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Krieg dem Kriege, Arbeiterbewegung und Frauenbewegung

Eingereicht on 16. Juli 2014 – 13:29

Ingrid Kohlhas

I. Der Erste Weltkrieg

Im Sommer 1914 hatten zahlreiche Menschen in St. Peterburg, Wien, Berlin, Paris, London den Ausbruch des Krieges jubelnd begrüßt. Die Kriegsparteien mobilisierten eine bis dahin unbekannte Zahl von Soldaten und verwendeten modernste Waffentechnik. Zu Beginn des Krieges waren etwa 10 Millionen Soldaten im Einsatz, später 74 Millionen Soldaten. Eine gigantische Kriegsmaschinerie, Artillerie, Maschinengewehre, Schlachtschiffe, Unterseeboote, erste Panzer, Bombenflugzeuge und ab 1915 Giftgas führten zu einer Vernichtung von Menschen und Material, die alle bisherigen Vorstellungen überstieg. Die Krieg führenden Parteien aktivierten jedes Mitglied ihrer Gesellschaft, wodurch die Trennung von Militär und Zivilbevölkerung ins Wanken geriet. Im Verlaufe des Krieges wurde fast die gesamte männliche und weibliche Bevölkerung in den Krieg einbezogen. In der Rüstungsindustrie und an den zivilen Arbeitsplätzen ersetzten Frauen die Männer, die zum Militärdienst einberufen wurden. Die zivile Produktion wurde immer mehr zugunsten der Rüstungsindustrie zurückgefahren. Der deutschen Bourgeoisie ging es um eine Vormachtstellung in Europa als Ausgangpunkt für die Erringung einer Weltmachtposition.

Das Ende des Krieges

Der Krieg endete mit 8 Millionen getöteten Soldaten, 20 Millionen verwundeten Soldaten und 7 Millionen Gefangenen, 1,1 Millionen anerkannten Kriegsinvaliden und ungezählten zivilen Opfern.

Die Oktoberrevolution 1917 in Russland, Aufstände, Demonstrationen und Streiks in Deutschland, die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in fast allen deutschen Städten, besonders in den industriellen Zentren, bereiteten dem Krieg sein endgültiges Aus. Die aristokratischen Dynastien in den deutschen Ländern wurden gestürzt.

Am 9. November 1918 erreicht die Aufstandsbewegung Berlin, wo sich innerhalb weniger Stunden die Ereignisse überstürzen. Der Reichskanzler Max von Baden erklärt den Thronverzicht des Kaisers ohne dessen Einverständnis und gibt sein Amt an den Vorsitzenden der Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) Friedrich Ebert ab. In der sich zuspitzenden Lage ruft  Philipp Scheidemann (MSPD) die Republik aus. Kurz darauf verkündet Karl Liebknecht (Spartakusbund) vor dem Berliner Schloss die Sozialistische Republik Deutschland und fordert: „Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten!“

Die reformistische MSPD trägt im Bündnis mit den alten Eliten den Sieg in den folgenden Kämpfen davon. Die revolutionäre marxistische Opposition in der SPD und die internationalistische sozialistische Linke, die von Anfang an die Kriegsgefahr erkannt hatte, die sich keine Illusionen über die Brutalität des kapitalistischen Wirtschaftssystem machte und die die meisten Opfer im Kampf gegen den Krieg gebracht hatte, erlitt eine bittere Niederlage.

Trotzdem musste die Bourgeoisie einige Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse machen: Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich, Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts ohne Unterschied des Geschlechts, Gewerkschaften werden als Partner für den Abschluss kollektiver Tarifverträge anerkannt, Betriebsräte in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten zugelassen, alles in allem ein sozialpartnerschaftliches Programm der Bourgeoisie, um die drohende Sozialisierung ihrer Betriebe abzuwenden.

„Der Krieg ist nichts als die Erweiterung und Ausdehnung des Massenmordes, dessen sich der Kapitalismus auch im so genannten Frieden zu jeder Stunde am Proletariat schuldig macht. Gegen dieses Verbrechen wehren wir uns als Frauen und Mütter. Wir denken nicht bloß an die zerschmetterten und zerfetzten Leiber unserer Angehörigen, wir denken nicht weniger an den Massenmord der Seelen, der eine unausbleibliche Folge des Krieges ist.“

Aus einer Rede Clara Zetkins auf dem außerordentlichen Kongress der Sozialistischen Internationale im November 1912 in Basel. Zitiert nach Wurms.

