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Schweiz: Eine mutige Ausstellung zum Kalten Krieg

Eingereicht on 10. Juli 2020 – 10:54

Fabian Perlini. Unter dem Titel «Ernstfall! Die Schweiz im Kalten Krieg» war im Museum Burg in Zug eine aussergewöhnlich aufklärende Ausstellung zu sehen. Unter anderem wurde erstmalig auf die Verfolgung von Kommunist*innen eingegangen. Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Ausstellung vorzeitig geschlossen werden.

Während des Kalten Kriegs versuchte sich die bürgerliche Elite nicht nur mit einer starken Armee, sondern auch mit einem hysterischen Antikommunismus gegen die Bedrohung zu wappnen. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Achsenmächte mit entscheidender Unterstützung der Sowjetunion besiegt werden konnten, verkündete die Schweizer Regierung den Kommunismus zum Hauptfeind.

Bild: Strahlungsgürteel der PdA. Archiv für Zeitgeschichte: NL Georg Theodor Schwarz/17

Der Ständerat verlangte die Verschärfung des Staatsschutzes, weil, so wird in der Ausstellung zitiert, «die ständigen Wühlereien der Kommunisten auf eine Untergrabung der Autorität der Behörden, ja wenn die Gelegenheit günstig wäre, auf gewaltsamen Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung hin tendieren». Die kommunistischen Bundesbeamt*nnen wurden darauf entlassen. Eine Tafel erklärt dazu: «Die ständige Furcht vor den angeblichen Versuchen Moskaus, die Weltherrschaft zu übernehmen, prägt das antikommunistische Klima in der Schweiz auf Jahrzehnte. Die Partei der Arbeit (PdA) steht im Verdacht, im Dienste der Sowjetunion eine revolutionäre Situation herbeiführen zu wollen. Selbst die Gewerkschaften und die SP grenzen sich von der kommunistischen PdA ab.»

Bereits 1950 richtet die Bundespolizei eine «Verdächtigenkartei» ein, wie eine weitere Tafel erklärt. Das war bereits 39 Jahre vor dem Fichenskandal. «Die darin erfassten Personen sind hauptsächlich Mitglieder der Partei der Arbeit (PdA). In einem Ernstfall wären sie interniert oder polizeilich überwacht worden», wird dazu erklärt. «Interniert» bedeutet, dass sie verhaftet und in ein sogenanntes «Ad-Hoc-Konzentrationslager» gesteckt worden wären (der vorwärts berichtete dazu in der Ausgabe vom 24.Dezember 2019: «Internierungslager für Oppositionelle»). Von damaligen und späteren Fichen zu PdA-Mitgliedern und vorwärts-Mitarbeitern sind vom Museum Kopien erstellt worden. Sie lesen sich wie ein Krimi.

Die «Sateliten-Organisationen»

Nicht weniger leidenschaftlich gingen privat organisierte Schnüffler*innen vor. Der antikommunistische Verein namens «Schweizerischer Aufklärungsdienst» (SAD) sei während des Kalten Kriegs eine bedeutende Organisation der Geistigen Landesverteidigung gewesen. 1961 veröffentlichte der Verein ein Diagramm mit dem Titel «Strahlungsgürtel der PdA» (siehe Bild). Darauf sind alle Organisationen aufgeführt, die (den Schnüffeleien des Vereins gemäss) mit der Partei der Arbeit verbunden sind.

Besonders viel Raum nehmen dabei die pazifistischen Organisationen ein: der Schweizerische Friedensrat, die Schweizerische Bewegung für den Frieden, die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) und andere mehr. Durch die Friedensbewegung mit der PdA verlinkt werden auch mehrere religiöse Gruppierungen aufgeführt. Zahlreiche feministische Bewegungen werden als direkte «Satelittenorganisationen der PdA» bezeichnet. Dazu viele Student*innen-, Jugend- und Hilfsorganisationen, sowie auch die Avivo, die sich auch heute noch für Rentner*innen, Witwen und Waisen einsetzt. Die hier implizierte Abhängigkeit ist jedoch bedenklich. Harald Lukes der PdA Zürich erklärt dazu: «Das von diesem Verein erstellte Diagramm zeigt deutlich eine verachtende Grundhaltung gegenüber vielen fortschrittlichen Organisationen. So spricht bereits die Vorstellung, es hätte einen infiltrierten ‹Strahlungsgürtel› gegeben, den Organisationen jegliche Selbstständigkeit ab. Diese Darstellung als Satelliten-Organisationen ist leider auch heute noch verbreitete antikommunistische Ansicht.»

