Juso: Wahlkampf statt Bewegung gegen «Marsch für’s Läbe»?
Nino Fedele. Am Samstag werden sich in Zürich hunderte Aktivist*innen dem grössten rechten Aufmarsch der Schweiz entgegenstellen. Solche Proteste waren in der Vergangenheit sehr erfolgreich. Die Juso kocht derweil ihr eigenes Süppchen.
Am 14. September 2019 soll in Zürich der «Marsch für’s Läbe» stattfinden. Nach einigem juristischen Hin und Her ist klar, dass die christlichen Fundis durch den Kreis 5 laufen werden, um gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und die Selbstbestimmung von Frauen zu demonstrieren. Es handelt sich um den einzigen grösseren rechten Aufmarsch auf Schweizer Strassen. Hier treffen sich christliche Fundamentalist*innen aller Couleur, von erzkonservativen katholischen Würdenträgern über evangelikale Sekten und vermeintlich hippe Freikirchen bis zu antifeministischen SVPler*innen und Neonazis.
Obwohl der Spuk heuer bereits zum zehnten Mal stattfindet, ist der «Marsch für’s Läbe» keineswegs eine Erfolgsgeschichte für die Fundis. Egal wo sie sich trafen, in Zürich oder Bern, im proletarischen Viertel, im Aussenquartier, am See, in der Innenstadt oder auf dem hermetisch abgeriegelten Bundesplatz, jedes Mal protestierten feministische, queere und antifaschistische Aktivist*innen und Anwohner*innen dagegen. Jedes Jahr wurde die Gegenmobilisierung grösser und dynamischer. Für den kommenden Samstag ruft das Bündnis für ein selbstbestimmtes Leben unter dem Motto «Vo wäge für’s Läbe!» dazu auf, sich um 12.45 Uhr auf der Josefwiese zu treffen, um den antifeministischen Marsch zu stören und zu verhindern. Auch das Zürcher Frauenstreik-Kollektiv mobilisiert auf diesen Protest.
Wahlkampf statt wirksamer Protest
Nicht dabei ist dieses Jahr aber die Juso der Stadt Zürich. Die Jungpartei der SP schreibt sich gerne Feminismus auf die Fahnen und wirbt aktuell mit dem Slogan «Konsequent. Feministisch. Für die 99%». Umso unverständlicher scheint die Entscheidung der Juso, für Samstag die erstarkte feministische und queere Bewegung abzugrätschen und im Alleingang zu einer Demonstration auf dem Zürcher Helvetiaplatz aufzurufen. Der Helvetiaplatz liegt weit weg vom Turbinenplatz, wo sich die Fundis versammeln wollen. Trotzdem stellt die Juso ihre Mobilisierung in die Tradition der erfolgreichen Proteste der letzten Jahre, indem sie von einer «Gegendemo» spricht. Zusammen mit der konsequenten Nicht-Erwähnung der richtigen Gegendemo nimmt sie damit eine Spaltung und Schwächung des Protests gegen den «Marsch für’s Läbe» in Kauf. Auch ermöglicht es die Juso-Veranstaltung den Behörden, alle anderen Gegendemonstrant*innen einfacher zu kriminalisieren. Während die massenhaften Festnahmen im Jahr 2015 für viel Kritik gesorgt haben, kann sich die Polizei nun auf den Standpunkt stellen, dass sie ja eine Demonstration bewilligt hätten, wo die Leute ihren Unmut kundtun könnten – und im Gegenzug alle vor Ort protestierenden Menschen als «gewalttätige Extremist*innen» brandmarken.
In der Vergangenheit war das anders: Die Juso war zwar nie Teil der aufrufenden Bündnisse, aber viele Juso-Aktivist*innen waren selbstverständlich mit dabei und ihre Exponent*innen solidarisierten sich öffentlich mit den Demonstrationen. Nun machen einige junge Sozialdemokrat*innen eine Kehrtwende und laufen der Bewegung davon. Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen scheint wichtiger zu sein. Da versucht die Partei zwar vom Erstarken der feministischen Bewegung zu profitieren, will dann aber doch lieber nicht hinter einer breiten Bündnismobilisierung verblassen, deren Inhalte und Strategie sie nicht bestimmen kann. Auch kann die Juso wohl keine negativen Schlagzeilen gebrauchen, falls im Zusammenhang der Protestaktionen von «Ausschreitungen» die Rede sein sollte.
Direkte Intervention gegen rechte Hetze
Es geht beim Protest gegen den reaktionären Aufmarsch aber um mehr. Der «Marsch für’s Läbe» richtet sich nicht nur gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, sondern dient auch als Artikulationsplattform für rechte Kräfte aller Art. In den vergangenen Jahren bewegten sich nicht nur Prügel-Katholiken aus Polen, sondern auch die völkischen «Schweizer Demokraten» und die Neonazi-Partei PNOS im Fahrwasser der Veranstaltung. Gleichzeitig gelang es den religiösen Fundamentalist*innen gemässigte Kräfte ins Boot zu holen und somit in die politische Mitte hineinzuwirken. Auf diese Weise erhält ihre rassistische, homophobe, frauenfeindliche und fundamentalistische religiöse Propaganda nicht nur eine breite Öffentlichkeit, sondern die Reaktionären können sich an dem Anlass auch vernetzen und Erfahrungen mit Strassenaktionen sammeln. Die physische Präsenz auf der Strasse spielt eine wichtige Rolle für die Rechten. Sie sind damit attraktiv für ihre Sympathisant*innen und eine unmittelbare Gefahr für die Menschen, welche nicht in ihr Weltbild passen. Bei Abtreibungsgegner*innen ist das nicht anders, in vielen Ländern veranstalten sie regelmässig grosse Aufmärsche. Auch gehört es etwa zu ihrem Repertoire, vor Kliniken oder Beratungsstellen betroffene Frauen und Personal zu drangsalieren. Gegen ein solches Gefahrenpotential hilft kein demokratischer Wettstreit um Ideen, sondern nur die konkrete Intervention.
In den letzten Jahren brachte das gemeinsame Ziel, den «Marsch für’s Läbe» zu stören und zu verhindern viele unterschiedliche Akteur*innen der feministischen, queeren und antifaschistischen Bewegung zusammen. Die Mobilisierung führte also auch zu Organisierung und Vernetzung, was wiederum andere Kämpfe und insbesondere die feministische Bewegung stärkte. Es geht nicht darum, sich auf gemeinsame Forderungen oder Wahlprogramme zu einigen, sondern es geht um das praktische Ziel, den Aufmarsch nicht gewähren zu lassen. Wenn Rechte aufmarschieren, agieren wir gemeinsam und lassen die Quartierbevölkerung nicht alleine. Dabei entfaltet gerade die Vielfalt der Protestformen eine grosse Wirkung. Das Ziel ist es, die Aussenwahrnehmung der Rechten auf der Strasse zu verringern und dafür zu sorgen, dass die Marsch-Teilnehmer*innen irgendwann keinen Bock mehr haben. Wir machen den reaktionären Kräften den öffentlichen Raum streitig, um ihre Handlungsmacht einzuschränken und zugleich die unsrige zu erweitern. Diese Aufgabe wird uns der Staat nicht abnehmen, das müssen wir selber tun. Und das ist wichtiger als Wahlkampf.
Quelle: ajour-mag.ch… vom 12. September 2019
Tags: Frauenbewegung, Neue Rechte, Repression, Sozialdemokratie, Widerstand
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