Feminismus, Intersektionalität und Klassenkampf
Lutte de classe. Der Erfolg der Demonstrationen vom 8. März 2021 – nach denen vom November 2020 – gegen Gewalt gegen Frauen zeigt, dass sich ein Teil der Jugend mobilisiert, um ihren Widerstand gegen die fortbestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern und gegen die Gewalt, der Frauen in der heutigen Gesellschaft ausgesetzt sind, zum Ausdruck zu bringen. In diesem Kontext der relativen Erneuerung der feministischen Bewegungen hat sich in Frankreich in den letzten Jahren der Begriff der Intersektionalität etabliert; dabei werden Gruppen von Menschen anhand des Zusammentreffens von Diskriminierungen definiert, denen sie gleichzeitig ausgesetzt sind (Sexismus, Rassismus…). Dies scheint vielen jungen Menschen, die sich gegen die Unterdrückung von Frauen auflehnen, neue Perspektiven zu bieten. Viele sehen darin eine Möglichkeit, sich für einen radikalen Feminismus zu engagieren, sich sowohl als Antirassistinnen als auch als Feministinnen zu definieren; einige wollen damit sogar das kapitalistische System in Frage stellen.
Manchmal möchte man sich als Feministin bezeichnen und sich gleichzeitig gegen politische Strömungen stellen, die sich nur dann in den Feminismus hüllen, wenn es ihnen passt – insbesondere die extreme Rechte, die zwar gegen alle feministischen Kämpfe in Frankreich war, aber versucht hat, den zum Konsens gewordenen Begriff Feminismus wiederzugewinnen und zu vereinnahmen, um umso mehr Einwanderer, vor allem Muslime, anzugreifen. Es ist zweifellos auch eine Reaktion auf die Lektionen in «republikanischem Feminismus» von Politikern wie Marlène Schiappa oder Frédérique Vidal, der Ministerin für Hochschulbildung, die kürzlich den «Islamogauchismus, Postkolonialismus, Intersektionalität» geisselte, die angeblich an den Universitäten herrschen. In der Regierung äussert sich dieser berühmte republikanische Feminismus allenfalls in Umfragen, in denen festgestellt wird, dass die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern nur geringfügig abnehmen, dass Frauen immer noch niedrigere Löhne als Männer haben und dass sie immer noch häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Auf diese Umfragen folgen moralische Lektionen für Männer, die lernen sollen, sich besser zu verhalten. Unterdessen übt die Regierung nicht nur keinerlei Druck aus, um den Unternehmern die tatsächliche Lohngleichheit vorzuschreiben, sondern tut nicht einmal das, was unmittelbar davon abhängt, z. B. ausreichende Mittel für die Aufnahme von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, bereitzustellen. Und ganz allgemein trägt ihre gesamte arbeiterfeindliche Politik dazu bei, die Situation der Frauen am Arbeitsplatz zu verschlechtern.
Andererseits konzentrieren sich einige der aktuellen feministischen Bewegungen auf Probleme, die vor allem das Kleinbürgertum und die sogenannten Mittelschichten betreffen, und fordern eine grössere Sichtbarkeit von Frauen in den Medien, einen besseren Zugang zu den Grandes Écoles [renommierte Hochschulen] und zu Führungspositionen in Unternehmen. Selbst Aufrufe zur «Befreiung des Wortes», die sexuelle Übergriffe und sexistisches Verhalten anprangern, beispielsweise durch die #MeToo-Bewegung, haben für eine Frau, die über ein gewisses Mass an finanzieller Unabhängigkeit verfügt, nicht die gleiche Wirkung wie für eine Arbeiterin, die mit sexueller Belästigung durch ihren Chef konfrontiert ist, aber nicht auf ihren Lohn verzichten kann.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich junge Menschen zu Bewegungen hingezogen fühlen, die den Anspruch erheben, radikaler zu sein. Der Aufstand gegen das Fortbestehen vielfältiger Formen der Unterdrückung in der bürgerlichen Gesellschaft, wie Rassismus und Sexismus, ist legitim. Doch Aktivistinnen, die sich als intersektional bezeichnen, bringen nicht nur diese Revolte zum Ausdruck: Ihre politischen Positionen zeigen, dass sie die Fähigkeit der Arbeiterklasse in Frage stellen, alle Unterdrückungen zu beenden, sowohl sexistische als auch rassistische. Sie versuchen nicht, die breite Masse der arbeitenden Frauen und Männer anzusprechen, die als einzige gesellschaftliche Kraft in der Lage ist, das kapitalistische System zu stürzen, das diese Unterdrückungen hervorbringt und anheizt.
