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Chile: Gesundheits-Generalstreik am 30. April

Eingereicht on 30. April 2021 – 10:36

Simon Zamora Martin. Die Corona-Krise hat die arbeitende Bevölkerung in Chile sehr hart getroffen. Die erneute Auszahlung eines Teils der Rentenfonds gegen den Willen von Präsident Sebastián Piñera hat die Regierung in eine tiefe Krise gestürzt. Am Freitag rufen die Gewerkschaften zu einem großen “Gesundheits-Generalstreik” auf.

Die dritte Coronawelle hat Chile fest im Griff. Krankenhäuser kollabieren, Intensivstationen sind überfüllt und Pflegekräfte am Rande der Belastung. Doch der Widerstand gegen die von der Regierung verschuldeten Krise wächst. Nachdem sich die Regierung des rechten Unternehmers Sebastián Piñera geweigert hatte, die erneute Auszahlung von 10 Prozent der privaten Rentenfonds zu genehmigen, gingen die Hafenarbeiter auf die Barrikaden und bestreikten 25 Häfen im ganzen Land. Das Verfassungsgericht musste die Klage von Piñera zurücknehmen und er die Niederlage eingestehen. Das gibt neuen Schwung für den von dem Gewerkschaftsverband CUT ausgerufenen „Gesundheits-Generalstreik“ am Freitag. Die zentralen Forderungen: Anhebung des Mindestlohns auf 500.000 Pesos (580 Euro), ein universelles Grundeinkommen für 80 Prozent der Bevölkerung sowie das Einfrieren der Preise für Lebensmittel und Konsumgüter des täglichen Bedarfes.

Seit Anfang April gilt fast im gesamten Land erneut eine Ausgangssperre. Nur, wer auf dem Weg zur Ausübung einer „systemrelevanten Arbeit“, wie dem Schürfen von Kupfer, darf das Haus verlassen. Der Rohstoff gehört zu den wichtigsten Ressourcen im Land und bestimmt einen bedeutenden Teil des Bruttoinlandsproduktes. Zwei Mal die Woche darf zwischen 05:00 und 09:00 Uhr morgens das Haus verlassen werden, um Einkaufen zu gehen oder Behördengänge zu erledigen. Dafür muss sich jedoch vorher eine schriftliche Erlaubnis der Polizei eingeholt werden. Trotz der drastischen Maßnahmen und einer Impfquote von 40% liegt die Sieben-Tage-Inzidenz weiterhin bei über 230 und die kaputtprivatisierten Krankenhäuser kollabieren.

Eine wirtschaftliche Absicherung garantiert der Staat indes nicht. Mit dem Stimmen der Opposition wurde letzten Sommer zwar ein „Gesetz zum Schutz der Arbeit“ verabschiedet, doch statt die Arbeiter:innen schützt es vor allem die Unternehmer:innen. Neben Steuergeschenken wurden Entlassungen und Suspendierungen erleichtert. Gleichzeitig wurden die Zahlungen der privatisierten Arbeitslosenversicherungen begrenzt: sind es im ersten Monat noch 80% des letzten Einkommens, sinkt der Betrag schon im zweiten Monat auf 55 Prozent. Bei dem weit verbreiteten Mindestlohn heißt das 150.000 Pesos im Monat, was 170 Euro entspricht. Davon lässt sich in den Städten nicht einmal die Miete für ein fensterloses WG-Zimmer bezahlen. Geschweige denn eine Familie ernähren.

Doch anstatt angesichts dieser Situation zu handeln, goss Piñera noch mehr Öl ins Feuer. Während der letzten Ausgangssperren genehmigte die Regierung, dass die Bevölkerung einen Teil ihrer privaten Renten-Pflichtversicherungen auflösen darf, um durch den Lockdown und die Arbeitslosigkeit zu kommen. Zwar beschloss das Parlament, dass auch in der dritten Welle die Bevölkerung 10 Prozent aus ihren Rentenfonds abheben kann, doch vergangenen Mittwoch reichte Präsident Piñera klage dagegen beim Verfassungsgerichtshof ein. Warum?

Während der Diktatur wurden die Renten vom großen Bruder des aktuellen Präsidenten privatisiert. Jede:r Arbeiter:in ist verpflichtet, in einen privaten Rentenfonds (AFP) einzuzahlen. Einen Anlagenschutz gibt es nicht, was dazu führt, dass die Arbeiter:innen ihre Rente verlieren können, wenn die Fonds auf besonders riskante Anlagen gesetzt haben, um ihre eigenen Gewinne zu steigern. Selbst Beschäftigte, deren Anlagen nicht verschwinden, bekommen jedoch nur einen Bruchteil ihrer Ersparnisse ausgezahlt: es ist nur eine Auszahlung in Raten möglich. Berechnungsgrundlage der Höhe ist eine Lebenserwartung von 110 Jahren.

Für die chilenische Wirtschaft bilden die privatisierten Renten jedoch einen wahren Geldsegen. Milliarden Dollar werden in die Finanzmärkte gepumpt, um in riskante Wirtschaftsabenteuer investiert zu werden. Doch weder Unternehmen noch Banken tragen ein Risiko: dieses liegt allein bei den Rentenzahler:innen. Bereits bei den Aufständen des Jahres 2019 stand die Abschaffung der AFP im Fokus der Proteste.

