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Kuba: Ursachen und Folgen des 11. Juli

Eingereicht on 21. Juli 2021 – 8:26

Claudia Cinati. Der 11. Juli war ein Tag der Demonstrationen, Zusammenstöße und Repressionen in Kuba, der mit der Verhaftung von Hunderten von Menschen endete – vor allem Anführer:innen und Aktivist:innen der kubanischen Linken. Eine Analyse der Ursachen, Folgen und politischen Perspektiven.

Der unmittelbare Auslöser war der „Covid-Effekt“ vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozialen Krise, obwohl die Ursachen sowohl mit konjunkturellen als auch mit strukturellen Phänomenen zusammenhängen und sich zwischen Wirtschaft und Politik überschneiden. Um einen ähnlichen Präzedenzfall zu finden, muss man 27 Jahre zurückgehen: zum „Maleconazo“ von 1994.

Die staatliche Repression hat wahrscheinlich weitere Aktionen verhindert.. Die Kommunistische Partei Kubas rückte mit einer offiziellen Mobilisierung wieder in den Mittelpunkt. Auch Raúl Castro, der auf dem 8. Parteitag im April dieses Jahres formell von der Führung des Staates und der Partei abgesetzt wurde, nahm an ihr teil. Mit seiner Anwesenheit versucht er, die Legitimität der „alten Garde“ auf den glanzlosen Präsidenten Miguel Díaz Canel zu übertragen, um ihn für die größte Legitimitätskrise der letzten Jahrzehnte zu wappnen. Es handelt sich aber kaum um eine folgenlose Rückkehr zum vorherigen Status quo. Gegen den vom Imperialismus und der Rechten, aber auch von der herrschenden Bürokratie selbst geschaffenen Common Sense, die einzige Antwort auf die Krise bestehe darin, mit mehr oder weniger hohem Tempo zu pro-kapitalistischen Maßnahmen voranzuschreiten, setzen wir darauf, dass die Arbeiter:innen und die Volksmassen das Schicksal der ersten siegreichen Revolution in Lateinamerika in die Hand nehmen und eine sozialistische Perspektive der Arbeiter:innen wiederherstellen.

Was am 11. Juli geschah

Bevor wir zu einer Analyse der Ursachen, Folgen und politischen Perspektiven übergehen, die sich auftun, ist es wichtig zu versuchen, die Objektivität der Fakten festzustellen. Durch eine Überproduktion eigennütziger Narrative und eine Flut von Fake News, die von den US-amerikanischen und regionalen rechtsgerichteten Medien bis zum Überdruss verstärkt werden, sind diese Fakten in den Schatten gestellt worden. Die Propagandist:innen des Kapitals sehen die Gelegenheit, „antikommunistische“ Fahnen zu schwenken, indem sie ihren zutiefst reaktionären Charakter im abstrakten Begriff der „Freiheit“ verstecken. Die Heuchelei könnte nicht größer sein. Diese falschen Verfechter:innen von „Freiheit“ und (bürgerlicher) „Demokratie“ sind dieselben, die mit der US-Botschaft den Putsch in Bolivien geplant haben, wie Iván Duque in Kolumbien die Demonstrant:innen unterdrücken und ermorden oder faschistisierende Ideologien wie Bolsonaro in Brasilien fördern, um nur einige Beispiele zu nennen.

Schematisch dominieren zwei Narrative die Szene. Für die Vereinigten Staaten, die widerspenstigsten Sektoren der kubanischen Exilgemeinde in Miami und ihre Verbündeten auf der Insel und allgemein für die kontinentale Rechte, die sich als „republikanisch“ aufspielt, war es eine „Rebellion gegen die kommunistische Diktatur“, die sie zugunsten der vollständigen kapitalistischen Restauration auf der Insel zu manipulieren versuchen. Nebenbei verstärken sie dabei die „antikommunistische“ Propaganda im Allgemeinen. Das war der Sinn der Rede von US-Präsident Joe Biden, für den das Schicksal Kubas eine elektorale Angelegenheit ist, da er die Stimmen der Gusanos von „Little Havana“ in Miami nicht wieder verlieren will, die bei den Wahlen 2020 an die Republikaner gingen und ihm den Verlust des Bundesstaates Florida bescherten.

