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Vertreter aller Parteien unterstützen rechtsextreme Corona-Demonstrationen

Eingereicht on 22. Mai 2020 – 10:50

Christoph Vandreier. Das Muster der Corona-Proteste ist von den fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen bekannt: Ein paar tausend Rechtsextremisten werden auf die Beine gebracht und als „besorgte Bürger“ verklärt, um einer Politik zum Durchbruch zu verhelfen, die von der großen Mehrheit abgelehnt wird. In ähnlicher Weise dienen nun die Corona-Demonstrationen dazu, Unterstützung für die verantwortungslose Lockerungspolitik vorzutäuschen und jede Opposition dagegen einzuschüchtern.

Bei den Aufmärschen handelt es sich fraglos um rechte Veranstaltungen. In einigen Städten werden sie direkt von AfD-Vertretern oder anderen Rechtsextremisten angemeldet. Im thüringischen Gera rief der rechtsextreme Reichsbürger Marek H. zur Demonstration auf. Auf allen Demonstrationen spielten stadtbekannte Neonazis und Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. Neben zahllosen Deutschlandfahnen wurden auch immer wieder Reichsflaggen geschwenkt und rechtsextreme Parolen gebrüllt.

Der Bayrische Rundfunk berichtet von zahlreichen regional organisierten, geschlossenen Chatgruppen selbsternannter „Corona-Rebellen“, die für die Demonstrationen mobilisieren und von Rechtextremisten dominiert sind. So sei in der Nürnberger Gruppe über die Mitnahme eines Baseballschlägers als „Meinungsverstärker“ diskutiert worden. Die Gruppe für Bayern habe 5000 Mitglieder, so der Sender.

Auf der zentralen Kundgebung in Stuttgart, zu der Teilnehmer aus ganz Deutschland angereist waren, versuchten sich die Veranstalter ein betont freundliches Gesicht zu geben. Vor der Bühne wurden Regenbogenfahnen aufgestellt, um die weiter hinten wehenden Reichsflaggen zu verdecken. Die Reden auf der Bühne wurden simultan in Gebärdensprache übersetzt, und Ähnliches.

Doch die Inhalte der Kundgebung waren eindeutig. Schon in der letzten Woche hatte mit dem Youtuber Ken Jebsen ein Vertreter extrem rechter Verschwörungstheorien gesprochen, der in seiner Rede die Verbrechen der Nazis verharmloste und deutschen Nationalismus schürte. In dieser Woche wurde das Bühnenprogramm vom Entertainer Nana Domena moderiert.

IT-Unternehmer Michael Ballweg, Gründer der rechten Basisbewegung Querdenken 711 – Stuttgart .  © Christoph Schmidt/dpa

Domena arbeitet seit Jahren aufs engste mit einem der zentralen Vertreter der deutschen Neonazi-Szene, Frank Kraemer, zusammen. Kraemer ist Gitarrist in der Neonazi-Band Stahlgewitter, die Hitler verehrt, Rassismus verbreitet und zu Gewalt aufruft. Mit diesem Neonazi macht Domena eine gemeinsame Sendung, zu der weitere Vertreter des Rechtsextremismus eingeladen werden, um ihnen Raum für ihre menschenverachtende Ideologie zu geben. Als Afro-Deutscher dient Domena dieser faschistischen Videoschmiede als Feigenblatt. Die gleiche Rolle spielte er am Samstag in Stuttgart.

Die rechtsextremen Proteste treffen auf überwältigende Ablehnung. Laut einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen lehnen 81 Prozent der Bundesbürger die Demonstrationen der Corona-Leugner ab. Nur 16 Prozent äußern sich positiv. Zudem war die ohnehin geringe Zahl von einigen tausend Demonstranten am vergangenen Samstag noch einmal gesunken. In Frankfurt und Berlin überstieg die Anzahl der Gegendemonstranten bei weitem die Demos der Rechten.

Nichtsdestotrotz berichten sämtliche Medien in einer Ausführlichkeit über die Proteste der Corona-Leugner, die sonst nicht einmal Demonstrationen von Hunderttausenden zuteil wird. Wie schon bei den Pegida-Märschen sind auch staatliche Stellen involviert. Der Verfassungsschutz, der aufs engste mit der rechtsextremen Szene verbunden ist, hat erklärt, die Demonstrationen würden „mehrheitlich von verfassungstreuen Bürgern durchgeführt“.

