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Lockdown-Interviews – McDonalds-Mitarbeiter

Eingereicht on 4. Januar 2021 – 12:23

Ich bin 18 Jahre alt und arbeite bei einem McDonalds-Franchiseunternehmen. Ich habe im Sommer 2019 angefangen. Unsere Filiale ist relativ klein. Während einer Schicht arbeiten dort etwa zehn Leute, insgesamt sind es vielleicht 90 Leute, was bedeutet, dass viele von ihnen in Teilzeit sind.

Als die erste Schliessung begann, durften die Leute nicht mehr drinnen sitzen, um zu essen. Der Bereich, in dem sich der Laden befindet, wurde zu einem Hochrisikobereich. Sie boten dann nur noch Liefer- und Mitnahmebestellungen an. Einige neue Regeln wurden eingeführt, wie z. B. regelmässigeres Abwischen der Theken, das Tragen von Masken im Laden und Glasabschirmungen zwischen verschiedenen Teilen der Küche. Aber die Manager selbst liefen zwischen den verschiedenen Abteilungen hin und her, und anfangs gab es einen Mangel an Masken. Auch jetzt kümmern sich die Manager nicht wirklich um die Sicherheit. Ein Manager sagte mir, wenn ich zu besorgt sei, solle ich zu Hause bleiben. Es gab keinen wirklichen kollektiven Widerstand gegen all das. Die finanzielle Situation meiner Familie ist ziemlich schlecht, also konnte ich es mir nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Gleichzeitig wollte ich nicht arbeiten gehen, da meine Eltern gefährdet sind. Also habe ich zunächst unbezahlte Urlaubstage genommen, weil wir nicht wussten, ob wir nach der Schliessung von McDonald’s überhaupt bezahlt werden würden. Jetzt habe ich also keinen Urlaub mehr.

Dann sagten sie, dass die Firma Verluste macht, wenn sie offen bleibt, also haben sie uns bis Ende Juni 2020 ohne Bezahlung beurlaubt. Viele Arbeiter, einige von ihnen sind Universitätsstudenten, kamen nach dem Ende der ersten Schliessung nicht mehr zurück. Gleichzeitig sah man Leute, die in Vollzeit auf dem Bau und in Teilzeit bei McDonald’s arbeiteten, die hier eine Vollzeitstelle annahmen, weil ihre Standorte geschlossen worden waren. Im Allgemeinen gab es überhaupt keinen Mangel an Arbeitskräften, auch wenn ein paar Leute krankgeschrieben waren.

Die Leute diskutierten darüber, dass die Regierung Mist baut, wenn es um die Pandemie geht, aber keine der Diskussionen war ernst genug. Die Leute denken, dass nichts getan werden kann, also wollen sie nicht einmal darüber reden. Das ist ein grosses Problem, das uns plagt. Ohne eine gültige Vertretung oder Organisation fühlt sich der durchschnittliche Lohnabhängige machtlos und unbedeutend.

Was die gewerkschaftliche Organisation angeht, so bin ich Teil der McStrike-Kampagne, aber noch kein offizielles Gewerkschaftsmitglied. Ich hörte von der Kampagne, als sie einen kurzen Streik in sechs Filialen machten und es in die Medien schafften. Ich habe auch an der BAME-Gruppe der Kampagne teilgenommen. Es gibt etwa 40 Arbeiter, die sich irgendwie innerhalb der McStrike-Kampagne in London organisieren, die in Gruppenchats sind. Es sind mehr Pub-Arbeiter und -Arbeiterinnen als Fast-Food-Arbeiter und -Arbeiterinnen, die sich beteiligen, vor allem im Süden Londons. Sie arbeiten in einem Dutzend Pubs oder so. Keiner meiner Kollegen in meiner eigenen Filiale ist jedoch Gewerkschaftsmitglied oder steht in Kontakt mit der McStrike-Kampagne. Einige arbeiten nur einen Tag in der Woche, andere müssen Studentenkredite zurückzahlen und wollen kein Geld für Beiträge ausgeben, wieder andere haben Angst. Mein Franchisebetrieb hatte früher Mitglieder aus der McStrike-Kampagne, aber aufgrund der hohen Fluktuation sind viele von ihnen wieder gegangen. Das ist das Hauptproblem in der Fast-Food-Branche, niemand will bleiben.

Die Löhne sind schlecht, ich habe dort mehr als ein Jahr für £6,25 pro Stunde gearbeitet. Jetzt, da ich 18 bin, bekomme ich 7,25 Pfund bezahlt. Es ist möglich, kleine Erhöhungen zu bekommen, wenn man eine Schichtleiterposition oder so bekommt, aber der Stress und die Verantwortung, die damit einhergehen, sind es absolut nicht wert. Man kann auch nicht individuell verhandeln, wir brauchen eine kollektive Kraft, wenn wir wirklich etwas bewirken wollen. Die Arbeitszeiten sind auch unberechenbar. Es gibt zwar die Möglichkeit, einen Vertrag mit festen Arbeitszeiten zu bekommen, aber die meisten Leute haben keine festen Arbeitszeiten.

