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Rakete auf Polen: Eine ukrainische Provokation?

Eingereicht on 17. November 2022 – 11:33

Florian Rötzer. Selenskij beharrt auf einen russischen Angriff, Polen, die USA und die Nato weisen dies zurück. Russland sei letztlich verantwortlich, der Raketeneinschlag nicht absichtlich. Offenbar sich neben der Verschleierungstaktik ein Riss zwischen der Ukraine und wichtigen Nato-Unterstützerstaaten?

Auffällig war, das sich sogar die polnische Regierung mit Schuldzuweisungen an Russland von Anfang an zurückgehalten hat erst  einmal am Mittwochnachmittag nur von einer Explosion im Dorf  Przewodow nahe der Grenze zur Ukraine gesprochen hat. Zwei Menschen wurden getötet und ein Traktor mit Anhänger beschädigt. Später war die Rede von zwei Raketen, eine sei auf die Trocknungsanlage für Getreide eingeschlagen. Gegenüber den schnellen Schulzuweisungen der üblichen Kriegstreiber, wie dies Florian Warweg anhand von Strack-Zimmermann und CO. herausgestellt hat, waren wir von vorneherein mangels Beweisen zurückhaltend: Russische Raketen auf ein polnisches Dorf?

Während der ukrainische Präsident Selenskij schnell versuchte, Kapital aus dem Vorfall zu schlagen und Russland bezichtigte, für den Angriff auf Polen verantwortlich zu sein, um die Nato zum Handeln aufzufordern, kam von US-Präsident Biden und vom Pentagon keine Bestätigung. Bald hieß es, es habe sich wahrscheinlich um eine ukrainische S-300-Rakete gehandelt, die versehentlich in Polen eingeschlagen sei. Dass die Rakete von Russland kam, wurde ausgeschlossen.

Dem schloss sich schließlich auch die Nato an, womit Polen, die USA und die Nato dem ukrainischen Präsidenten widersprachen und eigentlich der Falschaussage bezichtigten. Man kam ihm insoweit entgegen, wie auch Bundeskanzler Scholz sagte, dass Russland immer schuld sei, weil es den Krieg begonnen habe und die ukrainische Abfangrakete während des Bombardements am Mittwoch auf zahlreiche Energieanlagen abgefeuert wurde. Die polnische Regierung beteuerte gestern, für den Vorfall sei Russland verantwortlich, es sei ein „bedauerlicher Unfall“, wenn die ukrainische Luftabwehr zur Verteidigung eine Rakete abfeuerte, die auf polnisches Territorium  gefallen sei.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte gestern, die Untersuchung des Vorfalls werde fortgeführt, aber man habe bisher keine Hinweise, dass es ein „absichtlicher Angriff“ gewesen sei. Im Wesentlichen erklärte er:

„Unsere vorläufige Analyse deutet darauf hin, dass der Zwischenfall wahrscheinlich durch eine ukrainische Flugabwehrrakete verursacht wurde, die zur Verteidigung des ukrainischen Territoriums gegen russische Marschflugkörper abgefeuert wurde. Aber lassen Sie mich eines klarstellen. Es ist nicht die Schuld der Ukraine. Russland trägt die letzte Verantwortung, da es seinen illegalen Krieg gegen die Ukraine fortsetzt.“

Deutlich wurde, dass weder Polen noch die USA und die Nato den Konflikt mit Russland eskalieren wollten, was Selenskij gefordert hatte, der so tat, als wäre es eine von Russland stammende Rakete gewesen, die absichtlich zur Provokation Richtung Polen abgefeuert worden sei.

Auffällig ist, dass sich alle darum bemühen, die Ukraine vor jeder Verantwortung zu schützen und vor allem von vorneherein jeden Verdacht auszuschließen, dass womöglich die Rakete von ukrainischen Streitkräften absichtlich während des G20-Gipfels abgeschossen worden sein könnte, um Russland weiter in Misskredit zu bringen. Dass Russland jede Verantwortung ausschloss, spielt in der Regel sowieso keine Rolle.

