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Wie können wir das Klima retten? Beitrag zur Strategiedebatte

Eingereicht on 24. Dezember 2020 – 13:53

Andrés Garcés. Mit der Räumung des Dannenröder Forsts erlitt die Linke eine schwere Niederlage. Doch was sind die Lehren? Eine Intervention in die Strategiedebatte.

Mit der Räumung des Dannenröder Forst, kurz “Danni”, geht ein monatelanger Widerstand zu Ende. Die Aktivist:innen versuchten durch die Besetzung von Bäumen den Bau eines Streckenabschnitts der A49 zu verhindern – einem veralteten Autobahnprojekt. Damit setzte die schwarz-grüne Landesregierung mit Hilfe von Polizei und massiver Gewalt die Zerstörung eines der wenigen gesunden Ökosysteme der Region durch.

Die letztlich gescheiterte Besetzung im Dannenröder Forst aktualisiert eine theoretische und strategische Diskussion über die Ausrichtung, die Methoden und die Perspektive der Umweltbewegung. Welche strategischen Herausforderungen die Bewegung heute lösen muss, wollen wir in diesem Beitrag diskutieren.

Während der Danni geräumt wurde, brüstet sich die EU mit einem neuen Klimaziel: Bis 2030 sollen die Emissionen um 55 Prozent verringert werden. Was von Umweltverbänden als unzureichend kritisiert wird, stellen die Funktionär:innen als großen Fortschritt dar.

Parallel stimmte die Grüne Partei für ein neues Grundsatzpogramm, welches ihr eine Regierungsbeteiligung in einer der wichtigsten imperialistischen Handels- und Wirtschaftsmächten sichern soll. [„Die Grünen: Der größte Etikettenschwindel aller Zeiten KgK Magazin 12/20 #0] Auf dem Parteitag wurde sogar die Minimalforderung der Klimapolitik nach der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C erst nach einer Kampfabstimmung angenommen.

In der Linken gibt es durchaus Kräfte, die diesen Kurs kritisieren und eine “soziale und ökologische Transformation” jenseits des Kapitalismus fordern. Durch die enge Verstrickung der Klimafrage mit der Zukunft des Planeten und seiner Bevölkerung sind die Strategien, die präsentiert werden, ein wichtiges Feld der Debatte. Es berührt nämlich einen Scheidepunkt für die Frage von Reform oder Revolution und die notwendige Strategie, um unseren Planeten zu retten.

Wie das Klima retten? – Eine Debatte mit der Interventionistischen Linken

Eine der Gruppen, die in der Debatte hierzulande eine wichtige Rolle spielt, ist die Interventionistische Linke (IL). Sie ist eine der größten linksradikalen Organisationen in Deutschland und hat mit “Ende Gelände” großen Einfluss auf die Klimabewegung.

Die jüngste Debatte in der IL begann im Mai mit einem Beitrag der Klima-AG der Berliner IL. Darin warb sie für den Begriff der sozial-ökologischen Transformation, um soziale, feministische und ökologische Kämpfe zusammenzuführen. Darauf antwortete die Ortsgruppe Münster der IL mit einer Kritik an diesem Begriff und plädierte darüber hinaus für eine radikalere Rhetorik.

Wir wollen uns hier nicht an einer semantischen Begriffskritik aufhängen. Und auch die Kritik der Münsteraner:innen geht weit darüber hinaus und betrifft die Fähigkeit und Notwendigkeit des Kapitals, sich zu erneuern, um sich zu erhalten.

In breiten Teilen der Bevölkerung herrscht Konsens über die wissenschaftliche Tatsache, dass der Klimawandel real ist und die Zukunft des Planeten und der Menschheit bedroht werden. Der Großteil der bürgerlichen Politik erkennt dies formell an, schlägt jedoch nur kosmetische Maßnahmen vor, um diese Schicksalsfrage anzugehen: Teure Gipfel mit schönen Zielen (die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten) wie in Paris oder Kyoto klingen auf dem Papier gut, real umgesetzt wird dagegen sehr wenig. Seit die Fridays-For-Future-Bewegung (FFF) 2019 um die Welt ging, hat sich der Diskurs der etablierten Parteien etwas geschärft. Nun soll “jetzt aber wirklich” etwas getan werden. Die Antworten rangieren von CO2-Steuern bis hin zu stärkeren Auflagen für Unternehmen und Einschränkungen des Konsums.