Für die kubanische Regierung waren diejenigen, die sich mobilisierten, „konterrevolutionäre Elemente“, die vom US-Imperialismus ermutigt und finanziert wurden, um das Regime der Kommunistischen Partei zu destabilisieren. Präsident Miguel Díaz Canel ging sogar so weit, von einem „sanften Putsch“ zu sprechen.

Das offizielle Narrativ musste jedoch erwähnen, dass die Mehrheit der Protestierenden ihre Unzufriedenheit demonstriert habe, aber „verwirrt“ und manipuliert worden sei. Dies und die daraufhin ergriffenen Maßnahmen zur Erleichterung der Einfuhr von Medikamenten, Lebensmitteln und anderen Gütern in privaten Koffern, war die Art und Weise der herrschenden Bürokratie anzuerkennen, dass sie es diesmal nicht mit Gruppen von Verschwörer:innen (oder besser gesagt, nicht nur mit diesen Gruppen) zu tun hatte, sondern mit Sektoren der Massen mit legitimen Beschwerden und Forderungen.

Offensichtlich ist die Realität komplexer und widersprüchlicher.

Zweifellos beteiligte sich die pro-amerikanische Rechte, die mit den Gusanos von Miami verbunden ist, mit ihren traditionellen Parolen („Nieder mit dem Kommunismus“, „Freies Kuba“ und die neuere „Heimat und Leben“) an den Mobilisierungen. Aber wie die Redakteure des kubanischen Blogs Comunistas schreiben:

Die überwiegende Mehrheit der Demonstrierenden stand weder mit konterrevolutionären Organisationen in Verbindung, noch wurden die Proteste von konterrevolutionären Organisationen angeführt. Die Hauptursache für die Demonstrationen war die Unzufriedenheit, die durch die schrecklichen Engpässe aufgrund der Wirtschaftskrise, die von der US-Regierung verhängten Wirtschaftssanktionen und das fragwürdige und ineffiziente Management der staatlichen Bürokratie hervorgerufen wurde.

Sie fügen dem eine interessante Tatsache hinzu, nämlich dass im Gegensatz zu früheren Protesten, die von Intellektuellen und Künstler:innen angeführt wurden (wie die San-Isidro-Bewegung vom November 2020, die einen offen rechten Kurs einschlug), sie diesmal in den Arbeiter:innen- und Armenvierteln entstanden, die unter den dringlichsten Engpässen leiden und sich im Kampf ums nackte Überleben befinden.

Kurzum, die Mobilisierungen hatten einen widersprüchlichen Charakter. Es besteht kein Zweifel, dass sie von US-finanzierten Medien und sozialen Netzwerken verwendet wurden. Laut einem kürzlich erschienenen Artikel in The Guardian gibt der US-Staat etwa 20 Millionen Dollar pro Jahr dafür aus, um im Internet „die Demokratie zu fördern“ (d.h. den Sturz des Regimes der Kubanischen Kommunistischen Partei und seine Ersetzung durch kapitalistische Parteien). Zu den Medien, die die sozialen Netzwerke der Kubaner:innen bombardieren, gehören Cubanet, ADN Cuba und Diario de Cuba, die vom US-Außenministerium finanziert werden.

Diese Medien sowie die vom Imperialismus kooptierten Bots, Influencer:innen und Promis gibt es schon seit Jahren. Aber die Explosionen der Unzufriedenheit der Massen, wie wir sie am 11. Juli gesehen haben, haben ihre materielle Grundlage in der unheilvollen Kombination der Auswirkungen der Pandemie, der Verschärfung der US-Blockade und der pro-kapitalistischen Maßnahmen der Bürokratie der Kommunistischen Partei, die ihre Privilegien bewahrt und gleichzeitig eine strenge polizeiliche Kontrolle über alles, was auf der Insel atmet, aufrechterhält.

Eine neue „Sonderperiode“?