Die Wut über die Klage beim Verfassungsgerichtshof war enorm. Nur Stunden nachdem Piñera die Klage einreichte, traten die Docker in den wichtigsten Chilenische Häfen Antofagasta, Mejillones und Valparaíso in den Streik und blockierten die Zufahrtsstraßen. Die Hafenarbeitergewerkschaft „Union Portuaria“ kündigte an, die Streiks Schritt für Schritt weiter zu eskalieren. „Die Hilfen für die Bevölkerung sind unzureichend“, erklärte Juan Pablo Pizarro, Sprecher der Hafenarbeitergewerkschaft gegenüber CNN. „Aber eine dritte Auszahlung aus dem AFP-Fonds ist auch nicht das letzte Ziel unseres Kampfes. Wir wollen ein Ende der AFP-Renten.“

So weitete sich der kämpferische Streik der Hafenarbeiter auf 25 Häfen an der lang gestreckten Pazifikküste des Landes aus, die den Schiffsverkehr und damit den Warenimport und -export der exportorientierten Wirtschaft empfindlich treffen konnten. Die Bevölkerung unterstützte den Kampf, indem sie von ihren Balkonen aus Lärm machten und in den sozialen Netzwerken die Forderungen der Hafenarbeiter:innen verbreiteten.

Auch die International Dockworkers Councli verurteilt die Politik der chilenischen Regierung in einer Erklärung. Die chilenische Regierung führe Krieg gegen das eigenen Volk, indem sie die Kosten für die Krise auf die Schulter der Arbeiter:innen ablädt. „Diese ungerechte Ordnung der Dinge kann nur mit internationalistischen Maßnahmen der Arbeiter:innenklasse umgekehrt werden.“ Sie solidarisieren sich mit den politischen Gefangenen der Rebellion von 2019, den Mapuche und Gewerkschafter:innen und drohten der Regierung Piñera: „IDC, Hafenarbeiter, die auf den fünf Kontinenten organisiert sind, warnen die chilenische Regierung, dass wir Frachten aus Chile auf der ganzen Welt blockieren werden, wenn sie mit einer solchen Haltung gegenüber ihren Menschen fortfährt“.

Auch in anderen strategischen Sektoren der chilenischen Arbeiter:innenklasse verstärkte sich der Widerstand. Der Dachverband der outgesourcten Bergarbeiter (Coordinadora Nacional de Trabajadores Contratistas) gab bekannt, dass sie ihre Drohung zum Streik am 30.4. in den fünf Mienen, in dem sie vertreten sind, umsetzen werden, wenn der Präsident die Auszahlungen aus den Rentenfont nicht genehmigen wird. In der Miene Spence beschloss die örtliche Gewerkschaft, am Freitag die Arbeit niederzulegen.

Der Streik der Hafenarbeiter, verbunden mit der enormen Solidarität in der Bevölkerung und den angekündigten Protesten führte dazu, dass das Verfassungsgericht die Klage nicht annehmen konnte und die Auszahlung der Rentenfonds-Anteile als verfassungsgemäß beurteilte. Daraufhin ermöglichte Piñera die Auszahlungen, die nun ab Montag beantragt werden können. Dauno Tótoro, Kandidat zur Verfassungsgebenden Versammlung der Liste “Revolutionäre Arbeiter:innen” und Anführer der Partei Revolutionärer Arbeiter:innen, sagte dazu: “Die Niederlage der Regierung ist das Ergebnis der Mobilisierung. Jetzt können wir noch mehr erreichen und dafür kämpfen, dass die Kapitalist:innen für die Krise zahlen. Dafür brauchen wir einen aktiven Streik am 30. April, der von der Basis organisiert wird und nicht passiv ist, wie es die Gewerkschaftsführungen der Kommunistischen Partei wollen.”

Auch die Gewerkschaft der Sprengstofffabrik Orica mobilisiert zum Generalstreik am 30.4. Lester Calderón, Sprecher der Gewerkschaft und Spitzenkandidat der Liste „Revolutionäre Arbeiter“ für die Provinzwahlen in Antofagasta erklärte am Samstag in „La Izquierda Diario“, wie wichtig es ist, dass der Generalstreik am Freitag nicht nur eine einmalige, symbolische Aktion bleibt. „Jetzt ist der Moment, in dem wir den Spieß ein für alle Mal umdrehen können.“ Um die Regierung Piñera – welche seit 2019 Umfragen zufolge nur noch die Unterstützung von 4 bis 8% der Bevölkerung genießt – mit einem großen Generalstreik endlich zu Fall zu bringen, sei es jetzt nötig, Streikkomitees und Vernetzungsorgane zu bilden, in denen ein Kampfplan entwickelt wird.

Seit den Aufständen von 2019 fordern die chilenischen Massen eine neue Verfassung. Mit einem starken Generalstreik böte sich jetzt die Möglichkeit, dass die Regierung Piñera „ersetzt wird durch eine wirklich freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung.“ In der von Piñera vorgeschlagenen Verfassungsgebenden Versammlung, dessen Wahl aufgrund der Pandemie mehrfach verschoben wurde, behält die Regierung das derzeit noch das letzte Wort. Es könne aber eine Versammlung erkämpft werden „über die keine andere Institution steht. Sonst werden wir sehen, wie der Präsident, das Verfassungsgericht oder der Senat weiterhin die Geldbeutel der Eigentümer von Chile schützt.“

#Bild: Hafenarbeiter legen 25 Häfen gegen Regierung lahm

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 30. April 2021

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