Spanien: «Rebellisch regieren» hat nicht funktioniert
Raul Zelik. Die linken Stadtregierungen in Spanien scheitern an ihren Ansprüchen – und verlieren nun fast überall ihre Mehrheiten. Die Gründe dafür sind von Stadt zu Stadt verschieden.
Die Zeit der linken Stadtregierungen ist in Spanien erst einmal vorüber. Bei den Gemeindewahlen Ende Mai verloren die Bürgerlisten, die 2015 die Rathäuser vieler Grossstädte spektakulär erobert hatten, fast überall ihre Mehrheiten. Dabei fielen die Wahlergebnisse vielerorts gar nicht so schlecht aus. In Madrid hielt Bürgermeisterin Manuela Carmena ihren Stimmenanteil von 31 Prozent, kann aber keine Regierung bilden, weil die neuen Rechtsparteien Ciudadanos und Vox zusammen ebenfalls auf 27 Prozent kommen und mit dem PP über eine Mehrheit verfügen.
In Barcelona verloren die Comunes von Bürgermeisterin Ada Colau, die sich als Aktivistin der PAH (Bewegung gegen Zwangsräumungen) einen Namen gemacht hatte, gegenüber 2015 deutlich und sind mit zwanzig Prozent nur noch zweitstärkste Kraft hinter der ERC, den katalanischen LinksrepublikanerInnen. Anders als in Madrid hat die Rechte in Barcelona aber nichts zu melden. Die spanisch-nationalistischen Ciudadanos, die mit dem früheren französischen Ministerpräsidenten (und Exsozialdemokraten) Manuel Valls angetreten waren, erhielten gerade einmal dreizehn Prozent, der PP weitere fünf Prozent. Die Bildung einer neuen Stadtregierung wird dennoch kompliziert werden, da sich die drei grossen Parteien – die ERC, die Comunes von Ada Colau und der PSOE – hinsichtlich der katalanischen Frage völlig uneins sind.
Kuscheln mit den Immobilienfonds
Die Ursache für die linken Niederlagen sind unterschiedlicher Natur. Die Politik von Manuela Carmena in Madrid zeichnete sich in erster Linie dadurch aus, dass sich wenig veränderte. Obwohl die Fraktion von Más Madrid in offenen Vorwahlen bestimmt worden war und ein radikaldemokratisches Profil besass, schlug sich das nicht in der Politik der Stadtregierung nieder. Bürgermeisterin Carmena ging schnell auf Distanz zur eigenen Gemeinderatsfraktion und schmiedete bei einem Grossprojekt im Stadtteil Chamartín sogar Allianzen mit mächtigen Immobilienfonds. Die Linke, die eine Rückkehr zu den Gründungsprinzipien des «Munizipalismus» forderte, mobilisierte mit ihrer Kritik an der Bürgermeisterin jedoch kaum Zustimmung. Eine gemeinsame Liste von Basisinitiativen und Izquierda Unida erhielt weniger als drei Prozent.
Anders die Lage in Barcelona, wo Bürgermeisterin Ada Colau Massnahmen gegen Airbnb und Uber ergriffen, die Ausbreitung von Ferienwohnungen bekämpft und Genossenschaften sowie alternative Stadtteilprojekte gefördert hatte. Doch auch hier war die Praxis hinter den Versprechen eines «rebellischen Regierens» weit zurückgeblieben. Besonders deutlich wurde das im Oktober 2017 beim katalanischen Unabhängigkeitsreferendum, das in erster Linie von selbstorganisierten Nachbarschaftskomitees durchgeführt wurde. Bis zuletzt kritisierte Colau das Referendum – wohl auch in der Hoffnung, dadurch WählerInnen in der spanischen Community gewinnen zu können. So kam es zu der absurden Situation, dass die linksalternative Stadtregierung das geltende Recht verteidigte, während die bürgerlichen katalanischen Parteien gemeinsam mit der radikalen Linken zivilen Ungehorsam praktizierten. In den letzten Tagen zeigt sich immer deutlicher, dass Neutralität in der katalanischen Frage für Linke keine Option sein kann. Die extrem rechte Madrider Tageszeitung «ABC» plädierte zuletzt für eine Wiederwahl von Ada Colau – um einen Bürgermeister der sozialdemokratischen katalanischen ERC zu verhindern.
Auch wenn die linken Stadtregierungen aus unterschiedlichen Gründen scheiterten, war ein Problem doch offenbar überall dasselbe. Während Regierungen um gute Verwaltung und Moderation bemüht sein müssen, lebt die Linke von Protest und Konflikt. So wurden auch die Stadtregierungen von den Platzbesetzungen der Indignados-Bewegung ab 2011 ins Amt getragen, sorgten dann aber dafür, dass diese Kraft verpuffte. Ein radikaler Kurs der Stadtregierungen wäre nicht unbedingt die Lösung des Problems gewesen. Die linke CUP, die in Barcelona immer auf Distanz zu Ada Colau geblieben war, wurde bei den Wahlen ebenfalls abgestraft und sitzt nicht einmal mehr im Gemeinderat.
Anarchist statt König
Eine Ausnahme gibt es jedoch unter den spanischen Grossstädten: Im andalusischen Cádiz konnte der Bürgermeister José María González von der linken Podemos-Strömung Anticapitalistas seine Mehrheit ausbauen. González, der nach seinem Amtsantritt erst einmal das Bild des spanischen Königs durch das eines Anarchisten ersetzen liess, gewann fünfzehn Prozent hinzu. Das dürfte an der persönlichen Glaubwürdigkeit des Bürgermeisters liegen, der Bescheidenheit, Pragmatismus und antikapitalistische Überzeugungen miteinander verbindet. Doch auch die Grösse von Cádiz dürfte eine wichtige Rolle gespielt haben. In kleinen und mittelgrossen Städten ist die Vermittlung zwischen Bevölkerung und Regierung für Linke viel einfacher als in Grossstädten, in denen Medienkonzerne und Immobilienfonds ihre Interessen geltend machen.
Am Ende bleibt wohl als Fazit, dass von einem rebellischen und doch pragmatischen Regieren in den links dominierten Städten zu wenig zu sehen war.
Quelle: WoZ Nr. 23/2019… vom 7. Juni 2019
Tags: Breite Parteien, Sozialdemokratie, Spanien, Strategie
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