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SYRIZA: Bloss ein Verrat oder ein genetischer Defekt von «Breiten Parteien»?

Eingereicht on 4. Oktober 2017 – 17:14

Über die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte haben sich weltweit Massenmobilisierungen noch nie gekannten Ausmasses gegen die zerstörerischen Folgen der neoliberalen Politik erhoben. Keine von ihnen war erfolgreich – im Gegenteil!

Gleichzeitig haben sich die wichtigsten Segmente der «revolutionären» Linken, gerade auch aus dem unübersehbaren Spektrum der trotzkistischen Strömungen, in einer Art von «Nachtrabpolitik» auf eine Strategie der sogenannten «Breiten Parteien» eingeschworen. Dabei geht es um die Eroberung eines angeblich frei gewordenen politischen Raumes links der Sozialdemokratie, da sich diese zunehmend in einer Krise des freien Falles befindet.

Dieser fiktive Raum soll mit Wahlen erobert werden; das Ziel sind sogenannte «linke Regierungen». SYRIZA ist das tragische neueste Beispiel des Scheiterns solcher reformistischen Ansätze. Die Quittung dafür ist brutal: Die Arbeiterklasse gerät immer tiefer in einen Abwärtsstrudel der Gefährdung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen, sie hat zunehmend keine politischen Ausdrucksmöglichkeiten mehr für ihre elementaren Interessen, die politische Ordnung der vergangenen 70 Jahre mit gewissen demokratischen Strukturen gerät aus den Fugen, irrationalistische Tendenzen treten immer stärker in den Vordergrund, die Kriegsgefahr nimmt dramatisch zu. Das zwanzigste Jahrhundert war Beweis genug für die fatalen Folgen solcher Ansätze, die die Interessen der Arbeiterklasse zunehmend aus dem Blick verlieren und auf die Entwicklung von Verhandlungsstrukturen mit der Bourgeoisie setzen. Wir haben an dieser Stelle bereits mehrere Male kritisch Stellung  genommen gegen die reformistische Strategie der «Breiten Parteien».

Nachfolgend nimmt ein Aktivist der griechischen trotzkistischen Formation OKDE-Spartakos und dem antikapitalistischen Bündnis Antarsya kritisch Stellung zu den Entwicklungen um SYRIZA, die griechische Linke und die Vierte Internationale. [Redaktion maulwuerfe.ch]

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Manos Skoufoglu. In den vergangenen Jahren war die Debatte um Griechenland keine Debatte wie andere. Die Intensität der Krise, der kapitalistischen Angriffe und der sozialen Antworten darauf, wie auch das Aufkommen einer reformistischen Partei, der es schlussendlich, in Zusammenarbeit mit einer rechten Partei, gelang die Macht zu übernehmen, machten Griechenland zum Referenzpunkt der letzten fünf Jahre. Das katastrophale Experiment von Syriza markierte nicht nur den Niedergang der Arbeiterbewegung in Griechenland, sondern verdeutlichte auch die Sackgasse der Strategie von „breiten linken Parteien“ und „Anti-Austeritätsregierungen“.

Leider wurde diese Strategie nicht nur von den reformistischen Parteien unterstützt, sondern auch von der Mehrheit der antikapitalistischen Linken weltweit. Die meisten linken Parteiführungen waren so begeistert von der Perspektive einer Syriza-Regierung, dass sie nicht einmal die Möglichkeit einer unabhängigen antikapitalistischen Formation diskutierten oder zuhörten, was revolutionäre griechische Organisationen über den Charakter und die Rolle von Syriza sagten.

Syriza war unbestritten das Modell für ein strategisches Projekt, in dem die Einheit mit Reformisten sowohl politisch-organisatorisch, als auch auf Wahlebene absolut zentral war. Nach dem Zusammenbruch des Projekts zu Lasten der griechischen Arbeiterklasse, verweigert sich die übergroße Mehrheit der Vertreter dieser Strategie einer ehrlichen Bilanz. Nach Syrizas Zustimmung zum dritten Austeritätspaket im Juli 2015, schrieben viele Artikel über ihren vorherigen Helden Tsipras und nannten diesen einen Verräter und Naivling, der dachte er könnte mit den Geldgebern verhandeln. Im Anschluss liessen sie Griechenland auf der Seite liegen und stürzten sich in die Unterstützung von Projekten, die wie SYRIZA konzipiert waren, nur in anderen Ländern.

