Griechenland: Der dritte nationale Kongress von Antarsya
Tassos Anastassiadis. Der dritte nationale Kongress der griechischen antikapitalistischen Linken, die drei Jahre nach der vorangegangenen durchgeführt wurde, war ein Risiko und eine Herausforderung zugleich. Dies aus Gründen, die sowohl grundsätzlicher, strategischer und organsiatorischer Art waren.
Vorerst zu den Zahlen. Es waren 900 Delegierte anwesend, für jeweils drei Mitglieder einen, was bedeutet, dass Antarsya gegen 3000 Mitglieder zählt. Dies sind nahezu gleichviel wie vor drei Jahren; dabei können mindestens 2000 als wirklich aktive Mitglieder bezeichnet werden.
Diese Zahlen sind wichtig angesichts der Tatsache, dass vergangenen Sommer nach dem Verrat von Syriza in Antarsya eine Spaltung stattfand, in deren Verlauf grosse Teile von zwei Mitgliedorganisationen von Antarsya (Aran und Aras) Antarsya verliessen um mit den von Syriza abgespaltenen Teilen die Volkseinheit (LAE) zu gründen. Somit kann gesagt werden, dass dieser Kongress kurz nach einer Krise und einer Niederlage durchgeführt wurde, insofern, als dass Antarsya die linken Abspaltungen von Syriza nicht an sich binden konnte, und sogar selbst Kräfte verloren hat!
Trotz der Verluste vom vergangenen Sommer zeigen die Zahlen, dass ein substanzieller Teil der Aktivistinnen und Aktivisten aus der Arbeiterbewegung und den sozialen Bewegungen in Antarsya organisiert ist. Dies geht auch aus kürzlich veröffentlichten Meinungsumfragen hervor: Die Volkseinheit mit ihren früheren Ministern und bekannten Führungspersönlichkeiten liegt in der Gunst der Bevölkerung bei etwa 2 Prozent, während Antarsya, deren Führungspersönlichkeiten kaum oder gar nicht bekannt sind, bei etwa 1.5 Prozent liegt. Noch wichtiger jedoch ist, dass der Rahmen für die Diskussion und die Zusammenarbeit dieser Aktivistinnen und Aktivisten weiterhin sehr einvernehmlich und pluralistisch ist, wie dies auch während der Konferenz beobachtet werden konnte!
Die Diskussion war dieses Mal weniger auf programmatische Themen konzentriert (die EU, den Euro, das Übergangsprogramm, usw.), als vielmehr auf “Bündnisfragen”, mit anderen Worten, wie wir in einer Arbeiterklasse intervenieren wollen, die zwar angesichts des kapitalistischen Barbarismus eine veritable Niederlage auf dem “weichen” Weg des Reformismus, aber noch keine vollständige Niederlage eingesteckt hat. Dies wurde beispielsweise durch die grossen Mobilisierungen vom 4. Februar, die mit den Mobilisierungen von 2010 bis 2012 vergleichbar waren und auch mit der praktischen Solidarität für die Flüchtlinge offensichtlich.
Am Kongress gab es lebhafte Debatten zu diesen Fragen, wie auch zu anderen Themen, hauptsächlich etwa zu der organisierten Arbeiterbewegung und zu der Frage, wie wir mit den verschiedenen Kräften umgehen sollen, die sich weiterhin von Syriza (und auch von der KKE) trennen und dann, wie Syriza heute zu charakterisieren sei.
Wenn wir versuchen, jenseits aller Feinheiten der inneren Unterscheidungen, die Hauptlinien der Antworten herauszuschälen, so kann festgestellt werden, dass sich am Kongress drei Blöcke herausgebildet haben.