Intersektionalität, ein neuer Begriff für eine alte Tatsache
Der Begriff Intersektionalität wurde 1989 von der schwarzen amerikanischen Anwältin und Aktivistin Kimberley Crenshaw geprägt, um das Versagen sowohl der feministischen als auch der antirassistischen Bewegung bei der Berücksichtigung der Situation schwarzer Frauen anzuprangern: Sie kritisierte die feministische Bewegung dafür, dass sie sich nicht mit rassistischen Fragen befasst, die für schwarze Frauen von grundlegender Bedeutung sind, und die antirassistische Bewegung dafür, dass sie die geschlechtsspezifische Unterdrückung nicht berücksichtigt, die im täglichen Leben schwarzer Frauen ebenso wichtig ist wie der Rassismus. Die Feststellung, dass Unterdrückungen kumulativ sind und dass eine schwarze Arbeiterin gleichzeitig mit Ausbeutung, Rassismus und Sexismus konfrontiert ist, war nicht neu, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Trennung dieser Kämpfe in Sackgassen führt.
Die amerikanische Aktivistin Angela Davis veranschaulicht dies am Beispiel des Frauenwahlrechts, das in den Vereinigten Staaten 1920 nach jahrzehntelangem Kampf der Frauen erlangt wurde, jedoch nur weissen Frauen zugestanden wurde, da schwarze Männer und Frauen bis 1965 ausgeschlossen waren. In den Fussstapfen von Kimberley Crenshaw und Angela Davis definieren die so genannten Black-Feminist-Aktivistinnen ihren Kampf als antirassistisch und antipatriarchalisch und manchmal auch als antikapitalistisch. Aber obwohl sie behaupten, dass all diese Kämpfe miteinander verbunden sind, wenden sie sich nicht an die Arbeiterklasse als Klasse.
Dies ist auch in Frankreich bei Aktivistinnen der Fall, die einen intersektionellen Ansatz vertreten. Françoise Vergès, die der Kommunistischen Partei der Insel La Réunion nahesteht, verteidigt beispielsweise einen «dekolonialen Feminismus», der ihrer Meinung nach darauf abzielt, «Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus zu zerschlagen». Aber sie geht nie auf die Arbeiterklasse ein, und wenn sie über die Ausbeutung schwarzer Frauen im Haushaltssektor in Frankreich spricht, dann nur, um sie mit dem Komfort weisser Frauen aus der Mittelschicht zu kontrastieren[1]. Rokhaya Diallo, eine Journalistin und Akademikerin, bezeichnet sich selbst als «intersektionale und dekoloniale Feministin» und sagt, dass «Antirassismus nur antikapitalistisch sein kann», aber sie stellt keine Verbindung zwischen Antikapitalismus und Klassenkampf her und verortet ihren Kampf nicht unter dem Gesichtspunkt der Arbeiterbewegung. Die Idee, dass es eine «Konvergenz der Kämpfe» zwischen Geschlecht, Klasse und Rasse geben sollte, taucht in Teilen der extremen Linken auf, manchmal in der Form, dass sie die Verbindung zwischen Patriarchat und Kapitalismus anprangert, aber was das konkret in Bezug auf politische Perspektiven bedeutet, bleibt bestenfalls sehr unklar. So fordert die Autorin in einem kürzlich auf der NPA-Website veröffentlichten Artikel, der nicht den Anschein erwecken will, gegen eine Idee zu sein, die in den Mittelschichten in Mode ist, die Versöhnung von Marxismus und Intersektionalität, ohne jedoch zu sagen, wie das geschehen soll[2].
In der Tat reduziert sich die intersektionale Position, ausgehend von einer scheinbar radikalen Anprangerung des Gewichts von Rassismus und Sexismus, insbesondere wenn sie kumulativ sind, sehr oft auf die Feststellung, dass Frauen keine homogene soziale Gruppe bilden (was keine neue Entdeckung ist), dass weisse Frauen aus wohlhabenden Verhältnissen in den Medien und sogar in den feministischen Bewegungen st auftauchen als andere und dass den so genannten rassifizierten Frauen, d. h. denjenigen, die Opfer von Rassismus sind, mehr Raum und Sichtbarkeit gegeben werden muss; In dieser Kategorisierung fehlen gerade auch die Frauen der weissen Arbeiterklasse[3].
