Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Debatte, International

Spanischer Staat: Was wird aus Podemos?

Eingereicht on 1. November 2015 – 17:34

Die spanische Podemos, ein «politisches Kind» der «Bewegung 15-M» von 2011/2012, richtet ihre strategische Ausrichtung seit Anbeginn auf den Aufbau einer starken parlamentarischen Position, um «dem Zweiparteiensystem in Spanien eine nichtkorrupte Alternative gegen die Austeritätspolitik» entgegenzustellen.

Podemos wurde vor knapp zwei Jahren gegründet. Als bisheriger Höhepunkt im Aufstieg von Podemos gelten die Europawahlen vom Frühjahr 2014, als die Partei zur viertstärksten politischen Partei Spaniens aufstieg; damals lag die aus der eurokommunistischen PCE hervorgegangene Izquierda Unida noch vor Podemos, dies dürfte sich aber mittlerweile zugunsten von Podemos geändert haben.

Die Hauptreferenz für Podemos war bislang die griechische Syriza – dies nolens volens für die Führung, aber dessenungeachtet uneingeschränkt für deren Basis – zuminest bis zum Spätsommer 2015, als Syriza zur Verwalterin der Austeritätspolitk mutierte und so ihre gesamte Programmatik durchgestrichen hat. Denn die Basis von Podemos suchte nach einem politischen Ausweg, um erstens der harten Austeritätspolitik  einen organisierten Widerstand entgegenstellen zu können und, zweitens, das äusserst korrupte politische System Spaniens  mit einer Alternative aufbrechen zu können. Nach dem offensichtlichen Debakel des Syriza-Projektes hält die Führung von Podemos weiterhin unbeirrt  an ihrer unbedingten Solidarität zu Syriza fest, obwohl diese nun zu einer Regierungspartei geworden ist, die vor der Troïka stramm steht. Es scheint, dass die Podemos-Führung mittlerweile, ab dem Bankrott von Syriza im Juli 2015, alle Forderungen nach Schuldenaudit, ganz zu schweigen von Zahlungseinstellungen an die Gläubiger, von sich weist. Ähnlich, wie dies Syriza vor den Parlamentswahlen jeweils getan hat. Wie Podemos jetzt, vor den spanischen Parlamentswahlen vom 20. Dezember 2015.

Die breite Bevölkerung Spaniens, insbesondere die Alten, die Jugend und die Lohnabhängigen ächzen unter den Massnahmen der Austeritätspolitik, die von den Regierungen der PP und der PSOE getreu den Vorgaben der Troïka über die vergangenen sechs Jahre implementiert worden sind. Am 20. Dezember 2015 werden im spanischen Staat Parlamentswahlen abgehalten. Die bereits institutionalisierte Bewegung Podemos versucht dabei, auf dem parlamentarischen Weg den Hoffnungen der Lohnabgängigen Ausdruck zu verleihen.

Angesichts des dramatischen Scheiterns solcher primär elektoralistischer Ansätze, insbesondere in Griechenland, ist die Frage nach deren Richtigkeit und vor allem nach anderen alternativen, emanzipatorischen Lösungsvorschlägen dringend zu beantworten. Syriza, als jüngstes Beispiel solcher Ansätze, hat durch die neoliberale Wende vom Sommer dieses Jahres eine grosse Schuld auf sich geladen, indem erneut der Eindruck erweckt wurde, dass es keine Alternative zu den neoliberalen Angriffen auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse gibt. Damit werden die breiten Bevölkerungsschichten weiter in einen Zustand der Lähmung getrieben. Es ist zu befürchten, dass Podemos eine weitere bittere Erfahrung auf diesem Weg der Perspektivlosigkeit der Arbeiterklasse abgeben wird.

Im nachfolgenden Interview mit Isabel Serra, Aktivistin von Podemos und Anticapitalistas wird u.a. auf diese Problematik eingegangen. [Redaktion maulwuerfe.ch]

———-

Frage: In den deutschen Medien wird berichtet, dass die spanische Wirtschaft einen Aufschwung erfährt. Entspricht dies den Tatsachen und was bedeutet das für die Bevölkerung?