Die bürgerlichen Regierungen changieren zwischen zwei Problemstellungen: einerseits verbale Zugeständnisse an die Bevölkerung, deren zumindest passive  Unterstützung für den Erhalt der bürgerlichen Demokratie notwendig ist, andererseits die Suche nach einem kapitalistischen Strukturwandel. Dieser besteht in Deutschland aus bürgerlicher Sicht vor allem darin, die Automobilindustrie – das Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft – in Sachen E-Mobilität voranzubringen. Eine Aufgabe, in der der deutsche Imperialismus seiner Konkurrenz noch hinterher läuft.

Der Ausgangspunkt jeglicher antikapitalistischer Perspektive ist hingegen, dass der Kapitalismus nicht dazu in der Lage ist, die Ausbeutung und Zerstörung der Natur zu stoppen, da er inhärent darauf ausgelegt ist, Profit zu generieren. Das haben Marx und Engels schon vor über 150 Jahren ausgeführt.

Der “metabolische Bruch” (Bruch des Stoffwechsels 1), den die Entfremdung der Arbeiter:innen von ihrer Arbeit und von der Natur auslöst, bestimmt die Produktion und Reproduktion des Lebens im Kapitalismus und führt letztlich zur Zerstörung des Planeten. Wie Marx schreibt: Die kapitalistische Produktion untergräbt “die Springquellen alles Reichtums […]: die Erde und den Arbeiter”. Nur in einer Gesellschaft der freien Assoziation (Kommunismus), in der nicht der Profit der bestimmende Faktor für die Produktion ist, sondern die Notwendigkeit der Bevölkerung, die sich im Einklang mit der Natur befindet, von der und in welcher sie leben, kann diesen “metabolischen Bruch” überwunden werden.

Zwei Weltkriege, mehrere gescheiterte Revolutionen, der Stalinismus und etliche bürgerliche Ideolog:innen begruben dieses Wissen. Es wurde zum “common sense” zu glauben, der Kommunismus sei gescheitert und der Kapitalismus alternativlos. Durch die Krise des Neoliberalismus ist der Glaube an den Erfolg des Kapitalismus gebröckelt; für die Massen bleibt eine grundlegende Alternative jedoch noch nicht greifbar.

Die Fragen der Ökologie können hierzu ein sehr plastisches Beispiel dienen: Der Ölkonzern Shell produzierte 1991 einen Dokumentarfilm über die drohende Klimakatastrophe und popularisierte das Konzept des “Carbon Footprints”, welches die Konsument:innen für die Emission von Treibhausgasen verantwortlich macht und nicht die Magnaten des fossilen Kapitals und anderer Umweltkiller. In diesem Sinne beobachten die Münsteraner IL-Genoss:innen

So propagiert das World Economic Forum den »Great Reset«, einen Neustart für eine gerechtere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Zukunft. Auf lange Sicht könnte der Kapitalismus eine sozial-ökologische Transformation brauchen. Das neue Programm der Grünen dokumentiert dies hinlänglich.

Nun stimmen wir überein, dass kein grüner Kapitalismus möglich ist. Als abstrakte Erkenntnis verbindet dies den gesamten linken Flügel der Umweltbewegung. Jedoch beginnt die tatsächliche Debatte erst im Wie, also in der Strategie, wie wir eine nachhaltige und klassenlose Gesellschaft erkämpfen können.

Maximalprogramm im Kleinen

Der postautonome Theoretiker Antonio Negri, dessen Ideen in den 2000er Jahren in breiten Teilen der Linken europaweit an Beliebtheit gewannen, beobachtete einen Prozess der “reellen Subsumtion”: Im Spätkapitalismus würde das Kapital beginnen, wie eine eigenständige, von der Tätigkeit der Arbeiter:innen autonome Maschine zu wirken. “Der Markt”, so schreiben Birkner und Foltin in ihrer Einführung zu Negris Theorie, “so scheint es, ist alles (…) und als innovative Quelle erscheint nicht mehr die Arbeit, sondern die technologische Anwendung der Wissenschaft.” (Birkner und Foltin, S. 90).2