Ausserdem geht das Konzept der Intersektionalität weit über die Kreise hinaus, die sich selbst als Protestierende verstehen. In akademischen Kreisen wird es in der Diskriminierungsforschung verwendet[4]. Eine Vereinigung namens Gloria bietet sogar Schulungen zum Thema Intersektionalität in Unternehmen an, nachdem Gleichstellungschartas und andere Gimmicks es den Chefs ermöglichen, sich einen feministischen Anstrich zu verleihen. Dieser Gedanke kann daher von sehr unterschiedlichen Strömungen aufgegriffen werden, was nicht verwunderlich ist: Die Feststellung, dass die in der kapitalistischen Gesellschaft bestehenden Unterdrückungen vielfältig sind und sich gegenseitig aufaddieren, ist nicht revolutionär. Die Frage ist, wie man sie bekämpfen kann.
Hinter allen Unterdrückungen steht die Spaltung der Gesellschaft in Klassen
Und um die Unterdrückung zu bekämpfen, müssen wir sie erst einmal verstehen. Kimberley Crenshaws Bild von der Überschneidung ist mehrdeutig: Sie deutet an, dass jede Unterdrückung eine Strasse ist und dass eine schwarze Arbeiterin an der Kreuzung von drei Strassen steht, der des Rassismus, der männlichen Herrschaft und der kapitalistischen Ausbeutung. Sie sagt aber nicht, ob diese Strassen alle breit sind oder woher sie kommen. Sie legt daher nahe, dass die Unterteilung in Geschlecht und Rasse mit der Unterteilung der Gesellschaft in Klassen gleichzusetzen ist, in dem Sinne, dass sie ebenfalls strukturell ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nicht Männer oder Weisse beherrschen die Welt, sondern die Bourgeoisie. Die Tatsache, dass die Bourgeoisie überwiegend weiss und männlich ist, bedeutet nicht, dass weisse Männer aus der Arbeiterklasse für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verantwortlich sind, und es bedeutet auch nicht, dass die Anwesenheit einer Frau wie Margaret Thatcher oder eines Schwarzen wie Barack Obama an der Spitze des Staates die Art der politischen und sozialen Herrschaft verändert.
Natürlich hat die Bourgeoisie die Unterdrückung der Frau nicht erfunden. Aber im Laufe seiner Geschichte hat der Kapitalismus alle Ungleichheiten genutzt, verschärft und vertieft, soweit sie es ihm ermöglichten, die Lebensbedingungen der gesamten Arbeiterklasse zu verschlechtern: unterbezahlte Arbeit für Frauen, aber auch für Kinder oder eingewanderte Arbeiter und Arbeiterinnen. Es liegt nicht daran, dass der Kapitalismus per se sexistisch oder rassistisch ist, dass die Chefs und Chefinnen Frauen oder Einwanderer unterbezahlen: Es liegt daran, dass die kapitalistische Ausbeutung darauf beruht, dass die Lohnabhängigen einander konkurrieren, und dass sie zwangsläufig alle Elemente hervorruft, die diesen Wettbewerb verschärfen können. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass das Ziel dieses Wettbewerbs darin besteht, die gesamte Arbeiterklasse auszubeuten. All diese Diskriminierungen belasten also nicht nur diejenigen, die sie direkt erleiden, sondern die gesamte Arbeiterklasse.
Diese wirtschaftlichen Diskriminierungen haben Folgen, die weit über die Frage der Ungleichheiten in der Arbeitswelt hinausgehen. Wie uns die Gesundheitskrise vor Augen geführt hat, sind Frauen im Gesundheitswesen, im Handel und im Reinigungsgewerbe in der Mehrzahl und in den so genannten Frontberufen überrepräsentiert. Allerdings sind mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt oder leben von Aufträgen und Kurzzeitverträgen und sind daher von der Explosion der Arbeitslosigkeit und dem Rückgang der Einkommen besonders stark betroffen. Darüber hinaus werden die Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung nach wie vor stark von den Frauen wahrgenommen, und diese Aufgaben wurden durch die Gesundheitsmassnahmen, insbesondere durch die Schliessung von Schulen, noch weiter erschwert. Auch die Zeiten des Freiheitsentzugs während der Pandemie verschlimmerten die häusliche Gewalt, was leider nicht überraschend ist. Die bürgerliche Gesellschaft, die auf Ausbeutungsverhältnissen beruht, bringt eine Vielzahl von Vorurteilen mit sich, die auch zu gewalttätigem und herrschsüchtigem Verhalten im gesamten gesellschaftlichen Leben, sogar im privaten Bereich, führen. Die Unterdrückung der Frauen ist Ausdruck einer Gesellschaft, deren wichtigste Werte Macht und Individualismus sind. Sie betrifft alle Frauen, auch die nicht am stärksten ausgebeuteten, aber sie kann nicht losgelöst von der Existenz von den Ausbeutungsverhältnissen, also von der Herrschaft der Bourgeoisie, verstanden werden.