Ursachen des Krieges

Die Entfaltung der Produktivkräfte in der bürgerlichen Gesellschaft, die Entwicklung von Naturwissenschaften und Technik hatten ein Niveau erreicht, das längst die Grenzen des Privateigentums und des Nationalstaats sprengte. Dies soll am Beispiel zweier bekannter Naturwissenschaftlerinnen illustriert werden.

Marie Curie, Französin polnischer Herkunft, hatte die Radioaktivität und die radioaktiven Elemente erforscht. Lise Meitner, Österreicherin mit jüdischen Wurzeln, entdeckte zusammen mit Otto Hahn und Fritz Strassmann 1939 im Kaiser Wilhelm Institut in Berlin die Kernspaltung und berechnete, welche gigantische Energiemenge dabei freigesetzt werden könnte. Beide Frauen meldeten sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Kriegseinsatz. Sie halfen die neu entwickelten Röntgengeräte bei der Behandlung verwundeter Soldaten einzusetzen, Marie Curie auf französischer Seite, Lise Meitner auf deutscher Seite. Die beiden Physikerinnen sollen wegen der Kürze des Artikels beispielhaft stehen für die Mehrheit der bürgerlichen Frauen, die sich von nationalistischem Gedankengut blenden ließen und sich aktiv am Krieg beteiligten.

„Burgfrieden“ von SPD und  Gewerkschaften

Die beiden größten Organisationen der ArbeiterInnenklasse in Europa, SPD (1913: über 2 Millionen Mitglieder, davon 174.754 Frauen) und die freien Gewerkschaften in Deutschland (1913 2.530.000 Mitglieder, davon 223.676 Frauen), sowie andere europäische Arbeiterparteien schlossen ein nationalistisches Bündnis mit ihren jeweiligen herrschenden Klassen und dem Militarismus, in Deutschland als Burgfrieden bezeichnet. So bewilligte die SPD- Reichstagsfraktion die Kriegskredite, Gewerkschaften verzichteten auf Arbeitskämpfe und gaben erkämpfte Errungenschaften wie den Zehnstundentag preis. Ein „Frieden“, der vor allem auch auf Kosten der proletarischen Frauen geschlossen wurde.

Arbeitsbedingungen im Ersten Weltkrieg

Arbeitslosigkeit in den ersten Kriegsjahren, nahezu Aufhebung aller Schutzbestimmungen für Arbeiterinnen und Arbeiter, Arbeitsbedingungen wie in der Frühphase des Industriekapitalismus, Hunger, Not, Krankheit, miserable Wohnverhältnisse und eine enorm hohe Frauenerwerbsquote in den Jahren 1917/18 kennzeichneten die Lage der Mehrzahl der Frauen im Ersten Weltkrieg. 1913 waren in Deutschland 10,8 Millionen Frauen erwerbstätig, 1918 waren es 16 Millionen (75 % der Frauen im erwerbsfähigen Alter).

Der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen wuchs in diesem Zeitraum von 35 % auf 55 %. Die Frauenarbeit nahm zum Beispiel in der Metallindustrie, im städtischen Verkehrswesen, bei der Eisenbahn, bei der Post zu. Ab 1916 wurden zunehmend Arbeitskräfte aus der zivilen Produktion wie der Textilindustrie und Bauwirtschaft in die Rüstungsindustrie verlagert (Hindenburgprogramm). Das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“, verabschiedet am 2. Dezember 1916, erlaubte es, alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren zum „vaterländischen Dienst“ zu verpflichten. Die proletarischen Frauen arbeiteten aufgrund von ökonomischem Zwang. Dieser Zwang funktionierte nicht bei den Frauen der „besitzenden Stände“. Die Appelle für freiwilligen Dienst in der Rüstungsindustrie und in der Landwirtschaft zeigten unter ihnen nur magere Ergebnisse.

Verschiedene andere Formen der Zwangsarbeit wurden entwickelt. Der gesamte Schutz für Arbeiterinnen wurde aufgehoben: die Beschränkung der täglichen Arbeitszeit auf 10 Stunden, die einstündige Mittagspause, das Verbot der Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, das Verbot der Beschäftigung von Frauen unter Tage.

Überlange Arbeitszeiten, Doppelschichten, monatelang Nachtschichten ruinierten die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Zahl der Krankmeldungen nahm seit 1917 zu. Besonders häufig waren Gewerbekrankheiten wie Vergiftungen, Nervenerkrankungen, Bleichsucht, Blutarmut, Lungentuberkulose und allgemeine Erschöpfung. Seit dem Kohlrübenwinter 1916/17 häuften sich die Fälle von Hungertyphus. Schätzungen zur Folge verhungerten in Deutschland zwischen 1914 und 1918 500.000 bis eine Million Menschen.