Es ist unmöglich, die „Mini-Explosion“ vom 11. Juli zu verstehen, ohne sich auf die kritische Situation zu beziehen, die Kuba durchlebt. Allein der Vergleich mit der „Sonderperiode“ der 90er Jahre und ihrer Misere, die ein Trauma im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung ist, spricht für sich über den Grad der Krise.

Die Kombination aus Coronakrise, imperialistischer Blockade und volksfeindlichen Maßnahmen der Regierung tat ihre Wirkung. Alle Faktoren scheinen sich zu einem perfekten Sturm zu verschwören. Unter den verschiedenen „konjunkturellen” Elementen gibt es mindestens drei, die unserer Meinung nach die Ereignisse beschleunigt haben.

1) Die verdammte Pandemie

Die Pandemie beschleunigte lange bestehende Trends und Krisen. Trotz der Tatsache, dass die Regierung ihre eigene Forschung und Produktion von Impfstoffen gegen Covid-19 startete, geriet die Lage des Gesundheitssystems außer Kontrolle.

Bis zum April dieses Jahres, mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie, gab es in Kuba 87.385 positive Fälle und 467 Todesfälle. Doch die Kurve nahm in den letzten drei Monaten einen beschleunigten Aufwärtstrend und kletterte bis Mitte Juli auf 224.914 Fälle und 1.579 Todesfälle. Hinzu kommen der Mangel an elementaren Medikamenten gegen die Symptome von Covid-19 und andere Krankheiten sowie die Verknappung der Krankenhausversorgung durch die Verschärfung der US-Blockade und den Beschränkungen im Rahmen der Eindämmung der Pandemie.

Als Folge der Pandemie schrumpfte das BIP Kubas im Jahr 2020 um 11 % (der Durchschnitt für die Region liegt bei 6,8 %). Dies ist der stärkste Rückgang nach den -14,9 % im Jahr 1993, dem schlimmsten Jahr der Krise der „Sonderperiode“. Zudem schrumpfte die Wirtschaft im ersten Halbjahr 2021 erneut um 2 %, so dass der „Aufschwung“, wenn es ihn denn gibt, kaum ausreichen wird, um das von der KP-Bürokratie postulierte Ziel von 6 % Wachstum zu erreichen. Diese anhaltende Krise erklärt sich nicht nur durch die Unwägbarkeiten der Pandemie und die Dynamik der Impfung, die die ganze Welt, aber besonders die rückständigen und abhängigen Länder betreffen, sondern auch dadurch, dass der internationale Tourismus, die am schwersten vom Coronavirus getroffene Branche, für Kuba von entscheidender Bedeutung ist. Er ist eine der wichtigsten Quellen für Devisen (die drittgrößte Quelle nach dem Export von professionellen Dienstleistungen und Überweisungen von Emigant:innen), Arbeitsplätze und alle Arten von Gewerben und Trinkgelder – von der Unterbringung in Privathäusern bis hin zu improvisierten Taxis. Der Tourismus trägt wesentlich zu den Überlebensstrategien großer Teile der Bevölkerung bei.

2) Die Krise in Venezuela

Als Hugo Chávez an die Macht kam wurde Venezuela zum wichtigsten strategischen Verbündeten des kubanischen Regimes und ersetzte in gewisser Weise die Rolle der internationalen Unterstützung, die die Sowjetunion bis zu ihrem Verschwinden 1991 gespielt hatte. Aber die tiefe und lang anhaltende wirtschaftliche und soziale Krise hat das Regime unter Maduro dazu veranlasst, den Einkauf professioneller Dienstleistungen (im medizinischen und anderen Bereichen), direkte Investitionen und vor allem die Bereitstellung von subventioniertem Öl, von dem die Energieerzeugung auf Kuba in hohem Maße abhängt, deutlich zu reduzieren. Daher kommt es zu Stromausfällen von 4 bis 12 Stunden pro Tag, eines der Symbole der „Sonderperiode“ der 90er Jahre.