Auch hochrangige Vertreter sämtlicher im Bundestag vertretener Parteien haben die Corona-Proteste unterstützt und verklärt. In Dresden ging der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der zusammen mit SPD und Grünen regiert, persönlich zu den wenigen hundert Demonstranten im großen Garten, um mit ihnen zu sprechen, wie er sagte. Dass er dabei keinen Mundschutz trug und die Abstandsregeln missachtete, wurde von vielen Demonstranten zu Recht als Solidarisierung wahrgenommen und mit Applaus goutiert.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im sächsischen Landtag, Franziska Schubert, war schon eine Woche zuvor auf eine Corona-Demonstration in Zittau gegangen. Sie hatte sich ein Schild umgehängt mit der Aufschrift „Gesprächsbereit“. Anschließend wandte sie sich in der Zeit gegen „Pauschalurteile“. Auch sie sei „nicht der Auffassung, dass die Politik gerade alles richtig macht“, so Schubert. Man dürfe die Demonstranten nicht „von oben herab“ behandeln.

Am gleichen Samstag war auch der ehemalige FDP-Ministerpräsident von Thüringen, Thomas Kemmerich, auf der Corona-Demonstration in Gera mitmarschiert. Wie Kretschmer trug er keinen Mundschutz und hielt er die Abstandsregeln nicht ein. Kemmerich, der im Februar eine Regierungsmehrheit mit AfD und CDU gebildet hatte, gab nicht einmal vor, dass er nur mit den Teilnehmern habe reden wollen, sondern reihte sich vollständig in die Demonstration ein.

Mitglieder der SPD und Linkspartei beteiligten sich sogar als Redner an den Demonstrationen vom letzten Samstag. Wolfgang Wodarg, der bis 2009 für die SPD im Bundestag saß und noch länger der Parlamentarischen Versammlung des Europarates angehörte, erklärte, dass der Covid-19-Erreger SARS-CoV-2 weniger gefährlich sei als Grippe-Viren. „Wenn wir den Test nicht hätten, würden wir nichts merken“, erklärte der SPD-Politiker unter tosendem Applaus der Anwesenden.

In Aachen sprach der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Andrej Hunko, vor etwa hundert Teilnehmern. „Mit tatsächlichen Rechtsextremisten oder mit Leuten, die glauben, hinter Corona stehe ein Masterplan zur Ausrottung der Menschheit will ich auch nichts zu tun haben. Aber das ist nicht die Mehrheit der Menschen, die jetzt auf die Straße gehen“, erklärte Hunko. Was „tatsächliche Rechtsextremisten“ im Vergleich zu den Neonazis auf den Corona-Demonstrationen sind, ließ Hunko offen.

Doch teilte er sich das Podium mit Rednern wie Ansgar Klein, der schon in der Woche zuvor eine unangemeldete Demonstration am Aachener Eisenbrunnen organisiert hatte, aus der heraus ein Protest für die Rechte von Flüchtlingen bedrängt wurde. Kleins Leute hatten so lange aus nächster Nähe und ohne Mundschutz auf die Seebrücke-Demonstranten eingeschrien, dass diese das Feld räumen mussten.

Neben Hunko und Klein sprach auch Annette van Gessel von der Online-Zeitung Rubikon. Sie erklärte, dass die Multimilliardäre Bill und Melinda Gates zu jeder Tag- und Nachtzeit mit Angela Merkel telefonierten. „Also nicht verwunderlich, dass Angela Merkel die durch Nichts belegte Behauptung übernommen hat, dass es ohne Impfstoff keine Rückkehr zur Normalität geben kann“, so van Gessel.

Die Corona-Demonstrationen werden von Vertretern sämtlicher Bundestagsparteien umarmt, weil sie sich nicht gegen die Regierungspolitik richten, sondern diese flankieren. Gegen alle wissenschaftlichen Warnungen riskieren Bundes- und Landesregierungen mit der Öffnung von Läden, Schulen und Kindertagesstätten und dem Hochfahren der Industrieproduktion hunderttausende Menschenleben.

Ende 2015 wurde mit den Pegida-Demonstrationen der rechtsradikale Bodensatz der Gesellschaft mobilisiert, um die weit verbreitete Solidarität mit den angekommenen Flüchtlingen einzuschüchtern und die menschenverachtende Politik der Bundesregierung durchzusetzen. Auch damals pilgerten zahlreiche Politiker auf die dumpfen Aufmärsche, um sie zu adeln.

Nun wird der gleiche Bodensatz in Bewegung gebracht, um die Politik der Rückkehr zur Arbeit gegen enorme Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen. Die herrschende Klasse nutzt die Rückständigkeit und Dummheit der Demonstranten einmal mehr, um ihre äußerst rechte Agenda voranzutreiben. Jeder der sich der Lockerungspolitik widersetzt und nicht bereit ist, sein Leben für die Profite zu riskieren, soll auf diese Weise eingeschüchtert werden.

Gegen diese aggressive Politik der Rückkehr zur Arbeit müssen Arbeiter ein sozialistisches Programm setzen, das die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt. Das ist die einzige Möglichkeit, die Pandemie auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bekämpfen und den rechten Demagogen entgegenzutreten.

Quelle: wsws.org… vom 22. Mai 2020

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