Die Repression weitet sich aus

Hundertausende unbescholtene Bürger wurden überwacht und fichiert. Ab 1972 wurde zusätzlich zur «Verdächtigenkartei» eine «Extremistenkartei» geführt. Der damalige Chef der Bundespolizei erklärte dazu: «Der ideologische Hintergrund all dieser Organisationen liegt im Marxismus-Leninismus, im Maoismus, im Trotzkismus, im Anarchismus, im Nationalsozialismus, im Pazifismus.» Welch sonderbare Anordnung! Die Nazis kommen in dieser Auflistung der «Extremsten» ganz hinten, noch knapp vor den Freunden des Friedens.

7000 bis 8000 Personen wurden in dieser Kartei erfasst. Diese Menschen wurden ausserdem überwacht und abgehört, es kam zu Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen. In der Ausstellung ist die kleinste je gebaute Spiegelreflexkamera zu bestaunen. Wie auch die Erstausgabe des «Maiglöggli», der Zeitung der Lehrlingsgruppe der Revolutionären Marxistischen Liga (RML), die 1972 von der Polizei bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt und beschlagnahmt wurde.

Die Kriegsgegner*innen erstarken

Den Museumsbesucher*innen fallen sofort die Originaltransparente der RML auf, dieser 1969 gegründeten trotzkistischen Partei. Im Umfeld der Kantonsschule Zug formierte sich bald auch eine eigene Sektion, die 1982 mit Jo Lang den Sprung ins Stadtparlament schaffte. Heute gibt es die «Alternative – die Grünen Zug» (ALG) und hat im Kanton eine Wähler*nnenanteil von rund 20 Prozent.

Die Ausstellung thematisiert auch weitere Neue Soziale Bewegungen, die sich für Frieden, Demokratie und Frauen*rechte einsetzten und sich gegen die starren gesellschaftlichen Strukturen zur Wehr setzten. Intensiv widmet sich die Ausstellung der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Nachdem die NATO 1979 beschlossen hatte, auch in Europa Atomraketen aufzustellen, formierten sich überall blockübergreifende Friedensbewegungen. Es kam zu Grossdemonstrationen und 1982 gründeten in Solothurn rund 100 Personen die GSoA, die sich bis heute für eine gewaltfreie Gesellschaft und die Selbstbestimmung aller Menschen einsetzt. 1989 lancierte sie eine Abstimmung zur Abschaffung der Schweizer Armee, die sagenhafte 35,6 Prozent Ja-Stimmen erreichte, und das bei einer Stimmbeteiligung von 72 Prozent.

In einer speziellen Installation kommen damalige Exponenten der GSoA selbst zu Wort, und es werden zahlreiche Materialien aus der damaligen Zeit ausgestellt, zum Beispiel eine Fotomontage von Walter Erb, auf der Ronald Reagan eine Rakete umarmt oder ein Plakat der Initativgegner*innen, das verkündet: «Die Armee abschaffen heisst die Schweiz liquidieren.»

Der Kanton Zug im Visier

Ein Anliegen der Ausstellung ist es, die Situation im Kanton Zug lebendig werden zu lassen. So erfährt man vieles über die Diskriminierung von Jugendlichen, die Härte der Zuger Behörden, vor allem den Machenschaften der Polizei. An einer Hörstation erzählt ein ehemaliger, langjähriger Dienstchef der Zuger Kriminalpolizei von Telefon- und Briefüberwachung, von der Beschattung von Personen und Anlässen und der Zusammenarbeit mit privaten Spitzeln.