Eine Antwort formierte sich um die NAR (eine alte Abspaltung von der KNE – die griechische kommunistische Jugend – die grösste revolutionäre Gruppe Griechenlands) und die in Antarsya verbleibende Minderheit von Aran. Dieser Teil gewann schliesslich die überwältigende Mehrheit der Delegierten (über 60 Prozent). Deren Analyse geht von einem relative Rückzug der Arbeiterklasse aus. In der Perspektive sehen sie die Aufgabe in Ansätzen zu einer Wiederbelebung der Arbeiterbewegung mittels Aufrufen und Aktionen. Das Ziel wäre eine strategische Umgehung der Gewerkschaftsbürokratien, die als verräterisch eingestuft werden und von den Massen auch als solche erkannt werden sollen. In dieser Analyse bleibt die Frage von Fronten, auch von politischen Fronten wichtig, gerade mit Strömungen, die von Syriza wegbrechen, die deren Kapitulation zurückweisen, ohne aber klare programmatische Schlussfolgerungen zu ziehen. Dazu gehören etwa die Volkseinheit (LAE), die einfach das Syriza Programm übernommen hat und den notwendigen Bruch mit dem Euro dazugefügt hat (dieser Bruch soll überdies eher verhandelt werden). Es besteht aber weiterhin Unklarheit über die Modalitäten einer Annäherung an diese Strömungen, bis zu den uneingestandenen programmatischen Änderungen; solche werden in dem Masse als notwendig angesehen, insofern diese Strömungen nicht notwendigerweise von einem klaren und konsistenten Antikapitalismus ausgehen!
Eine zweite Antwort wurde um die SEK (der griechischen Strömung der Internaitonal Socialist Tendency) herum formuliert. Sie wird von etwa einem Viertel der Delegierten geteilt und argumentiert mit der Bildung einer Arbeitereinheitsfront, das heisst einer systematischen Hinwendung zu den Gewerkschaftsbürokratien und den Schichten radikalisierter Aktivistinnen und Aktivisten. Diese Antwort, so klassisch sie im Allgemeinen auch sein mag, ist in der gegenwärtigen Lage eher problematisch und gründet auf einer fragwürdigen Analyse seitens der SEK eines kontiniuierlichen und konstanten Anstiegs des Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse. Selbst wenn dies theoretisch nicht mal falsch wäre, so ist es nicht leicht, die Syriza-Regierung als reformistisch einzustufen, wo diese doch einen der brutalsten Angriffe gegen die Arbeiterklasse eingeleitet hat. Zweitens haben die Angriffe der vergangenen fünf Jahre auf die Arbeiterbewegung die Gewerkschaftsbürokratien vollständig diskredidiert, destabilisiert und sogar desorganisiert; letzteres trifft umso mehr noch für die Basis zu. Insofern ist diese Antwort hinsichtlich der Arbeiterorganisationen, die deren Führungen nicht einfach denunzieren möchte, dazu angetan, Illusionen zu säen. Zumindest ist dies die Kritik der Gegner und Gegnerinnen dieser Strömung.
Die dritte Antwort gruppierte sich um die “Initiative für eine revolutionäre Antarsya” um OKDE-Spartakos (griechische Sektion der Vierten Internationale). Sie wurde durch etwa einen Achtel der Delegierten gutgeheissen. Diese Initiative verweigert jedes Anzielen eines politischen Vereinigungsprozesses, abgesehen vom gemeinsamen Auftreten in den Kämpfen und befürwortet die Förderung von antikapitalistischen Lösungen. Es scheint überdies, dass die meisten Aktivistinnen und Aktivisten der “Initiative” (abgesehen der Mitglieder von OKDE-Spartakos) sich hinter diese Position des revolutionären Rückzuges stellen, und zwar als Ergebnis der Erfahrungen der vergangenen drei Jahre, als Antarsya viel Energie verloren hat beim Bemühen, sich allfälligen politischen Bündnissen mit radikalen (und nicht rein-antikapitalistischen Kräften) anzupassen. Dies geschah oft unter dem Druck von pessimistischen Analysen (vor allem von Aran und Aras, aber ebenfalls von einem Teil von NAR), gemäss der die eher passiv abwartende Haltung der Arbeiterklasse, die von den parlamentaristischen Illusionen um Syriza herum angesteckt war, Zwischenstufen im Kampf zur Überwindung des Kapitalismus und sogar der Austeritätspolitik erfordere, gerade im nationalen Rahmen. Die Genossinnen und Genossen der “Initiative” stehen paradoxerweise wiederum der ersten Position nahe, gerade was die Arbeit in den Gewerkschaften betrifft.
