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Warum dieser Fahrradkurier das Ende von Deliveroo feiert

Eingereicht on 16. August 2019 – 13:56

Pia Seitler. Seit Montag wissen etwa 1100 Fahrerinnen und Fahrer von Deliveroo, dass sie am kommenden Freitag ihren Job verlieren. Der Online-Lieferdienst mit den türkisfarbenen Kasten-Rucksäcken zieht sich aus Deutschland zurück. (SPIEGEL ONLINE)

Schlechte Arbeitsbedigungen, befristete Verträge, Scheinselbstständigkeiten – Deliveroo stand als Arbeitgeber schon lange in der Kritik. 

Die prallte bislang an dem britischen Unternehmen ab: Am Ende erfuhren die Fahrradkuriere nur wenige Tage vor dem Aus, dass sie ihre Rucksäcke am Freitag abgeben müssen. Als Entschädigung sollen sie „Good-Will“-Zahlungen erhalten.

Schon seit einiger Zeit kämpften die Fahrerinnen und Fahrer der Lieferdienste für mehr Mitbestimmung und gründeten Betriebsräte. 2018 initiierten einige Fahrradkuriere die Kampagne „Liefern am Limit“. Das Ziel: bessere Arbeitsbedingungen und mehr Mitbestimmung für die Fahrerinnen und Fahrer von Deliveroo und Lieferando. Einer von ihnen war der 23-jährige Keno Böhme.

Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was das Deliveroo-Aus in Deutschland für die Fahrerinnen und Fahrer bedeutet. 

Keno arbeitete selbst bereits bei den Lieferdiensten Foodora, Deliveroo und Lieferando. Er war an Betriebsratsgründungen beteiligt und initiierte im Februar 2018 mit anderen Fahrerinnen und Fahrern die Kampagne „Liefern am Limit“. Sein Vertrag bei Deliveroo wurde nach der Betriebsratsgründung nicht verlängert, auch bei Lieferando wurde er nach eigenen Angaben entlassen. 

Heute arbeitet er für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und ist dort zuständig für den Bereich Lieferdienste.

Deliveroo zieht sich aus Deutschland zurück. Ihr feiert das als Erfolg – dabei verlieren etwa 1100 Fahrer ihren Job. 

Der Rückzug von Deliveroo aus Deutschland wird einen positiven Langzeiteffekt für Lieferdienstmitarbeiter haben. Unserer Meinung nach hängt der Rückzug nämlich damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbstständigkeit der Fahrerinnen und Fahrer nicht funktioniert hat. Die sogenannten Rider waren bei Deliveroo solo-selbstständig tätig. Sollte es Überlegungen beim deutlich größeren Konkurrenten Lieferando gegeben haben, dieses Modell auszuprobieren, dürfte sich das hiermit erledigt haben. Das bedeutet mehr Sicherheit in Zukunft für deutlich mehr Beschäftigte, als jetzt ihren Job verlieren – und das feiern wir. 

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Welche Rolle hat eure Arbeit mit „Liefern am Limit“ dabei gespielt?

Im April 2018 haben wir gemeinsam mit dem Verein „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ in neun deutschen Städten Aktionen gegen Deliveroo durchgeführt. Das alles hat den Druck auf das Unternehmen erhöht. Der Besitzer eines der beliebtesten Restaurants in Köln berichtete mir im Sommer 2018, dass seine Bestellungen von Deliveroo um etwa 80 Prozent zurückgegangen sind, seit es „Liefern am Limit“ gibt. Deliveroo weigerte sich stur, auf unsere Forderungen einzugehen und die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verbessern. Stattdessen hat man in Kauf genommen, den Laden im Zweifel irgendwann ganz dicht machen zu müssen. 

Deliveroo will den Fahrern Geld als Entschädigung bezahlen. Das ist doch immerhin etwas?

Deliveroo zahlt den Tagesdurchschnittslohn der letzten zwölf Wochen multipliziert mit dem Faktor 24. Das heißt, die Rider werden ab Freitag für 24 weitere fiktive Arbeitstage bezahlt. Diejenigen, die in den vergangenen zwölf Wochen krank oder im Urlaub waren, oder aus anderen Gründen ihre Schichten reduziert haben, bekommen weniger oder gar nichts. Das hätte man mit einer Mindestabfindung abfedern können. 

Was fordert „Liefern am Limit“ stattdessen? Was würde den Fahrerinnen und Fahrer wirklich helfen?

Eine deutlich höhere Mindestabfindung. Helfen würde es auch, wenn der Faktor 24 auf 96 erhöht würde: Das wäre dann ungefähr der Lohn von drei Monaten und somit angemessen, um die Zeit zu überbrücken, die die Rider brauchen, um eine neue Beschäftigung zu finden. Weil sie bei Deliveroo selbstständig arbeiteten, haben sie erst nach drei Monaten ein Anrecht auf Arbeitslosengeld 1.

Wie wird es für die mehr als 1000 Fahrerinnen und Fahrer jetzt weitergehen? Welche Chancen haben die Rider auf einen Wechsel zum Konkurrenten Lieferando?

Deliveroo war der letzte Wettbewerber von Lieferando. Das heißt, Lieferando ist jetzt alleine auf dem Markt der Online-Lieferdienste in Deutschland. Das Unternehmen kann in Ruhe erst einmal abwarten, wie sich die Nachfrage der Kunden verändert, dann erst die Zahl an Fahrerinnen und Fahrern erhöhen und auf die Bewerbungen der ehemaligen Deliveroo-Fahrerinnen und Fahrer zurückgreifen. Ich glaube nicht, dass alle bei Lieferando unterkommen werden. Das wollen aber auch gar nicht alle. Einige Rider prüfen gerade gemeinsam die Gründung einer selbstverwalteten Genossenschaft.

Wie macht ihr nach dem Deliveroo-Aus jetzt mit „Liefern am Limit“ weiter?

Wir schauen auf Lieferando und wie das Unternehmen mit der Foodora GmbH umgeht – denn die existiert noch. Uns liegen interne Informationen vor, dass Foodora bis Ende Oktober geschlossen werden soll und damit auch die Betriebsratsstrukturen abgeschafft werden, die wir dort in den vergangenen zwei Jahren hart erkämpft haben. Unser Ziel ist es, auf einen geregelten Betriebsübergang hinzuwirken, um damit die Betriebsräte zu Lieferando zu überführen und langfristig einen Tarifvertrag für die Branche auszuhandeln. 

Quelle: bento.de… vom 16. August 2019

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