Im Besonderen richtete sich die Repression gegen Lehrpersonen. Dazu wird erklärt: «Die Kantone Zürich und Zug unterziehen die Lehrkräfte praktisch einer Gesinnungskontrolle. 1976 erlassen die Zuger Schulbehörden die ‹Zuger Richtlinien›, um gewisse Lehrpersonen bei Neu- oder Wiederwahlen aus dem Schuldienst ausschliessen zu können.» Darin heisst es unter anderem: «Lehrer mit einer antidemokratisch-destruktiven Grundhaltung, z.B. Dienstverweigerer aus politischen Gründen, sollen nicht gewählt resp. wiedergewählt werden.» Zuvorderst auf der Abschussrampe stehen Linke und Kommunist*innen, wozu Karikaturen ausgestellt sind.

Die Zuger Regierung heute

Zur Eröffnung der Ausstellung war Landammann Stephan Schleiss (SVP) geladen. Als Kommandant der Schweizer Armee und leidenschaftlicher Morgarten-Patriot liess es sich der höchste Zuger nicht nehmen, gleich in seiner Eröffnungsrede dem Museum in den Rücken zu fallen. Darin verteidigt er das Verhalten von Militär und Behörden im Kalten Krieg als «ganz besonders gewissenhaft». «Immerhin bereitete man sich auf einen totalen Krieg vor,» rechtfertigt er. «Damals standen sich zwei Blöcke gegenüber, aber es standen sich nicht zwei wertfreie Blöcke gegenüber.» Dann setzt er den Kommunismus mit stalinistischen Verbrechen gleich und verteidigt den Antikommunismus gegen den Totalitarismus. Und diese Keule schwingt der Landammann auch gleich gegen das Museum selbst: «Wer den Schutz vor und die Abwehr von Totalitarismus in die Nähe von Hysterie rückt,» verkündet er in deutlicher Anspielung auf die Ausstellung, «stellt sich – bewusst oder unbewusst – in den Dienst totalitärer Rhetorik.» Mit anderen Worten: Die Ausstellung habe das intellektuelle Niveau von Nazis und Massenmördern.

Schleiss ist nicht nur Landammann, sondern auch Bildungsdirektor von Zug. Entsprechend nimmt er in seiner Rede mehrmals Bezug zur Schule. Unter anderem erklärt er: «Gegen eine solche Darstellung des kalten Kriegs – sei es in den Medien, Museen oder auch Schulstuben – müssen wir uns wehren.» Damit rechtfertigt er nicht nur die damalige Stigmatisierung kommunistischer Lehrpersonen, er scheint, ein diesbezüglich autoritäres Eingreifen noch heute für geboten zu halten.

Dass das Museum mit dieser progressiven Ausstellung ein Dorn im Auge der repressiven Zuger Regierung sein wird, war absehbar. Bereits in den letzten Jahren versuchte der Kanton, die Kosten für das Museum abzuwälzen. In Anbetracht dessen gebührt dem Ausstellungsteam um Marco Sigg besonderen Respekt.

Atombomben heute

Der Kalte Krieg gilt heute als Teil der Geschichte. Doch ist die Welt in den letzten 30 Jahren friedlicher geworden? Die Ausstellung berichtet nicht nur davon, wie einst 20000 Atombomben bereitstanden, sie erinnert auch daran, dass der heutige Bestand immer noch 15000 Sprengköpfe beträgt. Dies ist immer noch 150-mal mehr als notwendig wäre, um unsere Erde in einen nuklearen Winter zu bomben. Gemäss dem Friedensforschungsinstitut Sipri befinden sich davon nach wie vor 90 Prozent im Besitz der USA und Russlands.

Und die Herstellung der Bomben wird auch von den Schweizer Behörden entschlossen unterstützt. Gemäss GsoA-Sekretärin Nadia Kuhn hat die Schweizerische Nationalbank allein letztes Jahr mehr als eine Milliarde Franken in Firmen investiert, die verbotenes Kriegsmaterial herstellen. Es ist höchste Zeit, dass wir anfangen, aus den Fehlern des Kalten Kriegs zu lernen! Das Museum Burg lädt dazu ein.

virtueller Ausstellungsbesuch: https://www.burgzug.ch/page/de/ausstellungen/vorschau.

Quelle: vorwaerts.ch… vom 10. Juli 2020

 

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