Nach der Einführung der Brotkarten (1915) blühte der Schwarzhandel. Spekulanten wurden reich durch künstliche Verknappung. Die Preise stiegen während des Krieges schneller als die Löhne. Die Differenz von Frauen- und Männerlöhnen wurde zwar geringer, die Löhne der Arbeiterinnen betrugen aber 1918 nur 48 % der durchschnittlichen Arbeiterlöhne. In Berlin, Aachen, Köln, Leipzig, Münster, Nürnberg, Hamburg kommt es zu Hungerrevolten und Plünderungen, die zum Teil mit der Beteiligung von Frauen und Kindern hervor- ragend organisiert sind.

Ab 1917 forderten die streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter, die rebellierenden Frauen,  nicht nur Brot, sondern auch Frieden, die Freilassung politischer Gefangener und Demokratie.

II. Die proletarische Frauenbewegung und ihr Widerstand gegen den imperialistischen Krieg

Um die Rolle des Widerstands der sozialistischen Frauen und anderen politischen Frauen im allgemeinen einordnen zu können, ist es erforderlich, sich zunächst mit der sozialen Lage von Frauen vor dem Ersten Weltkrieg und mit den politischen Rahmenbedingungen dieses Widerstands zu befassen.

So betrug zum Beispiel der Anteil der Frauen in den Gewerkschaften gerade einmal 10 %. Die aktiven Frauen, die mit Clara Zetkin versuchten, Frauen für die Sozialdemokratie zu gewinnen, zählten kaum mehr als 1.000.

Die Lage der Frauen vor dem Ersten Weltkrieg

Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Anzahl der unverheirateten Frauen sehr hoch. Viele Frauen waren gezwungen sich zu prostituieren. Die Zahl der Prostituierten lag zwischen 100.000 und 200.000. Die Frauen der ArbeiterInnenklasse und die Bäuerinnen mussten meistens von Beginn ihrer sexuellen Aktivitäten an quasi ununterbrochen Schwangerschaften austragen. Entsprechend hoch waren Mütter-, Kinder- und Säuglingssterblichkeit. In den Jahren 1902 bis 1906 wurden in Deutschland 2.236 Frauen wegen Abtreibungen verurteilt. Dies betraf nur einen Bruchteil der tatsächlichen Abtreibungen, die häufig zu Infektionen, Sterilität und Tod der Patientinnen führten.

Zwischen 1882 und 1907 verdreifachte sich die Zahl der Industriearbeiterinnen auf 1,5 Millionen. Die Arbeitsbedingungen waren schrecklich, überheizte Werkstätten voller schädlicher Dämpfe, mangelhafte Beleuchtung, unerträglicher Lärm, wenige Pausen und polizeiähnliche Kontrollen, bei 10 bis 17 Stunden täglicher Arbeitszeit. Die Löhne der Frauen betrugen oft nicht einmal die Hälfte der Männerlöhne. Sie arbeiteten meist in den Bereichen Textil, Bekleidung und Nahrung. Außerdem arbeiteten Frauen als Landarbeiterinnen, Heimarbeiterinnen und Hausangestellte mit ähnlich langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen.

Aufgrund der Aktivitäten der SozialistInnen wurden ab 1851 Arbeitsschutzmaßnahmen eingeführt. Die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit, das Verbot der Kinderarbeit und Mutterschaftsurlaub wurden gesetzlich geregelt.

Die Teilnahme an politischen Veranstaltungen war Frauen zwischen 1850 und 1905 per Gesetz verboten.

Die Rechtsentwicklung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Um die Jahrhundertwende kam es zu einer Rechtsentwicklung eines Teils der Sozialdemokratie. Die Gründe dafür lagen in einer Verbesserung der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse. Es kam zu einer außerordentlichen Entwicklung der Produktivkräfte in der Metallverarbeitung, dem Bergbau, der Chemie, der Elektrizität. Deutschland entwickelte sich zu einer der wichtigsten Industriemächte. Das Proletariat stellte die Mehrheit der Bevölkerung dar. Es kam zu einer Erhöhung der Löhne, der Staat übernahm soziale Aufgaben, wie öffentliche Schulen, Arbeitsgesetzgebung, Sozialversicherungen. Die partielle Einführung des Parlamentarismus ermöglichte es der Sozialdemokratie, auf staatlicher Ebene Einfluss zu nehmen. Die Sozialdemokratie kontrollierte mächtige Gewerkschaften mit mehr als 2 Millionen Mitgliedern.