Eine Führungsfigur der vierten Internationale sagte in einem internationalen Meeting im Februar 2017: „Wenn sich etwas als falsch erweist an einem Punkt, heißt es nicht, dass es von Anfang an falsch war.“ Dem folgend heißt es, dass man nicht sagen kann, dass etwas immer falsch ist, sondern nur, dass sich bestimmte Dinge ändern.

Wenn wir eine klare Bilanz des griechischen Experiments brauchen, dann, weil genau diese Strategie auch in anderen Ländern angewendet wird. Wir denken, dass es für die Genossen, die versuchen, Schlussfolgerung aus der griechischen Situation zu ziehen, es vielleicht sinnvoll wäre zu lesen, was die griechische Sektion der VI (Vierten Internationale), OKDE-Spartakos, all die Jahre unterstützt hat und warum sie sich nicht dem Projekt SYRIZA angeschlossen hat, sondern sich stattdessen am Aufbau eines antikapitalistischen Projekts „Antarsya“ beteiligt hat. Jeder, der die Entwicklung unserer Position Schritt für Schritt nachverfolgt, wird erkennen, dass unsere Opposition zu SYRIZA keine nachchristliche Prophezeiung war.

Aktuelle Berichte über Griechenland sind wie moderne Märchen, voller Ungenauigkeiten, Mythen und hoffnungsvollen Gedanken. Dieser Text ist unser Beitrag zur Entmystifizierung der aktuellen Geschichte unseres Landes.

War SYRIZA ein Ausdruck des Wachstums der sozialen Bewegungen?

Die meisten internationalen Linken würden ohne Zweifel „ja“ sagen. SYRIZA repräsentierte die Massenbewegungen und das ist der Grund, warum wir sie alle hätten unterstützen müssen. Dies ist nicht die ganze Wahrheit. SYRIZA erhielt die Mehrheit der Stimmen aus der Arbeiterklasse und den verarmten Schichten, dies wäre ohne die Massenbewegungen in diesem Land nie der Fall gewesen. SYRIZA war jedoch nie mit diesen Bewegungen verbunden.

Die Partei hatte immer eine relative kleine Mitgliedschaft, mit verhältnismäßig wenig Arbeitern und Gewerkschaftsanbindung. SYRIZA führte niemals eine Massenbewegung oder einen Streik an und ihre Intervention in Klassenkämpfe war immer gering. SYRIZA als Partei der Massenbewegungen darzustellen, ist ein Mythos. Ihre Verbindung zu der Arbeiterbewegung und den Unterdrückten war immer die Verbindung einer parlamentarischen Repräsentation. Selbst diese Verbindung entstand erst nach dem Höhepunkt der Massenbewegungen.

In der heißen Phase 2010 bis 2012 erzielte SYRIZA nur niedrige Wahlergebnisse. Die Ergebnisse gingen erst nach dem Frühling 2012 in die Höhe, als die Massenbewegungen sich bereits auf dem Rückzug befanden. Kämpfe gingen und gehen immer noch weiter, aber die Bewegung erreichte nie wieder das Ausmass, das sie von Mai 2010 bis zum 12. Februar 2012 hatte, als die letzte große Demonstration stattfand. Ein Grund für den Rückgang war sicherlich die einfache Lösung, die SYRIZA anbot: Wartet auf die Wahlen und stimmt für eine linke anti-Austeritäts-Regierung. SYRIZA war kein Ausdruck des Erstarkens der Bewegung, sondern ein Ausdruck der Ermüdung und des Abflauens. SYRIZA war sogar eine Ursache für deren Rückgang.

Gab es eine strategische Alternative zum Angebot einer linken Regierung?

