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Nato gegen Nato

Eingereicht on 20. Januar 2022 – 18:11

Wassilis Aswestopoulos. Griechenland bereitet neuem Kriegsgerät einen Staatsempfang. Aufrüstung wird zum Event. Tatsächlich ist sie Ausdruck einer Krise an der Südostflanke des Bündnisses.

So einen Empfang hat eine Waffenlieferung selten erhalten: Am Mittwoch hoben nahe der griechischen Hauptstadt Athen Mirage-Jäger ab, um beim Eintritt in den griechischen Luftraum den neuen Stolz der Luftwaffe zu empfangen und zum Fliegerhorst Tanagra in Böotien zu geleiten: sechs Rafale-Kampfjets aus französischer Produktion.

In Tanagra wartete ein Empfangskomitee mit Premierminister Kyriakos Mitsotakis an der Spitze, weiteren Regierungsvertretern, dem französischen Botschafter, der Führung der Luftwaffe und einer Ehrengarde.

Es gab einen Staatsempfang und nach der Segnung der Flugzeuge durch Geistliche hielt der Premier eine Rede zur Feier des Tages. Es sprachen auch der Botschafter, der Verteidigungsminister, der Kommandeur der Luftwaffeneinheit sowie der Vertreter der Herstellerfirma. Es folgte der Segen von Erzbischof Hieronymos II.

Trotz der massiven Infektionswelle mit der Omikron-Variante des Coronavirus und der ansonsten sehr strengen Pandemieregeln im Land standen Offizielle und Pressevertreter dicht gedrängt am Flugfeld.

Nüchtern betrachtet lässt sich das Ereignis so beschreiben: Ein Nato-Staat, Griechenland, rüstet mithilfe eines weiteren Nato-Staates, Frankreich, gegen einen dritten Nato-Staat, die Türkei, auf. Und dies, obwohl Griechenland und die Türkei in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken.

Trotz, oder gerade deswegen, wird von der Regierung in Griechenland eine Show inszeniert. Nicht eingehalten werden konnte die Zeitplanung, die vorsah, dass die neuen Jagdflieger um 12:12 Uhr über die Akropolis fliegen.

Es gab rund drei Minuten Verspätung. Menschen in Büros ließen kurz die Arbeit liegen und eilen ans Fenster, um das Schauspiel am Himmel zu beobachten. Andere kleben förmlich am Fernseher und fotografieren Erinnerungsfotos mit dem Mobiltelefon.

Medien berichteten live von der 114. Luftwaffeneinheit, wo die ersten sechs, der insgesamt vierundzwanzig Rafale-Jagdflugzeuge für das 332. Geschwader aus Frankreich erwartet wurden. Das staatliche Fernsehen ERT unterbrach im Vorfeld immer wieder sein Programm, um über den Stand der Vorbereitungen zu berichten. Es war eine penibel geplante Show.

Regierungspartei nutzt Rüstungskauf politisch

„Willkommen zu Hause“, so ERT in einem Live-Bericht von der Ankunft der Flieger. Die Kommentatorin zeigte sich begeistert über die Glaskuppel der Pilotenkanzel, während die Zuschauerinnen und Zuschauer über technische Details und Einsatzmöglichkeiten aufgeklärt wurden.

Die Kampfflugzeuge werden als Gamechanger beim Säbelrasseln mit der Türkei bezeichnet. Eingefädelt wurde der Kauf über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Vier der sechs Flieger sind gebraucht. Zwei haben Platz für einen Copiloten. Bei der Überführung von Frankreich saßen in den Zweisitzern Fluglehrer der Herstellerfirma Dassault. Die Maschinen werden in Griechenland als Schulflugzeuge eingesetzt.

Die regierende Nea Dimokratia feiert das Ereignis, als würde es die mit rund 350 Millionen Euro hoffnungslos überschuldete Partei selbst bezahlen. Ein mit martialischer Musik unterlegter Videoclip zeigte ein Rafale-Kampfflugzeug, an dem der Aufkleber mit dem griechischen Hoheitszeichen angebracht wird.