Durch diese “reelle Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital” (und damit auch der Institutionen der Zivilgesellschaft wie Gewerkschaften, Schulen und Medien) müsse die Gesellschaft nicht mehr “von außen” durch den Staat kontrolliert werden, sondern reguliere sich selbst. In Anlehnung an Michel Foucault könnte man daher schlussfolgern, die Gesellschaft werde zu einer Disziplinargesellschaft, in der die Kontrolle über die Individuen (oder Subjekte) perfektioniert wird. An diese These scheinen die  Genoss:innen aus Münster anzuknüpfen, wenn sie deklarieren, dass

das digitale Subjekt (…) kein Empfinden mehr für den Zustand der Umwelt und den Klimawandel in der materiellen Welt (hat). Die materiellen Bedingungen der Produktion verschwinden im digitalen Raum gänzlich, der Bildschirm zeigt uns eine bunte Bilderwelt, hinter deren Fassade die menschenverachtenden Zustände in der Fabrik, auf dem Containerschiff, im Logistikzentrum und beim Paketdienstleister besser versteckt sind als jemals zuvor.

Doch was ist die Schlussfolgerung daraus? Negri und andere Postoperaist:innen kommen zum Schluss, dass diese Entwicklung eine autonomere und mächtigere “Klasse” entwickelt als die industrielle Arbeiter:innenklasse: Die Multitude, die alle subalternen (d.h. unterdrückten) Klassen mit einschließt.3 Diese hätte die Kraft, einen “nicht dialektischen” Antagonismus zur herrschenden Macht aufzubauen, weswegen sie die Macht nicht übernehmen müsste, sondern den “Kommunismus im Hier und Jetzt” aufbauen könne.

In diesem Sinne kann man verstehen, warum eine – wenn auch heroische – winzige Besetzung wie die des Dannenröder Walds, wo sich Aktivist:innen den schwarz-grünen Hundertschaften entgegenstellen, von den Münsteraner IL-Genoss:innen zu etwas aufgebauscht wird, das es nicht ist: ein “großes Experiment des Lebens jenseits kapitalistischer Verwertungslogiken”, ja gar eine Art “utopischer Ort”, in dem es darum ginge “zu erproben, wie wir gemeinsam leben wollen”.

Ohne die Wichtigkeit dieses Kampfes geringzuschätzen, können wir getrost sagen: Für uns ist es kein utopischer Ort, im Wald zu leben, während um uns herum Milliarden ihr Leben auf der Arbeit lassen und eine Hand voll Bonzen sich daran bereichert. Sicherlich, Solidarität und kollektive Aktionen sollen geübt werden, sie ersetzen jedoch nicht den Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung, die um uns herum stattfindet. Denn wenn wir nicht darauf hinarbeiten, die Kräfte zu sammeln, um den Staat und das System zu stürzen, überlassen wir das Spielfeld den Kapitalist:innen und Klimakillern. Nicht ohne Grund nannten Marx und Engels den Kommunismus in ihrer Kritik am Idealismus nicht nur eine Gesellschaftsform, ein Ideal, sondern die “wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt”.

Minimalprogramm im Großen

Dass es nicht ausreicht, im Kleinen den Kommunismus zu deklarieren, meinen auch die IL-Genoss:innen Lara und Florian, die eine Antwort an die Münsteraner:innen formulieren. Sie schreiben, dass man linke Ziele vom Bestehenden ableiten solle, könnten sonst doch Noch-nicht-Linksradikale nichts mit dem Ziel des Kommunismus anfangen. Gegen das reine Beschwören des “radikalen Antikapitalismus und die Idee des Kommunismus” bräuchte es eine “radikale, aber anschlussfähige und massenorientierte Klimapolitik von links”.

Dem können wir zustimmen. Es ist auch in unserem Sinne, die unmittelbar Betroffenen (“Tagebau-Betroffene, Autobahn-Anwohner*innen, um die Klimakrise besorgte Mitbürger*innen”) in den Kampf hineinzuholen, und nicht auf einen magischen Moment zu warten, in dem sie sich radikalisieren. Die Frage, die sich jedoch gleich anschließt, ist, mit welchem Programm, welchen Mitteln, welchen Verbündeten?