Während des Höhepunkts der Massenbewegungen in Griechenland, insbesondere ab Juni 2011, begannen SYRIZA und die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) Neuwahlen zu fordern. SYRIZA war allerdings überzeugender als die KKE, denn anders als diese versprachen sie eine linke Regierung, die die Memoranden beseitigen würde. Dieses Versprechen war nicht nur verlogen, sondern auch gefährlich, da es die Passivität förderte und die Aufgabe des Kampfs gegen Austerität hin zu einer parlamentarischen Führung verschob. Seit 2011 erklärte SYRIZA, dass die Massenbewegungen ihre Grenze erreicht hätten und nun die Zeit gekommen sei für eine politische (elektorale) Antwort.

Aber keine Regierung kann die Menschen beschützen, wenn die Menschen nicht organisiert und entschlossen sind, sich selbst zu schützen. Die Aufrufe von OKDE-Spartakos und anderen antikapitalistischen Gruppen zur Selbstorganisierung wurden von großen Teilen der Linken mit Skepsis und Sarkasmus beantwortet. Sie argumentierten, dass es erfinderisch und utopisch sei, von Räten und Sowjets zu sprechen, in einer Situation, da diese nicht existierten. Sowjets, oder irgendwas anderes, würden jedoch nie existieren, wenn sie niemand propagieren würde.

Abgesehen davon existierten Selbstorganisationsstrukturen. Auf dem Syntagma Platz fand waährend zwei Monaten täglich eine Versammlung statt und diese bildete ein Komitee, welches diverse Aufgaben hatte; so wurde ein selbst geführtes Radio aufgebaut. Verschiedene Volksversammlungen existierten in verschiedenen Stadtteilen Athens und in fast allen größeren Städten. Die Menschen fragten: Was wäre, wenn wir kein Parlament hätten, dass wir alle vier Jahre wählen? Wie könnte Macht sonst organisiert sein?

Es wäre möglich gewesen, auf Basis dieses limitierten aber wichtigen Experiments eine Alternative aufzubauen, wie auch der Aufruf zu Versammlungen an Arbeitsplätzen. Es war möglich vorzuschlagen, dass die lokalen Versammlungen Delegierte für eine nationale Versammlung am Syntagma Platz wählen würden. Es war möglich zu erklären, dass diese Versammlung Arbeiter viel besser vertritt als Parlamente und Regierungen und dadurch die Macht für sich beanspruchen. Es war möglich, auch wenn es schwer gewesen wäre, dadurch zu einer konkreten revolutionären Perspektive zu kommen. Aber SYRIZA wies diese Perspektive entschieden zurück, wie auch die KKE. Die antikapitalistische Linke versuchte es, aber sie war zu schwach und nicht gut genug vorbereitet.

Unterschied sich SYRIZA von einer reformistischen Partei?

Militante revolutionäre Marxisten haben vor der Regierungsübernahme durch SYRIZA ein großes Spektrum von Theorien aufgestellt, um den reformistischen Charakter zu leugnen und ihre Unterstützung zu legitimieren. Alan Thornett (von der britischen Sektion der vierten Internationale) war definitiv nicht der einzige, der verkündete, dass die “Führung von Syriza die Überwindung des Kapitalismus einleiten will” zumindest bis zur Übernahme der Macht 2015. Heute machen die Erfahrungen mit der SYRIZA-ANEL-Regierung die falsche Idee überflüssig, dass die SYRIZA-Führung den Kapitalismus überwinden will.

Eine andere Auffassung war, dass SYRIZA einen neuen Typ von Reformismus darstelle, in dem “ die bürokratische Kristallisation nicht so stark ist wie in der Führung der kommunistischen Parteien in Europa”. Unsere Anmerkungen, dass dies so nicht stimme, wurden ignoriert. Was die Parteibürokratie anbelangt, hat sich die Führung um Tsipras als sehr viel eindeutiger erwiesen, als die Führungen der sozialdemokratischen PASOK oder der rechten Nea Demokratia. „Aber es fehlten die Verbindungen zur staatlichen Verwaltung (Bürokratie)“, antworteten die gleichen Genossen scharf. Das war nicht korrekt. Im Verhältnis zu seiner geringen Gröβe hatte SYRIZA eine sehr große Anzahl von langjährigen nationalen oder lokalen Abgeordneten, Stadträten, Kadern im Staatsapparat, in der Verwaltung der Universitäten, usw. Der einzige Grund, warum die Partei nicht aktiver in das Management des Systems eingebunden war, war ihre geringe Größe, und dass niemand ihnen die Möglichkeit dazu gab. Sobald es jedoch danach aussah, dass SYRIZA die Wahl gewinnen könnte, übernahm sie sofort ganze Bereiche des sozialdemokratischen Staates, von lokalen Regierungen und der Gewerkschaftsverwaltung. Was den Willen, das System zu verwalten angeht, so gab es nichts Ungewöhnliches im Reformismus von SYRIZA.

