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Was die Unterlagen von Nato-Konferenzen verraten

Eingereicht on 2. Oktober 2022 – 13:26

Bernhard Trautvetter. Seit Jahren treffen sich in Essen Nato-Militärs mit der Rüstungsindustrie. Die Öffentlichkeit erfährt davon wenig. Dabei verrät der Blick auf die Debatte viel über die Rolle und das Selbstverständnis der Allianz.

Vom 11. bis zum 13. Oktober tagen circa 300 Führungskräfte aus Nato-Staaten – darunter höchstrangige Militärs, Regierungsvertreter, Strategen und Vertreter der Rüstungsindustrie – bei einer Strategiekonferenz in der Messe Essen über die Rivalität zwischen den USA und der Nato einerseits sowie China und Russland andererseits.

Es geht um die Bereiche Diplomatie, Kommunikation, Militär und Wirtschaft. Der Fokus liegt auf der militärischen Unterstützung der Nato in der sogenannten Systemkonkurrenz – denn die Nato ist nun einmal ein Militärpakt.

Statt die Priorität auf der Vermeidung eines Atomkrieges zu legen, beraten Spitzenkräfte aus den Staaten der Nato über militärische Optionen, die bis in die absolute Gefahrenzone hineinreichen. Die Strategen strengen gleich zu Beginn des Vorbereitungsmaterials zur Konferenz das biblische Bild der apokalyptischen Reiter an.

Damit sie Kriegsführungsstrategien ohne Rücksicht auf die öffentliche Debatte entwickeln kann, hat die Nato die Medien über diese gutbesuchte und hochrangige Konferenz im Vorfeld nicht hinreichend informiert. Auch im Nachgang ist das offenbar nicht geplant.

Das hat System: Die Militärs bevorzugen die ungestörte Arbeit an der sehr konkreten Kriegsvorbereitung. So hat das US-Militär etwa auch durchgesetzt, dass die jeweilige US-Regierung die vom Militärapparat verursachte Schädigung des Lebensraums der Menschheit nicht an das UNO-Klimasekretariat meldet muss.

Die mangelnde Aufmerksamkeit großer Teile der Ökologiebewegung gegenüber der vom Militärsektor ausgehenden Zukunftsgefährdungen scheint eine logische Folge dieser Heimlichtuerei und ihrer Entsprechung in der Meinungsmache.

Sie vermittelt mit Halbwahrheiten und doppelten Standards den Eindruck, Gefahren, Rechtsbrüche sowie Unmenschlichkeit gingen lediglich von ihren Kontrahenten aus und die Nato sei Garant von Frieden und Sicherheit.

Der Begriff „Sicherheit“ ist bewusste Täuschung und soll die Menschen beschwichtigen. Denn der Nato-Militärapparat ist „der weltweit größte (…) Emittent von Treibhausgasen„, heißt es in einem entsprechenden Pressebericht. Auf Verlangen der US-Regierung dürfe jedoch nicht diskutiert oder gar wahrgenommen werden, welche ökologisch fatale Wirkung vom Militär ausgehe.

Mit ihrem Nachrichtenmanagement verschaffen sich die Militärs Handlungsspielraum. Auf ihren Konferenzen geht es derweil um einen möglichst siegreichen Einsatz ihrer Potenziale im kriegerischen Handeln.

Um bei ihrem Tun möglichst wenig von öffentlicher Einflussnahme gestört zu werden, fand das US-Militär schon im Kontext des Uno-Klima-Protokolles von Kyoto 1997 eine gesetzliche Lösung: So wurde verhindert, dass sein Anteil an der Klimaschädigung in den Klimabericht einfließt.

Eine über die Fakten informierte Öffentlichkeit würde allzu leicht Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit etwa mithilfe des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen durchsetzen und „den Einsatz der Streitkräfte der Vereinigten Staaten einschränken oder auf eine Beschränkung der den Streitkräften der Vereinigten Staaten beschafften militärische Ausrüstung hinwirken“, heißt es dort.