Die Idee, der Kapitalismus sei sozial geworden und habe sein Wesen geändert, fand immer mehr AnhängerInnen. Diese glaubten, das Wachstum der ArbeiterInnenbewegung und Reformen auf wirtschaftlicher und staatlicher Ebene würden Schritt für Schritt zum Sozialismus führen. Dieser verhängnisvolle Irrtum führte zur Aufgabe der internationalen Solidarität innerhalb der Klasse, zur Stärkung des Nationalismus in der ArbeiterInnenbewegung und zum Bündnis der ArbeiterInnenparteien mit der jeweiligen nationalen Bourgeoisie. Die nationalistische Verblendung hinderte die Menschen am Kampf gegen das Verbrechen des imperialistischen Krieges.

Der Reformismus fand eine soziale Basis in der „Arbeiteraristokratie“ und leistet vermittelt über die Gewerkschaftsbürokratien und Parteibürokratien der bürgerlichen Hegemonie in der ArbeiterInnenbewegung Vorschub.

Die marxistische Opposition in Deutschland und in der II. Internationale bekämpften den Revisionismus und den Rückschritt. Frauen, wie zum Beispiel Clara Zetkin, sahen im Revisionismus zu Recht eine Gefahr für die angestrebte Emanzipation der Frauen.

Frauen in der Antikriegsbewegung

Die Mühen um die gewerkschaftliche Organisierung der Frauen, die verschiedenen Wahlrechtskampagnen, die Einführung des Internationalen Frauentags, die internationale Zusammenarbeit und Kongresse, teilweise unter den Bedingungen der Illegalität (Organisationsverbot für Frauen bis 1908), brachten trotz Repression und Verfolgung der Antikriegsbewegung Erfolge. Mit der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit auf 55 % der Erwerbstätigen verdoppelte sich im Verlaufe des Krieges die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Frauen auf 418.000. Hunderttausende traten 1917 in den Ausstand. Obwohl es an materiellen Anlässen für Streiks nicht mangelte, wurden zunehmend auch politische Forderungen gestellt: für die Aufhebung der Ausnahmegesetze (Hilfsdienst und Notgesetz), für sofortigen Friedensschluss, für ein demokratisches Wahlrecht. Über eine Million Menschen streikten im Januar 1918. Zeitgenössische Berichte von Streikenden, der Polizei und der Presse lassen den Schluss zu, dass im Januar 1918 hauptsächlich Frauen streikten. Sie wurden als die „Nüchternsten und Mutigsten“ geschildert und traten vielfach als Anführerinnen auf. Sie forderten die Männer zur Solidarität auf und widersetzten sich Aufforderungen der Gewerkschaftsführung zum Abbruch der Streiks.

„Die Gewerkschaften, die die SPD ins Leben gerufen hat und die sie vollkommen im Griff hat, zählen mehr als zwei Millionen Mitglieder und verfügen über ein jährliches Einkommen von 88 Millionen Mark. Ihre Mitglieder haben um die SPD herum ein weites Netz von parallelen Organisationen geknüpft, die unter dem ein oder anderen Aspekt fast sämtliche Lohnempfänger erfassen und die sich auf all die Bereiche Jugend, Volkshochschulen, Büchereien und Lesegesellschaften, Freizeitgestaltung und Wandervereine, Verlagshäuser, Zeitungen, Zeitschriften, Illustrierte erstrecken. Das Bauwerk beruht auf dem soliden Gerüst eines kompetenten und effizienten technischen Verwaltungsapparats, der sich mit den modernsten Leitungs- und Werbemethoden auskennt.“ Pierre Broué, Révolution en Allemagne, 1917-1923, Paris, (Editions de Minuit) 1971, zitiert nach Mahein et àl.

III. Frauen und Arbeiterbewegung

Bis 1908 bestanden in Deutschland gewisse rechtliche Schranken für die Mitarbeit von Frauen in Gewerkschaften. Ein Passus des preußischen Vereinsrechts verbot Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen. Hierunter fielen zum Teil auch Gewerkschaften, insoweit sie zum Beispiel durch Einfluss auf die Sozialgesetzgebung politische Ziele verfolgten.