War das SYRIZA Programm Sand im Getriebe des Systems?

Das Programm von SYRIZA wurde vor der Übernahme der Macht immer konservativer. Das gefeierte Programm von Thessaloniki aus dem Jahr 2014 wies einen großen Teil des Programms von 2012 zurück, und das Programm vom Januar 2015 blieb hinter den Versprechen des Programms von Thessaloniki zurück. Aber selbstverständlich wurden nicht einmal die moderatesten Versprechen des Programmes von der SYRIZA-Regierung umgesetzt. Die internationalen Unterstützer, die SYRIZA für die Losung „Kein Opfer für den Euro“ hatte, sahen nicht, dass hinter den Überlegungen zu der

n Forderungen eines Bruchs mit dem Euro und der EU nicht eine anti-nationalistische Absicht stand, sondern nur der Unwille, mit irgendeiner kapitalistischen Institution zu brechen.

Sobald SYRIZA die Wahl gewonnen hatte, wurde klar, dass der wirkliche Slogan “jedes Opfer für den Euro” lautete. Statt der vermuteten anti-nationalen Ansichten formte Syriza eine Regierung mit der nationalistischen, rechten Partei “unabhängige Griechen” (ANEL).

Der Enthusiasmus der internationalen SYRIZA-Unterstützer ließ sie glauben, das Versprechen auch umgesetzt würden. Hoffnungsvolle Wünsche wurden nicht Wirklichkeit, sondern zu Mythen. Nach einem Mitglied des internationalen Büros der vierten Internationale war SYRIZA “Sand im Getriebe der Maschine”, weil es den Mindestlohn auf das vorherige Niveau anhob, die Privatisierungen der Troïka ablehnte und den Verkauf der Häfen von Piräus und Thessaloniki absagte”.

Natürlich geschah nichts davon, und die Regierung versprach niemals eine dieser Reformen. Nach dem Wahlsieg begann die SYRIZA-Regierung Verhandlungen mit der Bourgeoisie und den internationalen kapitalistischen Institutionen und verband sich bald mit diesen. Das wurde vom reformistischen Charakter diktiert und war absolut vorhersehbar. Es gibt keinen Unterschied im Reformismus von SYRIZA, im kritischen Moment unterstützen die Reformisten immer das kapitalistische Lager.

Auf der Webseite der 4. Internationale konnten wir öfter lesen “die Genossen der KKE und von Antarsya machten einen großen Fehler, wenn sie dachten Syrizas Versprechen einer linken Regierung würde auf eine Verwaltung des Kapitalismus hinauslaufen” Nun im Licht der Erfahrungen mit der SYRIZA-Regierung, wer machte den “großen Fehler”?

Hätte die Wahl einer linken Regierung den Menschen Selbstvertrauen und Kampfgeist gebracht?

Eine weitere Rechtfertigung zur Unterstützung von SYRIZA war, dass selbst wenn eine SYRIZA-Regierung die Austerität nicht zurückdrängen könnte, würde sie das Selbstvertrauen der Klasse verstärken und Massenmobilisierung befördern oder sogar in eine vorrevolutionäre Situation führen. In den Worten eines Genossen, der überzeugt war, dass eine “SYRIZA-geführte Anti-Austeritätsregierung der Linken” zu einer “Arbeiterregierung” würde, würde dies „schnell zu einer vorrevolutionäre Situation führen, wenn SYRIZA gewählt ist und ihr Programm umsetzt”.