Laut dieser Begründung für die Ausklammerung militärisch bedingter Verbrennungsabgase im Klimabericht der USA ging es um eine maximale Handlungsfreiheit ohne kritische Einflussnahme aus der Öffentlichkeit in den Militärsektor.

Aufschlussreicher Blick in die Tagungsunterlagen

Darum geht es auch, wenn die seit 2015 in Essen stattfindenden Jahreskonferenzen des militärisch-industriellen Komplexes hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Was die Militärs dabei im Einzelnen verheimlichen, das zeichnet sich schon durch einen Blick auf die Unterlagen der Nato-Jahreskonferenzen ab, die der Öffentlichkeit nur noch teilweise vorliegen. Es geht ganz generell um die Kriegsführung im 21. Jahrhundert.

Waren es anfangs noch zweihundert Militärs, so beraten nunmehr jedes Jahr circa dreihundert Spitzenfunktionäre der Nato-Armeen und mit ihr verknüpfter Bereiche sowie aus sogenannten Partnerstaaten etwa über den Drohnenkrieg.

Weitere Themen sind die Kriegsführung in Staaten ohne erklärten Kriegszustand (expeditionary warfare), der Einbezug des Weltraums und der Einfluss von künstlicher Intelligenz auf das Schlachtfeld-Management. Diskutiert wird zudem, wie am besten mit der Öffentlichkeit umzugehen sei, um eine maximale Unterstützung für die Abschreckungs- und Aufrüstungspolitik der Allianz zu erreichen.

Zu den Sponsoren der Konferenzen gehören aktuell der weltgrößte Atomrüstungskonzern Lockheed Martin, der die Atombomber für den Nuklearkrieg und Hyperschall-Waffen für den Überraschungsangriff produziert, der Kampfdrohnenproduzent General Atomics sowie ein Produzent atomar bestückter Lenkflügelraketen Raytheon Systems (alle aus den USA).

Hinzu kommen der französische Atomrüstungskonzern Thales, Airbus Defense sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das u.a. mit Messerschmidt und der Nasa kooperiert, etwa bei der Drohnenrüstung.

Die einladende Strategieschmiede versteht sich als „der Katalysator der Nato für die Verbesserung und Umgestaltung der gemeinsamen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte“. Sie beabsichtigt, „durch unabhängige Überlegungen und Analysen wirksame Lösungen“ für militärische Herausforderungen zu liefern.

Die erste vom JAPCC ausgerichtete Konferenz befasste sich 2005 mit der Frage: „Wie kann die gemeinsame und integrierte Luft- und Weltraummacht relevant bleiben?“ Diskutiert wurde, wie die Integration der Arsenale im Sinne militärischer Ziele effektiver gestaltet werden kann.

Die Folgekonferenzen befassten sich mit der Entwicklung der des Drohnenkonzepts der Nato, also mit dem Einsatz ferngesteuerter Flugobjekte in einem Kampfgebiet. Sie vergleichen den Stand der Drohnentechnik damals „mit dem Zeitpunkt, zu dem der Wright Flyer 1903 erstmals abhob“.

Sie sollten Recht behalten, inzwischen entwickelt das Militär Konzepte zum abgestimmten Einsatz von Aufklärungs- und Kampfdrohnen, Schwärmen von Minidrohnen im Zusammenwirken mit bemannten Flugobjekten und mit Clouds künstlicher Intelligenz, deren Informationen auch weltraumgestützt verarbeitet werden können.

2007 besprach die Konferenz Expeditionary warfare auch Aktionen der Luftwaffe, die ohne Kriegserklärung durchgeführt werden können.

Auf den folgenden Konferenzen ging es unter anderem über Entscheidungsüberlegenheit im Hightech-Krieg mithilfe von internetbasierter Cyber- und Drohnen-Kriegsführung sowie über ökonomische, politische, zivile und ökologische Aspekte der Kriegsführung bis hin zu nuklearen Angriffen: Die Future Vector-Konferenz 2014 befand laut Manuskriptseite 141, es sei anzuzweifeln, dass es keinen großen Krieg mehr in Europa gebe. Sie forderte einen angemessenem Mix aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten.