Isabel: Die spanische Regierung hat ein Interesse an diesen Schilderungen und in der Tat enthalten sie auch etwas Wahres, aber viel grundlegend Falsches. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat neue Liquidität geschaffen, die einen leichten Anstieg der Beschäftigung und Investitionen der Unternehmen bewirkt hat. Trotzdem ist davon in Bezug auf die soziale Lage der Bevölkerung nichts zu merken. Der Beschäftigungsanstieg ist temporär und prekär, vor allem wegen der Änderungen im Arbeitsrecht durch die „Reformen“ aus dem Jahre 2012, die die PSOE (die sozialdemokratische Partei) an der Regierung, später auch die Regierung der PP (der konservativ-reaktionären Volkspartei) bewirkt hat. Dieser Beschäftigungsanstieg beschränkt sich im wesentlichen abermals auf … den Bausektor. Im Tourismus sind kaum Auswirkungen vorhanden. Es handelt es sich um das gleiche Modell, das wir in der Immobilienkrise gesehen haben, somit ist kein Wechsel der Wirtschaftspolitik zu sehen. Wir sehen also eine leichte Erholung durch die Politik der EZB, auch vor den anstehenden Parlamentswahlen, aber keinen grundlegenden Wandel.

F: Welche Auswirkungen hatten die jüngsten Ereignisse in Griechenland auf die Situation im Spanischen Staat? Gab und gibt es die Einsicht, dass die griechische und spanische Bevölkerung den gleichen Kampf kämpft?

A: Ich glaube, dass bis vor einem Jahr viele an einen Aufschwung und Ausweg aus der Krise glaubten. Aber seitdem gibt es mehr Sympathie und Mitgefühl für die griechische Bevölkerung, weil dort die gleiche Situation herrscht wie in Spanien. Seit einigen Monaten meint die spanische Bevölkerung aufgrund des Gefühls einer Besserung, sie werde durch die Politik der Troika weniger hart getroffen. Das heisst auch, dass es eine Zustimmung zu PolitikerInnen gibt, die nicht den radikalen Wandel vorschlagen, sondern moderatere Schritte. Es gibt aber schon das Gefühl, dass man zu den Ländern der europäischen Peripherie in Bezug auf die Austeritätspolitik der Troika gehört. Große Rückwirkungen wurden ausgelöst durch die Unterzeichnung des Memorandums durch Tsipras im Juli. Das ist für uns ein Problem in Spanien, weil es das Gefühl verstärkt, es gebe keine Alternative zur Politik der Troika. Weil es so aussieht, als hätte eine linke Regierung in der EU keine Möglichkeit, soziale Reformen durchzusetzen. Somit müssen wir unsere Schlüsse aus den Ereignissen in Griechenland ziehen, weil wir auch in Spanien die Macht der EU-Institutionen sehen können und sehen, dass wir in einem solchen Falle eine machtvollere Bewegung und eine besser organisierte Bevölkerung brauchen, als es in Griechenland der Fall war. Außerdem hätte man in dieser Situation im Juli in Griechenland einen Plan B benötigt.

F: Gab es eine Solidaritätsbewegung bzw. -aktionen mit Griechenland, sichtbare wie Initiativen, Demonstrationen, Kongresse etc.

A: Das ist etwas komplizierter. Seitdem Podemos sich gründete, gab es wichtige Verbindungen zu Syriza. Auch in der Presse wurden Vergleiche angestellt, nach dem Motto „Podemos ist wie Syriza“ – radikal links und populistisch; und was in Griechenland passiert, kann auch in Spanien passieren. Aber diese Verbindungen sind in den letzten Monaten nicht stark genutzt worden, auch weil ein großer Teil von Podemos (vor allem aus der Führung) denkt: Syriza hat ihre Probleme in Griechenland, wir hier in Spanien haben andere politische Situation, eine andere Ökonomie. Ich denke aber, dass wir in vieler Hinsicht in der Linken eine Debatte starten müssen, um unsere Lage neu zu überdenken. Es hat nur wenige, kleine Demos im Juli gegeben. Zum Beispiel haben in Madrid nur etwa 500 Menschen an einer Demo teilgenommen. In Bezug auf die griechischen Wahlen sind Teile von Podemos auf die Volkseinheit (LAE) orientiert gewesen, aber viele, vor allem in der Führungsgruppe, haben sich an die Seite von Tsipras gestellt. Die Führungsgruppe zieht es vor, zu den Problemen zu schweigen.