Dieses abstrakte Szenario wurde schnell von den Fakten widerlegt. Keine progressiven Reformen oder Notfallprogramme wurden eingeführt. Syriza gebrochene Versprechen brachten statt Kampfgeist Enttäuschung und Verwirrung, Passivität und Hoffnung in den Parlamentarismus. Beides wurde genährt von SYRIZA und seinen Unterstützern; sie ließen die Menschen unvorbereitet für eine neue Streikrunde.

Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Umsetzung des dritten Austeritätspakets im Juli 2015 war schwächer als der Widerstand gegen die ersten beiden Memoranden. Danach wurde die Situation noch schlimmer. Die Rentenreform 2016 und das vierte Austeritätspaket im Mai 2017 wurden fast ohne Widerstand durchgesetzt. Die Wut wird wahrscheinlich wieder explodieren, und wir setzen drauf. Es ist unbestritten, dass die SYRIZA-Regierung nicht auf Arbeitermobilisierung setzt. Auf der anderen Seite war es die Regierung, die die Lähmung begünstigt und die Reaktionen der Arbeiter und der sozialen Bewegungen eindämmt, mehr noch als alle vorherigen Regierungen.

Vertrauen die Arbeiter und die Bevölkerung denjenigen im reformistischen Projekt, die an ihrer Seite standen?

Eines der vielen Argumente für die Unterstützung von SYRIZA war, dass beim Versagen von SYRIZA die Basis aufbegehren und dem linken Flügel der Partei folgen würde. Die Menschen würden dem linken Flügel mehr vertrauen als der antikapitalistischen Opposition außerhalb von SYRIZA, weil sie mit diesem lange zusammen gekämpft hätten.

Ein altes dogmatisches Konzept wurde hier wiederholt: Revolutionäre sollten an der Seite der Arbeiterklasse in den Arbeiterparteien sein, um deren Vertrauen zu gewinnen und bereit zu sein, wenn diese Parteien die Menschen verraten. SYRIZA war allerdings niemals eine Massenpartei mit einem vitalen Innenleben und einer starken Beziehung zwischen Führung und Basis.

Die Zeiten, seit der Entwicklung des Konzepts, haben sich geändert, wie auch die Parteien. Das abstrakte Szenario hat versagt. Die linke Plattform von SYRIZA brach mit der Partei und verließt diese nach dem dritten Memorandum, um die Volkseinheit zu gründen. Diese zog allerdings nur einen geringen der Syriza Mitglieder an sich. Ein großer Teil derer, die SYRIZA verließen, ist nicht Teil der Volkseinheit. Mehr noch, seit der Gründung der Volkseinheit befindet sie sich in einer Krise. Organisationen und Strömungen verließen die Partei, und heute ist die Partei nicht mehr in der Lage, Initiativen zu ergreifen. Die Basis von SYRIZA vertraute ihnen nicht, warum sollte sie auch, war die Führung der Volkseinheit doch immer ein organischer Teil von SYRIZA und schickte vier Minister ins erste Kabinett.

Die Krise der Volkseinheit ist viel schlimmer als der Druck, unter dem Antarsya, die KKE oder die anarchistischen Gruppen stehen, da diese Rückhalt in den Bewegungen haben. Langzeitmitglieder von SYRIZA zu sein, half der Volkseinheit nicht, zur Massenpartei zu werden. Auf der anderen Seite ist es kein Hindernis, nicht Teil SYRIZA gewesen zu sein, um ehemalige SYRIZA-Aktivsten aus den Bewegungen zu gewinnen. Wir respektieren Militante, die SYRIZA verließen, um zur Volkseinheit zu gehen und wir wollen mit ihnen in den Massenbewegungen arbeiten, aber wir vertrauen deren Projekt einer “patriotischen Anti-Austeritäts-Front” und einer zweiten ehrlichen SYRIZA nicht.

Unterstützte die Führung der vierten Internationale SYRIZA?

Die Mitglieder des internationalen Büros der vierten Internationale verkündeten, dass diese niemals offiziell SYRIZA unterstützt hätte. Das stimmt so nicht. Tatsächlich unterstützten alle internationalen revolutionären Führungen mit ein wenig Einfluss, bei einigen wenigen Ausnahmen, SYRIZA.

