Ukraine: Neue Leaks vor dem MH-17-Prozess
Florian Rötzer. Bonanza Media hat Protokolle von JIT-Treffen veröffentlicht, die Einblick in die Vorgehensweise des Teams geben; der Prozess beginnt ohne die Angeklagten.
Der MH-17-Prozess beginnt heute vor einem niederländischen Hochsicherheitsgericht in Amsterdam. Erwartet wird ein Mammutprozess, der sich womöglich Jahre hinziehen kann. Das Gemeinsame Ermittlungsteam (JIT) hat vier Personen angeklagt, als Teil der Befehlskette am behaupteten Transport des Buk-Systems von der 53. Luftabwehrbrigade aus Russland zum Abschussort und zurück beteiligt gewesen zu sein. Angeklagt werden sie auch des Mords an den MH17-Passagieren. Erwartet wird, dass die Russen Igor Girkin, Sergei Dubinsky und Oleg Pulatow und der Ukrainer Leonid Kharchenko nicht vor Gericht erscheinen werden, zumal weder Russland noch die Ukraine eigene Bürger ausliefert. Dass führende Angehörige der Volksrepublik Donezk mit russischen Regierungsangehörigen regelmäßig telefoniert hatten, soll den Verdacht auf eine Mitwirkung der russischen Regierung nach dem JIT stärken. Die niederländische und die australische Regierung hatten offiziell die russische Regierung für den Abschuss verantwortlich gemacht.
Es war die angeblich größte Ermittlung in der niederländischen Geschichte. Das JIT wurde von der niederländischen Staatsanwaltschaft geleitet, beteiligt sind neben der Niederlande Australien, Belgien, Malaysia und die Ukraine. Letzteres hatte von Anfang an für Kritik gesorgt, da die Ukraine beschuldigt wurde, den Flugraum nicht gesperrt zu haben, zudem stammen viele Beweismittel wie die abgehörten Telefonanrufe vom ukrainischen Geheimdienst SBU. Weitere Beweismittel wie Bilder vom angeblichen Transport des Buk-Systems hat das JIT von der Gruppe Bellingcat übernommen. Nach einem kürzlich veröffentlichten Leak wurde einige von der australischen Polizei untersuchten Bilder als beweisuntauglich angesehen, weil es sich nicht um Originale handelte und Metadaten verändert worden seien (Australische Polizei mit Zweifeln an von Bellingcat präsentierten Bildern
Die von der ehemaligen RT-Reporterin Yana Yerlashova gegründete Bonanza Media, für die auch der Niederländer Max van der Werff arbeitet, hat in letzter Zeit einige Leaks veröffentlicht, die die vom JIT bislang veröffentlichten Ermittlungsergebnisse teilweise in Frage stellen können. Nach einem Dokument des niederländischen Geheimdienstes, der sich auch auf Angaben befreundeter Geheimdienste stützte, gab es in der Nähe der Abschussstelle kein russisches oder ukrainisches Buk-System mit ausreichender Reichweite. Ein Buk-System wurde bei den Separatisten ausgemacht, aber als funktionsunfähig bezeichnet und mit Fotos dokumentiert (Geleakte Dokumente nähren Zweifel am JIT).
Immer wieder Militärmaschinen von Zeugen gesehen
Weder dieser Bericht noch Zeugenaussagen, die auch gegenüber niederländischen Ermittlern von der Anwesenheit von Militärmaschinen zur Zeit des Abschusses sprachen, wurden in den JIT-Veröffentlichungen erwähnt. Gestern wurde von den JIT-Mitgliedsländern vereinbart, die Ermittlungen auch während des Prozesses weiterzuführen. Man wird sehen müssen, welche weiteren Beweismittel das JIT vor dem Gericht präsentiert.
Bonanza Media hat gerade weitere Leaks und ein Video mit einem Zeugen vorgelegt, der seine Aussage auch bereits vor dem JIT gemacht hat und noch einmal bekräftigt, zwei Flugzeuge gesehen zu haben. Yana Yerlashova und Max van der Werff waren zu ihm gereist, um ihn noch einmal zu befragen.
Die beiden sagen, es ginge ihnen nicht um das Herausfinden, wer schuldig ist und um den Tathergang, sondern darum, einen unvoreingenommene Untersuchung zu ermöglichen, die alle Informationen berücksichtigt. Gefragt, warum sie nur das JIT-Narrativ hinterfragen und nicht etwa das russische, antwortete van der Werff, es gebe aus Russland keine Version des Tathergangs, sondern nur ein Konglomerat unterschiedlicher und sich teils widersprechender Positionen von Behörden und Organisationen, das man nicht ernst nehmen könne.