Während des Lockdowns war unsere Kampagne stark beeinträchtigt. Wir hatten nur Zoom-Meetings. Wir konnten keine anderen McDonald’s-Filialen besuchen. Obwohl die Gewerkschaftskampagne schon seit ein paar Jahren besteht, ist sie immer noch auf bezahlte Gewerkschaftsorganisatoren angewiesen. Es wäre besser, Teams von Arbeitern und Arbeiterinnen zu haben, die andere Arbeiter und Arbeiterinnen in ihrem Gebiet besuchen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen organisieren die Zoom-Treffen, aber noch nicht die Kampagne im wirklichen Leben. Die Organisatoren haben einmal einen Protest vor meinem Geschäft organisiert, aber das war sechs Monate bevor ich dort angefangen habe zu arbeiten. Die Leute, die sich damals in dem Laden organisiert haben, sind jetzt weg. Das ist der schmerzhafte Teil. Man müsste auch die Arbeiter und Arbeiterinnen in den Lebensmittelläden erreichen, denn wenn Fast Food bestreikt wird, gehen die Leute einfach in den nächsten Supermarkt. Aber die Gewerkschaften kooperieren auch nicht… Das sind einige der Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, wenn wir versuchen, die Gewerkschaften allein als Organe des Klassenkampfes einzusetzen. Man verbringt sein ganzes Leben damit, allein für wirtschaftliche Belange zu kämpfen, während man auf eine einzige Branche beschränkt ist. Wir brauchen etwas, das die Lohnabhängigen insgesamt organisiert. Das ist auch ein massives Problem, in Grossbritannien habe ich gehört, dass viele Gewerkschaften zu Klassenkollaborateuren geworden sind und die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder stetig gesunken ist.

Im Moment scheint der Kampf um die Verbesserung der Positionen der Gewerkschaften trotz der Schwierigkeiten immer noch der effektivste Weg zu sein, um Arbeiter und Arbeiterinnen zu organisieren. Das Grossartige an der McStrike-Kampagne ist, dass sie auch nicht nur ein wirtschaftlicher Kampf ist. Unsere Kernforderungen sind die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Pfund pro Stunde in der gesamten Branche, die Anerkennung der Gewerkschaften und ein Ende der Null-Stunden-Verträge. Nun mag das nicht viel erscheinen und nach rein sozialdemokratischen Zugeständnissen klingen, aber es steckt mehr dahinter. Mit der Anerkennung der Gewerkschaften, auch wenn sie immer noch an das Kapital gebunden sind, werden kollektive Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen den Arbeitern und Arbeiterinnen helfen, die Hülle des Denkens zu verlassen, dass wir unbedeutend und schwach sind. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, um die Macht der Arbeiter und Arbeiterinnen zu stärken.

Wir haben auch gute Beziehungen zu den Lieferfahrern. Wir kennen viele von ihnen mit Namen. Was amüsant und irgendwie traurig ist, ist, dass keiner von ihnen die Deliveroo-Streiks auch nur ein einziges Mal erwähnt hat. McDonald’s nutzt UberEats und JustEat für seine Essenslieferungen an Kunden, aber wir sehen, dass die Lieferfahrer auch mehrere Geräte und andere Plattformen wie Deliveroo und Foodpanda nutzen. Eine weitere interessante Beobachtung, die ich gemacht habe, ist, dass die Mehrheit der Lieferfahrer Brasilianer sind, und zwar nicht nur in meiner Filiale, sondern auch an einigen anderen Orten, und dass ihre Englischkenntnisse in der Regel nicht so gut sind, was zu Sprachbarrieren führt.

Die Demografie in der Fast-Food-Branche in London ist definitiv ein grosses Thema. Fast-Food-Beschäftigte werden als Schlüsselkräfte angesehen, und die Mehrheit der Schlüsselkräfte in London sind BAME [Das Acronym BAME steht für Black, Asian and Minority Ethnic und meint alle Gruppen, die nicht weisser Abstammung sind. Sie sind gegenüber Covid-19 mehr gefährdet als Weisse. A.d.Ü]. Man kann oft sehen, dass ganze Läden mit einer dieser Ethnien gefüllt sind und der Grund dafür ist, dass BAME-Arbeiter wie ich eher bereit sind, auch zu einem niedrigeren Lohn zu arbeiten.