3)Die Vereinheitlichung der Währungen

Schließlich führte die Regierung im Rahmen der Beschleunigung der marktfreundlichen Maßnahmen zugunsten der kapitalistischen Restauration, die die KP-Bürokratie auf ihrem letzten Kongress festgelegt hatte, die monetäre Vereinheitlichung durch, eine makroökonomische Reorganisation zugunsten der kapitalistischen Investition, die als „Ordnungsaufgabe“ bekannt ist.

Seit Mitte der 1990er Jahre hatte das kubanische Regime (teilweise als Folge des „Maleconazo“) einen doppelten Geldkreislauf eingeführt: den CUP (kubanischer Peso) und den CUC, der eine Art interner Ersatz für den Dollar und andere Währungen war, mit einem Kurs von 24 kubanischen Pesos für die allgemeine Bevölkerung und „eins zu eins“ für staatliche Unternehmen. Die Regierung hatte die Wiedervereinigung immer wieder aufgeschoben, entschied sich aber im schlimmsten wirtschaftlichen Moment für die Beendigung der Doppelwährung, was die Notlage noch verschlimmerte.

Als Folge der Liquidierung des CUC wurde der kubanische Peso um 2.400 % abgewertet. Laut dem Ökonomen Pavel Vidal (bis 2006 Ökonom bei der kubanischen Zentralbank) könnte die prognostizierte Inflation von 500 % bis zum Ende des Jahres 900 % erreichen. Obwohl die Regierung eine ausgleichende Erhöhung der Gehälter und Renten gewährte – erstere stiegen von 30 auf 87 Dollar – wurde diese bescheidene Erhöhung von der Inflation buchstäblich aufgefressen. In einem im März veröffentlichten Artikel, als diese Inflationsraten noch nicht erreicht waren, schätzte Vidal, dass die Löhne um 15 % sinken würden.

Das zentrale Problem ist, dass mit der Wiedervereinigung zwar der Parallelumlauf aufgelöst wurde, nicht aber die Dualität der Wirtschaft, die immer noch stark dollarisiert ist. Viele Waren des täglichen Bedarfs, wie z.B. Lebensmittel und Körperpflegeprodukte, werden in Geschäften verkauft, die nur mit Fremdwährung über ein Scheckkartensystem funktionieren. Dies vertieft weiterhin die Ungleichheit zwischen den Sektoren mit und ohne Zugang zum Dollar – einschließlich der oberen Ränge der KP, denen der Dollar weiterhin offen steht.

Neben der Verknappung von grundlegenden Konsumgütern war der letzte Strohhalm die Entscheidung der Regierung, Dollaranlagen in Banken vorübergehend auszusetzen, obwohl diese für den Kauf von Waren in Geschäften mit frei konvertierbarer Währung unerlässlich sind. Die finanziellen Kosten für den Zugang zu anderen Währungen (Euro oder Schweizer Franken) wurden somit auf die Privatpersonen abgewälzt. Nach Angaben der Regierung ist diese Maßnahme eine Reaktion auf die Tatsache, dass die US-Blockade und die von Trump verhängten Sanktionen die Verwendung des US-Dollars als Zahlungsmittel sehr schwierig machen. Vidal weist jedoch darauf hin, dass es einen sekundären Nutzen für die Regierung geben könnte, da sie Dollar zur Finanzierung von Importen aufnehmen und die Kosten an die Bevölkerung weitergeben würde.

Diese konjunkturellen Phänomene reagieren mit zwei strukturellen Bedingungen, die die langfristige Situation überdeterminieren: auf der außenpolitischen Ebene die US-Blockade und ihre neu aufgelegte „trumpistische“ Version; und in der Innenpolitik der Kurs der kapitalistischen Restauration, den die Kubanische Kommunistische Partei, inspiriert vom „vietnamesischen Modell“, seit den 1990er Jahren verfolgt.