Neben der Frage der Bündnisse oder der Annäherungen gab es eine andere Problematik, die den Kongress klar in zwei Blöcke teilte; sie scheint auf den ersten Blick nur organisatorisch zu sein, ist aber von grosser politischer Bedeutung: es ging um die Methode der politischen Entscheidungsfindung und der Wahl der Führung. Zum ersten Punkt: der Prozess der Entscheidungsfindung hat nicht geändert und die verschiedenen Ebenen wichtiger Entscheide, die eine Zweeidrittelsmehrheit erfordern, wird beibehalten, ebenso wie die anderen, für die eine einfache Mehrheit ausreicht und für die die Suche nach einem Konsens eingeleitet wird. In der Methode der Wahl der Führung ergab sich ebenfalls keine Änderung; hingegen führte die Zurückweisung der proportionalen Vertretung durch die Mehrheit der Delegierten ungewollt zu einem Ausschluss der drtten Tendenz aus der Führung. Antarsya versucht jedoch, diese Situation nachträglich zu korrigieren.
Dies ist ein einfaches Beispiel für die Notwendigkeit von demokratischen Prozeduren, jenseits von Formeln. Dies auch im Zusammenhang mit einem anderen Problem: wir haben Mitglieder, die in keiner Tendenz organisiert sind. Sie sind mit diesem System der Entscheidungsfindung gezwungen, sich mit einer organisierten Tendenz zu verbünden. Diese Art des Funktionierens ist nicht sehr attraktiv, gerade auch nicht auf der Ebene der Basisorganisationen von Antarsya. Eine Aufmerksamkeit auf diese Problematik könnte dazu beitragen, das Funktionieren der antikapitalistischen Linken in Griechenland zu verbessern.
Denn es geht ja im Grunde weder um organisatorische Fragen noch gar um das Funktionieren der antikapitalistischen Linken. Es geht vielmehr um die Aufgaben und um das politische Gewicht dieser organisierten Kraft, um die Arbeiterklasse weiterzubringen. Nur in diesem Zusammenhang nehmen die Fragen um das Funktionieren und die Vereinheitlichung ihre wahre Bedeutung an. Wir wissen aus der Erfahrung, dass in einigen entscheidenden Situationen die Aktivistinnen und Aktivisten der antikapitalistischen Linken die Rolle eines Katalysators in richtung einer Vereinheitlichung einnahmen. Und dies nicht nur in “kleinen” Kämpfen (Fabriken, einem Sektor der Mobilisierung oder auf lokaler Ebene), sondern auch in zentralen Kämpfen ist die Rolle von Antarsya entscheidend gewesen: Für die Organisation des Kampfes gegen den Faschismus, für die Solidarität mit Immagrantinnen und Immigranten und Geflüchteten und für die Lancierung des NEIN im Referendum.
Wir haben jedoch auch gesehen, dass weder das Gewicht der Linken noch deren beispielhaften Aktionen genügten, um angesichts der Verräterein und des politischen Scheiterns der Demoralisierung entgegenzuwirken. Denn wir stehen einem System gegenüber, dem Kapitalismus, dessen ungleichmässig verteilte Krise andauert und an dessen schwächstem Glied, welches in Europa Griechenland ist, mit einer Krise von Krieg und Geflüchteten kombiniert ist.
Athen, 15. März 2016
Quelle: www.internationalviewpoint.org… vom 28. März 2016. Übersetzung aus dem Englischen durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, Breite Parteien, Griechenland, Strategie
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