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Über rassistische Einbürgerungsverfahren und «echte Schweizer»

Eingereicht on 2. Februar 2017 – 10:49

BFS Jugend Zürich. Am 12. Februar 2017 wird über den Bundesbeschluss «Zur erleichterten Einbürgerung von Personen der dritten Ausländergeneration» abgestimmt. Dieses Gesetz ist überfällig.

Allerdings müssen unsere Forderungen weitergehen und das Einbürgerungsverfahren muss insgesamt an den Pranger gestellt werden.

Wie zu erwarten war, stellt sich die SVP gegen diesen Vorschlag. Parteipräsident Albert Rösti argumentiert offen rassistisch gegen den Vorstoss. Er meint, heute seien es mehrheitlich «die Italiener», die vom neuen Gesetz «profitieren» würden. In 20 Jahren wäre es aber anders: «Dann sind es dann Afrikaner.»[i] Der Wahn der angeblichen Überfremdung scheint mal wieder durch die Hirne der SVP-Politiker*innen zu spuken. Immerhin rufen solch rassistische Aussagen noch etwas Empörung hervor und auch die SP stellt sich gegen den Rassismus, welcher die Diskussion über Einbürgerung immer wieder beherrscht. Allerdings vergessen die SP und andere linke Kräfte dabei (oder sie verzichten darauf, es zu benennen), dass nicht nur die SVP, sondern das gesamte Einbürgerungsverfahren an sich rassistisch ist.

Rassistisches Einbürgerungsverfahren

Wenn eine Person in einem Land geboren wird, dort zur Schule geht, dort arbeitet, Steuern zahlt und so weiter, wäre es eigentlich völlig normal, dass diese Person auch dieselben Rechte besitzen würde, wie alle anderen, die im selben Land geboren worden sind. In vielen Staaten werden Menschen nach diesem Prinzip eingebürgert: wer innerhalb der Staatsgrenzen geboren wird und auch dort lebt, soll auch Staatsbürger*in sein. Dieses Prinzip nennt sich ius soli, lateinisch für Gesetz des Bodens. Der Geburtsort ist also ausschlaggebend dafür, wer Staatsbürger*in sein darf und wer nicht. Natürlich gilt es auch an Staaten, die sich nach dem ius soli richten, viel zu kritisieren. Schliesslich werden auch dort viele Menschen diskriminiert, wenn sie die falschen oder gar keine Papiere haben. Doch in der Schweiz ist die Situation eine Stufe schlimmer.

Hierzulande ist es möglich, seit drei Generationen wohnhaft zu sein und immer noch keine Staatsbürger*innenschaft zu besitzen. Wie geht das? In der Schweiz sind nicht der Geburtsort und die Lebenssituation entscheidend, sondern die Abstammung. Ein Kind von Eltern mit Schweizer Pass, erhält diesen ebenfalls automatisch, selbst wenn die Familie nicht in der Schweiz wohnt. Dieses Kind könnte die Schweizer Staatsbürger*innenschaft wiederum an seine Kinder vererben, ohne jemals in der Schweiz gewesen zu sein. Die Staatsbürger*innenschaft ist also im Blut begründet und wird deshalb auch ius sanguinis, Gesetz des Blutes, genannt.[ii]

Dass das Blut von Schweizer*innen wissenschaftlich nicht vom Blut der «Ausländer*innen» zu unterscheiden ist, ist klar. Auch dass es keine «Rassen» gibt, hat die Genetik längst bewiesen.[iii] Allen wissenschaftlichen und logischen Argumenten zum Trotz klammert sich der Schweizer Staat an ein Einbürgerungsgesetz, das auf rassistischen Ideen von Blut und Rasse basiert.

Auch wenn es biologisch gesehen keine Rassen gibt, scheinen in der gesellschaftlichen Realität nicht alle Menschen gleich viel wert zu sein. Dies zeigt sich eben am Diskurs über Schweizer*innen, Ausländer*innen und die Einbürgerung.

«Echte Schweizer» und «Papierlischwiizer»

Nehmen wir als Beispiel einen Schweizer mit dunkler Hautfarbe. Egal wie viele Generationen die Familie dieser Person schon in der Schweiz lebt, egal wie lange er selbst schon das Schweizer Bürger*innenrecht besitzt (vielleicht seit Geburt), wird diese Person oft nicht als Schweizer*in wahrgenommen. Denn eins wissen Herr und Frau Schweizer: echte Schweizer*innen sind weiss, weil Schweizer*in-Sein hängt ja mit dem Blut zusammen. So müssen sich Menschen mit anderer Hautfarbe auch immer wieder Fragen gefallen lassen wie: «Woher kommst du?» – «Aus der Schweiz.» – «Nein, ich meine deine Familie?» – «Aus Lenzburg.» – «Nein, du weisst schon, wo kommst du ursprünglich her?» – «Aus meiner Mami!»… Das «ursprünglich Herkommen» sagt anscheinend mehr über eine Person aus, als die Lebenssituation in den letzten 20 Jahren, und deshalb müssen Herr und Frau Schweizer auch immer die Familiengeschichte der letzten 200 Jahren kennen um ihr Gegenüber einschätzen zu können.

In solchen Gesprächen, die mensch oft genug im Alltag erlebt, zeigt sich auch eine weitere Facette des alltäglichen Rassismus: Auch wenn die sogenannten «Integrationskriterien»[iv], welche gemeinhin als Bedingung gelten, um Schweizer*in zu sein, alle erfüllt werden, bleiben alle Menschen, die ihre Staatsbürger*innenschaft durch Einbürgerung und nicht durch Abstammung «erworben» haben, trotzdem für immer „Papierlischwiizer“. Also irgendwie schon Schweizer*innen, aber doch nicht so richtig. Denn richtige, also so richtig richtige Schweizer*innen sind halt weiss, und anständig, und so… schweizerisch halt.

Forderungen, die über die Abstimmung hinausgehen

Wir setzen uns selbstverständlich für eine erleichterte Einbürgerung von Menschen ohne Schweizerpass ein. Doch wir wollen auch aufzeigen, dass das bisherige Einbürgerungsverfahren an sich rassistisch ist, und nicht nur die Diskussionen rund um die Abstimmung am 12. Februar!

Deshalb fordern wir:

  • Weg mit dem rassistischen Einbürgerungsverfahren!
  • Alle Menschen, die hier mit uns zusammenleben, sollen sofort dieselben politischen, sozialen und gewerkschaftlichen Rechte erhalten, unabhängig welche Hautfarbe sie haben oder in welchem Land ihre Eltern und Grosseltern geboren worden sind!
  • Bleiberecht für alle, denn kein Mensch ist illegal!
  • Für offene Grenzen und freie Schiffspassagen über‘s Mittelmeer!

Quelle: sozialismus.ch… vom 2. Februar 2017

[i] http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/in-20-jahren-sind-es-dann-die-afrikaner/story/14639240

[ii] https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/themen/buergerrecht.html

[iii] Cavalli-Sforza, Luigi L. (199): Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. Oder als kurzer Überblick: http://www.akdh.ch/ps/ps_82Ausnahmen-Rgel.html

[iv] BüG, Art. 14: Die Staatsbürgerschaft erhält, wer: in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist; mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist; die schweizerische Rechtsordnung beachtet; die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet.

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