Die US-Blockade (der Imperialismus existiert)

Die Blockade gegen Kuba wird bald 60 Jahre alt und ist damit die längste in der modernen Geschichte. Sie wurde von J.F. Kennedy am 7. Februar 1962 nach dem gescheiterten Versuch der Invasion in der Schweinebucht und der Raketenkrise verhängt. Seitdem hat sie, wie alle Blockaden und Handelsembargos, als eine Maßnahme der imperialistischen Erpressung gewirkt, um Zugeständnisse in einer eventuellen Verhandlung zu erlangen oder härtere Klauseln durchzusetzen, die zum Zusammenbruch des kubanischen Regimes führen könnten. Während der Regierung von Barack Obama führte das Weiße Haus eine Politik des „Auftauens“ mit Kuba. Es galt die Ansicht, dass die harte Linie gescheitert sei und die beste Taktik in der Kooptierung bestünde. Nicht zuletzt wurde hierbei der von Raúl Castro und der KP gezeigte gute Wille berücksichtigt. Diese Politik umfasste politische Gesten wie die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen Ende 2015 und Obamas Besuch in Kuba sowie einige Zugeständnisse wie die Lockerung der restriktiven Maßnahmen für Tourismus und Reisen im Allgemeinen seitens der USA, die Erleichterung von Überweisungen und die Streichung der Insel von der Liste der „Länder, die den Terrorismus unterstützen“. Aber das Embargo wurde aufrecht erhalten. Diese relativen Zugeständnisse wurden von Donald Trump rückgängig gemacht, der das Embargo verschärfte, neue Finanzsanktionen verhängte und Kuba wieder auf die schwarze Liste des internationalen Terrorismus setzte. Diese Maßnahmen haben wichtige Konsequenzen. Durch die Umsetzung von Titel III des Helms-Burton-Gesetzes (1996) können die Vereinigten Staaten rechtliche Schritte gegen ausländische Unternehmen und Einzelpersonen einleiten, die mit Kuba Geschäfte machen. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Carmelo Mesa Lago führte dies zu zertifizierten Forderungen in Höhe von 8 Milliarden Dollar, plus zehntausenden weiteren unzertifizierten. Trump verbot US-Tourist:innen Kreuzfahrten, sowie in Hotels zu übernachten und in Restaurants zu essen, die von den kubanischen Streitkräften betrieben werden. Er verhängte ein jährliches Limit von 4.000 Dollar für Überweisungen und verschärfte die Sanktionen gegen Kubas staatliche Firma für Ölimport und an ausländische Banken, die mit Kuba Geschäfte machen. Hiermit wurden Handel und Kreditvergabe eingeschränkt.

Mit der Ankunft von Joe Biden im Weißen Haus hoffte das kubanische Regime, dass die Vereinigten Staaten zur Obama-Ära zurückkehren würden. Aber das geschah nicht. Biden setzt Trumps Politik des „maximalen Drucks“ fort, wegen innenpolitischer Probleme (die Zwischenwahlen 2022) und weil ein nicht unbedeutender Teil des demokratischen Establishments, wie Senator Robert Menéndez (der den Vorsitz im Senatsausschuss für auswärtige Beziehungen innehat), an der „Regimewechsel“-Politik der Exilkubaner:innen festhält.

Wie schon während des israelischen Angriffs auf Gaza im Mai dieses Jahres hat sich der progressive Flügel der Demokratischen Partei, angeführt vom Senator Bernie Sanders und Alexandria-Ocasio Cortez, von Bidens Politik abgegrenzt. Etwa 80 demokratische Abgeordnete unterzeichneten einen Brief, in dem sie den Präsidenten aufforderten, die Blockade zu beenden, ohne jedoch die imperialistische Politik als Ganzes in Frage zu stellen und noch weniger ihre Mitgliedschaft in den Reihen von Bidens Partei.

Es existieren Sektoren des Imperialismus und der Bourgeoisie im Allgemeinen – einschließlich Sektoren der kubanischen Exilgemeinde -, die für die Aufhebung der Blockade im Einklang mit Obamas Politik sind, weil sie sehen, dass diese vor allem die Bevölkerung hart bestraft und das KP-Regime stützt. Die folkloristischen Abstimmungen in den Vereinten Nationen seit 1992 stehen im Einklang mit dieser Politik. Regelmäßig wird die Aufhebung des Embargos gefordert, wobei die Vereinigten Staaten und Israel dagegen stimmen, manchmal mit der Unterstützung oder Enthaltung anderer bedingungsloser Verbündeter wie Kolumbienk. Andere sind nicht nur für die Aufrechterhaltung und Verschärfung der Blockade, sondern gehen sogar so weit, dass sie eine direkte Intervention der USA fordern.

