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Fluten und andere Katastrophen in Südasien

Eingereicht on 29. September 2017 – 10:46

Bahar Sheikh. Die Fluten in Indien, Bangladesch und Nepal kosteten geschätzt 1.400 Menschen das Leben, insgesamt 41 Millionen Menschen waren betroffen. Durch den Monsunregen verursachte Überschwemmungen sind zwar kein neues Phänomen auf dem Subkontinent, jedoch werden sie durch das Schmelzen der Gletscher im Himalaya und dem damit verbundenen Anstieg der Wasserspiegel der Flüsse verstärkt. Hinzu kommt der vermehrte Niederschlag, der durch die höhere Feuchtigkeitsaufnahme in der wärmeren Luft verursacht wird. Beide Flutursachen können auf die Erderwärmung zurückgeführt werden.

Im Vergleich mit den Hurrikans Harvey und Irma berichteten deutsche Medien über die massiven Fluten in Südasien nur spärlich. Auf die verzögerte und wenig ausführliche Berichterstattung haben vor allem einige Medien im angloamerikanischen Raum in Quasi-Selbstkritik hingewiesen. Eine Repräsentationsdebatte, die die unverhältnismäßige Berichterstattung in den Vordergrund rückt, trifft jedoch noch nicht den Kern des Ungerechtigkeitsproblems, das der Klimawandel und die mit ihm einhergehenden Katastrophenzustände nach sich ziehen.

Umweltgerechtigkeit ist seit der Bürgerrechtsbewegung in den USA ein Begriff in sozialen Bewegungen und in der Wissenschaft. Er beschreibt die Verteilung von Umweltbelastungen zu Lasten von Menschen, die rassistisch, wegen ihrer Klassenlage und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste oder anderer Faktoren marginalisiert sind. Aktuell kritisierte Black Lives Matter UK zum Beispiel die vergleichsweise höhere Belastung der Schwarzen Londoner Bevölkerung durch Luftverschmutzung. Umweltgerechtigkeit ist jedoch nicht nur von Bedeutung für marginalisierte Gruppen im globalen Norden. Das Konzept ist auch relevant, um die Flutkatastrophe in ein globales Machtgefälle einzuordnen.

Das hierzulande fehlende öffentliche Interesse für die Fluten in Südasien führt dazu, dass Hilfsgelder und Spenden ausbleiben. Lokale NGOs kennen zwar die Bedarfe der Bevölkerung vor Ort besser, sind jedoch finanziell abhängig von großen NGOs aus dem globalen Norden. Während die europäischen Staaten und die USA vergleichsweise weniger von »Naturkatastrophen« betroffen sind und auch ein Monopol auf die Ressourcen besitzen, die nötig für den Wiederaufbau sind, fehlen in diesem Fall indischen NGOs die Gelder, um mit der Flutkatastrophe selbstständig umgehen zu können. In diesem Fall verstärkt das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Nord und Süd die asymmetrische Verteilung von umweltbezogenen Verantwortlichkeiten und Belastungen.

Die im Gerechtigkeitsdiskurs verhandelte These, dass vorwiegend von sogenannten Naturkatastrophen betroffene Länder verhältnismäßig weniger für Emissionen verantwortlich sind, bewahrheitet sich in den jüngsten Geschehnissen in Südasien. Allerdings holen die sogenannten Schwellenländer wie Indien in Sachen Umweltbelastungen auf. Seit seiner wirtschaftlichen Liberalisierung schoss Indien im Ländervergleich auf Platz vier der Hauptverursacher für CO²-Emissionen, wobei die Gesamtemissionen des Landes gemeint sind (Stand 2012), bei den Pro-Kopf-Emissionen erreicht Indien noch lange nicht die alarmierenden Werte der europäischen und nordamerikanischen Staaten und der arabischen Ölstaaten.

Jedoch sind globale Machtstrukturen nicht die einzige Ebene, die bei den Zerstörungen durch Katastrophen mitgedacht werden muss. Umweltungerechtigkeit tut sich nicht nur entlang rassistisch und kolonial konstruierter Linien auf, sondern zeigt sich auch auf lokaler Ebene innerhalb postkolonialer Staaten. Vor allem sind arme Menschen von den Langzeitfolgen der Zerstörung durch die Fluten betroffen.

Für den Wiederaufbau von Häusern und die medizinische Versorgung fehlen vielen Betroffenen die finanziellen Mittel. Die Bäuerinnen und Bauern, die abhängig von landwirtschaftlichen Erträgen sind, haben durch die Zerstörung der Ernte ihre Einkommensquelle verloren.

Derweil plant die indische Regierung 37 Flüsse zu vernetzen und ein umfangreiches Kanalsystem zu bauen, das sowohl gegen Dürre als auch gegen Überschwemmungen im Land Abhilfe leisten soll. Das Vorhaben steht in der Tradition der Bauprojekte vergangener Jahrzehnte, die oft zu Lasten von marginalisierten Gruppen und der Umwelt durchgesetzt wurden. Das geplante Projekt sieht neben dem Ausbau von Kanälen auch den Bau von rund 3.000 Dämmen vor. Am Ende soll ein Netz von Wasserwegen über insgesamt 15.000 Kilometer entstehen.

Nicht nur ist die Wirksamkeit des Vorhabens unter Wissenschaftler_innen wegen unklarer Konsequenzen auf Dürre und Überschwemmungen in Zeiten des rasanten Klimawandels in Südasien umstritten. Auch würde die Umsetzung die »Umsiedlungspolitik« fortsetzen, die zu einer Verlagerung Hunderter Dörfer führen würde. In vergangenen Projekten, wie dem kontroversen Bauprojekt rund um den Narmada-Fluss, führten solche Umsiedlungsvorhaben zur Verdrängung von Tausenden Menschen aus ihren Dörfern, die oft abhängig von den natürlichen Ressourcen in ihrem Umfeld sind und denen die versprochenen Kompensationen systematisch vorenthalten wurden. Das indische Vorhaben zur Prävention von Fluten und Dürre im Land setzt den ohnehin von Katastrophen stärker betroffenen Teilen der Bevölkerung weiter zu und unterstreicht, dass die Folgen des Klimawandels mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zusammenhängen.

Gerade in Indien kann man aber auch auf eine lange Geschichte des Widerstands gegen solche Bauprojekte und die Zerstörung der Umwelt auch durch ausländische Investoren zurückblicken. Umweltaktivismus auf dem Subkontinent war in den meisten Fällen ein Kampf für soziale Gerechtigkeit von unten, in dem gesellschaftlich und wirtschaftlich benachteiligte Gruppen ihre Grundrechte gefordert haben. Für die Narmada Bachao Andolan (Rettet-den-Narmada-Bewegung), die seinerzeit gegen den Dammbau am Narmada-Fluss protestierte, hingen das Schicksal der Umwelt und das der dort lebenden Menschen zusammen.

Die Fluten selbst, der Umgang mit ihren Folgen, aber auch das fehlende Interesse im den »westlichen« Medien sind Symptome von Umweltungerechtigkeit. Es bleibt daher wichtig, den Klimawandel in seine soziopolitischen Zusammenhänge zu setzen.

Quelle: analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 630 vom 29. September 2017

 

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