Zu den rassenbasierten Konflikten und sozialen Umwälzungen, die in diesem Jahr stattfanden, habe ich nur mit zwei Kollegen über die BLM-Proteste gesprochen und mit einem von ihnen an einer Demonstration teilgenommen. Es gab Treffen innerhalb der McStrike-Kampagne darüber, Zoom-Konferenzen mit Leuten in den USA. Obwohl wir alle zusammen im selben Loch sitzen, gibt es immer noch ein großes Misstrauen zwischen diesen Gemeinschaften. Es gibt Schwarze, die rassistisch zu Asiaten sind, es gibt Asiaten, die rassistisch zu Asiaten sind usw.

Es gibt Rassismus am Arbeitsplatz und eine Menge Vetternwirtschaft. Die Filialen sind mit einzelnen Nationalitäten gefüllt. Das passiert, wenn Manager hauptsächlich Leute mit ihrem eigenen Hintergrund einstellen. Das ist an sich nicht rassistisch, denke ich. In meiner Filiale gibt es hauptsächlich Italiener. Sie sind ziemlich sozial, sie gehen zu den Häusern der anderen und so. Aber sie bleiben eine Clique. Die Selbstsegregation ist ein grosses Problem. Das ist eines der grössten Ziele und Erfolge der McStrike-Kampagne. Wir versuchen, Arbeiter mit so vielen verschiedenen Hintergründen zu organisieren, die alle den gleichen Kampf führen und gemeinsam versuchen, reaktionäre Vorstellungen zu bekämpfen, die uns spalten. Vielleicht haben wir in London schon lange nicht mehr eine ähnliche Manifestation von Internationalismus erlebt. In der McStrike-Kampagne scheint es völlig realistisch und üblich zu sein, dass sich ein Jamaikaner mit einer Engländerin und einem Pakistaner organisiert.

Was die Situation an meiner Schule betrifft, so haben die Leute in meiner Klasse alle gerade die Oberstufe begonnen. Es gibt nur sehr wenige andere Schüler in meiner Klasse, die Teilzeit arbeiten, also kann man nicht so viel über die Situation auf der Arbeit reden. Von der Schülervertretung habe ich noch nichts gehört. Der Debattierclub ist derzeit wegen der Schliessung geschlossen. Es gab also auch in der Schule nicht viel Raum, um über das aktuelle Geschehen zu diskutieren und Bewusstsein zu schaffen.

Die Zeit, die man im Unterricht verbringt, ist reduziert worden, die Schüler und Schülerinnen kommen zu unterschiedlichen Zeiten rein.

Aber vor der Schliessung gab es die Klimastreiks und viele junge Leute haben an den BLM-Protesten teilgenommen. Ich würde sagen, 95% der Leute waren unter 25. Bei den BLM-Sachen gab es eine Menge Identitätspolitik, viele Leute wollten einfach nur ein Zeichen ihrer Tugendhaftigkeit setzen. Allerdings zeigte es revolutionäres Potenzial. Bei den Klimastreiks wäre es falsch zu sagen, dass es im Grossen und Ganzen nur Mittelschichtskinder waren; es waren vielmehr Menschen aller Art und vor allem viele Menschen aus der Arbeiterklasse, die erkannten, dass ihre eigenen Interessen im Widerspruch zu den Industriellen und ihrer Kumpanen, der herrschenden Klasse, standen. Die Phrase „EAT THE RICH“, die unter den Kids meiner Generation populär wurde, deutet in der Tat auf eine Polarisierung hin, auch wenn sie nicht viel Substanz hat.

Teenager in Grossbritannien sehen den Kommunismus heute viel positiver als Teenager vor 20 Jahren. Aber als ich in die Oberstufe kam, waren die Proteste abgeklungen. Ich sah nicht, dass in der Schule etwas passierte. Als die Klimastreiks stattfanden, war ich auf einer anderen Schule, im Osten Londons. Von meiner Schule hat sich niemand wirklich an den Streiks beteiligt. Ich denke, das waren hauptsächlich Schulen in reicheren Gegenden, hauptsächlich weisse Kinder. Vielleicht gab es auch weniger Gegenreaktionen dagegen. Leute in ärmeren Gegenden gingen nicht hin. Sie sahen vielleicht keine Perspektive, sich einem indirekteren Kampf anzuschliessen.

In einer Phase, in der das Proletariat schlafend und unorganisiert ist, ist es wichtig, dass wir trotz aller Schwierigkeiten weitermachen. Wenn die McStrike-Kampagne Fuss fassen kann, könnte vielleicht ein Vorstoss zur Stärkung der branchenübergreifenden Arbeiterorganisation eine Sache sein.

Quelle: letsgetrooted.com… vom 4. Januar 2021; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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