Die Verwendung des Begriffs der Intersektionalität zur Beschreibung der vielfältigen Formen der Frauenunterdrückung verweist also auf eine Realität: Eine Frau aus der Arbeiterklasse zu sein, mit einem niedrigen Gehalt und Rassismus konfrontiert, verschärft alle anderen Probleme, denn die Freiheit, sein Leben zu wählen, einen missbrauchenden Ehemann zu verlassen, ist sehr begrenzt, wenn man nicht über die Runden kommt. Aber die Frauen der Arbeiterklasse wissen das und haben es immer gelebt. Warum also ein neues Konzept einführen, wenn nicht, um entsprechende politische Schlussfolgerungen zu ziehen? In Wirklichkeit führt der intersektionale Ansatz zu Positionen, die weit von einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft und sogar von den unmittelbaren Interessen der arbeitenden Frauen und Männer entfernt sind.
Reaktionäre Positionen
Obwohl intersektionelle Feministinnen, die gemeinsam Rassismus und Sexismus anprangern, behaupten, sich um Frauen aus der Arbeiterklasse zu kümmern, sprechen sie nie über sie als Arbeiterinnen, und die von ihnen vorgeschlagenen Perspektiven führen dazu, dass sie in oft reaktionäre Kämpfe verwickelt werden.
Wenn beispielsweise Frauen mit Migrationshintergrund in erster Linie als «rassifizierte Frauen» und nicht als Arbeiterinnen betrachtet werden, verteidigen einige Aktivistinnen den islamischen Schleier. Da der Schleier häufiger von Frauen getragen wird, die sie als «nicht-weiss» bezeichnen, ist es rassistisch, den Schleier als Symbol für die Minderwertigkeit der Frau zu betrachten. Feministinnen, die sich dagegen wehren, werden so auf die Seite eines neokolonialen weissen Feminismus gestellt. Das bedeutet, dass die Kämpfe der Frauen aus muslimischen Familien gegen das Tragen des Schleiers in Frankreich und anderswo in der Welt, vom Iran bis Saudi-Arabien, vergessen werden.
Die Weigerung, in sozialen Klassen zu argumentieren, führt zu Irrwegen, wie der These eines männlichen Privilegs oder eines Patriarchats, das unabhängig von sozialen Klassen ist, was dazu führt, dass Männer insgesamt angeprangert werden und nicht diejenigen, die für die Ausbeutung verantwortlich sind und davon profitieren. Im Bereich des antirassistischen Kampfes ist das Äquivalent das weisse Privileg, das weit verbreitete rassistische Vorurteile in der Bevölkerung mit dem systemischen Rassismus der kapitalistischen Gesellschaft gleichsetzt[6]. Die kämpferische Konsequenz kann nur darin bestehen, einen Arbeiter mit Macho- oder rassistischen Vorurteilen als Gegner zu behandeln und nicht dafür zu kämpfen, dass er ein Waffenbruder wird.
Eine weitere Position, die sich aus diesem intersektionellen Ansatz ableitet, behauptet, alle Frauen in die Kämpfe einzubeziehen: Frauen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen, legitimieren die Prostitution, die in «Sexarbeit» umbenannt wurde, und gingen sogar so weit, Aktivistinnen anzugreifen, die diese bei der letzten Demonstration am 8. März in Paris anprangerten. Als ob man nicht gleichzeitig solidarisch mit den Prostituierten und gegen die Prostitution sein könnte, die nichts anderes ist als der Verkauf des Körpers der Frauen!