Russische Westgrenze als Ausgangspunkt der Eskalation

Als möglichen Ausgangspunkt für ein derartig apokalyptisches Geschehen machten die Strategen Orte nahe der russischen Westgrenze aus; zugleich kamen sie zu dem Schluss, die Nato-Osterweiterung habe mehr Stabilität und Frieden nach Europa gebracht (S.39).

Um diesen Kurs der rigorosen Verletzung jeglicher Idee einer Friedensordnung auf der Basis kollektiver gemeinsamer Sicherheit eines jeden Staates durchzuführen, wandte sich die Nato-Propaganda der strategischen Kommunikation zu.

Im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA und ihrer Koalition der Willigen gegen den Irak 2003 beging die US-Regierung laut Vorbereitungsmanuskript (S. 44/45) den „strategischen Fehler, sich auf (nicht vorhandene) Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins zu berufen. Wenn sie die Grausamkeit Husseins in den Vordergrund gestellt hätte, wäre die Unterstützung für den Krieg größer gewesen“.

Als weiteren Hinweis kamen die Strategen zur Erkenntnis (S. 24):

Die Medien wollen Geschichten erzählen, und das Militär will den Krieg gewinnen.

Um die Menschen mit dem eigenen Narrativ möglichst erfolgreich zu erreichen, betonen „Schlüsselprinzipien der Strategischen Kommunikation (…) die Menschenrechte“ (S. 44).

Der Bericht über Ergebnisse der Konferenz führt dazu weiter aus (S. 11):

Die Idee des Geschichtenerzählens wurde wiederholt eingebracht. Das Narrativ der Nato sollte vertrauenserweckend und stark sein, es sollte klar zwischen Gut und Böse und Richtig und Falsch unterscheiden. Damit dieses Narrativ effektiv, verlockend und überzeugend wirken kann, nützt die Humanisierung der Geschichte, die von souveränen und vertrauenswürdigen Sprechern verbreitet wird. Bilder sind kraftvoll und erzählen wortlos oft mehr als die erwünschte (reqirede) Geschichte.

Erfolge des „Geschichtenerzählens sind leichter zu erzielen, wenn sie von gut trainierten und motivierten jungen Menschen handeln.“ (S. 12)

Und unter „Nutze Friedenszeiten gut!“ befinden sich gute Ratschläge wie (S. 13/14):

Eine menschliche Dimension einer Geschichte erhärtet oft ihre Überzeugungskraft in der Öffentlichkeit. … Entsprechend dem Konzept des Informationskrieges.

Betone die Kraft der sozialen Medien und bringe unserem jungen Personal Vertrauen entgegen, wenn diese Personen ihre Seite der Geschichte erzählen.

2017 tagte die Konferenz zur Abschreckung, sie illustrierte ihr Vorbereitungsmanuskript mit einem Foto von Nato-Panzern an der Grenze zu Litauen. Die Autoren des Manuskripts bedauern, dass diese Kriegswaffen dort nicht schon 70 Jahre eher zur Verfügung gestanden hatten, also in der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Nato-Konferenz, die diesen Oktober in der Messe Essen tagt, befasst sich laut Vorbereitungsmanuskript mit der Strategie, mit der sie den laufenden Krieg in er Ukraine nachhaltig gewinnen wollen:

[Als] Erkenntnisse zur … Kriegsführung verdienen drei … Beobachtungen Beachtung. Erstens haben tragbare Panzerabwehrlenkwaffen und Luftabwehrsysteme auf dem Schlachtfeld erhebliche Wirkung erzielt. … Zweitens sind unbemannte Flugobjekte … einzubeziehen. … Drittens wurden erneut fortschrittliche Raketen getestet, die hohe Geschwindigkeiten erreichen, um der Luftabwehr zu entgehen …

#Bild: Nato-Zentrale in Brüssel. Interne Einblicke gewährt man hier ungern. Bild: Nato, CC BY-NC-ND 2.0

Quelle: Telepolis… vom 1. Oktober 2022

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