CWI und IMT taten dies auf jedem erdenklichen offiziellen Wege, da Teil großer reformistischer Parteien zu sein, ein wichtiges Mittel ihrer Politik ist. Aber auch die Führung von Organisationen, die normalerweise unabhängige antikapitalistische Formationen aufbauen, haben in Griechenland SYRIZA unterstützt, teils gegen deren griechische Sektionen.

Obwohl die griechische Sektion der IST (die SEK) Mitglied von Antarsya ist und niemals Teil von SYRIZA war oder diese wählte, erklärten prominente Mitglieder der britischen SWP (Socialist Workers Party) direkt oder indirekt ihre Unterstützung für SYRIZA. Selbst nach der Formierung der SYRIZA-Anel Regierung, erklärte Alex Callinicos das “revolutionäre Sozialisten den Sieg der neuen Regierung (Volksabstimmung zum Troïka-Diktat) und die progressiven Maßnahmen feiern sollten”, und dass es großartig sei, dass es Minister aus dem linken Flügel der Partei gäbe.

Auch Altamira von der argentinischen Partido Obrero (Mitglied der Front der Linken und Arbeiter) und die CRFI rief ebenfalls zur Wahl von SYRIZA auf “unter dem Banner des Bruchs mit der EU, für die sozialistischen Staaten Europas, für eine Arbeiterregierung” wie er auf dem 11. Kongress der PO erklärte. Obwohl die griechische Sektion der CRFI ein unabhängiges Projekt aufbaut.

Leider war die Situation in der Führung der Vierten Internationalen noch schlimmer. Bekannte Mitglieder haben wieder Griechenland besucht, um auf Einladung von SYRIZA auf Veranstaltungen zu sprechen, ohne sich mit ihrer griechischen Sektion abzusprechen oder diese wenigstens zu informieren. Kader der VI haben als wirtschaftliche Berater von Tsipras und der SYRIZA-Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Der aktuelle Sprecher der Regierung, Tzanakopoulos, ist stolz auf seine Mitgliedschaft in der griechischen Sektion vor wenigen Jahren, während er gleichzeitig eine Führungsfigur von SYRIZA war.

Die offizielle Position des Büros der VI ist vorsichtiger, wenn auch nicht weniger deutlich. Die Position des Büros lief darauf hinaus, dass die Antikapitalisten SYRIZA oder einer SYRIZA-geführten Allianz beitreten sollten, um eine eine linke Anti-Austeritäts-Regierung zu ermöglichen. Im Mai 2012 erklärten sie deutlich, dass sich alle unter dem SYRIZA Notfallprogramm vereinen sollten: “Die Vierte Internationale ruft die internationale Arbeiterbewegung, alle, die die Ideen der Linken verteidigen, ein solches Notfallprogramm zu unterstützen. Wir rufen dazu auf, dass alle Kräfte die gegen die Austerität kämpfen – SYRIZA, Antarsya, die KKE, die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen – unter dem Notfallprogramm zusammenkommen.”

In ihrer Antwort auf den Brief der griechischen Sektion, welche das Statement ablehnte, erklärte das Büro der VI: “Unsere Antwort ist klar, wie die fast aller Sektionen der Internationale: Es ist notwendig SYRIZA zu unterstützen”. Auch 2015 unterschied sich die Position der VI kaum. Vor der Wahl im Januar, die SYRIZA an die Macht brachte, unterzeichnete eine Reihe von VI-Kadern, inklusive von Büromitgliedern, einen internationalen Aufruf unter dem Titel “With the Greek people, for a change in Europe—A call launched in the Spanish State”. Dies war eigentlich ein Wahlaufruf für SYRIZA und erwähnte nicht mal Antarsya, obwohl die griechische Sektion dort Mitglied ist.