Diese Beispiele von Positionen zeigen, dass es nicht ausreicht, Unterdrückungen anzuprangern, um sich die Mittel zu geben, sie zu bekämpfen, und dass es nicht ausreicht, sich als radikal oder systemfeindlich zu bezeichnen, um es zu sein. Wenn der intersektionelle Ansatz darin besteht, zu sagen, dass alle Kämpfe gleich sind und dass das Recht, den Schleier in der Schule zu tragen, ebenso ein feministisches Ziel ist wie der Kampf für gleiche Bezahlung oder das Recht auf Abtreibung, führt er in Wirklichkeit zu kommunitaristischen und reaktionären Positionen, die zur Spaltung der Arbeiterinnen – und der Männer mit ihnen – beitragen.
Feminismus und Klassenbewusstsein
Das Problem ist: Wollen wir die Spaltungen, die es in der Gesellschaft und in der Arbeiterklasse gibt, aufgreifen oder wollen wir sie bekämpfen? Der intersektionale Ansatz beharrt auf der Trennung. Im Gegenteil, für Marxisten und Marxistinnen besteht die einzige Möglichkeit, gegen die Unterdrückung der Frauen zu kämpfen, im Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und die bürgerliche Gesellschaftsordnung, die diese Unterdrückung aufrechterhält, und daher im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse, damit sich die Arbeiter ihrer Klassenidentität jenseits von Unterschieden des Geschlechts, der Nationalität oder der Religion bewusst sind.
Damit soll nicht die Vielfalt der Hintergründe und Überzeugungen in der Arbeiterklasse geleugnet werden. Aber die Lohnabhängigen sind eine Klasse mit gemeinsamen Interessen, und sie müssen sich dessen bewusst sein, um ihre Kämpfe führen zu können. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die davon überzeugt sind, dass die kapitalistische Gesellschaft gestürzt werden muss und dass die Arbeiterklasse über die Mittel dazu verfügt, für dieses Klassenbewusstsein zu kämpfen, weil die Spaltung in Klassen für die Strukturierung der Gesellschaft grundlegend ist und weil das Proletariat den Kapitalismus nur stürzen kann, wenn es sich als Klasse organisiert. Es ist eine Falle, Spaltungen aufzugreifen und einzufrieren, die zur Verschärfung der Ausbeutung aller beitragen.
Die revolutionäre Arbeiterbewegung hat es in ihrer Geschichte immer geschafft, diese Falle zu umgehen. Louise Michel schrieb: «Das starke Geschlecht ist ebenso ein Sklave wie das schwache, und es kann nicht geben, was es nicht selbst hat; alle Ungleichheiten werden mit einem Mal fallen, wenn Männer und Frauen sich dem entscheidenden Kampf stellen.»[7] In der sozialistischen Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts verknüpften Aktivistinnen wie Clara Zetkin den feministischen Kampf mit der sozialistischen Perspektive, indem sie beispielsweise einen internationalen Kampftag für die Rechte der Frauen ins Leben riefen, der noch heute jeden 8. März begangen wird. Das heisst nicht, dass es damals keine Vorurteile in der Arbeiterklasse gab, auch keine sozialistischen, aber diese Aktivistinnen bekämpften sie im Namen des Klassenbewusstseins.
Sie stellten sich gegen die Suffragetten, die für ein Wahlrecht für bürgerliche Frauen eintraten, während sie andere soziale und politische Kämpfe ablehnten, um allein dem feministischen Kampf Vorrang zu geben. Zur Frage der Erlangung des Frauenwahlrechts schrieb Rosa Luxemburg 1912: «Das Frauenwahlrecht ist das Ziel. Aber die Massenbewegung, die dies erreichen kann, ist nicht nur Sache der Frauen, sondern ein gemeinsames Klassenanliegen der Frauen und Männer des Proletariats. Der gegenwärtige Mangel an Frauenrechten in Deutschland ist nur ein Glied in einer Kette, die das Leben der Menschen behindert […]. Das Frauenwahlrecht ist für den gegenwärtigen kapitalistischen Staat ein Schrecken und ein Gräuel, denn dahinter stehen Millionen von Frauen, die den Feind von innen, d.h. die revolutionäre Sozialdemokratie, stärken würden. Wenn es nur um die Stimme der bürgerlichen Frauen ginge, könnte der kapitalistische Staat nichts anderes als eine wirksame Unterstützung der Reaktion erwarten. Viele dieser bürgerlichen Frauen, die sich wie Löwinnen im Kampf gegen «männliche Vorrechte» aufführen, würden wie folgsame Schafe im Lager der konservativen und klerikalen Reaktion wandeln, wenn sie das Wahlrecht hätten. In der Tat wären sie sicherlich viel reaktionärer als die männliche Fraktion ihrer Klasse […]. Der laufende Massenkampf für die politischen Rechte der Frauen ist nur eine der Ausdrucksformen und ein Teil des allgemeinen Kampfes des Proletariats für seine Befreiung. Darin liegt ihre Stärke und ihre Zukunft […]. Indem wir für das Frauenwahlrecht kämpfen, werden wir auch die Stunde näher rücken, in der die gegenwärtige Gesellschaft unter den Hammerschlägen des revolutionären Proletariats in Trümmer fallen wird»[8].