Neu ist der Versuch der rechten Medien, wie La Nación und Clarín in Argentinien, die gegen alle Beweise versuchen, die Idee zu installieren, dass die Blockade nicht existiert, dass es sich nur um ein partielles Embargo handelt und dass die Behauptung seiner Existenz einem alten antiimperialistischen Narrativ entspricht. Wie man sieht, ist dies eine krude ideologische Operation, die nicht einmal mit dem US-Imperialismus selbst vereinbar ist.

Der kapitalistischen Restauration entgegentreten

Seit dem Untergang der Sowjetunion und der Krise der „Sonderperiode“ hat das kubanische Regime als Strategie das sogenannte „vietnamesische Modell“ übernommen, d.h. Maßnahmen der wirtschaftlichen Öffnung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des staatlichen politischen Monopols der Kommunistischen Partei Kubas. Zusammen mit der Blockade und der feindlichen imperialistischen Politik der USA hat diese Strategie der schrittweisen Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse die materiellen Grundlagen des Arbeiter:innenstaates – deformiert und bürokratisiert – nach der Enteignung der Bourgeoisie infolge der Revolution von 1959 qualitativ verschlechtert.

Diese pro-kapitalistischen Maßnahmen wechselten sich mit Momenten der Beschleunigung und anderen der staatlichen Rezentralisierung ab. Zu den wichtigsten gehörten die verschiedenen Reformen des Gesetzes über ausländische Investitionen, die den Eintritt des imperialistischen Kapitals erleichterten; die Aushöhlung der Wirtschaftsplanung (mit Ausnahme des Bildungs-, Gesundheits- und Verteidigungswesens) und des Außenhandelsmonopols (wenn auch in diesem Fall mit Mechanismen staatlicher Kontrolle); die Entstehung eines großen Sektors von Selbständigen. Und die Umwandlung der Revolutionären Streitkräfte in eine de facto Aktiengesellschaft, die eine Holding der wichtigsten Tourismusunternehmen, Devisengeschäfte und andere Unternehmen verwaltet. Dieser Prozess des Voranschreitens der kapitalistischen Verhältnisse verlangsamte sich in den letzten Jahren von Fidel Castro – vor allem in der Periode, die als „Kampf um die Ideen“ bezeichnet wird – und beschleunigte sich wieder mit der Ankunft von Raúl Castro in der Präsidentschaft im Jahr 2008 (eine ausführliche Studie über diese Jahre kann hier gelesen werden: Cuba: From Fidel to Raul and Beyond, von Vegard Bye, veröffentlicht im Jahr 2020). Während seiner beiden Amtszeiten sorgte Raul für die Ausweitung des privaten Wirtschaftssektors, die Entlassung von etwa 500.000 Staatsbediensteten und ein neues Arbeitsgesetz, das 2014 verabschiedet wurde und die Ausbeutung der Arbeiter:innen erleichtert, indem es 10- oder 12-Stunden-Arbeitstage ohne Überstundenzuschläge und natürlich ohne das Recht auf freie gewerkschaftliche Organisation erlaubt.

Die Regierung Díaz Canel vertieft diesen prokapitalistischen Kurs, der auf dem 8. Kongress der KP Kuba im April 2021 gebilligt wurde.

Kurz gesagt, neben dem Imperialismus und der kubanischen Bourgeoisie in Miami befinden sich die Hauptkräfte der internen Restauration im Staat selbst – in den oberen Rängen der Bürokratie der Kommunistischen Partei und insbesondere in der Führung der Streitkräfte – und in den proto-bürgerlichen Sektoren, die immer noch eine primitive Akkumulation durchführen und die sich wahrscheinlich nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes über Unternehmen (Mipymes) ausweiten werden.