In Bezugnahme auf die Welle der Kämpfe in Chile, Weißrussland und Polen weisen Lara und Florian darauf hin, dass diese Kämpfe durch minimale “reformistische” Forderungen starteten und dadurch ein “Vorwärts-Moment” entstand, der Massen auf die Straße brachte – mit “Forderungen, die weit über den anfänglichen Reformismus hinausgehen”. Sie fassen die Aufgaben linksradikaler Politik wie folgt zusammen: “Erstens aus einer akuten Lebens- und Leidenssituation heraus eine Bewegung zu formen bzw. Teil von ihr zu werden, die dann so kraftvoll wird, dass sie Unmögliches möglich macht; und zweitens die konkrete Verbesserung zusammenzudenken mit langfristiger, grundlegender Veränderung.”

Hierzu bräuchte es ihrer Meinung nach auch in der Klimafrage “potentiell mehrheits- und durchsetzungsfähig(e)” Forderungen, die genau aus diesem Grund gefährlich seien für die Herrschenden. Als Beispiele nennen sie das Einhalten der 1,5°-Grad-Grenze oder den Ruf nach “Danni bleibt”.

Das sind sowohl ökologisch als auch politisch Minimalforderungen. Doch das Problem besteht nicht darin, “anschlussfähige” Minimalforderungen zu formulieren, sondern eine Antwort darauf zu geben, warum nicht einmal diese Minimalforderungen von den Herrschenden erfüllt werden – und wie wir eine Kraft aufbauen, die sie dazu zwingt und Schritte im Kampf für eine revolutionäre Umwälzung geht.

Denn die Frage, die Lara und Florian nicht beantworten, ist: Wenn sich die Massen mit “reformistischen Forderungen” mobilisieren – und zwar im Falle von Chile, Hongkong oder FFF zu Millionen – warum wird die Bewegung dann nicht so kraftvoll, dass sie etwas “Unmögliches möglich” macht (also eine Revolution) oder eine langfristige, grundlegende Veränderung schafft?

Der Grund liegt darin, dass auf dem Weg zur Revolution die Illusion existiert, man müsse keine Alternative zu den bestehenden Apparaten und Parteien aufbauen, weil die spontane Revolte selbst ein konstituierendes Moment der Revolution darstellt. Statt des Auseinanderfallens von Minimal- und Maximalprogramm handelt es sich darum, ein Übergangsprogramm zu entwerfen, welches die materiellen Kräfte mobilisieren kann, um die existierenden Führungen mit einer revolutionären Perspektive zu überwinden.

Warum wurde das Unmögliche nicht möglich?

Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Menschen im digitalen Zeitalter entgegen bestehender Vorurteile durchaus die Fähigkeit haben, über die Bilderwelt aus ihres Smartphones hinauszublicken und die Realität in Frage zu stellen.

Ein Paradebeispiel hierfür ist die Revolte im Libanon, die im vergangenen Jahr begann: Der Auslöser war die sogenannte “Whatsapp-Steuer” auf soziale Netzwerke. Sie zeigte auf die krudeste Weise, dass der Widerspruch nicht zwischen Mensch und Technologie liegt, sondern darin, dass die Kontrolle über die Technologie in den Händen einiger weniger Kapitalist:innen liegt und die Regierungen daraus Profit schlagen wollen.

Doch nicht nur im Libanon lehnte sich die Bevölkerung gegen das Regime auf: Wir erlebten im letzten Jahr eine Rückkehr des Klassenkampfes, mit massenhaften Protesten von Hongkong über Algerien und Frankreich bis nach Haiti und Chile. Der Auslöser war jeweils eine “Verschärfung der Not und des Elends der unterdrückten Klassen über das gewohnte Maß hinaus” (Lenin), die zu sozialen Explosionen führten. Ähnliches könnte man über die Ereignisse dieses Jahres sagen, von denen der prominenteste die Revolte in den USA ist.

Was diese Welle der Revolten jedoch zeigte ist, dass es nicht ausreicht, sich auf “reformistische Forderungen” zu beschränken: Alle genannten Proteste wurden umgelenkt oder niedergeschlagen und endeten entweder in der Ermattung (wie in Haiti oder Frankreich), im Ersatz eines korrupten Regimes durch ein anderes (wie im Sudan), oder werden immer wieder von der Regierung und den Parteien des Regimes umgelenkt oder abgeschwächt (wie in Chile), worauf die Massen immer wieder neue Antworten finden müssen.