Die Kommunistische Partei behauptete in ihren Anfängen auch, dass der Kampf für die Emanzipation der Frauen ein integraler Bestandteil des revolutionären Kampfes sei, sie organisierte Frauenstreiks und stellte sogar Frauen bei Wahlen auf, als diese noch nicht einmal das Wahlrecht hatten. Die Stalinisierung der kommunistischen Bewegung führte ab den 1930er Jahren zu einer Rückkehr zu konservativen Ideen, insbesondere zur Familie. Ausserdem betonte Trotzki im Übergangsprogramm, dass die stalinistischen und reformistischen Arbeiterorganisationen nur an den oberen Schichten des Proletariats interessiert seien. Dieses Programm richtete sich im Gegenteil an die Arbeiter, die Jugend und die Frauen: Nachdem es daran erinnert hatte, dass «die Epoche des Kapitalismus in seinem Verfall den Frauen, sowohl als Arbeiterinnen als auch als Hausfrauen, die schwersten Schläge versetzt», schloss es mit einem Aufruf an die Arbeiter: «Arbeiter aller Länder, versammelt euch unter der Fahne der Vierten Internationale!»
Es ist diese feministische Tradition, die wiederbelebt werden muss, die sich nicht der Illusion hingibt, dass Frauen oder Männer sich von der Unterdrückung befreien können, ohne der Herrschaft der Bourgeoisie und ihren Ungleichheiten, der Gewalt und den Vorurteilen ein Ende zu setzen.
Gegen alle Unterdrückung, der revolutionäre kommunistische Kampf
Die Frauen, die sich auflehnen, treffen auf denselben Staat, der die Macht der Kapitalisten über die gesamte Gesellschaft verteidigt. Um nur mal von Frankreich zu reden, es ist ein Staat, der in der Lage ist, eine monatelange Ausgangssperre über die gesamte Bevölkerung zu verhängen, aber nicht die Lohngleichheit gegen die Bosse durchzusetzen; ein Staat, der eine Polizei einsetzt, die von rassistischen und sexistischen Vorurteilen durchsetzt ist, weil ihre Hauptaufgabe darin besteht, die Ordnung der herrschenden Gesellschaftsschicht zu verteidigen. Den Kampf für die Emanzipation der Frauen bis zum Ende zu führen, bedeutet also, bereit zu sein, die gesamte Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen, vor allem die kapitalistische Ausbeutung, die die Grundlage aller sozialen Beziehungen ist. Und nur die Arbeiterklasse kann dies tun.
Solange die Bosse das Recht haben zu entscheiden, wer arbeitet, für welchen Lohn, zu welchen Zeiten, an welchen Orten, und solange das Leben der Arbeiter vom Diktat dieser Bosse abhängt, werden dieselben Bosse die Mittel haben, das Überleben bestimmter Kategorien des Proletariats zu spalten und zu erpressen: Frauen, Immigranten, Jugendliche… Und solange diese Spaltungen bestehen bleiben, werden sie zu einer Vielzahl von Formen der Unterdrückung führen, auch im Bereich der Familie.