Ein erster Pilot mit Hoheitszeichen am Arm kommt ins Bild. Zwei Piloten steigen in den Jet, der abhebt. Am Ende des kurzen Videos erscheint das Logo der Nea Dimokratia. „Sie kommen“, steht auf Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken – zusammen mit der griechischen und französischen Flagge sowie dem Hashtag #Rafale.

Premierminister Mitsotakis setzte unter anderem seinen persönlichen Instagram-Account dafür ein. Die Nea Dimokratia sorgt mit der offiziellen Parteipräsenz auf Twitter für Furore. Die Reaktionen der Griechen sind mit „gemischt“, vorsichtig umschrieben.

Anhänger und Repräsentanten der Regierungspartei feiern stolz „ihren Erfolg“. Aufgebrachte Nutzer kommentieren das Video dagegen mit dem Verweis darauf, was alles im Land fehlt, unter anderem Pflegepersonal und Intensivstationen.

In zahlreichen Schulen im Land ist den Schülerinnen und Schülern im Winter buchstäblich die Decke auf den Kopf gefallen. Für kostenlose PCR-Tests für Covid-Kontaktpersonen, aber auch für Infizierte, fehlt es dem Staat an Geld.

Mitten in der Pandemie wurde wegen Personalmangels die Klassenstärke in den Schulen erhöht. All dies wurde in Kommentaren rund um den Rüstungskauf thematisiert.

Kritik von allen Seiten

Für den Kauf der bis 2025 auszuliefernden 24 Kampfflieger – 14 gebraucht, zehn neu – stimmten im Parlament bis auf die Kommunisten alle Parteien. 3,3 Milliarden Euro sind fällig. Über den Kauf von sechs weiteren Jets wird derzeit verhandelt.

Griechenland ist innerhalb der Nato gemessen am Bruttoinlandsprodukt nach den USA der zweitgrößte Rüstungskäufer.

Die Opposition, allen voran Syriza, stört sich daran, dass die Regierungspartei den Kauf als parteipolitische Leistung ausschlachtet. Eine Kritik, der sich alle Oppositionsparteien anschlossen.

Die Flieger seien vom griechischen Steuerzahler bezahlt und nicht vom Premierminister, der den Kauf als persönliche Leistung auf seinem privaten Instagram-Account ausschlachtet, heißt es.

Kritik bekam die Regierung auch von ungewohnter Seite, über den TV-Sender Skai. Die dortigen Moderatoren und Kommentatoren der morgendlichen Sendung Simera (Heute), werden von Griechen gern das „inoffizielle Pressebüro der Nea Dimokratia“ genannt.

Chefkommentator Aris Portosalte zeigte sich ungewöhnlich kritisch. Der Missbrauch des Rüstungsprogramms für Parteizwecke ist für ihn entweder ein Zeichen geplanter vorgezogener Neuwahlen oder aber ein kapitaler Fehler.

Zudem zitierte Portosalte aus einer Mail, welche er von Professor Panayiotis Carydis erhalten hat. Carydis ist einer der führenden Wissenschaftler für Seismologie, insbesondere erdbebensicheres Bauen im Land.

Der Experte legte in seinem Schreiben dar, warum die Übertretung des eigentlich bestehenden Flugverbots über der Akropolis ein gefährlicher Fehler war. Durch die Erschütterungen des Formationsflugs über dem antiken Weltkulturerbe, so schätzt er, würden die Fugen der Marmorsäulen beschädigt, was die Stabilität des Bauwerks beeinträchtigen könnte.

#Titelbild: Mitsodakis vor Kampfflugzeug. Bild: Prime Minister Office/ Dimitris Papamitsos (Photographer)

Quelle: Telepolis… vom 20. Januar 2022

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