Die Grenze dieser Bewegungen liegt häufig darin, dass sie nicht versuchten, die bestehende kapitalistische Ordnung durch eine neue Ordnung unter Anführung der Arbeiter:innenklasse zu ersetzen, sondern das bestehende System unter Druck zu setzen, um partielle Zugeständnisse zu erlangen. Das gilt vor allem für Bewegungen wie Fridays for Future, deren Programm auf Minimalforderungen, mit denen man Druck auf die Regierung ausüben will, beruht. Doch selbst in vorrevolutionären Situationen wie in Chile, wo es gewaltsame Massenproteste mit Toten und sogar Generalstreiks gab, konnte das Regime die Situation stabilisieren, denn die Massen blieben größtenteils vereinzelt, schafften es also nicht sich nicht mit einer kollektiven Klassenmacht über die reformistischen Führungen hinwegzusetzen.

Noch stärker gilt dies für Bewegungen wie FFF: Die Millionen Schüler:innen, die gegen den Klimawandel auf die Straßen gingen, hatten meist als Ziel nur, “die Politik” dazu zu bringen, auf die Wissenschaft zu hören und Maßnahmen umzusetzen, die das Klima schützen sollten. In Fridays For Future war die Frage, wie wir uns den Konzernen entgegen setzen nicht Gegenstand der Debatte. Dabei sind sie für den absoluten Großteil der Emissionen verantwortlich sind. So verschwindet die Perspektive, ein System aufbauen zu können, das jenseits von Umweltzerstörung und Profitzwang funktioniert und unsere Bedürfnisse und die des Planeten berücksichtigt. Damit war von vorneherein der Weg geebnet für eine reformistische Kooptierung von FFF. Paradebeispiel dafür ist FFF-Sprecher Jakob Blasel, der nun bei den Bundestagswahlen für die Grünen kandidieren wird.

Ohne eine Perspektive, diese hemmenden Führungen zu konfrontieren und eine materielle Kraft aufzubauen, die eine revolutionäre Alternative vorschlagen kann, bleiben gegen diese Kooptierung nur zwei – notwendigerweise erfolglose – Optionen:  Entweder man folgt dem Kurs der Ermattung, geht Woche für Woche auf die Straße und wartet, bis die Regierung (oder die Grünen in Zukunft) wie durch ein Wunder das 1,5°-Grad-Ziel einhalten – das ist der Weg, den ein Großteil von FFF ging, bevor er an Momentum verlor und in die Passivität versank. Oder man flüchtet sich ins Kleine und hinterfragt seinen eigenen ökologischen Fußabdruck. Begünstigt wurde dieser Weg durch die bürokratischen Strukturen in FFF, die sich sehr früh ausgeprägten und die es Revolutionär:innen nicht gestatteten, Infomaterial zu verteilen oder mit eigenen Fahnen aufzutreten, während NGOs problemlos teilnehmen konnten und sogar Politiker:innen der klimafeindlichen Parteien wie CDU und Grüne FFF als ihre Bühne nutzten.

Es wäre als zu kurz gegriffen, einfache Forderungen wie das 1,5°-Grad–Ziel als eine Forderung mit revolutionärem Potenzial zu begreifen, das sich quasi automatisch verwirklichen würde. Wäre dem anders, wäre das Ziel längst erreicht worden, glaubt doch die Mehrheit der Bevölkerung an den Klimawandel und ist für eine Einhaltung dieses Ziels. Wenn die Bewegung lediglich an so einer Minimalforderung stehen bleibt, werden wir in zwei Jahren vor genau dem gleichen Problem stehen, egal wie viele Autobahnblockaden wir durchführen oder wie oft wir die Schule bestreiken.

Den Feind erkennen und bekämpfen

Wenn also die Mehrheit der Bevölkerung an ein Ziel glaubt und Hunderttausende dafür demonstrieren, warum wird es nicht umgesetzt? Die traurige Wahrheit ist, dass öffentliche Meinung als Druckmittel nicht ausreicht. Dass dieser Druck und Widerstand nicht in den Kampf für ein neues System umgewandelt wird, liegt an den Führungen und Bürokratien, die diese Kämpfe verraten, vermeiden oder in eine harmlose Bahn ablenken.