Man könnte vermuten, dass der Vorfall erstmals einen Riss zwischen Kiew und wichtigen Unterstützerstaaten aufgezeigt hat. Natürlich liegt es im Interesse der ukrainischen Führung den Konflikt zu eskalieren, Russland weiter zu isolieren, als Terrorstaat zu bezeichnen und die Nato zu einem Eingreifen zu bringen, beispielsweise zur Einrichtung einer Flugverbotszone, weil nun ein Nato-Staat von einem russischen Angriff betroffen war. Aber offensichtliche falsche Tatsachenbehauptungen zu machen, ging den Unterstützerstaaten zu weit, auch wenn einige wie die baltischen Staaten oder die Tschechoslowakei den Vorfall auch zur Eskalation nutzen wollten.

Selenskij scheint aber nicht bereit zu sein, seine voreilige Behauptung wieder zurückzuziehen. In seiner Rede gestern Abend sprach er wieder davon, dass „alle Umstände“ geklärt werden müssten, „wie die russische Aggression die polnische Grenze überschritten hat“. Die russische Aggression habe zwei Polen getötet. Selenskij fordert, die ukrainischen Spezialisten an der Untersuchung über den Vorfall zu beteiligen und Zugang zu allen Daten zu geben.

Nach Angaben des Kommandanten der Luftwaffe und des Oberbefehlshabers der Streitkräfte, so Selenskij, habe es sich nicht um eine ukrainische Rakete gehandelt: „Ich glaube, dass dies eine russische Rakete ist, und vertraue dem Bericht des Militärs.“ Man könne aber nicht ausschließen, dass durch die Abwehr einer Rakete, was zeitlich mit dem Vorfall einherging, Trümmer auf polnisches Territoriums gefallen sein könnten: „Wenn es der Einsatz unserer Flugabwehr war und Wrackteile auf dem Territorium Polens gefunden wurden, möchte ich diese Beweise. Wenn Trümmer diese Menschen getötet haben, müssen wir uns entschuldigen. Wir sind ehrliche Menschen.“

Das erinnert an den Abschuss der Passagiermaschine MH17, wo die Ukraine auch an den Ermittlungen mitwirkte und diese vermutlich mit beeinflusst hat. Falls es eine russische Rakete war und die ukrainische Streitkräfte keine Rakete in die Richtung der polnischen Grenze abgeschossen haben, könnte die Ukraine auch beruhigt die ihr sowieso freundlich gesinnten Staaten die Untersuchung überlassen. Besteht womöglich Sorge, dass die Untersuchung aufdecken könnte, dass die Rakete – offensichtlich handelt es sich um eine aus Sowjetzeiten stammende S-300-Abfangrakete, deren Reichweite kaum dafür spricht, von russischen Truppen abgeschossen worden sein zu können – von ukrainischen Truppen, vielleicht von einem Freiwilligenverband, zu einem False-flag-Angriff auf Polen abgefeuert wurde? Passend eben zum G20-Gipfel und auch zum gestrigen Ramstein-Treffen.

Zudem ist die Ukraine, trotz aller Erfolgsmeldungen und propagierter Siegesgewissheit vor dem Winter und den anhaltenden Angriff auf die Energieinfrastruktur keineswegs auf einem Siegeskurs. Das hat gerade wieder General Mark Milley, der oberste US-Militär, deutlich gemacht. Die Aussicht auf einen schnellen militärischen Sieg der Ukraine sei nicht hoch, sagte er, trotz der Rückschläge habe die russische Armee noch eine große Kampfkraft. Es könne aber eine politische Lösung geben, dass sich die russischen Truppen zurückziehen. Auch er sagte, dass die in Polen eingeschlagene Rakete vermutlich von der ukrainischen Raketenabwehr stamme, aber nicht absichtlich gewesen zu sein scheint.

Möglich bleibt die Version, dass eine Rakete absichtlich von ukrainischem Territorium auf Polen abgefeuert wurde, um den Rückhalt der Ukraine zu stärken. Die Unterstützerstaaten könnten dies verschleiern wollen, um die Ukraine zu schützen, aber diese zugleich zu warnen, das Eskalationsspiel nicht zu übertreiben. Man kann davon ausgehen, dass dann, wenn es die leiseste Möglichkeit gegeben hätte, Russland die Verantwortung zuzuschieben, dies auch gemacht worden wäre. Vermutlich werden die Untersuchungen im Sand verlaufen, ähnlich wie bei den Anschlägen auf die Pipeline Nord Stream.

Quelle: overton-magazin.de… vom 17. November 2022

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