Zu sagen, dass der feministische Kampf nur durch die Umgestaltung der gesamten Gesellschaft erfolgreich sein kann, bedeutet daher weder, die Bedeutung dieses Kampfes herunterzuspielen, noch ihn auf morgen zu verschieben, genauso wenig wie zu sagen, dass partielle ökonomische Kämpfe keine dauerhafte Perspektive bieten können und partielle Streiks verhindern. Revolutionäre müssen alle Kämpfe führen, aber auf eine Art und Weise, die das Klassenbewusstsein und die Organisierung der Arbeiter vorantreibt, und immer mit der Erklärung, dass eine auf Ausbeutung basierende Gesellschaft nicht gleichzeitig brüderlich und egalitär sein kann. Für einen männlichen Lohnabhängigen ist der Kampf gegen die niedrigeren Löhne der Frauen von entscheidender Bedeutung, da diese Löhne als Vorwand für die Senkung der Löhne aller anderen verwendet werden können. Es ist auch wichtig, dass er sich gegen die Belästigung weiblicher Lohnabhängiger durch Vorgesetzte einsetzt: Der kleinliche Vorgesetzte, der es sich erlaubt, eine weibliche Angestellte zu belästigen, ist derselbe, der seinen männlichen Kollegen wegen einer Lappalie bestraft. Der Kampf gegen Machogehabe und rassistisches Verhalten in der Arbeiterklasse bringt den Kampf um Bewusstsein voran, stärkt unser Lager und ist Teil des täglichen Kampfes für die Einheit der Arbeiterklasse.
Wenn sich also junge Menschen gegen diese Gesellschaft auflehnen, weil sie sehen, dass sie nicht in der Lage ist, die Rechte der Frauen voranzubringen oder den Rassismus zurückzudrängen, ist das natürlich eine gute Sache; aber die einzige Perspektive, die es ihnen ermöglicht, diese Kämpfe wirklich zu führen, ist die Hinwendung zu kommunistischen Ideen und zur Arbeiterklasse, die als einzige die Grundlagen für eine wirklich egalitäre Gesellschaft legen kann, indem sie der kapitalistischen Ausbeutung ein Ende setzt.
Fussnoten
[1] Un féminisme décolonial, La Fabrique, 2019.
[2] https://nouveaupartianticapitaliste.org/actualite/strategie/lintersectionnalite-est-elle-soluble-dans-le-marxisme (29 avril 2021).
[3] Siehe als Beispiel die feministische Webseite lespotiches.com: «Das Ziel besteht in der Entwicklung eines Feminismus, der nicht nur den Interessen der weissen Frauen, der cis-Geschlechtlichen und der Heterosexuellen dient, die den Mittel- oder Oberschichten angehören.» Dabei werden als Beispiele der Unterdrückung « schwarze Frauen, die gleichzeitig dem Rassismus und dem Sexismus ausgesetzt sind, Muslima, die gleichzeitig dem Sexismus und der Islamophobie und oft auch dem Rassismus ausgesetzt sind oder dann Transgender-Frauen, die eine Mischung von Transphopie und Sexismus erleiden».
[4] Siehe als Beispiel die Einführung zum Buch Le genre du capital de Céline Bessière et Sibylle Gollac, das 2020 veröffentlicht wurde : «Unsere Arbeit versteht sich als Teil einer intersektionalen Perspektive unter der sich gleichberechtigt verschiedene Unterdrückungsformen verbinden.»
[6] So ruft Rokhaya Diallo auf, «auf das weisse Privileg zu verzichten» indem sie schreibt: «Wenn die Minderheiten unterdrückt werden, so ziehen die Mehrheiten aus deren Unterdrückung einen Vorteil: wenn einer Araberin oder einer Schwarzen aufgrund ihrer Hautfarbe eine Wohnung verweigert wird, so wird sie ein Weisser bekommen, und dies ungeachtet seines antirassistischen Engagements. Auf ungebührliche Prvilegien verzichten wäre ein grosser Schritt in Richtung Gleichheit.» ( http://www.slate.fr/story/146466/non-mixite-rokhaya-diallo). Als ob die Tatsache eines Verzichts auf eine Wohnung irgendetwas an der Grundtatsache ändern würde : der Mangel an verügbaren Wohnungen !
[7] Louise Michel, Mémoires, chapitre XII, p. 136. ( https://fr.wikisource.org/wiki/Mémoires_de_Louise_Michel).
[8] R. Luxemburg, «Frauenwahlrecht und Klassenkampf», Mai 1912.
#Bild: Oprah Winfrey ist eine US-amerikanische schwarze Frau deren Vermögen auf über 2.5 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Sie machte 2013 eine einfache Verkäuferin in einem Luxusladen in Zürich 2013 in der sogenannten «Täschligate» – Affäre zur Schnecke. Wem nützt hier die Intersektionalität? [Redaktion maulwuerfe.ch]. Bildquelle: Wikipedia
Quelle: mensuel.lutte-ouvriere.org… vom 9. September 2021; Übersetzung durch die Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Feminismus, Frankreich, Neoliberalismus, Postmodernismus, Strategie
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