Auf politischer Ebene zeigen sich diese Bürokratien in den Parteien, die sich den Klimawandel auf die Fahne schreiben und die Illusion füttern, durch die Wahl anderer Vertreter:innen ließe sich was ändern. Die Grünen sind hierfür ein Paradebeispiel: Von FFF konnten sie profitieren und sind nun auf dem Weg in die Regierung.  Dort aber stehen sie für die A49, Auslandseinsätze ohne UNO-Mandat und inhaltslose Rhetorik.

Und auch die Linkspartei trägt ihren Teil dazu bei: Dort wo sie regiert, hat sie kein Interesse daran, tatsächlich ökologische Politik zu machen. Kohleausstieg im rot-roten Brandenburg? Fehlanzeige. Kostenloser und ausgebauter ÖPNV in Berlin? Nope, es gibt zwar ein Schüler:innenticket, aber der Rest der Bevölkerung muss sich für viel Geld in die rammelvollen Busse und Bahnen quetschen oder eben Auto fahren. Umstellung der Produktion auf sozialere und ökologischere Alternativen? Nee, lieber dem Autobauer Tesla eine Fabrik in Brandenburg bauen lassen, obwohl dafür bolivianisches Lithium aus einem Nationalpark verwendet wird.

Grüne und Linkspartei (auch die SPD, die wohl kein gesunder Mensch mehr als eine ökologische Partei ansieht) arbeiten, wo sie müssen und wollen, auch gerne mit der mächtigsten Bürokratie im Lande zusammen: die Führungen der DGB-Gewerkschaften.

Diese waren es, die verhinderten, dass FFF zu einer wahrhaftigen Bewegung wurde, die das System ins Wanken bringen konnte. Zwar gab es ein paar symbolische Aktionen, doch wenn Arbeiter:innen tatsächlich kollektiv für das Klima streiken wollten, und damit der Bewegung ein materielles, nicht mehr zu ignorierendes Gewicht hätten geben können, sagten die Bürokrat:innen: Stempelt euch doch individuell aus, wenn ihr wollt. Ein Kampfplan wurde nicht aufgestellt.

Wenn es also nicht dazu kam, das Unmögliche möglich zu machen, lag es nicht am Willen der Massen, die durchaus den Klimawandel stoppen wollen, sondern an ihren Führungen, die um jeden Preis verhindern wollen, dass wir uns den Herrschenden entgegenstellen.

Das Problem der Hegemonie

Wir haben also gesehen, dass die Massen spontan durchaus in der Lage sind zu kämpfen und Widerstand zu leisten, jedoch nicht siegen können, wenn sie nicht eine Alternative zu den aktuellen Führungen aufbauen. Wie schaffen wir es also, diese Führungen zu überwinden und dieses System zu stürzen, welches uns die Lebensgrundlage entzieht?

Das von Leo Trotzki 1938 geschriebene “Übergangsprogramm” gibt auf genau diese Frage eine Antwort. Er schreibt:

Ohne sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der ganzen menschlichen Kultur eine Katastrophe. Alles hängt vom Proletariat ab, d.h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung.

Diese Krise der revolutionären Führung will das Übergangsprogramm überwinden, indem es Forderungen formuliert, die die dringend notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise mit der Perspektive der sozialistischen Revolution verbindet. Dazu setzt es auf Organe der Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse, die für diese Forderungen kämpfen und im Kampf die bürokratischen Führungen herausfordern und schließlich überwinden können.

Eine zentrale Frage hierfür, die die Linke begleitet, ist die des Subjekts – also wer den Wandel vorantreiben sollte. Wie der Soziologe Razmig Keucheyan attestiert, ähnelt die Welt heute in ihrer Turbulenz derer, in der der klassische Marxismus entstand. Jedoch ist ein zentraler Unterschied der heutigen kritischen Theorien darin, dass in ihnen ein “klar identifiziertes Subjekt der Emanzipation abwesend ist”.4

Das ist kein Wunder, sondern war ein gewolltes Unterfangen der Ideolog:innen des Neoliberalismus. Nach der Niederlage der weltweiten Aufstände in den 68ern und Folgejahren sank der Einfluss der Theorien, die ein klar definiertes Subjekt für gesellschaftlichen Wandel hatten – allen voran der Marxismus mit der Arbeiter:innenklasse. Selbst die “kritischen Theorien” der Akademie wie der Poststrukturalismus verfielen dem Zeitgeist, die Entstehung eines kollektiven Subjekts zu untergraben, und lösten es schließlich ganz auf – so der Postmodernismus, besonders vertreten durch Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, deren politische Praxis Podemos ist.