Das wenige Tage später veröffentlichte Statement des Sekretariats Büro erklärte: “Die verschiedenen Komponenten von SYRIZA, deren Mitglieder in Gewerkschaften, die oft mit Antarsya zusammenarbeiten, die Studentenbewegung, etc. sind der Motor der Mobilisierung. SYRIZA und Antarsya haben die besondere Verantwortung ein vereinigendes Projekt aufzubauen” und weiter “alles zu tun, dass die griechische Linke, deren wichtigster Teil SYRIZA ist, die Wahlen gewinnt, um die soziale und politische Stimmung für eine linke Regierung zu schaffen”. Es bestehen keine Zweifel, dass dies einem offiziellen Wahlaufruf für SYRIZA gleichkommt und einer Empfehlung, dass Antarsya sich Syriza anschließen solle. Nach der Wahl der SYRIZA-Regierung erklärte die Führung der VI die kritische Unterstützung der Regierung. Die Entscheidung der griechischen Sektion, eine linke Opposition in der Arbeiterklasse aufzubauen, wurde zurückgewiesen, mit dem Argument, dass nur die Bourgeoisie in Opposition zu SYRIZA stehe.

Selbst nach dem “Verrat” von SYRIZA und den Erfahrungen von 6 Monaten Einigungen mit den Kapitalisten und den internationalen Institutionen, konnte das Büro der VI keine klaren Positionen zur SYRIZA-Anel Regierung beziehen. Die Warnungen der griechischen Sektion, dass SYRIZA, die Ergebnisse des Referendums ignorierend, ein neues Austeritätspaket durchsetzen würde, wurden ignoriert.

Die griechische Sektion kämpfte mit aller Kraft für ein Nein und erklärte gleichzeitig, dass sie keinerlei Vertrauen in die Regierung hat. Auf der anderen Seite pries das Büro der VI die Regierung und rief die Menschen nochmal dazu auf: “die Interessen der ausgebeuteten Klassen in Europa sind nicht auf Seiten der Regierungen der EU-Staaten, sondern auf der Seiten der Griechen und von SYRIZA, die gegen die Austerität kämpfen. Widerstand gegen Austerität ist möglich. Der Sieg von SYRIZA, der Aufstieg von Podemos im spanischen Staat, zeigen den Weg für alle Staaten Europas.” Es rief die Arbeiter in Europa dazu auf “an der Seite der griechischen Bewegungen gegen Austerität zu stehen, an der Seite der griechischen Regierung”.

Eine Woche später wurde das Statement schonungslos verhöhnt, nachdem die griechische Regierung das neue Austeritätspaket akzeptierte. Keine Analyse wurde je auf der Basis eines so großen Fehlers geschrieben. Allerdings wechselte die Unterstützung der Mehrheit der Führung der VI später zur Volkseinheit, wider die Ratschläge der eigenen Sektion, dass die neue Partei eine neue Formation à la SYRIZA aufbauen wolle, ignorierend.

Leider müssen wir einsehen, dass die Führung der VI, wie die der meisten revolutionären internationalistischen Organisationen, SYRIZA unkritisch unterstützt haben und die eigene Verantwortung beim SYRIZA-Projekt der Hegemonisierung des politisch-sozialen Raums und des Überführens der Arbeiterklasse in Passivität ignorieren.

Diese Entwicklung hätte vorhergesehen werden können und die griechische Sektion sah sie voraus. Dies ist der Grund, warum die Sektion ihre Kräfte in ein unabhängiges antikapitalistisches Projekt steckte, welches die Krise von SYRIZA überstand. Das Projekt hat dabei geholfen, den kompletten Kollaps der linken Organisationen und Arbeiterbewegung zu vermeiden, wie dies in anderen Staaten nach dem Experiment von linken Regierungen geschah. Die unabhängige antikapitalistische Linke ist die Basis für unseren Gegenangriff. Griechenland ruft nach einer Analyse. Doch keine Analyse wird so ehrlich sein und die wirkliche Konsequenz ziehen: Die Notwendigkeit der politischen und organisatorischen Unabhängigkeit vom Reformismus.

Der Autor ist Mitglied im Zentralkomitee von OKDE-Spartakos, Mitgliedsgruppe der Vierten Internationale, ist unter http://4thinternational.blogspot.ch/  erschienen. Diese deutsche Übersetzung ist unter diefreiheitsliebe.de… zu finden. Einige Korrekturen durch Redaktion maulwuerfe.ch (4. Oktober 2017)

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