Die gewerkschaftliche Organisierung von Frauen vor dem Ersten Weltkrieg

Dass Frauen in den Gewerkschaften bis zur Jahrhundertwende nur eine geringe Rolle spielten, hat aber vor allem einen Grund: den „proletarischen Antifeminismus“[1] weiter Teile der Arbeiterbewegung. Die von Ferdinand Lassalle vertretene Richtung in der Sozialdemokratie und in der Gewerkschaftsbewegung trat strikt gegen außerhäusliche Erwerbsarbeit der Frauen auf.

Anders als die Männer hatten die Frauen seit ihrem Ausschluss aus den Zünften im ausgehenden Mittelalter keine berufsständische Tradition. Die Gründung der ersten Arbeiterinnenvereine Mitte des 19. Jahrhunderts geht auf die Initiative bürgerlicher Frauen zurück. Zum Teil hatten sie ausgesprochenen gewerkschaftlichen Charakter und schlossen sogar Lohntarifverträge ab.

Durch die Spaltung in einen bürgerlichen und einen proletarische Flügel der Frauenbewegung verloren die Arbeiterinnenvereine an Wirksamkeit, denn ohne entscheidende Mitwirkung entweder der bürgerlichen Frauen oder der Männer der eigenen Klasse blieb ihnen der Erfolg versagt.

Der Herausbildung einer sozialistischen Theorie der Frauenemanzipation unter Bebel, Engels und Clara Zetkin war es zu verdanken, dass die Schranken für Frauen in den Männergewerkschaften bröckelten. Die Weber- und Textilarbeiterverbände waren die ersten, die Frauen aufnahmen. 1890 wurde mit Emma Ihrer die erste Frau in die Geschäftsführung der Generalkommission des gewerkschaftlichen Dachverbandes gewählt. Aber noch 1901 beharrten die Verbände der Lithographen, der Buchdrucker und der Gastwirtsgehilfen auf dem Ausschluss der Frauen.

Demobilmachungsverordnungen nach dem Kriege

Während die Gewerkschaften während des Ersten Weltkrieges dazu beitrugen, die Wirtschaft durch Frauenarbeit in Gang zu halten, kamen die Demobilmachungsverordnungen von 1919 unter Mitwirkung führender Vertreter der Arbeiterbewegung zustande. Aufgrund dieser Verordnungen wurden Frauen massenhaft von ihren Arbeitsplätzen zugunsten der von der Front heimkehrenden Männer vertrieben.

Weil während des Krieges die Facharbeiter fehlten, wurden Frauen auch als Schlosser, Werkzeugmacher und Einsteller ausgebildet. In der Metallindustrie verdoppelte sich zwischen 1914 und 1918 die Zahl der weiblichen Lehrlinge und der gelernten Arbeiterinnen. Die Gewerkschaften verhielten sich gegenüber dieser Höherqualifizierung der Frauen defensiv bis ablehnend.[2]

Die gewerkschaftliche Organisierung von Frauen erreichte während des Ersten Weltkriegs einen Höhepunkt. 1,2 von 5,5 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern waren Frauen. Dies entspricht einem Anteil von 23 %. Nach dem Krieg setzte ein gewaltiger Rückgang der weiblichen Gewerkschaftsmitglieder ein.

Der Internationale Frauentag

Am 26. und 27. August 1910 fand im Folketshus in Kopenhagen die II. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz statt, an der etwa hundert Teilnehmerinnen aus siebzehn Ländern mitwirkten, einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte war das Wahlrecht.

„‚Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihren Zusammenhang mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß beleuchtet werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten.‘Clara Zetkin, Käte Duncker und Genossinnen.“

Am Vorabend des 1. Weltkriegs

Am 19. März 1911 fand der erste Internationale Frauentag in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Es beteiligten sich über eine Million Menschen. Gewerkschaftslokale und Säle waren überfüllt, auf Straßen und Plätzen mussten weitere Kundgebungen veranstaltet werden. Im Jahre 1912 schlossen sich Frankreich, Holland und Schweden an. Die Forderungen waren: Frauenwahlrecht, Mutterschutz und der Achtstundentag.

Der Parteiausschuss der SPD stufte den Frauentag als Fiasko ein und wollte ihn 1913 nicht mehr begehen. Aber da hatte er nicht mit dem Widerstand der Frauen gerechnet. So fand der Frauentag auch 1913 statt. Die Veranstaltungen dehnten sich auf kleinere Städte aus. Im Verlaufe des Jahres 1913 traten 11.000 Frauen in die SPD ein. Das waren 85 % der neuen Mitglieder. Ein ähnliches Bild bot sich in den Gewerkschaften.