Hierbei wiegt die Last der stalinistischen Regime schwer. Nicht nur haben die bürokratische Sowjetunion, die Volksrepublik China und andere “Versuche” des “Sozialismus” in einem Land eine schreckliche Geschichte des Terrors gegen Unterdrückte und Linke, sondern auch eine Geschichte der Naturzerstörung.

Diese Last wiegt auf den Schultern der Linken im Neoliberalismus. Der große Erfolg der bürgerlichen Ideologien nach dem Mauerfall war es, den Massen vorzugaukeln, dass keine Alternative zum herrschenden System möglich sei, wenn diese nicht im Totalitarismus des Ostblocks enden sollte. Das Ergebnis war, die Frage der Machtübernahme aufzugeben, und sich dem Widerstand im Kleinen zu beschränken oder “Reförmchen” zu erkämpfen.

Dieser Pessimismus muss bis zum Ende bekämpft werden. Die Arbeiter:innenklasse ist größer als je zuvor, von der Amazon-Paketzustellerin zum Krankenpfleger nahm die Zahl der Lohnarbeiter:innen in den letzten Jahrzehnten konstant zu. Mittlerweile ist die Mehrheit der Menschheit von Lohnarbeit abhängig – die Arbeiter:innenklasse hat sich also vergrößert.

Gleichzeitig nahmen die Spaltungen in der Klasse Dimensionen an, die davor nicht existieren. Mittlerweile sind fast die Hälfte der Arbeiter:innen weiblich, und die Zunahme der Arbeitsmigration hat zu einer multiethnischen Arbeiter:innenklasse geführt. Gleichzeitig sind die traditionellen Führungen der Klasse in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht (wie viele “kommunistische” Parteien) oder haben sich völlig ins Regime integriert (wie die SPD oder die Linkspartei, die wo sie kann fleißig mitregiert).

Wenn wir den Kapitalismus stürzen wollen, ist es daher notwendig, diese Spaltungen zu überwinden und das Vertrauen in die Kampfkraft der Arbeiter:innen voranzutreiben. Eine internationalistische und antirassistische Perspektive muss gegen all die verteidigt werden, die auf Standortnationalismus und Rassismus zurückgreifen, um die Arbeiter:innen zu überzeugen, nicht nach oben gegen die Unterdrücker:innen und Ausbeuter:innen, sondern nach unten gegen ihre Klassengeschwister zu treten.

Anstatt uns in Bewegungen aufzulösen oder abseits am linksradikalen Rand zu stehen, müssen wir mit einem klaren Programm und Strategie intervenieren: die, die alles produzieren und verteilen, sollten auch entscheiden, was und wie produziert und verteilt wird. Nicht RWE soll das Sagen haben, woher die Energie kommt, sondern die Beschäftigten, Wissenschaftler:innen und die große Mehrheit der Bevölkerung. Nicht das Management der Deutschen Bahn soll die Bahnen privatisieren, sondern die Beschäftigten sollen entscheiden, wie und wo der ÖPNV ausgebaut wird.

Nur mit dieser Strategie, der der Selbstorganisierung und Ermächtigung der Arbeiter:innenklasse mit einem Übergangsprogramm, wird es möglich sein, die Hürden durch Regierung und Bürokratien zu überwinden und unseren Planeten vor der Zerstörung zu bewahren.

Hierfür muss die Linke, die ihr Schicksal nicht an die Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung binden will, materielle Kräfte sammeln – in den Schulen, Unis und Betrieben – und für den Aufbau einer revolutionären Partei kämpfen, die die kommenden Kämpfe gegen die multiplen Krisen anzuführen vermag. Damit können wir den nächsten Autobahnbau verhindern und das 1,5°-Grad-Ziel tatsächlich erreichen. Es gibt keine Zeit zu verlieren.