Radar- und Satellitendaten
Bonanza Media legte das Protokoll eines JIT-Treffens am 12. Februar 2016 vor. Von der Seite der niederländischen Vertreter wird hier berichtet, dass in Medien und im Parlament der Niederlande nachgefragt würde, warum es keine ukrainischen und russischen Radar-Primärdaten gegeben habe. Medien würden suggerieren, die USA hätten mehr Informationen: „Wir haben von ihnen nichts erhalten“, so die Auskunft. Dabei geht es vermutlich um die Satellitenbilder, von denen der damalige US-Außenminister Kerry gleich nach dem Abschuss gesprochen hatte. Auf ihnen könne man sehen, sagte er, wer die Tat begangen habe.
Man werde Mitte März einen offiziellen Bericht des niederländischen Militärs über die US-Daten erhalten. Es gebe auch noch Anfragen wegen Radar- und Satellitenbilder bei anderen Ländern, auch mit EU-Behörden wolle man sprechen. Bislang sind keine Informationen darüber bekannt. Womöglich werden sie vor Gericht vorgelegt. Wenn das JIT überhaupt diese Daten erhalten hat – geliefert hat allerdings nur Russland (Weiter Streit um russische Primär-Radardaten) -, dann scheinen sie für das JIT-Narrativ nicht wirklich brauchbar zu sein, weil man sonst vermutlich bereits darauf hingewiesen hätte. Aus den USA hieß es: Die US-Geheimdienste werden ihre „überzeugenden“ Beweise nicht vorlegen.
Interessanter, immer vorausgesetzt, dass es sich um authentische offizielle Dokumente handelt, ist ein Protokoll eines JIT-Treffens vom 25. Januar 2018. Klarer wird hier die Arbeitsweise des JIT. Hier wurde überlegt, ob die Separatisten das Passagierflugzeug mit einer Militärmaschine verwechselt haben könnten und ob sie wissen hätten müssen, dass es eine Passagiermaschine war. Manon Ridderbecks von der niederländischen Staatsanwaltschaft wies nach dem Protokoll darauf hin, dass die Separatisten gedacht hätten, „dass Militärmaschinen nahe von Passagierflugzeugen flogen, um sicher zu sein“. Gerrit Thiery sagt zu den Ermittlungen, dass alternative Szenarien ausgeschlossen worden seien.
Moniert wurde, dass der SBU mit der Vernehmung der Zeugen nicht vorankommt – und überhaupt scheint der Geheimdienst nicht mehr mitzuwirken. Der Vertreter der Ukraine berichtete, man sei in Kontakt mit einem Zeugen, der an der Abschussstelle gewesen sei: „Wir versuchen, ihn auf unsere Seite zu ziehen.“
Verschleppen von Zeugen
Das Finden von Zeugen war Anfang 2018 eines der größten Probleme – und scheint es weiterhin zu sein. Man überlegte jedenfalls, wie man an Zeugen herankommen könnte, die in Russland leben. Es sei nicht schwer, sie anzulocken, sagte der belgische Vertreter. Der australische Vertreter fand „verdeckte Operationen“ bei Zeugen für möglich, der ukrainische sah dabei keine Probleme, so lange das die Niederlande macht. Das sei auch eine ganz normale Geheimdienstpraxis. (Gemacht wurde dies zumindest einmal, nämlich mit der Verschleppung von Zemak nach Kiew im Sommer 2019, aber der Zeuge, den man wohl unter Druck setzen oder mit Versprechungen ködern wollte, wurde dann in einem Gefangenenaustausch gegen den Willen der niederländischen Staatsanwaltschaft und Regierung wieder freigelassen.)
Bei einem Treffen am 26. Januar ging es um die Primärradardaten, die Russland übergeben hat, wo bei es Schwierigkeiten mit dem Format gegeben hatte. Es seien keine Manipulationen erkennbar, aber auch keine anderen Objekt in der Nähe von MH17. Die Interpretation war bekanntlich, dass eine mit Überschall fliegende Rakete nicht erfasst werden könne, dass ein Objekt zu klein sei, dass ein fliegendes Objekt ausgefiltert oder händisch aus den Bildern entfernt worden sein könnte. Offenbar gebe es aber Probleme mit drei Radardiagrammen (plots) nach dem Abschuss. Vorgeschlagen wurde, die als Teile des Flugzeugs oder der Rakete zu erklären, „um Fragen oder Verschwörungstheorien zu späterer Zeit zu vermeiden“. Vorgeschlagen wurde auch, man könne die Radarerkenntnisse „zu unserem Vorteil durch Nutzung der Medien“ verwenden.
Quelle: Telepolis… vom 9. März 2020
Tags: Europa, Imperialismus, Russland, Ukraine, USA
Neueste Kommentare