Auch zum Frauentag 1914 gab es Kundgebungen für das Frauenwahlrecht, gegen Militarismus und für den Frieden. Das war für lange Zeit das letzte Jahr, in denen es zu Großveranstaltungen in Deutschland, Frankreich und Österreich zum Internationalen Frauentag kam.

„Krieg dem Kriege“ – unter dieser Losung standen die Frauentagsveranstaltungen (1915) in den neutralen Ländern. Trotz Zensur, Versammlungsverbot und Verhaftungen hielten die sozialistischen Frauen und die radikalen Pazifistinnen ihren Widerstand aufrecht.

Am 8. März 1917 (23. Februar des russischen Kalenders) bildeten die Streiks der Petrograder Textilarbeiterinnen den Auftakt zur Februarrevolution, die den Sturz des Zaren zur Folge hatte und das Ende des Krieges einläutete.

Demonstrationen und Veranstaltungen gegen den Krieg

Seit 1907 bestand Kriegsgefahr in Europa. In allen großen Industriestaaten wurde kräftig gerüstet. Man bereitete sich auf die Konkurrenz um Absatzmärkte, ausbeutbare Kolonien, wirtschaftliche Vormachtstellungen und politische Einflussbereiche mit kriegerischen Mitteln vor.

Die Beschlüsse der II. Sozialistischen Internationalen von 1907 und 1912 verpflichteten alle sozialistischen Parteien, Kriege zu verhindern und bei Kriegsausbruch mit allen Mitteln für die rasche Beendigung des Krieges einzutreten.

Als die österreichische Regierung am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg erklärte, herrschte höchste Gefahr. Dennoch schien der Weltkrieg aufhaltbar. Zwischen dem 26. Juli und 30. Juli demonstrierten allein in Berlin Hunderttausende. In Petersburg streikten 200.000 Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die erwartete Kriegserklärung der russischen Regierung. Für den 29. Juli rief das Büro der Internationale eine Sitzung nach Brüssel ein. An der öffentlichen Abschlusskundgebung nahmen etwa 100.000 Menschen teil. Aus zahlreichen Ländern gingen in der Brüsseler Zentrale Erklärungen von Gewerkschaftsführern ein, in denen sie für einen Generalstreik eintraten.

Das Ergebnis ist bekannt. Der Generalstreik wurde nicht ausgerufen. Am 2. August schlossen die Zentralvorstände der deutschen Gewerkschaften den Burgfrieden. Am 4. August stimmte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den geforderten Kriegskrediten zu. Das Desaster war komplett.

Aber die Antikriegsbewegung wurde nicht müde. Vom 25. bis 28. März 1915 fand in Bern eine sozialistische Frauenkonferenz mit 25 Delegierten aus acht kriegführenden und neutralen Ländern statt. Vier Wochen später trafen sich in Den Haag radikale Pazifistinnen: 1.136 Delegierte aus 12 Nationen. Die Antikriegsbewegung wurde stärker, die Abwehrmaßnahmen von Regierungs- und Militärbehörden schärfer. Die Bewegung gegen den Krieg war dennoch nicht aufzuhalten.3[3]

Verwendete Literatur:

Annik Maheim, Alix Holt, Jaqueline Heinen, Frauen- und Arbeiterbewegung, erschienen im isp-Verlag, Frankfurt 1984, Übersetzung aus dem Französischen. „Femmes et mouvement ouvrier“ erschienen bei Editions la brèche, Paris 1979.

Renate Wurms: „Krieg dem Kriege“ – „Dienst am Vaterland“: Frauenbewegung im ersten Weltkrieg. aus Florence Hervé (Hrsg.), Köln, 1983

Karin Bauer: Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung, Berlin, 1978

Kursbuch Geschichte, 2000, Cornelsen Verlag, Berlin

Der große Plötz, Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte, Freiburg, 1998



[1] Der Begriff ist problematisch, da der Antifeminismus bis heute eine die gesamte Gesellschaft betreffende Erscheinung ist. Bürgerlicher und proletarischer Antifeminismus speisen sich aus denselben Quellen.

[2] Claudia Pinl, Das Arbeitnehmerpatriarchat, Köln 1973.

[3] Renate Wurms, Der Internationale Frauentag, Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht, Frankfurt am Main 1980.

Dieser Artikel ist im Avanti erschienen und online beim Revolutionär Sozialistischen Bund abrufbar. Er wurde von der Redaktion maulwuerfe.ch leicht bearbeitet.

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