Fußnoten

  1. 1. Foster, J. B. (2000). Marx’s ecology: Materialism and nature. New York: Monthly Review Press
  2. 2. Birkner, Martin und Robert Foltin (2010): (Post)-Operaismus – Von der Arbeiterautonomie zur Multitude. Geschichte, Gegenwart, Theorie und Praxis.Stuttgart: Schmetterling
  3. 3. Hardt/Negri schreiben: “In einer vergangenen Epoche konzentrierte sich die Kategorie des Proletariats auf die industrielle Arbeiterklasse; bisweilen wurde beides tatsächlich gleichgesetzt und erschien in der paradigmatischen Gestalt des männlichen Fabrikarbeiters der Massenproduktion. Der industriellen Arbeit sprach man häufig, sowohl in ökonomischen Analysen als auch in politischen Bewegungen, eine Führungsrolle gegenüber anderen Formen von Arbeit zu, etwa Arbeit in der Landwirtschaft oder in der Reproduktionssphäre. Heute ist diese Arbeiterklasse aus dem Blick verschwunden. Sie hörte nicht auf zu existieren, doch wurde sie aus der privilegierten Position in der kapitalistischen Ökonomie vertrieben und verlor ihre hegemoniale Stellung in der Klassenzusammensetzung des Proletariats. Das Proletariat ist nicht mehr, was es einmal war, doch bedeutet das nicht, dass es verschwunden wäre. Es bedeutet vielmehr, dass wir einmal mehr vor der analytischen Aufgabe stehen, die neue Zusammensetzung des Proletariats als Klasse zu verstehen. Die Tatsache, dass wir mit der Kategorie Proletariat alle meinen, die der kapitalistischen Ausbeutung und Herrschaft unterworfen sind, soll nicht so verstanden werden, als ob das Proletariat eine homogene und undifferenzierte Einheit bilde. Es ist von Unterschieden und Schichtungen durchzogen, die in vielerlei Richtungen weisen. Manche Arbeit ist entlohnt, manche nicht; manche Arbeit begrenzen Fabrikmauern, manche verteilt sich über schrankenloses gesellschaftliches Terrain; manche Arbeit hat ihre Grenze in acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich, andere dehnt sich aus und füllt die gesamte Lebenszeit; und mancher Arbeit wird nur geringer Wert zugesprochen, manche wird an die Spitze der kapitalistischen Ökonomie befördert. Unter den verschiedenen Gestalten heutiger Produktion nimmt (…) die immaterielle Arbeit (in der Kommunikation, in der Kooperation, in der Produktion und Reproduktion der Affekte) im kapitalistischen Produktionsprozess und in der Klassenzusammensetzung des Proletariats gleichermaßen eine zunehmend zentrale Stellung ein. Hier wollen wir darauf verweisen, dass all die verschiedenen Formen von Arbeit in der einen oder anderen Art kapitalistischer Disziplin und kapitalistischen Produktionsverhältnissen unterworfen sind. Dieser Sachverhalt, nämlich innerhalb des Kapitalverhältnisses zu sein und es aufrecht zu erhalten, definiert das Proletariat als Klasse.” (Hardt, Michael / Negri, Antonio (2002):  Die neue Weltordnung. Frankfurt/New York: Campus) Beachten wir, wie Hardt/Negri hier von einem sehr eingeschränkten Begriff des Proletariats (die Industriearbeiter:innen) zu einem so weiten Begriff (die Gesamtheit der ausgebeuteten Massen) übergeht, dass der Begriff jegliche Schärfe verliert. Durch eine rein theoretische Operation wird der Bauer zum „Proletarier“ wie das Kleinbürgertum als Ganzes oder bestimmte Schichten wie die Studierendenschaft. Die Besonderheit der Ausbeutung in Form von Lohnarbeit, die nach Marx das kennzeichnende Element des Proletariats war, verliert dann jede Bedeutung. Im Gegensatz zu Negri sind wir der Meinung, dass die Anwendung des Begriffs „Arbeiter:innenklasse“ oder „Proletariat“ im weiten Sinne in Bezug auf „diejenigen, die, um zu überleben, gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen“ verwendet werden muss.
  4. 4. Keucheyan, Razmig (2014): The Left Hemisphere: Mapping Critical Theory Today. London: Verso.

Bild: Ende Gelände Lausitz 2019, Foto: Jens Voller

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 24. Dezember 2020

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