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Lidl-Beschäftigte erstreiken zusätzliche Vollzeitstelle pro Filiale

Eingereicht on 8. Mai 2018 – 18:58

Pascal Meiser. Mittwoch den 25. April haben Lidl-Beschäftigte in Belgien einen spontanen Streik ausgerufen- und gewonnen. Sie konnten den hohen Arbeitsdruck nicht mehr ertragen und forderten Entlastung durch mehr Personal. In wenigen Tagen breitete sich der Streik von einer Filiale auf die Hälfte aller belgischen Lidl-Standorte aus. Schon am 1. Mai lenkte der Konzern ein und versprach pro Filiale eine zusätzliche Vollzeitstelle. Die Erfolgsgeschichte ist ein tolles Beispiel dafür, dass es sich lohnt, sich gewerkschaftlich zu organisieren und zu kämpfen.

Es brodelt schon länger bei Lidl in Belgien. In Dieter Schwarz‘ Imperium herrschen mit etwa 1.300 Euro netto bei Vollzeit die schlechtesten Löhne der Branche. Trotz der recht jungen Belegschaft- über 50% der Beschäftigten sind 31 oder jünger – sind Beschwerden über Burnout durch Überlastung an der Tagesordnung. Einsatzpläne und Über- oder Minusstunden werden oft gar nicht beachtet, Regeln für Springergruppen hält das Management einfach nicht ein.

Die miesen Arbeitsbedingungen führen zu hohen Abgangszahlen und einen hohen Krankenstand. Letztes Jahr haben 870 von 6.000 Beschäftigten die Firma verlassen. 250 davon waren Vollzeitbeschäftigte, die selber gekündigt haben. Zudem sind zurzeit über 6% der Belegschaft dauerhaft krankgemeldet, d.h. für mehr als ein Monat bis zu über ein ganzes Jahr.

Den Beschäftigten ist durchaus klar, wer von dem Ganzen profitiert. Françoise Malherbe, Delegierte für die sozialistische Gewerkschaft BBTK, schrieb: „Vergiss nicht dass der Eigentümer von Lidl der reichste Mann Deutschlands ist. Wie glaubt ihr denn, wie sein Vermögen zustande kam, wenn nicht auf Euren Rücken?“ Zwischen 2010 und heute ist Dieter Schwarz’ Vermögen von 10,5 Milliarden Euro  auf 37 Milliarden angewachsen. Diesen Reichtum hat er gesammelt, indem er u.a. die 300.000 Lidl-Beschäftigten Dumpinglöhne bezahlt und der Hyperflexibilität unterworfen hat.

Die belgischen Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren kleinere Aktionen gegen den Arbeitsdruck und die Personalkürzungen organisiert. Bei der Vorstandsklausur am Weihnachten im Jahr 2016 haben Gewerkschaftsaktive zum Beispiel Zitronen verteilt. Sie wollten so daran erinnern, dass die Belegschaft nicht ausgepresst werden darf. Doch das Management machte lauter hohle Versprechungen. Für die Beschäftigte änderte sich nichts.

Diesen April gab es schon einen kleineren Streik in einer Filiale in Oostkamp. Da hatte das Management trotz des hohen Arbeitsdrucks einen Kollegen gekündigt. Johan Lippens, Sekretär für die christliche Gewerkschaft LBC-NVK, prangerte den Fall mit deutlichen Worten an: „Das Management entscheidet sich für eine wahrhaftige Schreckensherrschaft, wo alle ständig Angst haben müssen, vor die Tür gesetzt zu werden.“

Als sich in den darauffolgenden Ratschlägen zwischen den Sozialpartnern keine Lösung abzeichnete, entschieden sich Beschäftigte in Ans bei Lüttich am Montag den 25. April zu einem spontanen, unbefristeten Streik. Sie riefen Kolleg/innen in anderen Filialen an und forderten sie auf, mit in den Streik zu ziehen. Bei einem Organisationsgrad von über 55% lief das gut. Am ersten Tag waren bereits 79 Filialen bestreikt. Der Schneeball war ins Rollen gekommen und nicht mehr zu halten. In vielen Fällen waren die Filialen bereits geschlossen, bevor ein Gewerkschaftssekretär überhaupt eintreffen konnte. Am Freitag war etwa die Hälfte aller Lidl-Standorte dicht.

Vorm Wochenende einigten sich die liberale Gewerkschaft ACLVB und die christliche LBC-NVK und die Arbeitgeberseite auf eine Vollzeitstelle pro Filiale- allerdings befristet auf 6 Monate. Doch die sozialistische BBTK, die mit 30% der gesamten Belegschaft weitaus die meisten Beschäftigte vertritt, wollte eine dauerhafte Entlastung. Sie entschied sich dafür, den Streik zu eskalieren. Aus den beteiligten Filialen sind die Streikenden am Wochenende und am Montag zu den insgesamt fünf Logistikzentren von Lidl gezogen und haben Blockaden aufgeworfen. Sie ließen LKW zwar auf das Gelände, hinderten jedoch das beladene LKW daran, die Logistikzentren zu verlassen.

An der Frage, ob solche Blockaden vom belgischen Gesetz erlaubt sind, trennen sich die Geister. Doch das konnte die Gewerkschaft nicht daran hindern, die Blockaden zu organisieren. Gewerkschaftssekretär Steven Bosman meinte in einem Interview mit dem belgischen Radio 1: „Ob eine solche Blockade jetzt zulässig ist oder nicht: Wir hören auf unsere Mitglieder, das ist das Wichtigste.“

Dabei spielt es den Gewerkschaftsaktiven in die Hände, dass Gewerkschaften in Belgien nicht als Rechtspersonen gelten und somit auch nicht verklagt werden können. Anlässlich des Lidl-Streiks hat die flämisch-nationalistische Partei N-VA angekündigt, mittels eines Antrages im Parlament die Einführung der Rechtspersönlichkeit von Gewerkschaften zur Diskussion zur Stellen. Bisher fand die Forderung aber keine Mehrheit.

Der Druck, den dieser Streik erzeugt hat, war Lidl offensichtlich zu viel. Innerhalb kürzester Zeit gab das Management auf und willigte die Forderung nach einer zusätzlichen Vollzeitstelle pro Filiale, oder 5% mehr Personal, ein. Ab dem 15. Mai starten nun Verhandlungen über einen Entlastungstarifvertrag, der die Personalaufstockungen permanent festschreiben soll.

Auch wir in Deutschland sollten dieses Beispiel zu Herzen nehmen. Es zeigt einmal mehr, was möglich ist, wenn sich Beschäftigte zusammenschließen um für ihre gemeinsamen Interessen einzustehen. Es zeigt die Macht der gelebten Solidarität. Die Lidl-Beschäftigten haben den Teufelskreislauf bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen im Einzelhandel ein Stückweit aufgehalten und anderen Belegschaften gezeigt, wie es geht. Dazu kann ich nur sagen: Chapeau und merci aux travailleurs de Lidl!

Quelle: diefreiheitsliebe.de… vom 8. Mai 2018

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