F: Wie ist die Zustimmung von Tsipras zum dritten Memorandum in Podemos und in der spanischen Linken allgemein diskutiert worden?

A: Die Debatte geht darum, ob es eine Alternative zur Zustimmung zum Memorandum gegeben hat oder nicht. Zum Teil wurde die Debatte moralisierend geführt: Ist Tsipras ein Verräter? Ich meine, es geht darum, was eine linke Regierung in dieser EU heute allein machen kann. Letztlich lief die Debatte darauf hinaus, ob man für oder gegen einen Ausstieg aus dem Euro ist. Wir denken, es geht nicht in erster Linie pro oder contra Euro, sondern eher darum: Austeritätspolitik – ja oder nein. Wir müssen uns auch klarmachen, was ein Ausstieg aus dem Euro bedeuten würde. Daher muss man sich einen Plan B überlegen, der auch die entsprechenden Risiken abschätzt.

F: In den letzten Monaten war im Zusammenhang mit Spanien viel von Podemos die Rede. Wie sieht es aber bei den sozialen Kämpfen aus? Gibt es sie noch oder sind sie zum Erliegen gekommen?

In 2015 hat es einige Mobilisierungen gegeben, beispielsweise von den Menschen im Erziehungssektor, dem Gesundheitsbereich etc., aber insgesamt hat es eine Verschiebung weg von den sozialen Kämpfen hin zu den Wahlkämpfen gegeben, die in den Kommunen anstanden. Dort engagierten sich viele Leute in Basislisten und andere in Podemos mit Blick auf die Regionalwahlen und die [für Jahresende] anstehenden Parlamentswahlen. Das sind die entscheidenden Gründe dafür, dass es zurzeit so wenige Aktionen gibt.

Die Beschäftigten von Vodafone sind im Streik und bekommen etwas Unterstützung von einigen Leuten. Auch die Entlassenen von Movistar bekommen von Menschen aus der Bewegung Unterstützung durch Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem von denen, die jetzt in parlamentarischen Gremien sind. Eine neue soziale Bewegung sind die „Euromarchas“ [neue europäische Märsche gegen Austerität etc., die am 15. Oktober in Brüssel angekommen sind], die sind aber noch nicht sehr stark entwickelt. Sie müssen sich aufbauen und eine Perspektive entwickeln. Ähnliches gilt auch für die Unterstützung der Flüchtlinge, da gibt es eine geringe Mobilisierung, eher kleinere Aktionen.

Die „Plataforma de Afectados por la Hipoteca“ [PAH, wörtlich: Plattform von Hypotheken-Betroffenen, unterstützt vorwiegend von Zwangsversteigerung bedrohte Betroffene der Krise, die ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können und denen Zwangsräumungen bevorstehen] existiert in fast allen Teilen von Spanien, da organisieren sich verschiedene Organisationen mit unterschiedlichen Perspektiven. Es gibt zurzeit weniger Räumungen, aber diejenigen, die noch stattfinden, werden im konkreten Fall von weniger Leuten direkt unterstützt. Das liegt auch daran, dass sich die offiziellen Verantwortlichen dieser Probleme annehmen. Beispielsweise bezieht der neu Alcalde (Bürgermeister) von Cádiz [José María González Santos, genannt Kichi] Stellung gegen die Räumung, indem er sich vor die Polizei stellt, wenn die anrückt. Das verändert natürlich auch die mediale Wahrnehmung der Räumungen. Das Interesse der Menschen wird dadurch auf die [parlamentarischen] Institutionen gelenkt. Das ist ein widersprüchliches Phänomen: Die Hilfe durch die Institutionen ist einerseits positiv für die Betroffenen, lässt aber auch die Notwendigkeit der eigenen Aktivitäten als weniger wichtig erscheinen.

Das Gespräch ist am Samstag, den 3. Oktober 2015, in Köln geführt worden. Die Fragen stellte Paul Michel. Quelle: sozialismus.ch vom 27. Oktober 2015

 

Tags: , ,