Die Schwierigkeit für das kubanische Regime, dem Weg der Kommunistischen Partei Vietnams zu folgen, liegt in der geografischen Nähe zum US-Imperialismus und vor allem in der Existenz einer Bourgeoisie im Exil, die nicht bereit ist, die Vermittlung der herrschenden Bürokratie zu tolerieren, sondern offen danach strebt, sie zu stürzen und die wirtschaftliche und politische Macht zu ergreifen.

In der internationalen Linken gibt es eine offene Debatte über Kuba. Lateinamerikanische populistische Sektoren sind unkritische Verteidiger des kubanischen Regimes. Mit dem abgenutzten Argument, dass jede Kritik „den Rechten in die Hände spielt“, rechtfertigen sie, was für jeden linken Militanten nicht zu rechtfertigen ist: die Ungleichheit, die Privilegien der herrschenden Bürokratie, die prokapitalistischen Maßnahmen und die Repression des Polizeiregimes der KP. Mit dem gleichen Argument unterstützen sie das autoritäre Regime von Maduro in Venezuela.

Einige Strömungen, die behaupten, trotzkistisch zu sein, sind der Ansicht, dass die Restauration ein abgeschlossener Prozess ist und dass es sich daher um einen Kampf gegen eine „kapitalistische Diktatur“ wie jede andere handelt. Aus einer praktisch liberalen Logik der „demokratischen Revolution“ heraus ignorieren sie die Tatsache, dass der Imperialismus eine organisierende Kraft der Reaktion ist und leugnen, dass es noch Eroberungen zu verteidigen gibt, unter anderem, dass eine lokale Bourgeoisieklasse noch nicht neu zusammengesetzt wurde. In Argentinien sind die Genoss:innen der Izquierda Socialista (Sozialistischen Linken) so weit gegangen, gegen alle Beweise der bürgerlichen Ökonomen (und der USA selbst) zu behaupten, dass die US-Blockade besiegt wurde (sic) und heute „sehr begrenzt und partiell ist“.

Es gibt keine Möglichkeit, den kapitalistischen Restaurationsplänen des kubanischen Regimes und der polizeilichen Kontrolle, die es über die Arbeiter:innen ausübt, entgegenzutreten, wenn sie sich nicht auf den antiimperialistischen und internationalistischen Kampf gegen die US-Blockade stützt, die von der großen Mehrheit des kubanischen Volkes abgelehnt und bekämpft wird.

Die Prozesse der kapitalistischen Restauration, die 1989 begannen, haben Ausbeutungsverhältnisse neu geschaffen, die Ungleichheit vertieft und entgegen aller demokratischen Illusionen autoritäre (bonapartistische) Regime etabliert und reaktionäre und rassistische Kräfte an die Macht gebracht, wie in Ungarn und Polen, wo demokratische Grundrechte wie die legale Abtreibung angegriffen werden.

Um der kapitalistischen Restauration entgegenzutreten, sei es durch den Imperialismus und seine Agenten oder durch die Bürokratie selbst, ist es notwendig, ein Programm aufzustellen, das vom Kampf gegen die Blockade und von den dringendsten Forderungen der breiten Massen ausgeht, wie eine allgemeine Lohnerhöhung, Preiskontrolle durch das Volk, ein Ende der Privilegien der herrschenden Kaste und des Einparteienregimes durch die Legalisierung politischer Organisationen, die sich der Verteidigung der Errungenschaften der Revolution verschrieben haben, das Recht auf Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Pressefreiheit, das volle Recht auf Gewerkschaftsfreiheit (eine elementare Maßnahme, die Lenin in den 20er Jahren in der Sowjetunion verteidigt hat) und jede Form der Organisation, die sich die Arbeiter:innen selbst geben können, damit sie die wirklich herrschende Klasse des Staates werden, das Monopol des Außenhandels und die demokratische Planung der Wirtschaft wiederherstellen können. Mehr denn je ist das Schicksal Kubas untrennbar mit der Dynamik des Klassenkampfes in Lateinamerika verbunden.

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 21. Juli 2021

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