weile für längere Zeit in Caracas, der Hauptstadt Venezuelas. Sie berichtete von einer Tragödie in ihrem Viertel, als zwei Jugendliche im Affekt einen Bäckermeister erschossen, als dieser sich weigerte, einige Laibe Brot herauszurücken. Meine Freundin und die Bekannten, bei denen sie wohnte, aßen über mehrere Wochen hinweg eine einzige Banane pro Person und Tag. Eine Banane. Als sie schließlich magenkrank wurde, musste eine Bekannte meiner Freundin nach Brasilien fliegen, um aus der Apotheke für ein paar Dollar einfachste Antibiotika nach Caracas zu bringen.
Das ist der Blutzoll, den die Menschen in Venezuela für Trumps imperialistischen Raubzug zahlen müssen. Dies sind die nächsten Toten auf dem 40.000-köpfigen Leichenberg, den Trumps vollkommen fehlgeleitete Regime-Change-Politik bislang produziert hat.
Quelle: diefreiheitsliebe.de… vom 14. Mai 2019
Tags: Imperialismus, Lateinamerika, Neoliberalismus, Politische Ökonomie, USA, Venzuela
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